Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, News, Special Thomas Wörtche, Thomas Wörtche

Alf Mayer: Gespräch mit Lucien Leitess zur Reihe »metro UT«

»Da war viel Wage- und auch eine Prise Übermut am Werk«

Die Geschichte der Krimi-Reihe metro ist auf der Internetseite des Unionsverlags gut dokumentiert. Wir bringen Ihnen in diesem Special auch das Gründungsdokument, ein kaliber 38-Interview mit Thomas Wörtche sowie damalige Pressestimmen und außerdem exklusiv und erstmals eine Bibliografie der Reihe. Zu all dem auch TW himself mit dem Text „The making of metro“ aus seinem Band „Das Mörderische neben dem Leben“.

Lucien Leitess © Unionsverlag

Alf Mayer: Gab es sozusagen ein Schlüsselerlebnis, die metro-Reihe aus der Taufe zu heben? Wie ist sie entstanden? Und war das von Anfang an mit der Person Thomas Wörtche verbunden?

Lucien Leitess: Dieser mir zunächst persönlich nicht bekannte Thomas Wörtche aus Berlin fiel immer wieder auf durch pfiffige, kluge, spielerisch-sprühende und gleichzeitig fundamental kenntnisreiche Buchbesprechungen unserer Kriminalromane. Sie sprachen mir aus dem Herzen. Also griff ich eines Tages zum Hörer und berichtete von meinem alten Traum, die Kriminalliteratur in unserem weltweiten Literaturprogramm auszubauen. Es wurde ein langes Gespräch. Am Ende kam es wie von selbst zum telefonischen Handschlag für die von ihm herausgegebene Reihe.

Vor dem Start von metro gab es im Unionsverlag bereits einige Spannungsromane, unter anderem von Chester Himes, auch Friedrich Glauser. Hatte Thomas Wörtche dabei schon seine Hand im Spiel? Sein Respekt für Chester Himes ist ja bekannt.

Der Unionsverlag hatte schon immer, wenn auch punktuell, diese Neugier für den echt internationalen Kriminalroman. Das begann 1980 mit dem Anti-Apartheid-Krimi „Der Mann aus Pretoria“ des Kenianers Hilary N’gweno. Glauser versteht sich für einen Schweizer Verlag von selbst. Aber es war TWs Rezension über unsere Himes-Edition, die mich zum Hörer greifen ließ. Damit begann eine Phase von weltweitem Wühlen. Wir warfen alles, was uns im Laufe der Jahrzehnte unter die Augen gekommen war, in den großen Ideentopf. Bald zeigte sich, wie viele große Autorinnen und Autoren des Genres im Deutschen damals unentdeckt oder wieder aufgegeben und vergessen waren.

Dann der metro-Start im Frühjahr 2000. Das war ein Paukenschlag? Oder wie reagierte der Buchhandel?

Es war ein Paukenschlag, weil plötzlich klar wurde, wie provinziell das Krimi-Angebot im Deutschen damals noch aufgestellt war. Im Bereich der Belletristik war der energische Auftritt nicht-europäischer, nicht-angelsächsischer AutorInnen ja schon seit zwanzig Jahren im Gange. metro holte das nun für die Kriminalliteratur nach. Und die Lancierung war laut und stark. Der Verlag investierte das, was er nach den Friedenspreisen für Yasar Kemal (1997) und Assia Djebar (2000) in den Reserven hatte, in dieses Zukunftsprojekt. Thomas konnte sich vor Interviews kaum retten. Offenbar war das neue Millenium reif, diese Kurve zu nehmen.

Überhaupt der Buchhandel. Andere Verlage wie Ullstein, Rowohlt oder Goldmann hatten ihre Krimireihen eingestellt oder auch in der Aufmachung abgeschliffen – ihr hattet dann damit beinahe eine Alleinstellung. Wie waren die Reaktionen?

Tatsächlich ging die Ära der hardboiled-Leser, die nur rot-weiße oder gelb-schwarze Krimis kauften, ihrem Ende zu. Dieses Genre spiegelte ja oft auch eine recht virile Perspektive. Weil Thomas als Herausgeber prägend war, behielten wir einen sachten Reihencharakter bei, sorgten aber für eine „literarische“ Anmutung,. Vor allem mit Blick auf die sogenannten Cross-Reader, die sich für Izzo, Padura, Pineiro, Disher und viele andere begeisterten und dabei sagten: „Eigentlich lese ich ja keine Krimis, aber …“ Wir haben auch bewusst die Bezeichnung „Krimi“ vermieden, die klang allzu sehr nach „Mimi“. Kriminalliteratur, Spannungsliteratur, darum ging es.

Wer hat der metro-Reihe ihr visuelles Gesicht gegeben? Gibt es einen Gestalter, der damit verbunden ist?

Unser ohnehin stilbildender Gestalter Heinz Unternährer hat der Reihe das silberne Etikett auf den Leib geschrieben. Dazu das Signet „welt-um-spannend“ umgesetzt, ich finde es immer noch inhaltlich wie optisch durchschlagend.

Vom ersten metro-Band an habt ihr auf zusätzliche Informationen zu Buch und Autor/ Autorin gesetzt. Das waren oft vier bis sechs, manchmal bis zu zwölf zusätzliche Buchseiten, also zusätzlich Kosten, auch für Übersetzungen und Autorenschaft. Hat sich das für den Verlag gerechnet oder hat es dich als Verleger eher geschmerzt?

Es war ein Signal, dass diese Autor:innen viel zu sagen haben, auf dem Niveau der Belletristen reflektieren und direkt an der Seele des Menschen arbeiten. Also eine Aufforderung, sie bitte schön ernst zu nehmen. Man lernt Menschen und Kulturen in Nah und fern ja auch durch ihre Verbrechen kennen.  Der Kriminalroman ist kein niederes Genre, auf das man herabschaut. Das war schon immer das ceterum censeo von Thomas. Heute wird das niemand mehr bezweifeln.

Ich als Leser und Kritiker freue mich immer über zusätzliche Informationen und Hintergrund zu einem Buch/ zu einem Autor – du bist auf der Seite, die auch die Kalkulation dafür kennt. Dennoch, in einer idealen Welt, sollte nicht (fast) jedes Buch so etwas haben?

Die Kosten sind im Grunde gering. Die größere Hürde ist der Zeitaufwand für Recherche und Redaktion. Das größte Hindernis ist aber: Der Lektor oder Herausgeber muss sich dabei zum Experten wandeln, was sich über ganze Breite eines Verlagsprogramms kaum realisieren lässt. In der Branche ist die Zeit noch knapper als das Geld. Dass Thomas als Herausgeber mit dem schnellen, scharfen Blick des Publizisten diese Anhänge betreuen konnte, war ein seltener Glücksfall. Inzwischen ist übers Internet tonnenweise Information leicht zugänglich. Die Qualitätskontrolle muss man allerdings selbst übernehmen. Immerhin boten wir schon immer über die Website ausnehmend viel kuratierte Informationen zu den Büchern und Autor:innen an.

Metro, das war ja auch eine logistische und verlegerische Leistung. Viele deutsche Erstausgaben, viele Übersetzungen… gute Übersetzungen, muss man ja sagen …

Im Rückblick kann ich sagen: Da war viel Wage- und auch eine Prise Übermut am Werk. Alle die neu übersetzten Werke erschienen ja gleich im Taschenbuch. Das sind kalkulatorische Herausforderungen, und nicht immer erreichten wir die fünfstelligen Verkaufszahlen, die es bei den tiefen Ladenpreisen braucht.

Es erschienen dann zwölf metro-Titel im Jahr? Wie viele Bücher insgesamt sind es mit Thomas Wörtche als Herausgeber geworden?

Die Grenzen sind fließend, weil wir nach der Ära Wörtche viele bisherige AutorInnen weiterbetreuten und im gleichen Geist neue suchten. Bis heute steht in allen Büchern dieses Segments: „metro wurde begründet von Thomas Wörtche“. Viele der frühen Entdeckungen sind dann Hausautor:innen geworden. Insgesamt tragen 152 Taschenbücher die Serienbezeichnung „UT metro“.

An welche Titel und Autoren erinnerst du dich besonders? Gibt es Lieblinge?

Bitte ein besonders schönes Verlegererlebnis.

Mich faszinierten auch die Ränder und Grenzfälle des Genres. Was treibt in einem Land wie der Türkei, wo es noch kein verinnerlichtes Rechtssystem gibt, und auch keinen sogenannten Rechtsstaat, ein Privatdetektiv? Celil Oker führt es vor. Wie kommt es, dass Nii Parkes in „Der Bienenfresser“ keinen Who-dunnit schreibt, sondern einen „What-happened“? Wenn Magisches, Rätselhaftes, in einen zu lösenden Fall Einzug hält, wird jede europäisch-klassische Indizienlogik obsolet. Das schönste Verlegererlebnis? Über Jahre mit einem Compagnon zu arbeiten, der einen immensen Fundus einbringt, aber immer auch Neues sucht. Der sich seiner Sache sicher ist, aber nie verbohrt. Und der eine unerschöpfliche Lust an der Debatte hat.

Bei Garry Disher finde ich eine interessante Komponente, dass er bei metro im Taschenbuch anfing und sich dann zu einem Hardcover-Autor entwickelt hat.

Garry Disher ist tatsächlich ein seltener Fall: 2016, fünfzehn Jahre nach der ersten Lancierung im Taschenbuch und deutlich sinkenden Leserzahlen, hatte er im Hardcover einen massiven Zweitstart mit durchschlagendem Erfolg auf ganz neuer Ebene. Damals veröffentlichten wir bereits alle Neuübersetzungen der Stammautoren zunächst im Hardcover, das ist ganz einfach ein kalkulatorischer Zwang. Nur Autor:innen mit starker, eigenständiger Stimme können sich im Hardcover durchsetzen. Das zwingt einen beim Programmmachen zu einer heilsamen Konzentration.

Als Verlag von Weltliteratur auf Weltkriminalliteratur zu setzen hat euch auch mitten in die Feuilleton-Unterscheidungen von E und U katapultiert.

E und U sind ja Konstrukte des Zeitgeschmacks und der Konvention. Ist Balzac E oder U? Glauser? Leonardo Padura? Claudia Pineiro? Die besten im Genre überspringen diese Barriere mit Gusto. Der Markt täte gut daran, diese Grenzüberschreitungen mit Neugier und Respekt zu honorieren und daraus nicht ein Fallbeil zu machen.

Hat sich hier in den letzten zwanzig, dreißig Jahren etwas bewegt? Wie nimmst du Stand und Image von Kriminalliteratur wahr? Mein Eindruck ist, dass metro die bei uns rezipierte Kriminalliteratur deutlich globaler gemacht hat.

Viel hat sich bewegt, und ständig weiter. Unser literarischer Horizont ist in allen Genres buntscheckig geworden. Die Welt ist auch hier keine Scheibe mehr. Gleichzeitig: Hoffen wir, dass die Leserschaft die in so vielen Schaufenstern wuchernden Produkte falscher Exotik erkennt. Diese Romane mit provenzalischen Lavendelfeldern, bretonischen Austernbänken und überhaupt reiseprospekthaften Ferienhimmeln auf den Covern. Und im Innern: Gefällige Erwartbarkeit, keine störenden Rätsel, Ecken und Kanten. Texte, die Urlaubserinnerungen aufblühen lassen, statt uns bestürzend erleben zu lassen, was sich hinter diesen Kulissen verbirgt, was wir verpasst haben.

Du hast gerade die Verlagsleitung des Unionsverlags abgegeben. Wird es auch künftig Kriminalliteratur im Unionsverlag geben?

Selbstverständlich! Das über die Jahrzehnte Errungene soll ja gesichert werden – und durch Neues bereichert.

Möchtest du Thomas Wörtche etwas öffentlich zum Geburtstag sagen?

Vieles, aber das Wichtigste: Danke für das große Abenteuer und die Komplizenschaft.

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