Wie hat ihnen das Produkt gefallen?
Zu den Widersprüchen meines Lebens gehört es, dass ich in einem Nebenjob Bestellungen bei Amazon bearbeite, aber privat so gut wie nie dort was bestelle. Also eigentlich lehne ich das rundweg ab, aber ich muss gestehen, dass ich hin und wieder, also in außergewöhnlichen Momenten dort was ordere, was ich im stationären Handel, der ja durch Amazon und Co. vom Untergang bedroht ist, nicht bekomme. Gut, das sagen die Abermillionen Kunden, die im Internet bestellen, sich auch, aber ich unterstelle ihnen, das sie das leichtfertig machen, sich keine Mühe bei der Recherche geben und halt so Couchzombies sind. Ich kenne, wegen eines anderen Nebenjobs, die Bestellungen meines Nachbarn bei Amazon, und ich muss schon sagen, einiges davon bekommt man beim Karstadt am Leopoldplatz, im Saturn am Kutschi oder im Pfennigland auf der Müllerstraße.
Wenn ich also ganz selten mal was bestelle, dann lasse ich das stets an den Nachbarn Heiko im Erdgeschoß liefern, um es da nach Lust und Laune abzuholen. Heiko hat den ganzen Tag nichts zu tun und so ein Paketbote, der mal bei ihm klingelt, bringt bestimmt etwas Abwechselung in seinen tristen Alltag.
Als ich vor kurzem also was bei Amazon bestellte (eine Schreibtischlampe, die man direkt oben am Monitor anbringt und die so den Bildschirm und den Schreibtisch optimal erhellt und die man wirklich nicht irgendwo vor Ort bekommt), da bekam ich ein paar Tage später eine Mail von Amazon, dass ich doch gefälligst das Produkt mit einer Sternebewertung auszeichnen sollte. Gut, dass gefälligst stand nirgends in der Mail, aber es stand irgendwo zwischen den Zeilen. Das man die Mail ab sofort alle drei Tage bis zum Lebensende bekommen würde, wenn man keine Bewertung abgab, stand zwar nicht in der Mail, aber ebenfalls zwischen den Zeilen.
Ich war mit dem Produkt zufrieden, aber auf eine schweigsame Art zufrieden, also ignorierte ich die Mail. Drei Tage später landete sie wieder im Postfach. Ich war immer noch wortlos von dem Produkt angetan. Beim dritten Mal aber war es mir zu viel. Ich rief den Link auf und gab 4 von 5 Sternen ab. Ich hätte auch 5 Sterne geben können, aber ich fühlte mich nicht danach. Ich hatte nicht auf Facebook gepostet, dass das Gerät total geil sei und alle es kaufen müssen, ich hatte meiner Partnerin kein Foto von der Lampe geschickt, alles Verhaltensweisen, von denen ich glaubte, dass man sie unternahm, wenn man sich in einer 5-Sterne-Euphorie wähnte.

Das Textfeld ließ ich leer. Ich drückte auf „Bestätigen“ und wollte die Sache damit abschließen.
Es erschien eine Warnmeldung, dann öffnete sich ein kleines Fenster.
„Du hast das Produkt mit 4 Sternen bewertet. Fällt dir nichts dazu ein? Du bist begeistert und findest keine Worte?“
Ich hasste Webseiten mit Bewertungen, die ein Textfeld hatten und unbedingt wollten, dass man da was reinschrieb. Das kam dem nahe, was ich neulich auf Twitter über das typische Prozedere gelesen hatte, wenn man heutzutage eine Website besuchte: Als Erstes musste man sich durch die Cookie-Einstellungen durchkämpfen, wenn man noch den Ehrgeiz dazu hatte und nicht mit einem „Alle Cookies akzeptieren“ klein beigab. Danach schloss man das, meist von rechts herausfahrende Support-Fenster, wo man eine Frage stellen konnte. Auf manchen Seiten stoppte man anschließend das Video, das sich von selbst abspielte. Schlussendlich klickte man noch das Fenster weg, das fragte, ob man einen Newsletter erhalten wolle.
Hier auf der Website von Amazon fand ich nur den obligatorischen Cookie-Hinweis, das Newsletter-Fenster und, als zusätzliches Hindernis, das Textfeld. Ich tippte bei solchen Gelegenheiten wahllos auf der Tastatur rum und schickte den Zeichensalat ab, um den Verantwortlichen zu zeigen, was ich von dem Scheiß hielt. Jetzt seufzte ich und schrieb: „Keine Angabe.“, und wusste im gleichen Moment, dass die Website das nicht akzeptieren würde. Mit Sicherheit würde meine Bewertung auf der Produktseite aufgeführt und was sollte ein potentieller Käufer von „Keine Angabe“ halten? Das war kein Anreiz, dass Produkt in den Warenkorb zu legen. Ich drückte dennoch auf den „Bestätigen“-Button. Wieder poppte ein Fenster auf: „Echt jetzt? Willst du mich verarschen?“

Was sollte ich nun machen? So etwas reinschreiben wie „Ich bin müde“ oder „Ich lasse mich von Amazon nicht gängeln“? Dann würde ich hier noch Stunden mit kreativen Versuchen verbringen, um die Website zufriedenzustellen. Ich würde einfach die nächste Mail von Amazon abwarten, beschloss ich und wollte den Tab schließen. Ein Fenster poppte auf: „Wollen Sie die Seite verlassen?“ Auf den beiden Buttons darunter stand: „Nein“ und „Nein.“
Ich nickte einsichtig und klickte das Fenster weg. Dann schrieb ich: Es handelt sich bei der Lampe um ein Produkt, das mein Leben verändert hat …“ Ein Fenster poppte auf. „Sehr gut, das klingt doch schon vielversprechend. Weiter so!“
„.. Ich bereue mein bisheriges Leben, das ich ohne Kenntnis dieser Schreibtischlampe verbracht habe. Die Leuchtkraft ist beeindruckend, ich muss annehmen, dass ich die letzten 20 Jahre im Dunkeln am Schreibtisch gesessen habe. Das ist mir nun klar geworden, im wahrsten Sinne der Worte. Ich danke dem Hersteller für die Entwicklung des Produktes und Amazon für die Vermarktung. Selbstverständlich gilt mein Dank auch dem Paketdienstleister, der die Ware mit den üblichen Schwierigkeiten zugestellt hat.“
Wieder poppte ein Fenster auf. „Großartig! So eine tolle Bewertung hat noch kein Käufer hinterlassen! Wäre es dann nicht auch angemessen, wenn du 5 statt 4 Sterne vergibst?“
Das Fenster verschwand wieder.
Wie befohlen, änderte ich meine Sternebewertung und klickte abermals auf „Bestätigen“. Ein Fenster erschien und ich befürchte eine Fortsetzung dieses absurden Vorgangs, der bereits 15 Minuten meiner Lebenszeit verschwendete: „Herzlichen Glückwunsch! Wir haben deine Bewertung entgegengenommen.“
Ich schloss den Tab, löschte anschließend alle Mails von Amazon und beschloss, nie wieder dort etwas zu kaufen, selbst dann nicht, wenn alle stationären Geschäfte schließen mussten. Oder besser gesagt: ich würde erst dann wieder dort einkaufen, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab.
Robert Rescue bei CrimeMag. Zu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

Im Herbst 2020 Corona zum Trotz erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.
Robert Rescue bei uns hier. Beispiele:
Mai 23: Fenster zum Hof
April 23: Schritte im Hausflur
März 23: Wahl mit Qual: Demokratie endet nicht um 18 Uhr
Februar 2023: Für die Verkehrswende ist es zu spät
Dezember 2022: Interview mit einem umgeschulten Flugzeugentführer
November 2022: Auf dem Friedhof von Stahnsdorf
September 2022: Die Generalmobilmachung
Juli 2022: Im Berlin Dungeon
Juni 2022: Abends bei Reddit
Mai 2022: Energie sparen
April 2022: Leben ohne Feind
März 2022: Wenig Raum für Ekstase
Februar 2022: Der Kälte-Gottesdienst
Dezember 2021: Sind doch nur Kinder
November 2021: Geht mit Gott, aber geht
Oktober 2021: Keine Zeit zu sterben
September 2021: Bote aus vergangener Zeit
August 2021: Eine Kurzgeschichte mit Wetter