Geschrieben am 1. Oktober 2024 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2024

Dietrich Leder seziert Crime im TV (27): Kommissar Lukas Laim

Der Krimi im Bildschirmformat boomt. Dietrich Leder, der viele Jahre für die „Medienkorrespondenz“ über das Fernsehen schrieb, ehe dieses zweiwöchentliche Periodikum im Dezember 2021 eingestellt wurde, nimmt sich jeden Monat eine Erscheinung des laufenden Krimi-Programms vor und seziert, wie es die Darsteller der Pathologinnen und Pathologen in den Serien versprechen. 

Die Reihe »München: Laim …« – bisher sieben Folgen

Gelegentlich geraten einem jene deutschen Serienkrimis in den Blick, deren Folgen weder wöchentlich oder monatlich ausgestrahlt werden, sondern im Abstand eines halben oder gar ganzen Jahres. Das ZDF beispielsweise hat davon einige Programm, die auf dem Sendeplatz am Montagabend um 20.15 Uhr laufen. Der war einst zwar für den klassischen Fernsehfilm vorbehalten, wurde aber im Lauf der Jahre immer häufiger mit Krimis besetzt, die wohl mehr Zuschauerinnen und Zuschauer anlocken als Filme ohne Mord und Todschlag. Die Klage über diese Monokultur des ZDF, die einst sogar manche anstimmten, die für sie im Ursprung mitverantwortlich waren, hat nichts bewirkt. Und so ist mindestens jeder zweite Montagabend im Zweiten mit Krimis bestückt.

So auch am 23. September, als eine neue Folge der Serie mit dem Münchner Kriminalhauptkommissar Lukas Laim, den Max Simonischek spielt, ausgestrahlt wurde. Diesen Mordermittler zeichnet eine finanzielle Unabhängigkeit aus, da er aus einer reichen Familie stammt. Das erlaubt ihm ein luxuriöses Leben in einem Penthouse über den Dächern der bayerischen Landeshauptstadt und eine gewisse Laxheit im Umgang mit den Regeln des Beamtenrechts wie mit den Prinzipien einer Behörde. Klar, dass das die obligatorischen Streitigkeiten mit den Vorgesetzten auslöst, ohne die kein deutscher Serienkrimi auskommt. Auch wenn ihm mit Anton Simhandl (Gerhard Wittmann) ein kreuzbraver und tief im Bayerischen verwurzelter Kollege zur Seite stellt, der ihn trotz diverser Marotten schätzt, bleibt Laim ein oft düster wirkender Außenseiter und Einzelgänger, der eher seinen persönlichen Lageeinschätzungen folgt als dem, was die Arbeit des gesamten Polizeiapparats an Erkenntnissen zu Tage gefördert.

Die bislang sieben Serienfolgen wurden alle von Michael Schneider inszeniert. Die meisten Drehbücher und so auch das zur aktuellen Folge mit dem kalauernden Titel „Laim und die Toten ohne Hosen“ schrieb Christoph Darnstädt. Ein bewährtes Team legte also diese Folge vor. Um so erstaunlicher ist deshalb die Unsicherheit in der Erzählweise.

Der Film beginnt mit einem nächtlichen Verkehrsunfall, bei dem eine junge Frau mit ihrem Wagen nachts auf einer Landstraße gegen einen Baum prallt. Vorher hatte ein Tier die Fahrbahn gekreuzt. Ob aber das den Unfall verursacht hat, und was mit der Fahrerin geschehen ist, die erst einmal hinter dem Steuer des verunglückten Wagens eine Zigarette raucht, bleibt unklar. Eine Naheinstellung ihres Gesichts deutet aber an, dass sie schwerer verletzt ist, als man nach der Szene mit der Zigarette annahm. Im Fortgang des Films taucht die junge Frau kaum noch auf. Irgendwann erfährt man, dass sie im Koma in einem Krankenhaus läge. Kurz vor Ende sieht man, dass sie stirbt, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben.

Der raunende, da wesentliche Handlungselemente auslassende Einstieg ist die Schlüsselszene des Films. Erst am Ende erfährt man, dass die junge Frau an diesem Abend von ihrem Stiefvater sexuell bedrängt wurde, als sie bei ihm wegen einer vorhergehenden sexuellen Belästigung eines anderen Mannes Hilfe suchte. Ihre Fahrt ist also als eine Flucht vor den Männern zu verstehen, die sie gut kannte und die sie an diesem Abend bedrängt hatten. Unklar bleibt, ob sie das Lenkrad wegen des Tieres verriss oder ob sie bewusst gegen den Baum fuhr. Aber weder die Frage, ob es sich um einen Suizid handelt oder nicht, noch die nach den Straftaten der beiden Männer sind Gegenstand der filmischen Erzählung. Ja, sie werden eher beiläufig thematisiert.

Im Zentrum stehen zwei Morde, die indirekt mit den Ereignissen des Abends zu tun haben. Denn beide Männer, von denen die junge Frau bedrängt wurde, werden in der chronologisch vorgehenden Filmerzählung hintereinander tot aufgefunden. Beide wurden mit einer Krawatte erwürgt, beiden wurden die Hosen ausgezogen. Als Leichen wirken sie wie sexbesessene Männer, die sie im Leben awohl auch waren.

Laim und Simhandl beginnen mit den Ermittlungen im Umfeld der beiden Opfer und stoßen bald auf die Mutter der jungen Unglücksfahrerin, die lange mit dem einen verheiratet war und mit dem anderen zeitweise ein Verhältnis hatte. Diese von Ursina Lardi gespielte Frau steht im Zentrum des Films. Eine attraktive und selbstbewusste Frau, die Bücher über die Herrschaft der Männer schreibt und in einem Blog regelmäßig Prominente des Sexismus zeiht. Ihre Bücher erscheinen im Verlag ihres Ex-Mannes und sie werden von ihr in der Talkshow, die der andere Tote seit einigen Jahren produziert, beworben. Sie ist eine Frau, die über ihre Sexualität so unbekümmert spricht wie sie offen mit Laim flirtet, mit dem sie dann sogar eine Nacht verbringt.

Doch der fühlt sich darob nicht befangen, sondern ermittelt wacker in allerlei falsche Richtungen weiter, was sich am Ende als fatal herausstellt. Denn es ist diese Frau, die ihren Ex-Mann als Rache für das, was sie an ihrer Tochter begingen, umbrachte, während dieser zuvor den Fernsehproduzenten getötet hatte, weil der ihn erpressen wollte. Am Ende versucht die Frau auch Laim zu töten, was sie aber abbricht, um sich selbst zu erhängen.

Nach ihrer Erklärung am Ende erweist sich also die Inszenierung des ersten toten Mannes, die wie die Rache einer Frau an einem Sexbesessenen anmutet, als die des zweiten Mannes. Die Frau imitierte also wiederum das das böse Spiel ihres Ex-Mannes, als sie ihn tötete und seine Leiche ähnlich drapierte. Und auf gleiche Weise sollte nach ihrem langen und durchaus eindrücklichen Geständnismonolog auch Laim sterben, bis sie sich eines für die Serie Besseren besann und von der Titelfigur abließ.

Das ist als Geschichte äußerst verwirrend und zudem krude, da es die Ursprungstat einfach umdreht – aus den beiden Tätern werden Opfer, während die Mutter des Opfers zur Täterin wird. Das Opfer der Ursprungstat bleibt stumm und taucht nur dann noch in der Handlung auf, wenn es gilt die Geschichte zu forcieren. Dass der Film aus ihrer Perspektive beginnt, ist also ein Trick, da er sich für sie danach nicht mehr interessiert. Die Erzählperspektive wechselt der Filme ohnehin so, wie er es gerne braucht. So folgt man zwar meist den beiden Ermittlern, um im letzten Teil die Handlungen der Frau zu zeigen. Sie und mit ihr der Film ist denn auch pünktlich zur Stelle, als im Krankenhaus die letzten lebenserhaltenden Maßnahmen für die Tochter eingestellt werden.

Damit man nicht früh genug auf die Lösung des Mordrätsels kommt, müssen eine Reihe von Informationen oft auf absurde Art verschleppt werden. Stattdessen wird breit die Beziehung zwischen dem Kommissar und der Frau erzählt. Phasenweise muss der in dunkle Kleidung gehüllte und unrasierte Simonischek schwer verliebt spielen, der die meist weiße Kleidung tragende blonden Frau unter seinem ins Gesicht hängenden schwarzen Haarscheitel fasziniert anschaut, als wollte er überdeutlich zeigen, dass von ihm gespielte Laim – im Sinne des Titel-Kalauers – der Frau schwer auf den Leim geht.  

Die phasenweise beeindruckende Ursina Lardi hat ein anderes Problem. Sie muss so tun, als ob sie rauchte. Immer wieder zündet sie sich eine Zigarette an, mit der sie dann aber wenig anzufangen weiß. Das Rauchen als eine Art von retarierender Handlung, von der viele Filme geradezu lebten, hat ja heutzutage große Probleme bekommen, seitdem immer weniger Menschen und also auch immer weniger Schauspielerinnen und Schauspieler im Alltag rauchen. Was als Bewegung – vom Anzünden der Zigarette über das Halten des glimmenden Stengels bis zum Ausdrücken der Kippe – für den, der raucht, alltäglich ist und also vorbewusst geschieht, wird so auf einmal zu einer inszenierten Aktion, der prompt das Alltägliche abgeht.

Dieses Detail steht für das Ganze des Films, der für die Stilisierung seiner Serienfigur als einsamer Held eine Kriminalgeschichte brauchte, für die er sich nicht sonderlich interessierte. Wenn aber weder der Drehbuchautor noch der Regisseur sich dafür interessieren, warum dann die, die an diesem Abend das ZDF einschalteten?

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Dietrich LederSeine Kolumne bei uns:

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Folge 2: „Der Kommissar“ – Mehr Retro ist kaum vorstellbar
Folge 3: Aus dem Streaming-Dschungel
Folge 4: Der Tod der Kommissarinnen
Folge 5: Erzählkonventionen
Folge 6: Die Erzählfäden von Michael Connelly
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