Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, News, Special Thomas Wörtche, Thomas Wörtche

Edition TW bei Suhrkamp – Interview mit Winfried Hörning

»Cheers to TW« von Winfried Hörning, Suhrkamp

»Ungeheure Neugierde und Lust auf das Neue, das Überraschende…«

Ein Interview mit Winfried Hörning, Leiter der Suhrkamp-Taschenbuchabteilung – von Alf Mayer

Wie war das? Wie fing das an mit Thomas Wörtche  als Herausgeber einer Krimi-Reihe bei Suhrkamp? Gibt es dafür so etwas ein Gründungsdokument?

(lacht) Nein, da muss ich Sie enttäuschen. Weder gab es eine Bewerbung noch ein Positionspapier. Wir haben über die Jahre einfach das eine oder andere Mal miteinander gesprochen.

Bitte Details.

Was Krimis angeht, gibt es bei Suhrkamp ja eine Vor-Wörtche-Zeit. Mitte, Ende der neunziger Jahre sollte es bei Suhrkamp ja schon einmal eine Taschenbuchreihe mit Kriminalromanen geben, auch schon mit Thomas Wörtche als Herausgeber. Der Taschenbuchleiter in diesen Jahren, Günter Berg, lud ihn nach Frankfurt ein und holte aus dem Lektorat Raimund Fellinger als bekennenden Krimifan und dessen damaligen Assistenten, also mich, hinzu. Wir hatten dann im Café des Literaturhauses einen munteren Austausch, bei dem Thomas Wörtche in erfrischender Deutlichkeit darlegte, wie er sich so eine Reihe bei Suhrkamp vorstellen würde, welche Autorinnen und Autoren er veröffentlichen würde und dass er bei der Auswahl keine Zügel angelegt bekommen möchte. Seine Entschiedenheit und sein Selbstbewusstsein haben mir seinerzeit imponiert, aber das Projekt ist schließlich sehr schnell im Haus zerschellt.

Woran lag das denn? An dem Verleger?

Ob es unserem Verleger Siegfried Unseld letztlich doch zu sehr widerstrebte, weiß ich nicht so recht. Es können auch andere Gründe dabei eine Rolle gespielt haben. Klar aber war, dass Unseld Kriminalromane schlicht nicht für Literatur gehalten hat. Seine Wahrnehmung von Krimis war von Edgar Wallace und ähnlicher »Schundliteratur« geprägt, für ihn waren sie eigentlich nicht richtig ernst zu nehmen. Einmal hat der Verlag in der Bibliothek Suhrkamp immerhin einen Erzählband von Patricia Highsmith gebracht; den hatte damals, wie sie mir später einmal nicht ohne Stolz erzählte, unsere Cheflektorin Elisabeth Borchers durchgesetzt. (Band 491: Als die Flotte im Hafen lag. Ausgewählte Erzählungen, 1976 – d. Red.) Aber das war es dann auch schon fast mit der Kriminalliteratur bei Suhrkamp, abgesehen von ein paar Ausreißern, da sich ja der eine oder andere Hausautor wie Stanislaw Lem oder Mario Vargas Llosa auch einmal in diesem Genre versuchen wollte (Stanislaw Lem, Der Schnupfen, 1979; Mario Vargas Llosa, Wer hat Palomino Molero umgebracht?, 1988, und Tod in den Anden, 1996 – d. Red.).

Wann ging es denn dann aber richtig mit den Krimis bei Suhrkamp los?

Im Mai 2009 sind auf einen Schlag die ersten sechs Krimis bei uns erschienen. Und wir hatten gleich im ersten Programm mit Don Winslow einen absoluten Glückstreffer erzielt. Es gab erste Erfolge mit seinen beiden Surfer-Romanen. Und »Tage der Toten« wurde dann ab Herbst 2010 ein Mega-Erfolg. Damit haben wir erstaunlich viele Suhrkamp-Leserinnen und -Leser zum Kriminalroman gebracht. Das lag mutmaßlich auch daran, dass das Buch ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema hatte. Ein Anliegen. Den Drogenkrieg.

Don Winslow war zuvor ja in mehreren anderen Verlagen erschienen. Wie sind Sie an »The Power of the Dog« gekommen?

Das Buch war ja bereits 2005 im Original erschienen, und es fand über mehrere Jahre keinen deutschen Verlag. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, aber Winslow war damals auf dem deutschen Markt als Autor erledigt. Die Verkaufszahlen seiner früheren Bücher bei Piper, Blessing und Goldmann waren wahrscheinlich nicht sonderlich berauschend , jedenfalls interessierte sich niemand für dieses »Kassengift« und seinen Roman. Als ich seine Backlist sichtete, wunderte ich mich erst einmal und bin zugegebenermaßen auch ein paar Wochen um das Buch herum geschlichen. Warum sollte ich so ein dickes Ding lesen, nicht mehr ganz taufrisch und vermutlich nicht besonders toll, da doch seit Jahr und Tag niemand darauf hatte bieten wollen? Ich nahm den Roman im Sommer 2009 dennoch mit in den Urlaub, war bei der Lektüre sofort elektrisiert und alarmiert. Und kaufte ihn gleich in der ersten Woche nach meiner Rückkehr ein. Und atmete auf, als der Vertrag Ende September unterzeichnet wurde und uns niemand zwischenzeitlich dieses Pfund weggeschnappt hatte.

Ich entsinne mich noch an manchen Aufschrei im Feuilleton. In der »Süddeutschen« habe ich damals 2009 gelesen, dass Suhrkamp jetzt künftig Bücher an der Tankstelle verkauft. (Siehe mit Zitaten auch hier nebenan in meinem Text über TW)

Ja, Kriminalromane bei Suhrkamp, das sahen vermutlich nicht wenige als eine kleine Kulturrevolution und damit den Untergang des Abendlandes nicht weit. Am schönsten fand ich damals die Reaktion der »Titanic«, ein Jahr bevor wir überhaupt die ersten Bücher brachten: Suhrkamp goes Krimi. Sie haben eine Doppelseite gebracht mit Krimis im stw-Design, mit Fußnoten und allem Drum und Dran. Herrlich! Wir haben sehr gelacht.

2009 war also Krimi-Start. Und wann kam Wörtche?

Wieder ins Gespräch gekommen mit ihm bin ich bei »Krimis Machen 1«, im Brecht-Haus in Berlin. Damals war er gerade frisch bei Diaphanes involviert. Wir sind danach über dieses und jenes in Kontakt geblieben und haben uns ab Mai 2014 immer mal wieder ausgetauscht und wahrscheinlich auch ausgelotet, ob eine irgendwie geartete Zusammenarbeit möglich sei, ohne dass dies gesprächsleitend war. Und als schließlich dann doch einmal die Idee im Raum stand, gab es nur noch eine einzige Frage zu klären: Wir hatten und haben ja mit Thomas Halupczok einen klasse Krimilektor im Haus. Er betreut zum Beispiel Friedrich Ani, Simone Buchholz, Adrian McKinty, Zoë Beck und Andreas Pflüger. Und da stellte sich uns schon die Frage, ob unser Programm nicht doch allzu krimilastig werden würde. Unser Verleger Jonathan Landgrebe aber meinte ohne Umschweife, auf einen derart guten Branchenkenner wie Thomas Wörtche sollten wir nicht verzichten. Wir haben die Reihe Oktober 2014 fix gemacht, also jetzt auch schon vor fast zehn Jahren. Und im Mai 2016 erschienen die ersten Bände.

Band 1 war dann »Hades« von Candice Fox …

Das war ein fantastischer Einstieg. Sie ist eine absolut beeindruckende Autorin und zudem uns bis heute sehr zugewandt, sie schätzt unsere Loyalität. Da ist etwas zusammengewachsen. Anderswo könnte sie mit manchem Titel vielleicht sogar mehr Auflage erzielen, aber das zeichnet eben auch die Zusammenarbeit mit Thomas Wörtche aus: Er versteht es, Autorinnen und Autoren zu binden.

Und sie zu finden?

Aber ja. Er ist sehr gut vernetzt. Er kennt den Markt und ist immer frühzeitig am Ball. Das macht vernünftige Einkäufe möglich. Er sondiert, er besorgt und koordiniert die Übersetzungen. Er lektoriert. Er schreibt die Paratexte. Als entscheidend für das Gelingen der Reihe sehe ich vor allem aber seine ungeheure Neugierde, seine Lust auf das Neue, das Überraschende, das So-noch-nicht-Gelesene, das er, falls es denn auch seinem kritischen Blick bis zum Ende standgehalten hat, mit Verve und Enthusiasmus protegiert.

Da Sie das Neue, das Überraschende erwähnen: Das wird sich nicht unbedingt immer auf Anhieb gut verkaufen lassen, oder? Können wir über Auflage reden? Verraten Sie uns einige Zahlen?

Unsere Krimi-Startauflagen liegen etwa zwischen 6.000 und 8.000 Exemplaren. Mit James Kestrel und »Fünf Winter« sind wir jetzt bei 60.000. Vor ein paar Jahren wäre das mit einem solchen Titel wahrscheinlich noch mehr gewesen, deutlich mehr. Aber die Zeiten haben sich geändert …

… und Sie müssten »Romance« machen?

Ja, genau. Die Verlage, die darauf gesetzt haben, schreiben gerade die hohen Zahlen.

Gibt es auch kleine Zahlen?

Oha, ja natürlich, ich sage nur »Johnny Porno«. Oder Matteo Strukul. Oder »Cottoncrest« von Michael H. Rubin. Und »Winter Traffic« von Greenall will ich erst gar nicht erwähnen. Wir probieren ja auch immer mal wieder aus, was bei Suhrkamp geht, was zu Suhrkamp passt oder eben auch nicht. Tania Chandler zum Beispiel wollte niemand von uns haben, bei einem anderen Verlag wäre sie vermutlich ein Erfolg geworden.

Auch David Whish-Wilson?

(seufzt). Tja, da bin ich mir unsicher. Das war leider eine nicht so erfolgreiche Trilogie, unbenommen der literarischen Qualität. Bei MediaControl ist das ja auch öffentlich: »Die Ratten von Perth«: 5.000 verkaufte Exemplare inklusive der E-Books, »Die Gruben von Perth« 2.100 und »Das große Aufräumen« 2.600 Exemplare. Das tut weh.

Schadet es auch der Zusammenarbeit?

Aber nein. Überhaupt nicht. Nicht nur die Erfolge, auch die Misserfolge entstehen immer im Zusammenspiel und sind nie nur einem anzulasten. Und sowieso gilt, dass Kriminalromane mit ästhetischer Qualität zu uns ins Programm gehören. Nicht umsonst haben unsere Bücher diese enorme Presseresonanz und sind regelmäßig auf der Krimibestenliste zu finden. (Siehe auch das Verzeichnis der von TW herausgegeben Romane hier nebenan in dieser Ausgabe – d. Red.) Unsere Planung mit Thomas Wörtche reicht schon bis ins Frühjahr 2026.

Verraten Sie uns ein paar Namen?

Max Annas kommt mit einem neuen Buch zu uns. Wir freuen uns sehr darauf. Ivy Pochoda. Johannes Groschupf hat gleichfalls einen neuen Roman. Ebenso James Kestrel, Candice Fox, Lavie Tidhar, dazu Kim Koplin und auch Merle Kröger. Es bleibt spannend.

Es ist schon etwas ungewöhnlich, dass eine Suhrkamp-Reihe – von Werkausgaben abgesehen – einen Herausgeber hat. Oder sehe ich das falsch?

Nur so halb. Es gab immer mal wieder Reihen bei uns, die einen Herausgeber hatten oder ein Herausgebergremium, wie es bei der Suhrkamp Theorie Jürgen Habermas, Dieter Henrich und Jacob Taubes bildeten. Oder die legendäre sammlung insel, die Walter Boehlich betreute. Oder die Edition Zweite Moderne von Ulrich Beck.

Aber im Genre ist das tatsächlich eher ungewöhnlich. Natürlich firmierte eine Zeitlang Dietmar Dath als Herausgeber seiner Newgothic-Reihe im suhrkamp taschenbuch. Und Andreas Platthaus war auch für die ersten Bände unserer Comicreihe zuständig. Aber in beiden Fällen war die Zusammenarbeit leider nur kurz. Vielleicht kann man die Phantastische Bibliothek, die Franz Rottensteiner für uns fast zwei Jahrzehnte betreut hat, als Modell für Thomas Wörtche sehen.

Die kam auf 360 Titel …

Und wir sind mit den von Thomas Wörtche seit 2016 herausgegebenen Krimis jetzt bei über 80 Titeln. In dem einen oder anderen Halbjahr sind nur zwei oder drei TW-Kriminalromane erschienen. Das liegt nicht etwa daran, dass er zu wenig geliefert hätte, sondern an den Krimi-Neuerscheinungen außerhalb seiner Reihe. Inzwischen sind wir längst in voller Fahrt. Sie können jeden Monat auf ein neues Buch unter seiner Herausgeberschaft gespannt sein.

Danke Ihnen für das schöne Gespräch.

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