Wer liest, sammelt Sätze. Manchmal bewußt. Manchmal ist ein einziges Wort ausschlaggebend: hartnäckig taucht es immer wieder auf. Fliege, zum Beispiel. Oder Mitternacht. Oder Asphalt. In ganz unterschiedlichen Büchern und Zusammenhängen, bei ganz unterschiedlichen Schriftstellern. Solche Fliegensätze oder Mitternachtssätze oder Asphaltsätze finden, immer elf an der Zahl, in der Serie ‚Spielwort‘ ihren Platz. Ein Spaß, ein Zeitvertreib. Und eine andere Art, auf Bücher zu deuten.

Spielwort: Listen II

Elf Zitate zusammengelesen von Ingrid Mylo

            Ich plane bereits, eine Liste möglicher Überraschungen anzulegen.
– Lily Brett: Gastfreundlichkeit

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            Jeder Artikel enthielt eine Liste zeitgenössischer Bildender Künstler, Schriftsteller, Philosophen und Naturwissenschaftler, in denen der Name keiner einzigen Frau auftauchte.
– Siri Hustvedt: Die gleißende Welt

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            „Bäte man Sie, eine Liste von Unkräutern zu erstellen und sie mit einer zu vergleichen, die jemand anders erstellt hat, würden beide wahrscheinlich nicht völlig übereinstimmen.“
– Richard Headstrom: Garden Friends and Foes

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            „Ich schreibe keine Listen“, sagte ich.
– Klas Östergren: Kollege mit gelber Schale

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            Was ich hier schreibe, ist nicht mehr als eine Liste.
– Haruki Murakami: Wenn der Wind singt

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            Die Liste der Dinge, die uns die Kraft geben können, standhaft zu bleiben, ist nicht lang.
– Jo Nesbø: Der Sohn

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            „Und, ja, die Liste der Schweinemäster ist ziemlich lang.“
– Patricia Cornwell: Blendung

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            Beim Essen in Gesellschaft anderer Leute hole ich diese Liste nicht aus der Brieftasche, weil es nicht eben lustig ist, mit einer Frau zu Abend zu essen, die vor ihrer Bestellung eine solche Liste aus der Brieftasche zieht.
– Lydia Davis: Alleine Fisch essen

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            Es gibt eine ganze Liste von Winzigkeiten, von denen man nicht weiß, wohin man sie stecken soll.
– Haruki Murakami: Pinball

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            (So kommt mir meine  Geschichte in gewisser Weise wie das Abfassen einer Art von Liste vor, wobei sich diese Liste wohl endlos fortsetzen, löschen, ergänzen und umschreiben ließe).
– Jung Young Moon: Vaseline-Buddha

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            „Das ist unsere Liste – und damit basta.“
– Edward St Aubyn: Der beste Roman des Jahres

Spielwort: Katzen

Elf Zitate zusammengelesen von Ingrid Mylo

            Träge, langsame Nachmittage, träge und langgestreckt wie Katzen.
– Georgi Gospodinov: Physik der Schwermut

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            Genau in diesem Moment sprang am anderen Ende von Den Haag eine nach wie vor namenlose Katze in ein Bett.
– Arne Dahl: Gier

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            Ich beobachtete, wie die Katze den Sessel fixierte und dann nach reiflicher Überlegung mit nur einer Kralle beiläufig einen Faden aus dem Polster zog.
– Andrew Sean Greer: Ein unmögliches Leben

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            Sie sagte, daß eine Katze immer Tierchen tötete und herinschleppt, um sie ihr vorzulegen, dabei wollte sie die gar nicht sehen.
– Alice Munro: Zug

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            Später meinte sie, daß ihre Katze es nun sehr genieße, mit verbundenen Augen auf dem Staubsaugerroboter in der Wohnung herumzurollen.
– Jung Young Moon: Vaseline-Buddha

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            „Schließlich kann man wegen einer Katze keinen Krankenwagen rufen, oder?“
– Fiona McFarlane: Nachts, wenn der Tiger kommt

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            An diesem Tag lag nicht einmal die Katze auf ihrem Platz.
– Håkan Nesser: Himmel über London

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            Ich lasse meinen Bauch bescheinen, trinke kühles Bier und schnurre wie drei Katzen, die, irgendwo im Gras versteckt, ihr Leben bei Kästners genießen.
– Erich Kästner in einem Brief an seinen Vater

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            Mit schwarzen Katzen kam er in der Regel gut zurecht.
– Haruki Murakami: Kafka am Strand

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            Mein lieber Claude, dein Vater hat natürlich recht: es gibt keine blauen Katzen.
– Franz Hohler: Ein Nachmittag bei Monsieur Rousseau

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            Außerdem hat Freud gesagt, Zeit, die man mit Katzen verbringe, sei nie verschwendet.
– Kjersti A. Skomsvold: 33

Spielwort: Schatten

Elf Zitate zusammengelesen von Ingrid Mylo

            Ich war fünf Jahre alt und machte in der ersten Frühlingssonne einen Schatten mit meinem großen Zeh.
– Lucia Berlin: Temps Perdu

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            An wenigen Stellen erkennt man noch einen Schatten auf dem weißen Papier, und es trägt den Titel: Erased De Kooning Drawing.
– Bregje Hofstede: Der Himmel über Paris

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            Der schwarze Schatten zwang mich, aufzuwachen und raubte mir zugleich die Kraft, die ich brauchte, um aus dem Bett zu steigen.
– Antonio Muñoz Molina: Gehen allein unter Menschen

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            Sie glaubt, ihr Schatten habe vom Lügen eine andere Form angenommen und nicht mehr die Form einer Frau.
– Jennifer Clement: Auf der Zunge

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            Mittags frißt die Sonne Ariadnes Schatten, der ihre einzige Gesellschaft war, und sie wird irre an sich selbst.
– Katharina Hacker: Ariadne

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            Dank der tiefstehenden Sonne erscheint die Welt deutlich und klar, materieller, denn die Schatten sind schwer, dunkel von Feuchtigkeit, und liegen lange. Sie verdoppeln die Wirklichkeit.
– Andrzej Stasiuk: September

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            Aus den Augenwinkel sah er eine Bewegung und drehte sich um, doch es handelte sich nur um seinen eigenen Schatten, der über das beleuchtete Wasser huschte.
– Tom Cooper: Das zerstörte Leben des Wes Trench

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            Wenn er Schatten sah, zog er seinen Revolver.
– Ottessa Moshfegh: Eileen

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            Da endlich begriff Maca, daß er sich nicht umbringen konnte, indem er auf seinen eigenen Schatten einstach.
– Varujan Vosganian: Das Spiel der hundert Blätter

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            Die Figur des Schattens, der in der Gasse hinter dem Kino lauerte, wirkte so untypisch gekünstelt wie ein Motiv aus einem Krimi von Sue Grafton – S wie Schatten.
– Idra Novey: Wie man aus dieser Welt verschwindet

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            Es war unmöglich, im Schatten eine Zukunft zu erkennen, obwohl das flackernde Licht des Feuers sie zum  Flackern und Pulsieren brachte, und die Schatten beinahe lebendig wurden.
– Christoph Dolgan: Elf Nächte und ein Tag

Die bisherigen Spielworte im Überblick:
ménage à trois (1): Bahnhöfe, Fliegen, Lippenstift
ménage à trois (2): Stühle, Socken, Sterne
ménage à trois (3): Telefon, Zähne, Scherben
ménage à trois (4): Zwiebeln, Friedhöfe, Zigaretten
ménage à trois (5): Handtaschen, Kaffee, Stille
ménage à trois (6): Listen, Schnee, Gedanken
ménage à trois (7): Kerzen, Toiletten, Worte
ménage à trois (8): Unterwäsche, Bücher, Suppe
ménage à trois (9): Steine, Schritte, Sonnenuntergänge
ménage à trois (10): Masken, Gespenster, Koffer
ménage à trois (11): Briefe, Fische, Gesten

Vier Blicke auf Ingrid Mylos neuesten Gedichtband Überall, wo wir Schatten warfen.
Ingrid Mylo bei uns auf CulturMag.