Geschrieben am 1. Dezember 2022 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2022

Robert Rescue: Interview mit einem umgeschulten Flugzeugentführer

Zahlen und Tschüss   

„Herr Kasulke, vor Ausbruch von Corona waren Sie als Flugzeugentführer tätig. Die Pandemie hat Sie zum beruflichen Umdenken gezwungen. Jetzt arbeiten Sie als Lokführer bei der Deutschen Bahn. Wie kam es dazu?“

„Vor Corona hatte ich viel zu tun. Flog ja alles noch. Ich habe pro Woche drei Entführungen gestemmt, einschließlich neuer Verkleidung, neuem Bedrohungsmaterial und Wohnortwechsel. Aber wo nichts fliegt, kann nichts entführt werden. Ich habe dann erstmal in einem Versteck gesessen, einen Haufen Lösegeld verprasst und dann, als klar wurde, dass die ganze Sache nicht eins zwei Monate dauern wird, überlegt, wie ich künftig meine Brötchen verdiene. Kurz hatte ich überlegt, Reisebusse zu entführen, aber das war ein blöder Gedanke, denn Flixbus fuhr ja auch nicht mehr. Außerdem ist da wenig zu holen. Leute, die Bus fahren, haben ja nicht viel, deshalb fahren sie ja für einen Zehner durch die Gegend. Dann habe ich überlegt, gewissermaßen die Seiten zu wechseln und das einzige, was noch fuhr, war die Deutsche Bahn.“

„Haben Sie gegenüber dem Personalchef erwähnt, womit Sie zuvor ihr Geld verdient haben?“

„Ja, ich bin offen gewesen. Der hat natürlich erstmal reserviert reagiert, aber ich habe ihm versichert, dass ich bei der Bahn keine Entführung vorhabe. Ich habe keine Lust, den Zug irgendwo in der Pampa zu stoppen und dann über irgendwelche Felder oder Waldwege zu flüchten und nicht zu wissen, wo ich überhaupt bin. Das hat der dann akzeptiert und mich eingestellt. Die hätten mich auch genommen, wenn ich gesagt hätte, dass ich gleich den erstbesten ICE entführe. Die suchen händeringend Personal, da konnte nichts schiefgehen. Jetzt bin ich „Triebfahrzeug-Führer“, wie der Lokführer offiziell heißt, weil ich aus der Fliegerei Kenntnisse mitgebracht habe.“

„Wie das? Sie waren doch kein Pilot?“

„Ich habe mir eine Menge angeeignet in 15 Jahren als Luftpirat. Ich habe den Piloten häufig über die Schulter geschaut und in den letzten Jahren musste ich den Vogel selbst landen, weil die Piloten sich geweigert haben oder ohnmächtig geworden sind. Zugegeben, es waren keine astreinen Landungen und es gab reichlich Blessuren unter den Passagieren, aber immerhin habe ich die Vögel gelandet, sogar den A380. Flugmanöver habe ich mir auch beigebracht, weil gelegentlich Kampfjets aufstiegen. Die Piloten haben echt gestaunt, dass ich ihnen immer wieder entwischt bin. Ich habe das alles beim Vorstellungsgespräch erzählt, und die haben darin schlussendlich die „Qualifikation“ zum Führen eines Verkehrsmittels gesehen.“

„Wie war es Ihnen möglich, solange die Luftpiraterie zu betreiben, ohne geschnappt zu werden?“

„Ich war ein Profi. Ich habe den Passagieren während des Fluges die Möglichkeit gegeben, das Lösegeld mittels Paypal zu bezahlen. Also alles on fly, sozusagen. Keine sinnlosen Flüge, um dann wegen Treibstoffmangel landen zu müssen und von Spezialkräften belagert zu werden. Im Interesse der Fluggäste habe ich das ursprüngliche Flugziel beibehalten und habe entweder auf der Bordtoilette eine neue Maskerade gewählt oder bin nach der Landung rausgesprungen und habe das Weite gesucht. Wie gesagt: bis zu drei Entführungen pro Woche. Körperlich hätte ich das ohnehin nicht mehr lange durchgehalten, insofern bin ich froh, dass ich es bei der Deutschen Bahn ruhig angehen lassen kann.“

„Gab es denn Fluggäste, die nicht zahlen wollten?“

„Hin und wieder. Ich hatte natürlich eine Knarre dabei, das überzeugt. Manche hatten kein PayPal, bei denen habe ich dann Taschenpfändung gemacht. Einen Fuffi oder Hunni hat jeder auf Reisen dabei.“

„Welche Strecken befahren Sie jetzt?“

„Ich fahre den ICE von Berlin nach Bonn, hin und wieder auch Hamburg nach Prag. Immer mit Höchstgeschwindigkeit, auch dort, wo ich es nicht darf. Höchste Kundenzufriedenheit ist mein Motto, rührt aber vielleicht aber auch von dem Fluchtinstinkt her, so habe ich es zumindest dem Psychologen erklärt, bei dem ich neulich antanzen musste.“

„Gibt es eine Gefahr, dass Sie rückfällig werden?“

„Eher nicht, obwohl, es gibt hinter Duisburg so ein Abstellgleis. Wenn ich da schneller als die Weichensteuerung bin, bliebe genug Zeit, um die Fahrgäste auszunehmen. Aber die Sache mit Paypal kommt nicht infrage, weil das Internet an Bord häufig streikt. Aber wenn ich genau überlege, nee, ich bin ja jetzt angestellt und will keinen Stress mehr.“

„Und eine Rückkehr in die Fliegerei?“

„Sie kriegen ja gerade mit, wie es da läuft. Nicht viel besser als zu Corona-Zeiten. Zu viele Passagiere und zu wenig Personal. Manche haben während Corona was Besseres gefunden oder wollen mehr Geld. Viele Verbindungen werden gekappt, weil sie nicht lukrativ sind. Ich habe irgendwann Ziele wie Mallorca oder Antalya nicht mehr genommen, weil die Passagiere zu besoffen waren, um Lösegeld zu zahlen. Die wollten mir Jägermeister andrehen und Polonäse tanzen. Das nimmt dem Ganzen die Ernsthaftigkeit. Verbindungen nach Düsseldorf, München oder London waren immer gut, weil viele Geschäftsleute an Bord waren bzw. sind. Aber innerdeutsche Flüge werden gekappt zugunsten der Touristenflüge. Gleichzeitig werden die Reisen wieder teurer, die Zeit von Billigflügen zu 20-50 Euro scheint erstmal vorbei zu sein. Wenn die Leute jetzt 300 bis 500 Euro für ihren Flug bezahlen, reicht es gerade noch für ein kleines Bier in der Hotellobby. Schlimmstenfalls würden die sich als Geiseln anbieten. Um Himmels willen, was soll ich mit Geiseln? Zahlen und Tschüss, so lautete mein Motto.

Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

Im Herbst 2020 Corona zum Trotz erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.

Robert Rescue bei uns hier. Beispiele:

November 2022: Auf dem Friedhof von Stahnsdorf
September 2022: Die Generalmobilmachung
Juli 2022: Im Berlin Dungeon
Juni 2022: Abends bei Reddit 
Mai 2022: Energie sparen
April 2022: Leben ohne Feind
März 2022: Wenig Raum für Ekstase
Februar 2022: Der Kälte-Gottesdienst
Dezember 2021: Sind doch nur Kinder
November 2021: Geht mit Gott, aber geht
Oktober 2021: Keine Zeit zu sterben
September 2021: Bote aus vergangener Zeit
August 2021: Eine Kurzgeschichte mit Wetter