Geschrieben am 21. Dezember 2012 von für Highlights 2012

CM-Jahreshighlights 2012, Teil I (A–G)

cultmag_rectangle_300x250_IILiebe Leserinnen und Leser von CULTurMAG,

kurz vor den Feiertagen präsentieren wir Ihnen auch in diesem Jar wieder den Megagiga-XXXXL-Extra-Large-Jahresrückblick in drei Teilen (zu Teil II und Teil III) – chaotisch, unterhaltsam, entspannt – die Tops & Flops von LitMag, MusikMag & CrimeMag, wie über vierzig (!!!) unserer Autorinnen und Autoren das Jahr 2012 sahen: Bücher, Filme, Musik, TV, Kino, Alltag und Wahnsinn … ungeordnet, unabhängig, undogmatisch.

CULTurMAG ist morgen noch einmal mit dem CrimeMag und dann ab dem 9. Januar wieder für Sie da – feiern Sie schön, erholen Sie sich ein bisschen, rutschen Sie gut ins neue Jahr und bleiben Sie uns gewogen!

Herzlich, Ihre

Jan Karsten, Tina Manske, Thomas Wörtche und die gesamte CULTurMag-Crew

Laibach_ Introduction to laibachJanine Andert

Der musikalische Jahresrückblick ist eine bedeutende Sache. Ich durchforste die meistgehörten Songs und Lieblingslieder der vergangenen zwölf Monate und packe sie auf einen Sampler. Und dann immer die Frage: Gehören da 20 Jahre alte Alben rauf, nur weil ich sie in diesem Jahr rauf und runter gehört habe? 2012 fällt die Entscheidung recht einfach – immerhin ist es das Jahr der gelungenen Wiederveröffentlichungen. Ganz vorne mit dabei ist Mute mit der „In Introduction to …“-Reihe. Ein Hoch auf Laibach und Crime & the City Solution. Genau betrachtet, ist 2012 mein persönliches Laibach-Jahr. Zwei unsagbar gute Konzerte, ein erstklassiges Best-of-Album („An Introduction to … Laibach“) mit einem meiner Lieblingslieder des Jahres: „B Machina“ – aus dem besten Film des Jahres „Iron Sky“.

Diese neu entdeckte Leidenschaft muss man sich so vorstellen: Ich laufe NIE ohne Musik auf den Ohren durch die Welt. Aus den Kopfhörern erschallte in den vergangenen Monaten unaufhörlich martialische Kampfmusik. Allein der morgendliche Weg zur Bahn gewann dadurch eine Kino taugliche Atmosphäre, als wenn da jetzt das große Finale kommen müsste. Kam natürlich nie. Aber ich hoffe inständig, dass ich im Halbschlaf nie zum Beat mitmarschiert bin oder theatralisch mitgestikulierte.

Dann war da noch die Reunion von Crime & the City Solution, bei denen neuerdings David Eugene Edwards (Woven Hand, 16-Horsepower) hinter der Gitarre steht. Herzchen in meinen Augen. Ich hätte wirklich nicht geglaubt, dass ich das je live erleben darf. Durfte ich im Herbst. Es war mindblowing!

Trotzdem – was hat das mit 2012 zu tun? Retromania ist keine neue Sache, genauso wenig wie Reissues. Die nimmt man für gewöhnlich wohlwollend hin und als Anlass, mal wieder in alte Sachen reinzuhören. Aber erwähnenswerte Veröffentlichungen sind das eigentlich nur in ganz seltenen Ausnahmen und wenn, dann eher persönlicher Natur.

Was also hatte die Popmusik im Jahr 2012 zum allgemeinen Zeitgeschehen zu sagen? Das Instrument des Jahres? Irgendetwas zündendes? Bis auf die Renaissance des Hip Hop, der ohne Hot Pants und großbusige Tingeltangeltanten auskommt, konnte ich da wenig entdecken. Spannenstes Projekt in dieser Richtung war definitiv DIE ANTWORD mit dem Album „TEN$ION“. Ein innovativer, kruder Stilmix, der selbst Menschen, die bisher nichts mit Hip Hop anfangen konnten, aufhorchen lässt.

Andererseits erhält die Retromania mit der Band Fraktus ihren vorläufigen, irrsinnigen Höhepunkt. In diesem Sinne packt der Film „Fraktus“ nebst erstunkender und erlogener Band den Zeitgeist bei der Wurzel: Gestern ist das neue Morgen! Die Krise der Popmusik, in der alles schon einmal da war und beflissentlich und mit großer Ausdauer in den Archiven der Musikgeschichte gebuddelt wird. (Zu diesem Thema empfehlen sich von Simon Reynolds „Rip it up and start again“ und „Retromania“.)

Lana-Del-Rey-Born-To-Die_3Doch genug geheult! Rückbesinnung und Verlängerung von 2011 haben auch ganz tolle Seiten.

Lana Del Rey: „Born To Die“
„Born To Die“, bevorzugt die „Paradise Edition“ ist mit Abstand mein Album des Jahres, das eben auch für 2012 steht. Großer Hype, vollplakatierte Wände mit ihrem Counterfeit, die Songs omnipräsent – man konnte Lana Del Rey einfach nicht entrinnen. Anfänglich ging mir die Überproduktion des Albums ziemlich auf die Nerven, zu popig, zu irgendwas. Und dann ertappte ich mich doch, wie ich „Born To Die“ andauernd hörte. (Also abwechselnd Lana Del Rey und Laibach. Sehr schöne Mischung!) Die „Paradise Edition“ versöhnte mich dann endgültig mit dem unglücklichen Umstand, Mainstream-Pop zu hören. Eben doch Musik in der Tradition der großen, traurigen 60ies-Balladen. Klassische Popmusik handelt IMMER von unglücklicher Liebe.

Light Asylum: „Light Asylum“Was da an geballtem EBM- und 80er-Sound auf einen zurollt, ist der Wahnsinn. Klare Assoziation zu Nitzer Ebb. Doch wenn man denkt, das Konzept erfasst zu haben, überrascht Sängerin Shannon Funchess mit Ausflügen in den Operngesang. Dieses Debüt hat alles, was ein gutes Album braucht: Energie, Einprägsamkeit und überraschende Momente. 2013 soll es eine Kooperation zwischen Light Asylum und Fever Ray geben. Brachialer Beat trifft auf sphärische Elektronik. Das wird extrem spannend.

Little Gang: „Half Of Everything“
Das schwedische Musikerkollektiv um Jacob Snavely (Dag För Dag), Rebekka Karijord und Mitgliedern von den Shout Out Louds hat sich Ane Brun als Gastsängerin an Land gezogen und feiern auf ihrem Debüt „Half Of Everything“ abwechslungsreich schwelende Sehnsucht. Wenn die Wehmut einem fast den Hals zuschnürt, geht der nächste Song eine ganz andere Richtung – rhythmischer, fordernder. Manchmal ist es schwer vorstellbar, dass es sich um das gleiche Album oder gar um die selbe Band handelt. Am Ende harmonisiert dann trotzdem alles perfekt miteinander.

„Clinic – „Free Reign“
„Misty“, der Opener von Clinics siebentem Album zieht sofort in den Bann. Der Song hat zwei Spuren: Einmal den monoton-warmen Gesang von Adrian Blackburn und dann diesen gemeinen, stoischen Soundteppich, der in Horrorfilmen erklingt, bevor der Mörder zuschlägt. Immer wieder bricht diese geballte Wand durch wabernde Zynthies, Krautrock oder Saxophon auf. Blackburns Stimme meandert zwischen warm und beängstigend kalt. Post Punk meets Krautrock meets Jazz. Dazu ertönen eindringlich, aber monoton-finster Lyrics wie „we married in spring“.

Tu Fawning: „A Monument“
Dieses Album ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Monument. Es übertrifft sogar noch den Vorgänger „Hearts On Hold“ und der war schon ein Meisterwerk beklemmender Melancholie mit Hoffnungsschimmer. Die Band aus Portland, Oregon, ist eine der Galionsfiguren des neuen Portland-Sounds, der gerne mit Folk in Verbindung gebracht wird. „Musique Noire“ trifft es besser. Aus der Ferne heranrollender Hall auf den Stimmen und Instrumenten. Dunkelheit, die glimmende Sehnsucht in sich birgt. Die pointierte Rhythmik der Percussions gibt wummernd den Herzschlag vor. Die Stimme von Sängerin Corinna Repp trägt den Hörer in einen Schwebezustand. TU FAWNING zaubern den Soundtrack zu modernen Märchen. Dabei kommt das Album mit einer leichten Schwere daher, die vergessen lässt, welch musikalische Raffinessen sich dahinter verbergen. Von der Ferntrompete, die eher aus großen Konzertsälen bekannt ist, bis hin zu orientalischen Flöten reicht das Aufgebot.

Beth Jeans Houghton: „Yours Truly, Cellophane Nose“
Schräg, schräger, Beth Jeans Houghton. Dieses Debüt ist explodierende Synästhesie, die Pop mit Wahnsinn verbindet.

White Rabbits: „Milk Famous“
Einfach weil es schön ist und das Bein mitschwingen lässt. Mein Frühlingsalbum.

A Whisper In The Noise: „To Forget“
Zeitlos schön. Eine typisches Album der amerikanischen Post-Rock-Band, vor deren schwebend-treibenden Klangteppischen man einfach nur glückselig niederknien kann.

Peaking Lights; „Lucifer“
Luftiger Dub-Lo-Fi-DIY-Mix, der fröhlich vor sich hin wabert. Etwas Besseres kann man nicht hören, wenn sich der Frühling ankündigt.

Weiter geht es mit erwähnenswerten Songs, bei denen das gesamte Album mich nicht überzeugen konnte.

Public Image Ltd. – One Drop
Im Frühling hörte ich jeden Morgen im Radio „One Drop“. Es war immer wieder ein schöner Start in den Tag. Erstes neues Material der Band nach 20 Jahren. Eine Beurteilung des Frontmanns und einzig übrig gebliebenem Bandmitglied John Lydon aka Johnny Rotten lasse ich besser beiseite. Und das dazugehörige Album „This Is Pil“ überzeugt mich nicht auf ganzer Linie.

Efterklang – Apples
Efterklangs „Apples“ vom Album „Piramida“ passt so herrlich schön zum 80er-Jahre-Gedächnis-Sound, obwohl die Instrumentierung alles andere als altbacken ist. Trotzdem ist die Klangfarbe des Stücks einfach 80ies.

Austra – Crying
Das 2011er Album “Feel It Break“ war der Hammer. Die neun extra Songs der Deluxe Edition setzen dem aber noch einmal das Sahnehäubchen auf. Das Roy-Orbison-Cover „Crying“ ist großes Drama ohne theatralisch zu sein.

Dahingehend hat sich der musikalische Weg auch 2012 fortgesetzt: Vom Schwerpunkt 60er und 70er hat sich die Rückbesinnung ganz massiv in den 80ern festgesetzt. Und zwar auf allen Ebenen. Von Mainstream bis Underground über Hip Hop werden die Stilrichtungen dieses Jahrzehnts neu aufgegossen. Was bin ich froh, den Sound of the 80ies zu mögen. Erfrischende Ausnahmen dieses mittlerweile sehr lange anhaltenden Rückwärtstrends Beth Jeans Houghton und die White Rabbits.

In der Diskussion um GEMA und krankende Musikindustrie kam an einer Stelle zur Sprache, dass heute nicht mehr in neue Musik investiert wird, Musiker keine finanzierte Zeit mehr erhalten, in der sie an ihren Ideen arbeiten können; nur noch verlegt wird, was in harter Heimarbeit neben fünf Nebenjobs bereits eingespielt wurde; veröffentlicht wird, was garantiert erfolgreich ist. Letzteres bedeutet, dass ein Musikstil immer wieder neu aufgelegt wird, bis er in Gänze abgenudelt ist. An Neues wagt sich besser niemand ran. Das könnte ja nach hinten losgehen bzw. wie soll man bei der Fülle an Neuveröffentlichungen, den Journalisten und Hörern klar machen, dass da Potential drin steckt, gerade wenn eben kaum oder gar kein Geld für die Produktion vorhanden war.

Lieber, lieber Weihnachtsmann, mach, dass sich die Entwicklung der Retromanie so langsam fortsetzt, dass ich die ernsthafte, ironiefreie Rückbesinnung auf Mr. President und DJ Bobo nicht mehr miterleben muss …

Zu den CM-Beiträgen von Janine Andert.

thomas-backs-backsmediaThomas Backs

Literatur: Short Storys, Kurzgeschichten oder einfach Erzählungen – im Jahr 2012 habe ich mich vor allem für die große Kunst dieser Gattungen begeistert. Ganz besonders für Kevin Barrys neue Sammlung „Dark Lies The Island“ (zur Rezension bei satt.org). Der irische Meister der Tragikomik versammelt 13 neue Erzählungen, zumeist im Handlungsraum der großen und kleinen Inselwelt zwischen Sligo und Liverpool. Humor und Leichtigkeit sind hier fast immer auf der Oberfläche zu finden, darunter wird es finster, die Leser steuern mit den Handelnden in die Katastrophe. Egal, ob etwa eine ‚glückliche‘ Familie in South County Dublin, zwei kinderjagende Seniorinnen in Sligo, oder ein deprimierter Hotelbesitzer im Killary Harbour im Zentrum stehen. Kevin Barry gehört zu den großen englischsprachigen Autoren der Gegenwart. Da ist es schon ein wenig verwunderlich, dass weder seine Kurzgeschichtensammlungen noch der Roman „City Of Bohane“ (2011) bisher in einer deutschsprachigen Übersetzung erschienen sind. Es wird hoffentlich nur eine Frage der Zeit sein, wie bei den meisten Bestsellern aus Irland und dem UK.

Frank_Fischer_WeltmuellerEine Erzählung, die einen festen Platz in Dublins Buchhandlungen verdient hätte, ist der titelgebende „Weltmüller“ in Frank Fischers neuem Band (mehr zum Buch). Ich habe sie bereits mehrfach verschlungen, diese herrlich absurde Geschichte über Samuel Becketts „Warten auf Godot“ am Hamburger Schauspielhaus. In der die Rolle des Godot erstmalig in der Theatergeschichte tatsächlich besetzt wird. Mit der östereichischen Legende Johannes Weltmüller – und allen erdenklichen Konsequenzen. Für mich der Hit des Jahres. Bravo, Bravissimo! Wer kümmert sich eigentlich um die Übersetzung?

Musik: Das Tempo war enorm, in diesem Jahr. Als Musikliebhaber habe ich es da vor allem leicht und fluffig genossen, die zwölf Monate lassen sich in drei Phasen stückeln. Im ersten Halbjahr auf Heavy Rotation: „Several Shades Of Why“ , dieses grandiose Album von J Mascis aus dem Jahr 2011. Die Stunden mit dieser entspannten Songsammlung waren und sind für mich Vergnügen und Ruhepunkt – und werden es sicher noch lange bleiben. Etwas mehr Groove und Beats waren im Sommer gefragt, gefunden wurden sie mit dem Mix Tape des Jahres (siehe hier), das von den Foals stammt, aus dem Hause !K7 Records. Phase 3 der Longplayer: Hot Chip mit „In Our Heads“, Elektro in Perfektion, mit vielen Echos und Zitaten aus der Musikgeschichte.

Lieblingslieder gab es viele, zum Beispiel von Honig („For Those Lost At Sea“), Die Heiterkeit („Für den nächstbesten Dandy“) und Kettcar („Erkenschwick“). Für die ungebremste Umverteilung dieser Tage haben Peter Hein und die Fehlfarben Worte und Töne gefunden:

Zu den CM-Beiträgen von Thomas Backs.

Bruno Arich-GerzBruno Arich-Gerz

Man liest ja nicht immer nur gute Bücher. 2012 war die Lesezeit aber eine alles in allem solide, und der Oechslegrad konnte sich sehen lassen. Drei mochte ich ganz besonders, wobei der erste eine kleine Mogelpackung ist gemessen an der Vorgabe, nur über 2012er Neuerscheinungen zu schreiben. Thomas Pynchons Kifferkrimi „Natürliche Mängel kam als Taschenbuchausgabe tatsächlich im abgelaufenen Jahr auf die Büchertische.

Die Hardcover-Variante dieses Hardboiled-Reißers aus der Feder des inzwischen auf 75 Jahre hochgeschraubten, ewigen Nobelpreisaspiranten erschien bereits 2010, das amerikanische Original 2009. Trotzdem, más vale tarde que nunca, wie die Hispanics in Pynchons Kaliforniade zu sagen pflegen: lieber spät als nie. Wie der privatermittler Doc Sportello mit großer Tüte und noch größerem Afro sich anno 1970 zuerst eine Boysenbeerenpizza reinzerrt und dann auf die Fersen eines von der Bildfläche verschwundenen Bau-Moguls macht, das hat was, ist allerdings nichts für leserlenkungsverwöhnte Inquit-Fetischisten.

4417-natuerliche-maengelFür das ordnungsgemäße Verfolgen der Handlungsfäden zu sorgen, obliegt bei Pynchon kategorisch nicht der Erzählinstanz, sondern der Leserin. Wer das nicht kann, sollte sich diesen natürlichen Mangel entweder vorher abtrainieren oder gar nicht erst zum Pynchon greifen. Und also verpassen, wie Sportello mit der U.S.-amerikanischen Neonazi-Schufteschaft Bekanntschaft macht und sich mit ganz dreckigen Bullen herumschlagen muss, die ein Gouverneur namens Ronald Reagan und wahrscheinlich Präsident Nixon persönlich mit allem ausstatten, was das Kontrollfreak-Herz begehrt.

Hui, geht dann die wilde Fahrt über Monsterwellen und die Bergkämme im Hinterland von L.A., und allmählich, ganz allmählich stellt sich heraus, dass was nicht stimmt mit des Bau-Moguls Gattin und deren Liebhaber. Die Auflösung zu schildern, würde mich überfordern; ich erinnere (mich) nur noch daran, dass viele Örper durchgezogen werden. À propos, am besten vor Aufschlagen des Taschenbuchs nochmal den Straßeneckenhändler des Vertrauens aufsuchen und die Vorräte auffüllen. Das versetzt einen nämlich in exakt die richtige Stimmung für das Leseabenteuer Natürliche Mängel.

Als eine Kifferfantasie der exquisiten Art könnte auch Paul-Hermann Gruners „Wunderlich und die Logik“ durchgehen. Ich habe den 500-Seiter hier bei CULTurMAG besprochen, also fasse ich mich kurz. Stellen Sie sich Doc Sportello, siehe oben, vor als südhessischen Gigolo mit Hang zu allem, was Spaß macht und E-Ansprüchen genügt: klopfenden Sex, stilvolles Essen, literarische und philosophische Höhenkammgaumenkitzel. Den Job des abgetauchten Bau-Moguls übernehmen drei tote Rassekatzen, ansonsten ist alles ähnlich wild und psychedelisch. Und prall: „Wunderlich und die Logik ist nicht nur was für den Bundesverband der Darmstadtfreunde e.V., sondern sehr wohl auch bestes Lesefutter für den Liebhaber enzyklopädisch breiter Furchungen durch das nütze und unnütze Wissen von heute.

Der dritte Tipp aus der Kelterei 2012 hat so gar nichts zu schaffen mit trockengras-fröhlicher Romanunterhaltung. Libertina Amathila heißt die inzwischen in den wohlverdienten Ruhestand getretene Hildegard Hamm-Brücher der unabhängigen Republik Namibia. In den frühen 1960er Jahren war sie als engagierte Befreiungskämpferin und Anhängerin der SWAPO im europäischen Exil, machte als erste Schwarze ihren Dr.med. in Polen, errichtete und leitete dann in den sambischen und angolanischen Flüchtlingscamps Schulen und Hospitaleinheiten.

Mit der Unabhängigkeit Namibias kehrte sie 1990 zurück in ihr Land und wird zur Ministerin berufen: einmal, noch einmal, danach beruft man sie zur Vizepremierministerin. Sie kümmert sich um Wohnungsbau und Landentwicklung, baut Unterkünfte für die zahllosen Squatters, die das südafrikanische Apartheidsregime als städtisches Prekariat in trockenen Flussbetten vor sich hin vegetieren ließ, und plant Gesundheitszentren. Sie kümmert sich um HIV-Prävention und legt Programme auf für die selbst im vormals rassismusgeplagten Namibia nach wie vor unterdrückten Ethnien der San und anderen nomadischen Kleinvölkern im Kaokoland im Nordwesten Namibias. Ein pralles Leben also, das Amathila in beeindruckender Manier zu Papier gebracht hat: „Making a Difference“ heißt das Buch, das es bislang nur in englischer Sprache zu lesen gibt, und das man noch mühsam im südwestlichen Afrika ordern muss (vielleicht findet sich ja eines Tages ein Verlag aus deutschen Landen, der den Titel übersetzt).

Making a Difference, das gilt auch für Libertina Amathilas Memoiren selbst: genauer gegenüber den überraschend zahlreichen Erinnerungen anderer namibischer liberation strugglers. Sam Nujoma hat welche verfassen lassen, Helao Shityuwete, Vinnie Ndado bereits in den 1970ern, auch John Ya-Otto war früh dran. Alle eint, dass sie die einschneidende Ereignisse der jüngeren namibischen Geschichte sehr wohl miterlebt und – teils auf Robben Island – erlitten haben. Amathilas Buch ragt dennoch heraus, weil es autobiografisches Schreiben in Vollendung darstellt (nur Ellen Namhilas Erinnerungen können da mithalten): Erinnerungen und Reflexionen aus der Gegenwart über das Erlebte durchdringen einander, und längst ist nicht alles Gold, was da glänzt während der Kämpfe und nach der Unabhängigkeit. Amathila ist aufrichtig, was bei vielen anderen Memoiren nicht immer der Fall ist.

Fazit: Es dauert, bis man das Buch in Händen hält, als Weihnachtslektüre ist es daher denkbar ungeeignet. Deswegen lege ich es ans Herz als guten Vorsatz für das Neue Jahr – wenn sich die Kiffqualmwolken aus Natürliche Mängel verzogen haben und auch der Wunderlich nach seiner Katzenkillerjagd bereits auf dem Regal mit den gelesenen Büchern steht.

Zu den CM-Beiträgen von Bruno Arich-Gerz.

19493_Sigurdardottir_Todesschiff_FIN.inddUlrich Baron

Yrsa Sigurðardóttir: „Todesschiff“. Gespenster und Familienangehörige erscheinen in einem guten Krimi meist deplaziert. In den Romanen der Isländerin Yrsa aber ergänzen sie sich nicht nur hervorragend, sondern neutralisieren gegenseitig auch ihre Tendenzen zu Spökenkiekerei und penetrantem Gefühlsdusel, bei denen wahlweise mit der Wünschelrute oder dem Golden Retriever ermittelt wird (wenn nicht gar eine Gänsedetektivin sich mit rätselhaften Vermisstenfällen in der Weihnachtszeit beschäftigt).

Sigurðardóttirs Serienheldin, die Reykjaviker Anwältin Dóra Guðmundsdóttir ist geschieden und lebt als eine der jüngsten Großmütter der Krimigeschichte mit ihrem deutschen Lebensgefährten in einer zeitweise vier Generationen umfassenden Patchworkfamilie. Nach Hexerei, Schamanismus und verschiedenen Poltergeistphänomenen geht es in ihrem jüngsten Buch nun um eine verlassene Luxusyacht, deren Besatzung ebenso spurlos verschwunden ist wie der junge Banker mitsamt Frau und Zwillingstöchtern, die das „Todesschiff“ auf seiner Überführung aus der Konkursmasse eines Finanziers nach Island begleitet hatten. Während Dora eigentlich nur die Auszahlung der Lebensversicherung der Verschollenen betreiben soll, wird parallel zu ihren Nachforschungen deren so unheimliches wie tragisches Schicksal aus der Bordperspektive enthüllt.

In dieser Kombination von Erzählperspektiven und Zeiten beweist Yrsa Sigurðardóttir wieder einmal ihr erstaunliches Talent, dieselbe Geschichte zweifach zu erzählen. Einmal aus Sicht der Opfer, in ihrer vollen, ins Unheimliche, ja Fantastische hineinspielenden Tragik und Spannung. Zum anderen aus der Sicht Doras, deren chaotischer Alltag sie weitgehend von jenen quälerischen Grübeleien abhält, an denen schon mancher alte Schwede zugrunde gegangen ist.

Und wo die Familie nicht ausreicht, springt Bella ein. Doras miesepampelige, aber unkündbare Wuchtbrumme von Sekretärin erscheint zunächst wie eine Mischung aus C. F. Wongs Nemesis Winnie Lim und dem „Bubba“ aus Dennis Lehanes Kenzie-Gennaro-Reihe, aber macht sich im Laufe der Serie durchaus nützlich. Zwar verscheucht selbst sie nicht alle Gespenster, doch am Ende wird eine erschreckend einfache, traurig-banale Lösung geboten – manchmal ist ein Gespenst nämlich nicht so schlimm wie die Wirklichkeit.

Und was wäre schrecklicher als mit seiner Familie (und einem schlechten Gewissen) auf hoher See in einer Gesellschaft zu sein, der man nicht trauen kann? Eine Tür, die sich nicht schließen lässt, ein unerklärlicher Parfümgeruch, ein kaputtes Funkgerät lösen da schon einen Schauder aus, für den man anderswo einen Kettensägenmörder oder Nasensammler anheuern müsste.

Yrsa Sigurðardóttir: Todesschiff (Brakið, 2011) Roman. Deutsch von Tina Flecken. Frankfurt am Main: S. Fischer 2012. 416 Seiten, 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Tana-French-SchattenstillTana French: „Schattenstill“ (zur CM-Rezension). Noch immer warte ich darauf, dass Tana French einmal durchblicken lässt, was aus jenen Kindern geworden ist, die in ihrem Debüt „Grabesgrün“ („In the Woods“) in einem Waldstück nahe ihrer Neubausiedlung verschwunden sind. Entkommen war damals nur Rob Ryan, der später Detective in der von French erfundenen Dubliner „murder squad“ wurde, dort mit seiner Kollegin Cassie Maddox zunächst eine Art Fortsetzung jener so entsetzlich beendeten Kinderfreundschaft und dann auch deren Zerbrechen erlebte, um in „Totengleich“ („The Likeness“) an den äußeren Rand der Handlung zu rücken und in den nächsten Romanen selbst verschwunden zu sein.

Warum diese gewundene Einleitung? Weil Tana French zwar eine „murder squad“ erfunden hat, aber keine fortlaufende Serie. Weil das Gemeinsame ihrer Romane ist, dass sich deren Helden auf gewundene, fast schon verwunschene Weise gerade dann aus ihrem Leben (in ihrem Leben?) verlieren, wo der Glück greifbar nahe, ja schon ergriffen scheint. In „The Likeness“ hatten einige Studenten begonnen eine alte Villa zu renovieren, eine Art Kokon voller alter Kostüme und Tapeten, das Zuflucht zu bieten schien vor jenem Schwindel erregenden Wandel, der das boomende Irland erfasst hat. Und in „Schattenstill“ hatte sich eine junge Familie in einem entlegenen Neubaugebiet eingekauft, als alles im Leben nur nach oben zu gehen schien. Aber in der alten Villa hat es einen Mord gegeben, und im Neubau hat von der vierköpfigen Familie Spain nur die Mutter schwer verletzt überlebt.

Während in „The Likeness“ die Undercover-Ermittlerin Cassie Maddox in die Rolle der Ermordeten schlüpft und deren Überleben vortäuscht, meldet sich gleich am Anfang von „Schattenstill“ der Ermittler Mike Kennedy zu Wort und behauptet: „Ich war genau der Richtige für diesen Fall.“ Richtiger wäre, dass er genau der Richtige für diesen Roman ist, denn er kennt den Tat- und Handlungsort, der sich wegen der Wirtschaftskrise in eine Geisterstadt voller Bauruinen verwandelt hat, aus seiner ebenfalls von einer Familientragödie überschatteten Kindheit. „Broken Harbour“ hieß der Ort damals, und so heißt auch der Roman im Original.

Fern von Dublin, fern von alten Freunden hatten sich die Spains dort in einem Haus angesiedelt, dessen Kosten bald ihr dramatisch sinkendes Einkommen überstiegen, während sein Wert ständig sank. Es ist ein Sinnbild der Wirtschaftskrise, der verlorenen Illusionen einer Generation, zu der die 1973 geborene Tana French auch sich und ihren Mann zählt, denen man geraten habe, eine solche Immobilie zu erwerben.

Was den Untergang des Hauses Spain eingeleitet hat, kann man an der Umgebung ablesen, aber was hat den Tod seiner Bewohner verursacht? Löcher in den Wänden, Draht vor der Dachluke und eine Batterie von Beobachtungskameras deuten darauf hin, dass ein monströses Etwas das perfekt anmutende Familienglück der Spains bedroht und schließlich zerstört hat. Etwas, was aus einem bösen Märchen hervorgekrochen scheint, für das Tana French aber eine sehr zeitgemäße Form gefunden hat.

Als Ermittler nach „Broken Harbour“ zurückgekehrt und sein eigenes Trauma im Nacken sinniert Mike Kennedy über die Geister, die über dieser zerbrochenen Siedlung schweben: „Mit der Zeit gehen die Geister der Dinge, die geschehen sind, auf Distanz. Wenn sie dich erst einmal millionenfach geschnitten haben, werden ihre Klingen an deinem Narbengewebe stumpf, sie nutzen sich ab. Aber die Geister der Dinge, die nie eine Chance hatten zu geschehen, bleiben für alle Zeit rasiermesserscharf.“

Wohl war, aber das gilt auch für Geschichten, die nie zu Ende erzählt wurden. So sitzt man und wartet, dass Tania French im nächsten, im übernächsten oder überübernächsten Roman doch noch verrät, was aus jenen Kindern im Wald geworden ist. Die Gebrüder Grimm haben es ja auch getan. Und man hofft, dass man darüber nicht so alt wird wie der greise General Sternwood, dem am Ende niemand mehr verraten mag, dass sein schmerzlich vermisster Schwiegersohn längst den Großen Schlaf schläft.

Tana French: Schattenstill (Broken Harbour, 2012).Roman. Dt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Frankfurt am Main: Scherz, 731 Seiten, 16,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Zu den CM-Beiträgen von Ulrich Baron.

Lena BlaudezLena Blaudez

  1. Großartig, umwerfend gut: David Van Reybrouck: „Kongo – Eine Geschichte
  2. Ross Thomas: „Die Backup-Männer“ in der neuen Übersetzung im Alexander Verlag (zur CM-Rezension)
  3. Sarah Gran: „Die Stadt der Toten“ (zur CM-Rezension)
  4. Helon Habila: „Öl auf Wasser“ (zur CM-Rezension)
  5. Doofer Titel, tolles Buch von Åsa Larsson: „Denn die Gier wird euch verderben

    Zu den CM-Beiträgen von Lena Blaudez.

Frank_Schulz_OnnoJörn Borges

Ein Jahresrückblick muss in der Stadt der Städte beginnen:

Hamburg
Frank Schulz bringt mit „Onno Viets und der Irre vom Kiez“(Kiepenheuer und Witsch 2012) alles an den Start, was ein skurriler Hamburg-Krimi braucht. Teilweise lesen sich die Charaktere des verpeilten Ermittlers Onno und des brutalen Killers Tibor Tetropov wie die Vorlagen eines Comics, das es leider noch nicht gibt. Das liegt sicherlich an dem rasanten Einstieg des Romans, der mit den erzählten Bildern auf Youtube beginnt. Der Szene-Roman, der keinen Blick auf Hamburg auslässt, spielt in Hochform mit allem, was es an Komik, Verwicklung und überraschendem Wechsel gibt.

Und was erzählt sich Berlin?
Marion Brasch schreibt ihr Leben auf: „Ab jetzt ist Ruhe“ (S. Fischer 2012) hört sich nicht dramatisch an, ist aber sehr gelungen. Nach Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“(Rowohlt 2011) schreibt die kleine Schwester des großen Thomas Brasch, wie sich das Leben in den Familien der Kultureliten der DDR anfühlte, wenn im Klein-Klein des grauen Alltags die Ideale des Exils vor die Hunde gingen. Nach dem Buch weiß man, warum der große Theater- und Filmemacher Thomas Brasch (warum spielt eigentlich kein Theater sein Jahrhundertwerk „Rotter“?) so rastlos das Thema menschlicher Entfremdung in der technokratisierten Gesellschaft thematisierte. Dieses Gefühl, das Wolf Biermann mit zwei Versen auf einen Nenner brachte: „auf den Lippen Kippen, und in den Herzen Asche“. Im Gegensatz zu ihren Brüdern ist Marion Brasch nicht daran kaputt gegangen, sondern hat ihren Weg gefunden.

Da war doch aber auch noch Olympia: Und man schaut es doch, auch wenn man weiß, dass die freudestrahlenden Athleten mit ihren Zahnspangen die bedauerlichen Nebenwirkungen der injizierten Wachstumshormone im Zaum halten. Gelungen zu dem Thema Marcus Imbsweilers Krimi „Glücksspiele“(Gmeiner 2012). Eine spannende Innensicht auf die Verwicklungen der Läuferszene in Kommerz und Doping. Zwangsläufig bleibt der Fall des Ermittlers Koller nicht in der Peripherie des beschaulichen Heidelberg, sondern wird schon bald in die Sportleistungszentren der Hauptstadt gezogen.

Und die Musik? Nicht nur zum Sport: Y’akoto mit „Good, better, best“ von ihrem Soloalbum „Babyblues“(2012). Die in Hamburg geborene und in Afrika aufgewachsene farbige Sängerin bringt jeden mit ihrer Soul-Stimme und ihren absolut tanzbaren Rhythmen in positive Schwingung. Dass sie auch traurig sein kann, zeigt sie mit ihrem Song zu dem Kindersoldaten Temba.

Und dann war da doch auch noch die Obama-Wahl. Wer in den Sound der Black-Community der späten 60iger abtauchen will, dem sei „Country Preacher“ vom Cannonball Adderley Quintett empfohlen. Die Live-LP von 1970 ist Atmosphäre pur. Zusammen mit dem Altmeister des Saxophons Cannonball Adderley bieten sein Bruder Nat (Trompete) und Joe Zawinul auf seinem E-Piano eine Jazz-Session mit Blues-Einlage. Die ist gleichzeitig Gottesdienst und politische Veranstaltung der „Operation bread basket“ von Referent Jackson. Die Aufrufe zwischen den Songs zu einer selbstbestimmten Zukunft sind immer noch Aufmunterung für alle, denen für ihre guten Ideen im Moment noch die Mehrheit fehlt: „Walk tall!“ (Auch auf: The best of Cannonball Adderley – The capitol years – capitol jazz 1991).

Zu den CM-Beiträgen von Jörn Borges.

Felicitas_Hoppe_HoppeKerstin Carlstedt

Klasse Bücher:
Felicitas Hoppe: „Hoppe“
Franziska Gerstenberg: „Spiel mit ihr“
Anna Katharina Hahn: „Am Schwarzen Berg“
Wolfgang Koydl: „Fish and Fritz ­ Als Deutscher auf der Insel“

Schöne Filme:
„The One Percent“
„Über uns das All“
„Our Idiot Brother“
„Barbara“

Prima Veranstaltungen:
Hay On Wye Book Festival
Giornate del cinema muto (Stummfilmfestival in Pordenone)
Harbour Front Festival
Buchmesse Leipzig

Zu den CM-Beiträgen von Kerstin Carlstedt.

Don Winslow_king of coolThorlef Czopik

Don Winslow: Kings of Cool:
Kurz und knapp: Das Buch ist cool! Winslow wie man ihn kennt mag, liebt und verehrt. Alleine das Cover verdient einen Preis. Gewagtes schwarz, selbiges gilt für die Seitenränder. Wenn das jemand darf, dann Winslow! Story und Inhalt sind sowieso gewohnt spitze (zur CM-Rezension).

The Walking Dead- Staffel 2 (DVD):
Menschen sind auf der Flucht vor Zombies. X-Mal gesehen und durchgekaut und dennoch, Walking Dead läuft beinahe allen Serien davon! Zweite Staffeln haben es oftmals an sich, dass sie die erste Staffel kopieren und man somit eine anfangs gute Story komplett versenkt. Hier nicht. Die zweite Staffel stellt die erste in den Schatten und sei es alleine an der Aufmachung der ungewaschenen Protagonisten.

The Raven (DVD/ Blue-Ray):
Da spielt der überaus geniale John Cusack Edgar Allen Poe und das wird nicht im Kino gezeigt. Kinofail des Jahres! Dennoch, jetzt jagt Poe auf den heimischen Bildschirmen den Entführer seiner Freundin hinterher. Nachdem nun Abraham Lincoln als Vampirjäger sein Unwesen treiben durfte, ist es nun Poe, der als versoffener- zynischer Genosse die Liebe seines Lebens retten will und sich dabei seinen eigenen morbiden Geschichten stellen muss. Ob „Grube und das Pendel“ oder andere Klassiker Poes, an alles wurde gedacht. Popcorn-Horror pur, aber das verdammt gut.

The Newsroom (Staffel 1)
Eine der Serienhighlights 2012! Konzipiert nach dem Prinzip „Wo warst du als…?“, erscheint The Newsroom mit einem vielleicht etwas zu ethischen Tonfall, ansonsten aber tummeln sich neben gnadenlos guten Dialogen, genialen Schauspielern auch News, die uns in den letzten Jahren wachgehalten haben (Fukushima, Bin Laden usw….). Schlicht: Top!

Die Qual der Wahl
Der Kampf um einen Senatorposten zwischen Will Ferrell und Zach Galifianakis. Mehr amerikanischer Wahlkampf geht nicht und ein brachialer Witz jagt den nächsten. Hier wird jedes amerikanische Klischee bedient und das auf geniale Weise. Triefend schwarzer Humor mitten im US-Wahlkampf. Chapeau!

FLOPS

E.L. James: „Fifty Shades of Grey
Dr. Sommer in „brutal“ lässt grüßen. Also: Reicher Kerl und schüchterne Studentin gehen so eine dominant-devote-Beziehung ein. Ein Beispiel: Sie fällt beinahe schon vor Erregung in Ohnmacht, als er ihr in einem Club (laute Musik) zu schreit ein Glas Wasser zu trinken (sie hat sich davor vollgekübelt). Ich glaube, ich habe noch nie zuvor bei einem Buch dermaßen laut gelacht bzw. war schockiert darüber, dass man das „niveauvolle“ Nachmittagsprogramm von RTL wirklich verschriftlichen kann.

Lothar Matthäus: „Ganz oder gar nicht
Gar nicht. Danke.

Bettina Wulff: „Jenseits des Protokolls
Mit sehr viel guten Willen kann man das beinahe als Adoleszenzbiographie durchgehen lassen. Naiv und trotzig geschrieben. Bettina Wulffs persönliche X-Diaries.

Zu den CM-Beiträgen von Thorlef Czopik.

jfJoachim Feldmann

Auch auf die Gefahr hin, Sie zu langweilen, liebe Freundinnen und Freunde der Spannungsliteratur: Größtes Lesevergnügen hatte ich in diesem Jahr bei der Lektüre eines guten Dutzends alter Spenser-Romane des wackeren Serientäters Robert B. Parker (zur CM-Rezension), der leider schon seit drei Jahren nicht mehr unter uns weilt.

Gekauft habe ich die Dinger zu einem Cent das Stück + drei Euro Versandkosten bei einem bekannten Online-Versandhaus. Der Spaß bei der Spenser-Beobachtung liegt darin, ein bekanntes Muster in immer neuen Varianten vorgeführt zu bekommen. Selbst die kitschträchtige Beziehung des ebenso schlagfertigen wie –kräftigen Raubeins zu seiner Langzeitgefährtin Susan Silverman lernte ich zu schätzen – dient sie doch vor allem dazu, immer wieder die Künste Spensers als Koch und Liebhaber demonstriert zu bekommen.

Jedes Mal, wenn ich die aufreibende Pflichtlektüre eines blutrünstigen Schlitzer-Epos oder eines deutschen Jux-Krimis hinter mich gebracht hatte, gönnte ich mir zur Erholung ein Abenteuer des Bostoner Privatschnüfflers, denn da wusste ich, was mich erwarten würde. Gewitzte Dialoge, prächtige Prügeleien und, gar nicht so selten, Einblicke in die Verwerfungen der US-amerikanischen Gesellschaft, wie sie in dieser Schärfe eben nur dieses einzigartige Genre liefern kann.

46255Ein zeitgenössisches Beispiel dafür sind die seit 2009 erscheinenden Leonid McGill-Romane Walter Mosleys (zu CM-Rezensionen). Der klassische taffe Ermittler amerikanischer Prägung hatte schon immer etwas Chevalreskes. McGills Ritterlichkeit aber kommt eher zwielichtig daher, hat er doch zu viel Schuld auf sich geladen, als dass sie durch einige gute Taten getilgt werden könnte. Zumal er sich bei seinen Ermittlungen immer wieder die Hände schmutzig machen muss. Andererseits hat Mosley seine Romane mit so vielen märchenhaften Elementen ausgestattet, dass man doch daran glauben möchte, dass McGill, der als fürsorglicher Versorger einer Patchworkfamilie keinen schlechten Job macht, einst Erlösung vergönnt sein wird.

Ein guter Mensch sein, das möchte auch Spero Lucas, ein Veteran des Irakkriegs, der ohne Lizenz als Ermittler tätig ist. George Pelecanos hat ihn erfunden – dem Auftakt „Ein schmutziges Geschäft“ sollen weitere Fälle folgen.

So richtig überzeugt hat mich das Buch nicht, verpflichtet aber fühle ich mich dem Autor für seinen Hinweis auf Daniel Woodrells herzzerreißenden Beinahe-Krimi „The Death of Sweet Mister“ – bevor das Buch dank des rührigen Liebeskind-Verlags auch in deutscher Übersetzung für Furore sorgte. Überhaupt Liebeskind: Hier finden sich die wirklichen Innovatoren des Genres, James Sallis, Pete Dexter und eben auch Daniel Woodrell (hier mehr bei CM) in trefflicher Übersetzung und ansprechender Aufmachung. Ungern dazu zählen würde ich allerdings Donald Ray Pollock aus Ohio, dessen tiefschwarze Gruselgeschichte „Das Handwerk des Teufels“ viele Kritiker begeisterte: Noir-Romane können nämlich auch ganz schön mariniert sein.

Insgesamt also war 2012 ein gutes Jahr für den Kriminalroman, auch wenn es mich sehr traurig stimmt, dass uns mit Reginald Hill ein Autor für immer verlassen hat, der in seiner 24 Bände umfassenden Reihe über die Yorkshire-Kriminalisten Dalziel & Pascoe auf hochartifizielle Weise die Grenzen des Genres ausgelotet hat. Seine sechs nicht minder großartigen Romane um Joe Sixsmith, einen entlassenen Fabrikarbeiter aus Luton, der seine Abfindung in einen Fernkurs zum Privatdetektiv gesteckt hat, harren übrigens noch der Übersetzung ins Deutsche. Dafür könnte man uns ja mal mit dem einen oder anderen skandinavischen Serienmörder verschonen.

Und bevor ich’s vergesse: Unter den vielen Krimiserien hat uns die BBC-Produktion „Scott & Bailey“, ein alltagsrealistisches Porträt zweier Polizistinnen in Manchester, am besten gefallen. Synchronisiert laufen die 45-Minuten-Episoden auf ZDF neo, aber wer den Originalsound des englischen Nordens liebt, kommt um die DVD-Edition nicht herum. Eine ähnlich treffliche, dabei nie denunziatorische Studie über den Zerfall tradierter sozialer Strukturen dürfte man im deutschen Fernsehen vergebens suchen. Obwohl auch da längst nicht alles schlecht ist. Das sage ich als bekennender Fan von Kriminalkommissarin Sophie Haas und ihrem exzellenten Ermittlungsteam.

Zu den CM-Beiträgen von Joachim Feldmann.

Christiane GeldmacherChristiane Geldmacher

Im Januar 2012 hat mich das Deo zum Weltuntergang beeindruckt: Axe. The final edition. Happy End of the world! Jetzt hat sich das wohl erledigt! Im Februar schaute ich die erste Staffel von Treme: Viel Musik, viel Essen, viel Politik: Sehr langsam erzählt, ins deutsche Fernsehen hat es diese New-Orleans-Serie bisher leider nicht geschafft. Außerdem im Frühling: Ich widerstand dank kundiger Beratung dem Kauf von Facebook-Vorzugsaktien und entdeckte Sherlock. Sherlock redet etwas zu schnell und zu viel, aber der bloggende Dr. John Watson und die Haushälterin Mrs. Hudson – die ständig irgendwelche menschlichen Körperteile im Kühlschrank entdeckt – sind ein Must-see. Im Juni verfolgte ich das bittere Ende der Schleckerfrauen und kompensierte das mit der ebenfalls englischen Serie Downton Abbey, eine Mischung aus „Brideshead Revisited“ und „Upstairs, downstairs“, die ab Sonntag auch im ZDF ausgestrahlt wird; später im gleichen Monat nickte ich Mario Gomez zu: „Ein schlimmes Jahr geht zu Ende. Vier Mal in die Fresse bekommen“. Ich kürte Roseanne, Lydia Soprano und Ruth Fisher zu meinen Top 3 der radikalen Fernsehmütter. Sehr beliebt dieses Jahr waren bei mir auch Künstlerwitze wie dieser von Marc Degens: „Sagt der Arzt zum Künstler: ‚Sie haben noch sechs Wochen zu leben.‘ Daraufhin der Künstler: ‚O Gott, wovon denn?‘“ (Aus: Cock-Face und die Eggburger, in: „Unsere Popmoderne“, S. 65) Film des Jahres war für mich im Berliner Spätsommer „The Shiningvon Stanley Kubrick: In meiner Erinnerung war das ein Horror-Familiendrama mit ziemlich irren Kamerafahrten. Ein Autor wird in einem riesigen, von allem Personal vergessenen Skihotel Hausverwalter, er hätte jetzt also alle Abgeschiedenheit, ganze Stockwerke, Suiten und eine mondäne Hotelhalle für sich, um in Ruhe zu schreiben – und er schreibt über hunderte von Seiten immer nur den gleichen Satz! K. erhält Zugang zum Schloss – und das kommt also dabei heraus.

image002Außerdem in Berlin: Ich entdeckte versteckte Gags in Ausstellungen. Hier der Dialog zwischen zwei bronzezeitlichen Nilpferden im Neuen Museum in Berlin.

Buchtipps dieses Jahres sind Laura Lippmans „Denn mein ist deine Seele“ (zur CM-Rezension) die sich freigeschrieben hat und Austin Wright mit „Tony & Susan“, (zur CM-Rezension) der zwei Bücher in einem geschaffen hat und sich damit auseinandersetzt, was wir sind und was wir nicht sind.

Der Ausblick auf 2013? Ich habe beschlossen, nächstes Jahr zu fliegen. Ob mit einem Drachen oder mit einem Schirm. Bevor ich mich das nicht mehr wage.

image003

Zu den CM-Beiträgen von Christiane Geldmacher.

frank_goehreFrank Göhre

3.–7. Januar. Zürich: Ein Spaziergang auf den Spuren Friedrich Glausers. Glauser im DADA-Zürich. Seine diversen Unterkünfte, u. a. in der Zähringerstrasse 40. Seit etlichen Jahren heißt die Verbindung zwischen Zähringer- und Niederdorferstraße „Friedrich-Glauser-Gasse“. Gleich an der Ecke ein Lokal, das „deftige Kost“ auf der Karte hat. Das passt zu Glausers Wachtmeister Studer: „Hock ab.“

6. Mai. Berlin: Georg Büchners „Dantons Tod“ im Theater am Schiffbauerdamm. Eine auf den Text konzentrierte Inszenierung von Claus Peymann, kein aktualisierter Mumpitz. Hervorragend das Programmheft. Die Originalfassung des Stücks, eingetragen sind die Striche der Aufführung.

25. Mai. Hamburg: Elbjazz auf dem Blohm + Voss-Gelände. 60 Minuten Jazzimprovisation an zwei Konzertflügeln von Helge Schneider und Michael Wollny. Um 23 Uhr die norwegische Frauenband „Katzenjammer“ mit ihrem Hit (und meiner Lieblingshymne) „A Bar in Amsterdam“ (auch auf YouTube).

27. Juni. Kassel: Documenta 13. Der singende Wald in der Karlsaue. Eine Sound-Installation von Janett Cardiff & George Bures Miller. Geräusche von Krieg und Zerstörung und dann der Frieden, gregorianischer Gesang und Stille.

1. Juli: Rentenanpassung in Höhe einer 0.7-Flasche „Absolut Vodka“ und zwei Sixpack „Astra“.

Frank Göhre und Daniel Woodrell11. September. Hamburg: Begegnung und Gespräch mit Daniel Woodrell („Der Tod von Sweet Mister“). Seine beeindruckende Haltung: „Lieber kein Buch veröffentlichen, als einen Stinker.“ Wenige Tage später muss er dann beim „Mord am Hellweg“ mit der „Schweinskopf al dente“-Dampfnudel auf der Bühne sitzen, von einem dumpfen Organisationsteam mit zwei weiteren, auch nicht gerade innovativen schwedischen Autorinnen als „Hellweg meets world“ präsentiert. Zumindest aber wurde ihm der „geschwätzige Moderator“ erspart, der bei einer späteren Veranstaltung einem Journalisten unangenehm auffiel. Sein diesbezüglich kritischer Bericht wurde dann allerdings gleich wieder aus dem Netz entfernt. Auf Wunsch/Bitte/Druck von wem nur, von wem?

12. Oktober: CD „Kill your Babies“, Composed, Performed and Produced by Malakoff Kowalski (war auch mit 2raumwohnung Inga Humpe & Tommi Eckart auf Tour), Liner Notes Maxim Biller, Title Drawing Daniel Richter, Guest Composer „Cowboy“ Klaus Lemke. – Musik zum Abheben.

26. Oktober: CD „Psychedelic Pill“. Das ultimative Neil Young & Crazy Horse-Album mit drei Stücke jeweils länger als 15 Minuten. Gigantisch, wüst und radikal, ein Gitarren-, Drummonsun. Der Hit: „Walk Like A Giant“.

27. November. New York, Madinson Square Garden: Konzert mit Patti Smith (Song zu Jimmy Hendrix 70. Geburtstag, Gedenken auch an die Opfer von „Sandy“), danach agieren Ralph Molina (69), Billy Talbot (69), Frank „Poncho“ Sampedro (63) und Neil Young (67) zwei Stunden mit Stücken aus „Psychedelic Pill“ und ihren Klassikern unter dem Motto: Rock and Roll can never die! That´s it! Vorweihnachtsfeeling in NYC.

Zu den CM-Beiträgen von Frank Göhre.

Foto: Marco Grundt

Foto: Marco Grundt

Tobias Gohlis

Der schönste Kriminalroman: Auch wenn die Innovationen 2012 nicht gerade hereinpurzelten – es gab etliche Kriminalromane, die interessant, aufregend, merkwürdig waren: „Grenzfall“ von Merle Kröger (mehr bei CM hier); Robert Littells Philby-Variation (zur CM-Rezension); Helon Habilas Höllenfahrt ins Nigerdelta („Öl auf Wasser“, zur CM-Rezension); Anis jüngster Süden-Roman, ein Meisterstück mit einem Ehrenplatz in meiner persönlichen Kun„stkammer; Arne Dahls nicht ganz gelungener, aber gewagter Versuch („Gier“), in einem Roman das ganze globale Verbrechen … ja, was? zu erfassen, zu besprechen, zu erzählen, zu bannen.

Aber starke Erlebnisse?

Ich hatte die Gelegenheit, eine Nacht mit Fred Vargas (hier mehr bei CM) durchzumachen auf der Jagd nach der armée furieuse und der deutsch-französischen Geschichte. Ich konnte mir Giancarlo de Cataldos nüchternes Richterzimmer anschauen, von dem er sagte, es sei das beste, das er je hatte. Zu Beginn seiner Laufbahn musste er sich mit Pappkartons, Küchenstühlen und einer Reiseschreibmaschine zufrieden geben, mit der man nicht mehr als drei Durchschläge tippen konnte, jetzt hat er sogar einen Computer, wenn er auch immer noch persönlich, nach seinem Chef, dem Präsidenten des corte d’assise d’apello in Rom, den Kopierer bedienen muss.

reginald Hill_Rache verjährt nichtDen Kriminalroman, der mich wirklich mitriss, habe ich erst in den letzten Tagen gelesen, und ich fühlte bei der Lektüre noch einmal die Trauer, die mich schon beim Tod des Autors im Januar dieses Jahres gepackt hatte: Was für ein Erzähler ist da von uns gegangen! Reginald Hill (mehr bei CM hier) war der letzte Meister eines durch und durch literarischen und zugleich lebensnahen Erzählens. Man muss nur die auf drei historische Augenblicke und drei Szenen konzentrierte Exposition seines 2010 im Original und jetzt als „Rache verjährt nicht“ auf Deutsch erschienenen Romans lesen, dann kann man sich diesem unglaublichen Verführer nicht mehr erwehren.

Alles, was mich zum Krimifan gemacht hat, wird hier zum Klingen gebracht: die Abenteuerlust, die Identifikation mit einem Außenseiter, das Sagen- und Märchenhafte, das in jeder großen Literatur geweckt werden muss wie die Erinnerungen an die Räuber-und Schandi-Spiele der Kindheit. Die Lässigkeit, mit der Hill die Krawallthemen Kindesmissbrauch und Hedgefonds-Heuschrecken zum Normal-Kriminalfall einiger Gierschlünde runterdimmt, um gleichzeitig alle Klischees und Vorurteile zu unterlaufen in einem atemraubenden und windungsreichen Erzählfluss – Hélas! Da ist ein Großer gegangen. Lest ihn wieder: „Das Dorf der verschwundenen Kinder“, „Ins Leben zurückgerufen“ (mehr darüber hier) oder das saukomische „Der Tod und der Dicke“. Mit ihm ist das große englische Erzählen, das mit Dickens und Defoe begann, eingeschlafen.

Die Dänen: Gerade eben die zwanzigste Folge von Borgen/Gefährliche Seilschaften bei ARTE gesehen (zur CM-Rezension). Ist es der Mut der Verzweiflung, der einige Leute der kleinen TV-Nation Dänemark auf nichts anderes als Qualität, Risiko und Mut setzen lässt? Die damit ästhetisch sogar die tollen amerikanischen HBO-Serien in den Schatten stellen? Jedenfalls kamen im letzten und in diesem und im letzten Jahr die besten TV-Serien aus Dänemark: Kommissarin Lund, Die Brücke und eben die Gefährlichen Seilschaften. Da wird auf Länge, Differenz, Erzählen gesetzt wie lange nicht im Fernsehen.

Schade, dass es den deutschen Produzenten und Öffentlich-Rechtlichen an vergleichbarem Mut fehlt. Scheißt doch mal aufs Mittelmaß! Wo ist das Risiko?

Zu den CM-Beiträgen von Tobias Gohlis.

jsJ.S. Gosze

Die fünf besten Bücher
Hans Henny Jahnn: „Perrudja“ (1929)
Opakes Spektakel über Perrudja, wie er in der Einöde lebt. Das Textgewebe wird zersetzt von Zweittexten (Anekdoten, Fieberträumen, Büchern im Buch, &c.). Ein Heidenspaß. „Das Buch ist klug bis zum Rausch, seine Kritik ist streng wie ein Gerichtstag.“ , sagte Klaus Mann. Das mit dem Rausch finde ich treffend, streng auch.

Roberto Bolano: „Die Naziliteratur in Amerika“ (2010)
Exzellent. Versammlung von Biographien fiktiven, faschistischen Schriftsteller aus (Latein-)Amerika; wovon die letzte über den Piloten Carlos Wieder in „Stern in der Ferne“ nochmals aufgegriffen und ausgeweitet wird, als eigene Geschichte.

Thomas Bernard: „Holzfällen“ (1988)
Immer dasselbe, immer gut. Vielleicht sein bestes.

Oswald Egger: „Die ganze Zeit“ (2010)
Ein pyroklastischer Strom. Die Fortsetzung des Möbiusbands.

László Krasznahorkai: „Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss“ (2005). Besonders zu empfehlen: Erst „Das Untier“ (siehe beste Sachbücher) lesen, dann „Das Turiner Pferd“ anschauen, um erst dann hierher zu kommen, in die Stille zu gehen. Als lege man sich in einen weichen Busen.

18361-Horstmann-Literatur.fh11Die besten Sachbücher
Ulrich Horstmann: „Das Untier“ (1983)
Unter der Chiffre des „Untieres“ zeichnet Horstmann eine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte-anthropofugaler Literatur und Philosophie. Ein Sammelsurium von Menschenflucht und Scham, das in der Gegenwart, also in Horstmanns Ausruf, dass die mit den Arsenalen der ABC-Waffen historisch erstmals gegebene Chance, unwiderruflich und erinnerungslos Schluss zu machen mit uns, jetzt nicht vertan werde, kulminiert (Homepage des Autors).

Ulrich Horstmann: „Die Aufgabe der Literatur“ (2009)
Besonders empfehlenswert. Es geht verschiedene Auswüchse von Aufgabe der Literatur, also dem Niederlegen der Arbeit. Porträtiert werden in diesem Zusammenhang altbekannte Gesichter (Rimbaud, Walser, Hölderlin, &c.), als auch Autoren über deren Kapitulationen man (ich zumindest) wenig wusste (Bierce, Clare, &c.). Gut geschrieben, außerdem.

Richard Ellmann: „James Joyce“ (1959)
Sehr emphatische, wenn auch einseitige und von Diskretion gegenüber den Angehörigen und Befragten geprägt. Außerordentlich plastisch, wie Kondolenzbuch.

Der beste Film
Béla Tarr: „Das Turiner Pferd“ (2012)
Krasznahorkai hat das Drehbuch geschrieben, wenn ich mich nicht irre. Ein Vernichtungsfilm ohne Vernichtung. Grausam mitanzusehen, dabei wird bloß Wasser aus einem Brunnen geschöpft und Kartoffeln gegessen, zwei Stunden lang, bis die beiden Figuren aufhören zu essen (mehr über den Film).

Zu den CM-Beiträgen von J.S. Gosze.

Zu Teil II des großen CM-Jahresrückblicks: hier (zu Teil III hier).