Geschrieben am 26. Mai 2012 von für Bücher, Crimemag

Helon Habila: Öl auf Wasser

Voodoo-Skulpturen der Gier

– Nigeria ist eigentlich ein reiches Land. Vor allem Öl setzt es den Begierden der Konzerne aus – die Menschen und die Umwelt leiden darunter.  Auch wenn der „Ölkrieg“ der 1990er Jahre vorüber ist, ist noch lange nicht alles gut. Helon Habila hat aus der nigerianischen Situation einen Polit-Thriller der anderen Art gemacht. Eine Besprechung mit Hintergrund – von Lena Blaudez.

Ölkrieg

So anders als in Berlin ist der Alltag im nigerianischen Port Harcourt, der größten Stadt im Nigerdelta, auch wieder nicht, sieht man sich nur mal die Sorgen des jungen Reporters Rufus an, der nach Abschluss der Journalistenschule in Lagos von der großen Story träumt. Sorgen um den Job, die Miete, die Schwester und seelische Verletzungen nach einer Katastrophe, die die Familie getroffen hat. Gar nicht so anders. Zunächst.

Die ganze Geschichte des jungen Journalisten in Helon Habilas Roman „Öl auf Wasser“ erfahren wir stückweise, aus der Ich-Perspektive erzählt, eingeblendet in die Geschichte seines Abenteuers oder „andauernden Missgeschicks“, wie Rufus sich die Ereignisse selbst erklärt. Die Recherchereise auf der Suche nach der von Rebellen entführten Ehefrau eines Öl-Managers, der für einen der großen Konzerne arbeitet, die im Nigerdelta ihren Reibach machen, soll Rufus zum großen Durchbruch verhelfen.

Aber alles ist anders, als es scheint, Hoffnungen verflüchtigen sich. Der Kidnapper ist nicht wirklich ein Entführer. Der selbst ernannte Führer des Feldzuges für die Umwelt wird von den Menschen, für die er sich angeblich einsetzt, mehr gefürchtet als die brutale nigerianische Armee. Ursprüngliche Ziele scheinen sich in ihr Gegenteil zu verkehren und sich gegen die zu richten, die doch nur Gutes erreichen wollten …

Port Harcourt City Center

Ein realer Albtraum

Sobald Rufus zusammen mit dem ehemaligen Starreporter Zaq – seinem großen journalistischen Vorbild, inzwischen versoffen und todkrank – in einem Holzkanu durch die ölverseuchten Flussarme in den Mangrovensümpfen der Story nachjagt, die zunehmend ihr Leben gefährdet, hören alle Ähnlichkeiten mit unserem Alltag schlagartig auf. So wie auch das gewohnte Leben für die beiden Reporter aus der Stadt aufhört. Sie und wir geraten in einen Albtraum. In einen ganz realistischen Albtraum zudem: Die Beschreibungen der zum Teil verlassen Dörfer gleichen zwar surrealen Endzeit-Bildern, entsprechen aber der Wirklichkeit von heute. Helon Habila transponiert die katastrophalen Folgen der rücksichtslosen Erdölausbeutung im Niger-Delta durch internationale Konzerne in starke Bilder.

Abgefackelt

Habila beschreibt in ruhigem Tonfall und mit klaren, teils sehr poetischen Sätzen, wie sich der „Ölkrieg“ (wie er den Konflikt nennt) auf die Menschen auswirkt, die von den die Konzerne unterstützenden Militärs, den Rebellen, die diese Missstände beseitigen wollen oder von Trittbrettfahrern, die mit Entführungen gewohnheitsmäßig ihr Geld verdienen, terrorisiert werden. Fast schon egal, wer hier terrorisiert.

Die Menschen verlassen die Dörfer und ziehen in der Hoffnung auf Arbeit in die Elendsquartiere am Rande der Großstädte. Ihre Lebensgrundlagen sind zerstört, die Fischschwärme weg, die Krabbenbestände vernichtet. Den Boden bedeckt eine schlammige Ölschicht, die verrotteten Bohrtürme ragen wie Voodoo-Skulpturen der Gier aus dem Wasser, das nach Fäulnis, Verwesung und Benzin stinkt. Vogelkadaver, glitschig von Öl, tote Fische mit weißen Bäuchen: „Das Dorf sah aus, als hätte eine tödliche Epidemie in ihm gewütet.“ Riesige Öl-Pipelines überziehen die übel riechende Landschaft, allgegenwärtige Abgasfackeln machen die Nacht zum Tag.

Die Reise durch dieses meisterhaft-beklemmend geschilderte Ambiente ist natürlich auch eine metaphorische Reise auf der Suche nach Sinn im Chaos des Lebens.

Der Jungjournalist, der sein Geld eigentlich als Fotoreporter verdient und nun plötzlich die berühmte Geisel interviewen soll (eine weiße Geisel, nur deshalb ist sie wichtig), wird zusammen mit Zaq, dem Bootsführer und dessen Sohn von Soldaten gefangen genommen. Laptop und Fotoapparat versinken im Wasser. Somit hört dann auch Rolle und Selbstlegitimation als Journalist auf. Rufus muss sich neu in der feindlichen Lebenswelt durchschlagen.

Allgegenwärtige Gefahr

Ein sadistischer Major, dessen Lebensgeschichte kurz eingeblendet wird, übergießt gefangene Rebellen mit Benzin, oder Leute, die dafür gehalten werden, oder die man aus strategischen Gründen zu Rebellen erklärt,  und verhöhnt sie: „Was denn, ihr ertragt den Geruch von Benzin nicht? Aber dafür kämpft ihr doch und tötet? Also los, genießt es.“

Die Erwartung, dass er ein Streichholz anzündet und auf die benzingetränkten Köpfe wirft, liegt nahe. Tödliche Gefahr ist den wahrheitssuchenden Reportern ebenso nah. Daraus bezieht  der Roman eine enorme Spannung. Aber dennoch geht es immer weniger nur um die Story, sondern immer mehr um die Aufklärung der wirklichen Verhältnisse – und ums reine Überleben.

Die Insel der Seligen?

Als unsere Helden auf der kleine Insel Irikefe landen, scheint sich alles zu ändern. Freundliche Menschen in weißen Gewändern waten morgens und abends ins seichte Wasser und beten die auf- und untergehende Sonne an. Das Zentrum der religiösen Sekte ist ein Schrein und ein ihn umgebender Skulpturengarten. Ruhe und Heilung für die gequälten Seelen scheint die Insel zu versprechen.

Habila entwirft an dieser Stelle (thriller-topisch untypisch, aber in seinem Konzept sinnvoll) ein utopisches Gesellschaftsmodell, eine traumhaft anmutende Insel der Seligen, ein Leben in Freuden und Ruhe, außerhalb der sie umgebenden bösen Realität. Rufus findet hier seine Liebe, die Krankenschwerster Gloria; seine im Ölfeuer des Deltas schwer verletzte Schwester erscheint und findet ihren Frieden.

Der Roman jedoch gleitet nicht in eine verklärte Weltvorstellung ab. Die Idylle zerbricht, niemandem gelingt es, sich aus allem herauszuhalten. Die Insel und der Skulpturengarten werden von Soldaten auf der Suche nach Rebellen zerstört. Angeblich wurde die Geisel hier getötet und begraben. Mit Spitzhacke, Schaufel und Whisky rücken Zaq und Rufus den Gerüchten und Falschmeldungen zu Leibe.  

Der sogenannte Fluch der Ressourcen

Der Hintergrund des Romans sieht so aus: Habila bezieht sich auf die Umweltzerstörung in Nigeria, des sechstgrößten Erdöllieferanten der Erde. Verantwortlich dafür ist und war der britisch-niederländische Ölkonzern Royal Dutch Shell. In der Weltöffentlichkeit wurden die skandalösen Vorgänge bekannt, als der Schriftsteller und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa von der Militärdiktatur des General Abacha in einem Schauprozess 1995 verurteilt und dann erhängt wurde. Saro-Wiwa setzte sich dafür ein, dass die Ogoni, eine Bevölkerungs-Minderheit im Niger-Delta, an den Gewinnen beteiligt werden und die Umweltzerstörung gestoppt wird. Nach seiner Hinrichtung sank die mediale Aufmerksamkeit wieder, obwohl nach einer Ölkatastrophe 2008 in Bodo, einer Stadt im Delta, so viel Öl aus lecken Pipelines ins Meer floss wie bei dem Unglück des Tankers Exxon Valdez 1989 in Alaska. Auch wenn Shell seit 1993 dort nicht mehr nach Erdöl bohrt, verschmutzen die zurückgelassenen Bohrköpfe, die im Fluss vor sich hin gammeln, und die maroden Pipelines das Gebiet immer weiter. Das Trinkwasser ist kontaminiert (900-fache Menge der von der WHO vorgeschlagenen Höchstwerte an dem krebserregenden Gift Benzol), die Abgasfackeln sind, wenngleich gesetzlich verboten, allgegenwärtig und schleudern für Menschen und Umwelt tödliches Gift in die Luft. Shell ist bis heute weder bereit, die Umwelt zu dekontaminieren noch den Menschen Entschädigungen zu zahlen, die mit dem Fisch ihre Lebensgrundlage verloren haben und deren Lebenserwartung durch die Gifte drastisch gesunken ist. Laut eines Berichts der UNEP (= United Nations Environment Programme) von 2011 gilt der Boden auf einer Fläche von der Größe Portugals als zerstört. Der Report veranschlagt für die Renaturierung des Gebietes Anfangskosten von einer Milliarde Dollar und geht von einem  Zeitraum von 30 Jahren aus. Nur angefangen hat noch niemand damit.

Nichts ist gut: Die rücksichtslose Ausbeutung, mangelnde Wartung und extreme Umweltverschmutzung durch marode Anlagen in Nigeria durch einen internationalen Konzern – das sollte man sich einmal in England oder Niederlande vorstellen. Die staatlichen nigerianischen Ölfirmen arbeiten mit den internationalen Konzernen zusammen und setzen keine eigenen Forderungen durch, wobei die Durchsetzbarkeit der Forderungen eines afrikanischen Landes gegen die strategisch enorm wichtigen Öl-Interessen mächtiger Industriestaaten eher geringfügig sein dürfte. Korrupte Beamte halten das System am Laufen.

Deswegen setzt Habila mit seinem Politthriller der zerstörten Umwelt im Niger-Delta ein besonders eindringliches Denkmal.

Kein Ende in Sicht

Am Ende des Romans begegnet Rufus dem „Professor“, dem berühmt-berüchtigten Führer der Aufständischen, der ihn auffordert, die Wahrheit zu schreiben. „Erzähl ihnen von den Abgasfackeln, die man nachts sieht, und dem Öl auf dem Wasser. Und den Soldaten, die uns zwingen, die Gewalt mit jedem Tag etwas auszuweiten. Erzähl ihnen, wie man Tag für Tag in unserem eigenen Land Jagd auf uns macht …“

Rufus blickt auf die Abgasfackeln am Horizont und stellt sich vor, wie wieder eine Raffinerie in Flammen aufgeht – die der Professor und seine Leute gesprengt haben und wie sich „… abertausende Liter Öl auf dem Wasser ausbreiten, das Gewicht des Öls unerbittlich wie die Schlinge eines Henkers um den Hals jedweder Lebensform darunter.“

Kein Ende im Ölkrieg ist in Sicht, weder im Roman, noch in der Realität –  aber mit Rufus und seinen veränderten Motivationen kommt eine Spur von Optimismus zum Tragen.  

Helon Habila

Treibstoff an der Tankstelle

Nochmal Background: Aus den alten verrotteten Leitungen, die Shell zurückgelassen hat, gewinnen Jugendliche heute in improvisierten Klein-Raffinerien Treibstoff, von deren Erlös ganze Familien leben, solange jedenfalls, bis die Leitungen explodieren. Die Polizei kassiert Schmiergeld. Alltagsleben im Niger-Delta von heute. Wir leben rund 6.000 Kilometer entfernt und kaufen unseren Treibstoff an der Tankstelle – bei Shell & Co.

Helon Habila ist 1967 in Nigeria geboren, hat Literatur studiert, an der Universität gelehrt, dann in Lagos als Journalist gearbeitet. Für seinen ersten Roman „Waiting for an Angel“  erhielt er den Caine Prize for African Writing und 2003 den Commonwealth Writers‘ Prize für die beste Erstveröffentlichung. Seine Romane und Kurzgeschichten basieren auf politisch motivierte Handlungen und sind vielfach ausgezeichnet. „Öl auf Wasser“ ist nach „Measuring Time“ (2207) sein dritter Roman und der erste, der in deutscher Übersetzung erschienen ist. Heute lebt Habila in Nigeria und den USA, wo er Creative Writing an der George Mason University in Fairfax lehrt.

Lena Blaudez

Helon Habila: Öl auf Wasser (Oil on Water, 2010). Roman. Deutsch von Thomas Brückner. Heidelberg: Verlag Wunderhorn 2012. 240 Seiten. 24,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Amnesty-Artikel über Ölschäden im Nigerdelta. Webseite des Autors. Homepage von Lena Blaudez.

 

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