Geschrieben am 10. November 2012 von für Bücher, Crimemag

Ross Thomas: Die Backup-Männer

Alf Mayers „Blutige Ernte“: Die Verhältnisse zum Tanzen bringen

– Aus Anlass der „Backup-Männer“:  Warum man Ross Thomas lesen muss.

Rundum vorbildlich als Edition, das sind die von Alexander Wewerka herausgegeben, sorgfältig (und oftmals erstmals vollständig) übersetzten Romane von Ross Thomas (1926–1995).

Insgesamt 25 oftmals komödiantische Thriller hat dieser Ausnahmeautor geschrieben, im Alexander-Verlag ist jetzt der zehnte Band erschienen: „Die Backup-Männer“ (The Backup Men) von 1971, auf Deutsch ehemals bei Ullstein gekürzt unter dem Titel „Was ich nicht weiß, macht mich nicht kalt“. Es ist der dritte der insgesamt vier McCorkle-und-Padillo-Romane. „Kälter als der Kalte Krieg“ (The Cold War Swap) und „Gelbe Schatten“ (Cast a Yellow Shadow) liegen als Neuausgaben bereits vor, „Twilight at Mac’s Place“ steht noch aus.

„Mac’s Place“, das ist einer der großen mythischen Orte der Kriminalliteratur. Zwei Jahre bevor John LeCarré in „Eine kleine Stadt in Deutschland“ Bonn zum Schauplatz machte, treffen wir in „Kälter als der Kalte Krieg“ auf den im Bad Godesberger Ortsteil Muffendorf (sic! ) lebenden Barbesitzer Mac McCorkle und seinen Freund Joe Padillo, der für die CIA auch mal einen „nassen“ Auftrag erledigt. Als Amateur und Profi wurden sie das Modell vieler späterer Buddy-Paare, etwa von Spenser und Hawk (Robert B. Parker) oder Elvis Cole und Joe Pike (Robert Crais).

McCorkle ist mit der klugen Dr. Fredl Arndt liiert, die für „die Frankfurter Zeitung mit den sorgfältigen Leitartikeln“ schreibt, er ist der  ironisch-distanzierte Ich-Erzähler und weiß wie viele Ross-Thomas-Helden einen guten Drink zu schätzen. Seine Bar mit dem simplen Namen „Mac’s Place“ ist das Idealmodell all solcher Orte: „Dunkel und still, der Teppich durch verschüttete Getränke und Zigarettenasche zu einem unbestimmbaren Farbton verblasst, der Barmann freundlich und flink, aber taktvoll genug, keine Bemerkungen zu machen, wenn man mit der Frau eines anderen hereinkommt.“ Nachdem das Bonner Etablissement in die Luft gesprengt wurde, zog  MacCorkle (samt Fredl als nun Auslandskorrespondentin) nach Washington um, wo er mit Hilfe einer hübschen Versicherungssumme ein gleichnamiges Lokal eröffnet. In „Gelbe Schatten“ hat hier der aus Deutschland mitgebrachte Barmann Karl einige große Auftritte, der sich nicht für Rennpferde, sondern für alle Absonderlichkeiten, Ausschüsse und Abstimmungen im amerikanischen Kongress interessiert und dem Autor Ross Thomas Gelegenheit für viele schöne Sottissen über das Politik- und Deal-Machen eröffnet. Fredl wird hier entführt, um Padillo zu zwingen, einen afrikanischen Politiker umzubringen. Der Auftraggeber: eben dieser Politiker selbst.

Als „Backup-Männer“ sollen Padillo und MacCorkle diesmal einen arabischen jungen König zumindest solange beschützen helfen, bis der den Vertrag mit einer Ölfima unterschrieben hat. Fredl ist das Buch über bei der Jahresredaktionskonferenz in Frankfurt, das gibt Ross Thomas Platz für einige Exkurse, etwa einen besonders bizarren in San Francisco. In einem fast leeren Gebäude und nach einem blutigen Kampf treffen McCorkle und Padillo auf eine alte Dame, die Herausgeberin eines „Gesellschaftsmagazins“. Miss Nancy deChant Orumber, sagt ihnen:  „Ich habe den ‚Arbitrator‘ seit neunzehnhundertneun herausgegeben. Dies ist die letzte Ausgabe… Können Sie sich ein läppischere Art vorstellen, sein Leben zu verbringen, als zu entscheiden, wer als Mitglied von etwas betrachtet werden sollte, was man Gesellschaft nennt?“

Taufrisch wie am ersten Tag – und für deutsche Leser nun zum ersten Male vollständig – war für mich die Wiederbegnung mit diesem Buch von 1971. Sorgfalt, Witz und Nonchalance der Personenbeschreibung, der Einführung neuer Charaktere und noch der kleinsten Nebenfiguren sind von einer Qualität, die heutzutage kaum mehr von einem Autor erreicht wird. Nur als kleines Beispiel, ein Zimmerkellner, der kein Wechselgeld dabei hat: McCorkle meint dazu trocken:
„Das habe ich mir gleich gedacht.“
„Ich könnte welches holen.“
„Schon gut“, sagte ich. „Wissen Sie, wenn Ihnen dieser Job hier zum Hals heraushängt, haben Sie unten in L.A. ein paar gute Schauspielschulen.“
Er sah mich dankbar und interessiert zugleich an: „Glauben Sie, daß die mich vielleicht aufnehmen?“
„Nein, aber die lassen Sie vielleicht unterrichten.“ …
Die Schauspielerei zieht sich als ein kleines, verstecktes Leitmotiv durch die „Backup-Männer“, am Ende wissen wir auch warum, wenn der Fall sich löst.
(Achtung, Spoiler.) „Sie hätten Ihre Rolle etwas besser recherchieren sollen“, sagt Padillo da zum König.

Ein weiteres, in vielen Dialogszenen variiertes Thema sind Alter und Professionalität. Ist Padillo noch so gut, wie er es einmal war? Kann er es mit einem jungen, überall gefürchteten Killer aufnehmen?

Mit gewohnt leichter Hand seziert Ross Thomas in den „Backup-Männern“ Geschäftsinteressen und Moral von Big Business, blickt über den Tellerrand der ersten in die dritte Welt. Auch in den „Backup-Männern“ tut er das auf eine Art, die ihn – für mich – in eine wahrhaft große Tradition stellt. Nämlich die der großen Komödianten der Weltliteratur. Hierzu ein längerer Exkurs.

„Kann man das auch als Komödie erzählen?“

„Kann man das denn auch als Komödie erzählen?“, soll der große Filmregisseur Howard Hawks stets auf die ihm angebotenen Filmstoffe reagiert haben. Hawks, dessen Chandler-Verfilmung „Tote schlafen fest“ ein Klassiker wurde,  war ein Meister der „screwball comedy“ und oszillierte in seinen Filmen zwischen Farce, Action und Film Noir. Er blieb damit ebenso ein Solitär wie sein literarischer Geistesbruder Ross Thomas, dessen Romane zu weiten Teilen getrost als „screwball thriller“ bezeichnet werden könnten. Der Begriff „Screwball“ tauchte erstmals in den 1930er Jahren auf und bezog sich auf eine exzentrische Person, auch „eine Schraube locker haben“ klingt darin an. Im Baseball meint(e) man damit einen ungewöhnlicher Spieler ebenso wie einen mit unerhörtem Drall geschlagenen Ball, dessen unerwartete Kurven als Überraschung kommen – eine schöne Charakteristik der Romane von Ross Thomas.

Ins Reich der Freiheit – mit der Komödie

Die Komödie gilt zwar als eher untergeordnete Kunstform, ist aber doch schwierig ins Werk zu setzen, weil sie die Verhältnisse zum Tanzen bringen will. Die „screwball comedy“ entstand während der Großen Depression Mitte der 1930er, die im Krimi-Universum singulären „screwball thriller“ von Ross Thomas haben als Angelpunkt den milde amüsierten, ernüchterten Blick auf die Neuordnung der Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine schlagfertigen, weder auf Mund noch Kopf gefallenen Helden – oft sind es liebenswerte Schurken – drehen aktiv an ihrem Schicksalsrad, behaupten sich in einer Welt von Korruption, Lüge, Täuschung, Kaltem Krieg und noch kälterem Geschäftemachen. Notfalls, indem sie noch regelbrechender unterwegs sind.

Solche Helden, solche Erzählung – in welch medialer Form auch immer – haben eine lange, lange Tradition. Ihre Geschichte beginnt selbst wie eine Komödie, nämlich mit einer Verwirrung: Denn ausgerechnet die zweite Hälfte des Buches der aristotelischen „Poetik“, wo die Komödie behandelt wurde, gilt als verschollen; nur Randbemerkungen im Kontext der beiden anderen Gattungen, Tragödie und Epos, geben einige Hinweise und begründen zugleich die Herablassung, mit der der angeblich „minderwertigeren“ Komödie so gerne begegnet wird.

„Der Name der Rose“ und der Teufel

Um das Rätsel des verschwundenen Aristotels-Textes geht es in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ . Der fanatische Klosterbruder und Bibliothekar Jorge scheut auch vor Mord nicht zurück, um das letzte vollständige „Poetik“-Exemplar vor der Welt zu verbergen. Der Grund: „Hier wird die Funktion des Lachens umgestülpt und zur Kunst erhoben, hier werden ihm die Tore zur Welt der Gebildeten aufgetan, hier wird das Lachen zum Thema der Philosophie gemacht, zum Gegenstand einer perfiden Theologie… Das Lachen befreit den Bauern von seiner Angst vor dem Teufel, denn auf dem Fest der Narren erscheint auch der Teufel als närrisch und dumm, mithin kontrollierbar. Doch dieses Buch könnte lehren, dass die Befreiung von der Angst vor dem Teufel Wissenschaft ist! Der lachende Bauer…fühlt sich als Herr, denn er hat die Herrschaftsverhältnisse umgestürzt. Doch dieses Buch könnte die Wissenden lehren, mit welchen Kunstgriffen…sich der Umsturz rechtfertigen ließe! Aus diesem Buch könnten verderbte Köpfe den äußersten Schluss ziehen, dass im Lachen die höchste Vollendung des Menschen liege!… Dieses Buch, das die Komödien und Satyrspiele und Mimen rechtfertigt als wundertätige Heilmittel würde zu dem Gedanken verführen, dass der Mensch auf Erden den Überfluss des Schlaraffenlandes genießen könnte. Genau das aber ist es, was wir nicht anstreben dürfen und niemals bekommen werden… Das Gesetz verschafft sich Geltung mit Hilfe der Angst, deren wahrer Name Gottesfurcht ist.“

Das komödiantische Treiben auf Marktplätzen, in Wirtshäusern und auf und Volksfesten hat seit jeher obrigkeitskritische Züge. Der bachtinsche Karneval, den Thomas Wörtche in seinem wichtigen Text „Das Mörderische & das Komische“ in Verbindung zum Kriminalroman setzt, scheint hier auf. Die Berufsbezeichnung des Schauspielers war bis ins 19. Jahrhundert die eines „Komödianten“. Shakespeares 38 Tragödien stehen zehn Komödien gegenüber, sie gehören zu seinen bekanntesten Werken. Denn bei ihm kann man sehen, wie sich in der spielerisch nachahmenden Spiegelung menschlicher Beziehungen ein Urbedürfnis nach der Transzendierung der unvollkommenen Gegenwart ausdrückt, wie sich im Rollenspiel die Sehnsucht nach Befreiung von den Zwängen der Wirklichkeit äußert, wie die bloße Einbildungskraft ein Reich der Freiheit schaffen kann. „Kein Tier außer dem Menschen lacht“, wusste Aristoteles. Und wer lacht, macht sich frei.

„Der Komiker muss den Verstand unterhalten“

Nachsatz, mit Friedrich Schiller, der den größten Respekt vor dieser Kunstform hatte; unter seinen Werken findet sich keine einzige Komödie. Von ihm ist folgende Bemerkung überliefert: „Nicht das Gebiet, aus welchem der Gegenstand genommen, sondern das Forum, vor welches der Dichter ihn bringt, macht denselben tragisch oder komisch. Der Tragiker muss sich vor dem ruhigen Räsonnement in acht nehmen und immer das Herz interessieren; der Komiker muss sich vor dem Pathos hüten und immer den Verstand unterhalten. Jener zeigt also durch beständige Erregung, dieser durch beständige Abwehr der Leidenschaft seine Kunst… Wenn also die Tragödie von einem wichtigeren Punkt ausgeht, so muss man auf der andern Seite gestehen, dass die Komödie einem wichtigeren Ziel entgegengeht, und sie würde, wenn sie es erreichte, alle Tragödie überflüssig und unmöglich machen. Ihr Ziel ist einerlei dem Höchsten, wonach der Mensch zu ringen hat, frei von Leidenschaft zu sein, immer klar, immer ruhig um sich und in sich zu schauen, überall mehr Zufall als Schicksal zu finden und mehr über Ungereimtheit zu lachen als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen.“

Ich denke, Ross Thomas, der große Worte immer verabscheute, würde sich in Fritzens Worten ein wenig wiedererkennen …

Alf Mayer

Ross Thomas: Die Backup-Männer. The Backup Men. Aus dem Amerikanischen von Wilm. W. Elwenspoek, Heinz F. Kliem und Jochen Stremmel. Ein McCorkle-und-Padillo-Fall. Berlin: Alexander-Verlag 2012. 248 Seiten. 14,90 Euro/ eBook 8,49 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Ross Thomas im Klassiker-Check bei cultmag und bei kaliber.38.

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