Wuchtig, intensiv, melancholisch
– Frank Rumpel ist sehr beeindruckt.
Wer einen schlechten Tag hat, sollte besser die Finger von Donald Ray Pollocks Roman „Das Handwerk des Teufels“ lassen, denn besser wird der Tag davon sicherlich nicht. Das liegt keineswegs an der Qualität des Textes, sondern ganz allein an der nachtschwarzen Geschichte, die der 1954 geborene Pollock in seinem Romandebüt so perfekt mitleidlos erzählt, dass man ohne Weiteres auf den Gedanken kommen könnte, die Menschheit sei ein ziemlich hoffnungsloser Fall und jener Ausschnitt des Mittleren Westens der USA, wo Pollocks Geschichte spielt, markiere so etwas wie die Grundlinie moralischen Siechtums.
Knockemstiff
Arvin Eugene Russell wächst in den 1950er Jahren in einem Kaff namens Knockemstiff im Mittleren Westen auf. Der Junge lässt sich – Ergebnis einer eindrücklichen Lektion seines Vaters – nichts gefallen und hat in der Schule schon manchen, der ihm dumm kam, ins Krankenhaus geprügelt. Sein Vater Willard, ein Weltkriegsveteran, ist Alkoholiker, streng religiös und zwingt den Jungen, täglich mit ihm am Waldrand zu beten. Als Willards Frau schwer erkrankt, packt den Alten der Wahnsinn. Um sie zu retten, beginnt er an seiner Gebetsstelle am Waldrand Tiere zu opfern, kippt eimerweise Schafsblut aus, liest die Kadaver überfahrener Tiere im Straßengraben auf und hängt sie zur Besänftigung seines Gottes in die Äste. Einen toten Hund nagelt er an ein Kreuz. Tagelang legt er zusammen mit seinem Sohn einen Gebetsmarathon hin. Allein es hilft nichts. Seine Frau stirbt, kurz darauf bringt sich Willard selbst um.
Prediger & Killer
Arvin zieht zu seiner Großmutter, die sich bereits um das Kind einer Nachbarin kümmert, die von ihrem Mann, einem Möchtegern-Prediger, erstochen wurde, als der in einem Anfall religiösen Wahns glaubte, Tote wieder zum Leben erwecken zu können. Jahre später wird Arvins Stiefschwester von einem Prediger missbraucht. Sie erhängt sich und Arvin beschließt, den Prediger dafür büßen zu lassen. Derweil zieht ein junges Serienkiller-Pärchen von Ohio aus los, um Tramper auf perfide Art zu ermorden. Die Frau ist die Schwester eines korrupten Sheriffs. Schließlich begegnen die beiden Arvin, der von Kindesbeinen an versucht, den Kopf irgendwie über Wasser zu halten.
Pollocks Mittlerer Westen der 60er Jahre ist freilich nicht der Mittlere Westen, sondern eine Chiffre, ein gesetzloser Ort, in dem Bigotterie, Gewalt und Willkür prächtig gedeihen. Hier schaut jeder zuerst und vor allem nach sich selbst. Manches Verbrechen bleibt ungesühnt, wird nicht entdeckt oder nicht untersucht, weil der Sheriff ganz eigene Interessen verfolgt. Die Reste einer archaischen Gesellschaft begegnen einem hier an jeder Ecke. Der strenge Glaube bietet keinerlei Schutz – ganz im Gegenteil. In Pollocks Welt sind die meisten Prediger Scharlatane, die um die Macht ihres Amtes wissen und sie schamlos ausnutzen. „Ich glaube“, sagte Pollock in einem Interview, „ich habe die Welt immer als einen traurigen und gewalttätigen Ort gesehen. Wenn man an die schrecklichen Dinge denkt, die einige Leute auf der Welt anderen antun, dann glaube ich nicht, dass die Gewalt in meinem Buch tatsächlich so abwegig ist.“

Donald Ray Pollock (Quelle: donaldraypollock.com)
Verkommen
Der aus Ohio stammende Pollock fing mit 17 in einer Fleischfabrik an und arbeitete anschließend 32 Jahre für eine Papiermühle. Mit 45 holte er seinen Schulabschluss nach und nahm an einem Programm für kreatives Schreiben bei der Ohio State University teil. Er ist ein hellsichtiger und kluger Erzähler mit einem spröden, staubtrockenen Humor, dem er allerdings nur gelegentlich Auslauf gibt. Seine Geschichten hat Pollock, der im heutigen Geisterstädtchen Knockemstiff (so hieß auch sein erster Erzählband) aufwuchs, so geradlinig wie vielschichtig angelegt. Er erzählt glasklar und detailliert, bleibt dabei außen, schaut seinen Figuren auf ihrem Weg ins Verderben zu und schafft es dennoch, ihnen auf den Grund zu gehen.
Es ist ein wuchtiger, intensiver Roman mit einem melancholischen, aber keineswegs resignierten Ton, in dem sich Pollock äußerst zugespitzt den Fragen nach Schuld und Gerechtigkeit widmet und wie denn nun beides in einer verkommenen Welt interpretiert werden könnte. Denn in Pollocks grandios erzählter Geschichte ist die wohlfeile, zivile Gesellschaft allzu oft nur hauchdünne Oberfläche.
Frank Rumpel
Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels (The Devil all the time, 2011). Roman. Deutsch von Peter Torberg. München: Liebeskind, 304 Seiten. 22 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.