Geschrieben am 1. April 2023 von für Crimemag, CrimeMag April 2023

Bett, Geheimnis, Wörter: Ingrid Mylos 3 x 11 Spielworte (18)

Wer liest, sammelt Sätze. Manchmal bewußt. Manchmal ist ein einziges Wort ausschlaggebend: hartnäckig taucht es immer wieder auf. Fliege, zum Beispiel. Oder Mitternacht. Oder Asphalt. In ganz unterschiedlichen Büchern und Zusammenhängen, bei ganz unterschiedlichen Schriftstellern. Solche Fliegensätze oder Mitternachtssätze oder Asphaltsätze finden, immer elf an der Zahl, in der Serie ‚Spielwort‘ ihren Platz. Ein Spaß, ein Zeitvertreib. Und eine andere Art, auf Bücher zu deuten.

Spielwort: Bett

Elf Zitate zusammengelesen von Ingrid Mylo

            Den ganzen September über ging ich zu Bett, ohne zu wissen, was in dieser Nacht und am folgenden Tag geschehen würde.

– Ryszard Kapuscinsky : Eine Stadt wird zugemacht

**

            Adamsberg breitete die Arme aus, wie um zu sagen: was soll ich tun, man sucht sich die betten, in denen man morgens aufwacht, nicht immer aus.

– Fred Vargas: Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord

**

            Das Bett bestand zwar den Ansturm meiner Leidenschaft in den Armen untreuer Freundinnen, denen ich es ohne Gewissensbisse mit Untreue heimzeahlte (wie Donne es rät), war aber zu mehr nicht fähig und quietschte überdies verräterisch.

– Oleg Postnow: Angst

**

            Seitdem verbringt sie, sooft er kommt, ein Weilchen mit ihm im Hotel – eine Stunde oder zwei, je nachdem, und ich weiß umso besser, was dabei vorgeht, als ich nachher das Bett wieder machen muß.

– Georges Simenon: Der kleine Mann von Archangelsk

**

            Als Studentin wäre sie errötet bei dem Gedanken; heute dachte sie, sie würde sich selbst gern mal auf seinem Bett ausstrecken, und sei es nur kurz.

– Danielle McLaughlin: Die Kunst des Fallens

**

            Sie geht immer vor mir ins Bett, Gott sei Dank, und daher finde ich, wenn ich ins Bett komme, nur noch Haare auf dem Kopfkissen vor […]

– António Lobo Antunes: Die letzte Tür vor der Nacht

**

            Als er an diesem Abend ins Bett ging, wußte er immer noch nicht, worin die Überschätzung Hemingways bestand.

– Lena Andersson: Der gewöhnliche Mensch

**

            Nachdenken führt zum Vorurteil, und Betten sind Felder, auf denen Säuglinge eine aussichtslose Schlacht schlagen.

– Djuna Barnes: Aller et retour

**

            Kafkas erster Roman braucht genau zwei Seiten, bis der Held bei einem stämmigen Mann im Bett liegt.

– Michael Maar: Fliegenpapier

**

            Wenn der gestreifte Schatten der Jalousie das Bett erreicht, werde ich aufstehen – vielleicht.

– Colette: Mir ist heiß

**

            Wieder im Bett, starrt Larry in seinem Elend die Fische an, ist gefangen mit den einzigen Haustieren im Universum, die keinen Trost bieten.

– Nathan Englander: Kaddish.com

Spielwort: Geheimnis

Elf Zitate zusammengelesen von Ingrid Mylo

            Zum ersten Mal in seinem Leben traf Horace einen Mann, der folgenschwere Geheimnisse wußte.

– Chuck Klosterman: Nachteulen

**

            Stets bleibt die Spannung zwischen dem Wunsch, das Geheimnis zu wahren, und dem perversen Verlangen, es preiszugeben, zumindest aber bleibt, wenn es ein gutes Geheimnis ist, die Frage des Vergnügens oder des Verstehens.

– John Burnside: Die Spur des Teufels

**

            Ich war immer derjenige, dem sie sich anvertraute, und wir hatten für eine Weile ein ziemlich enges Verhältnis, bis mein Geheimnis eines Tages keins mehr war.

– Lisa O’Donnell: Bienensterben

**

            Ohne Geheimnisse sind wir Barbaren.

– Lars Saabye Christensen: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte

**

            Wenn sie einander trafen, berührten sie einander schnell mit den Fühlern, als würden sie sich ein sehr wichtiges Geheimnis mitteilen.

– Georgi Gospodinov: Physik der Schwermut

**

            Welche Geheimnisse wir verlieren, wenn wir etwas herausfinden – aber vielleicht schlummert auch im Offensichtlichen ein Geheimnis.

– Column McCann: Transatlantik

**

            Es sind keine düsteren Geheimnisse, von denen die Katzen umgeben sind, sondern freundliche Rätsel.

– Erich Kästner: Meine Katzen

**

            Die Geheimnissem die Geheimnisse sind im Staub. Es sind Dinge, die hinabfallen und sich festhaken, und dann werden sie grau.

– J.M.G. Le Clézio: Unser Leben als Spinnen

**

            Ich studierte den Riss, der vom Boden bis zur Decke durch die Mauer lief, und überlegte, welche Geheimnisse er wohl barg.

– Joel Haahtela: Der Schmetterlingssammler

**

            Die Gedanken eines Sterbenden – das war eines der letzten verbliebenen Geheimnisse.

– David Guterson: Still

**

            Es packt einen das Verlangen, möglichst tief in dieses Gefäß hineinzublicken, all seine Geheimnisse, seine Schätze zu ergründen. Aber es ist leer, leer!

– Iwan Bunin: Hundertacht

Spielwort: Wörter

Elf Zitate zusammengelesen von Ingrid Mylo



                  Ich begann, mir Wörter einfallen zu lassen, die ich mal gehört hatte, nur zum Spaß, nur, um den leeren Platz in meinem Kopf mit etwas zu befüllen.
– Alexandra Kleemann: Innewerden

**


                  Die Wörter klingen toll, ich meine, sie klingen fast, als wären sie echt – epomony, guide a ruckus, trav a brose, spoo yattacky, clot so scoofy –, aber so ist das nun mal in der Ehe, nicht?
– Ali Smith: Wem erzähle ich das

**


                  Sie benutzten ausländische Wörter, um den Klang zu beschreiben, was ihr vorkam, als hätte man ihr den Nachthimmel in die Tasche gesteckt.
– Madeleine Thien: Sag nicht, wir hätten gar nichts

**


                  Er machte übrigens nicht den Eindruck, als ob es ihm Vergnügen bereitete, Wörtern wie Schmetterlingen nachzujagen, die eine Schulklasse aus einem unsichtbaren Käfig befreit hatte, damit er sie wieder einfangen und aufspießen konnte.
– Alain Claude Sulzer: Schulschriftsteller

**


                  Sie sah sie alle vor sich, in einem Raum aufgestapelt, all die toten schmutzigen Wörter, die von denen und auch ihre eigenen, aufgestapelt wie die nackten Leichen in der Wochenschau.
– Flannery O’Connor: Der Flüchtling

**


                  Er hatte schreckliche Sachen zu ihr gesagt. Sie wußte nicht, wo er solche Wörter herhatte. Vom Computer, das mußte es sein.
– Jon McGregor: Speicher 13

**


                  Diese fünf Wörter, die nun vor ihm liegen, könnten aus heiterem Himmel Flugzeuge heraufbeschwören und die Hölle daraus herabregnen lassen.
– Jo Baker: Ein Ire in Paris

**


                  Es fehlte ihm die Kraft, sich zu erinnern, ob diese heillosen Wörter, die besser nicht wiederholt würden, nicht etwa seine Wörter sind, die von einer bloß scheinbar fremden Stimme aus ihm herausgeschleudert werden.
– Norman Manea: Oktober, acht Uhr

**


                  Je leichter die Wörter flutschen, desto wilder wippe ich.
– Michael Chabon: Mann sein für Anfänger

**


                  Aber so ist es nun einmal: Ich setzte ein fantastisches Vertrauen in die Macht der Wörter, genauer: der geschriebenen Wörter.
– Olivier Rolin: Meroe

**


                  Wie ich hielt er, ohne es vielleicht zu wissen, die Idee für wahr, daß Wörter als Magie begannen und durch die Dichtung wieder zu Magie werden.
– Wolf Wondratschek: Der Leser soll nur auf das Glück aus sein

Die bisherigen Spielworte im Überblick:
ménage à trois (1): Bahnhöfe, Fliegen, Lippenstift
ménage à trois (2): Stühle, Socken, Sterne
ménage à trois (3): Telefon, Zähne, Scherben
ménage à trois (4): Zwiebeln, Friedhöfe, Zigaretten
ménage à trois (5): Handtaschen, Kaffee, Stille
ménage à trois (6): Listen, Schnee, Gedanken
ménage à trois (7): Kerzen, Toiletten, Worte
ménage à trois (8): Unterwäsche, Bücher, Suppe
ménage à trois (9): Steine, Schritte, Sonnenuntergänge
ménage à trois (10): Masken, Gespenster, Koffer
ménage à trois (11): Briefe, Fische, Gesten
ménage à trois (12): Listen II, Katzen, Schatten
ménage à trois (13): Spinnen, Universum, Narben
ménage à trois (14): Mäntel, Hunde, Uhren
ménage à trois (15): Knöpfe, Leben, Glas
ménage à trois (16): Ohren, Handschuhe, Tod

Vier Blicke auf Ingrid Mylos neuesten Gedichtband Überall, wo wir Schatten warfen.
Ingrid Mylo bei uns auf CulturMag.
Gerade von ihr erschienen: Katherine Mansfield / Ingrid Mylo: Alles, was ich schreibe – alles, was ich bin, Texte einer Unbeugsamen (Marix Verlag). Besprechung von Alf Mayer hier.

Tags : , ,