Geschrieben am 14. Juli 2012 von für Bücher, Crimemag

Tana French: Schattenstill

Kühler Realismus

– Trotz des Einwort-Titels „Schattenstill“ ist Tana Frenchs neuer Roman sehr ordentlich geraten, findet Joachim Feldmann.

Brianstown: Das ist der Fantasiename einer Neubausiedlung an der See. Nach Dublin seien es nur 40 Minuten mit dem Auto, hat man den Käufern zu Zeiten des irischen Immobilienbooms erzählt. Wer hier ein Haus erwerbe, könne es mit Sicherheit schon in wenigen Jahren mit Gewinn wieder verkaufen. Und fast alle haben es gerne geglaubt. Auch Jennifer und Pat Spain. Doch dann verlor Pat wie viele andere seinen Job. Die weltweite Finanzkrise ließ die Blase platzen. Plötzlich waren die neuen Häuser, deren miserable Qualität sich nun ebenfalls offenbarte, nur noch die Hälfte wert. Wenn sich denn ein Käufer finden würde. Doch niemand möchte nach Brianstown ziehen. Die Siedlung gleicht einer Geisterstadt. Und auch das Haus, in dem die Spains mit ihren zwei Kindern wohnten, steht leer. Die ganze Familie ist zum Opfer eines grausamen Verbrechens geworden. Nur Jennifer hat schwer verletzt überlebt.

Detective Mike „Rocky“ Kennedy kennt Brianstown noch unter einem anderen Namen. In Broken Harbour hat er als Kind regelmäßig die Ferien verbracht. Es war der einzige Ort, an dem er seine von Depressionen gepeinigte Mutter glücklich gesehen hat. Aber hier hat sie sich auch das Leben genommen.

Oberfläche und Fassade

Kennedy ist Hauptfigur und Erzähler in Tana Frenchs viertem Roman „Schattenstill“. Ein erfolgreicher Kriminalist mit einem an Überheblichkeit grenzenden Selbstbewusstsein. So jedenfalls tritt er gegenüber seinem jungen Kollegen Richie Curran auf. Auch der Leser bekommt bereits auf der ersten Seite den Eindruck, hier wisse einer genau, was er tut. Doch das ist nur die Oberfläche. Wer seine Erzählung mit der forschen Behauptung „Damit eins von vorneherein klar ist: Ich war genau der Richtige für diesen Fall“ einleitet, lässt bereits ahnen, dass die Ermittlungen in Broken Harbour von seiner Fassade nicht viel übrig gelassen haben.

Zunächst aber scheinen Kennedy und Curran recht erfolgreich. Schon bald entdecken sie das Versteck einer unbekannten Person, die offenbar reges Interesse am Familienleben der Spains hatte. Und wenig später können sie einen verstörten jungen Mann festnehmen, für dessen Täterschaft nicht nur die Indizien sprechen. Bereits im zweiten Verhör legt er ein Geständnis ab. Mike Kennedy ist zufrieden, doch seinen Partner plagen Zweifel. Die Aussagen des mutmaßlichen Täters sind noch immer lückenhaft. Und das Bild der heilen Familie, das die Spains nach außen vermittelten, hat erste Risse bekommen. Vor allem Pat scheint mit seiner Arbeitslosigkeit nur sehr schwer fertig geworden zu sein. Hinweise auf wahnhaftes Verhalten häufen sich. Wenig überzeugt erklärt sich Kennedy bereit, weiter zu ermitteln. Doch das Verhältnis zwischen den beiden Polizisten bleibt gestört.

Kühl

Tana French ist ein komplexer Psychothriller gelungen, der seine nachhaltige Wirkung gerade dem konsequenten Verzicht auf Schockeffekte und Sensationalismen verdankt. Stattdessen regiert ein beinahe kühler Realismus in der Sache. Die Erzählung selbst profitiert von der nicht unriskanten Entscheidung, einen wenig sympathischen Protagonisten von einer gelegentlich penetranten Arroganz zum Berichterstatter zu machen. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Mike Kennedy seine eigene Borniertheit analysiert, ohne tatsächlich etwas daran ändern zu können.

Quelle: tanafrench.com

Die Aufklärung des Falles ist übrigens für den Leser wie für beide Ermittler überraschend, aber nachvollziehbar. Tana French geht es nicht darum, ihr Publikum mit Taschenspielertricks zu verblüffen. „Schattenstill“ überzeugt als ein Spannungsroman von ausgesprochener Ernsthaftigkeit. Gleichzeitig liest sich das Buch als bitterer fiktionaler Kommentar zur sozialen Situation in der krisengeschüttelten irischen Republik. Mehr kann man nicht verlangen.

Joachim Feldmann

Tana French: Schattenstill. (Broken Harbour, 2012). Roman. Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Frankfurt am Main: Scherz 2012. 732 Seiten. 16,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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