
Boah, war das langweilig, als Olaf Scholz Kanzler wurde. Da wäre doch etwas Glanz und Gloria angesagt gewesen so mit Militärparade, landesweiten Besäufnissen, Märkten mit Schießbuden und Karussell und einer Samstagabendshow mit Heinz Erhardt, Hans Rosenthal und Peter Frankenfeld. Gerade in Zeiten von Corona, wo sich das Leben der Bürger nur noch zwischen Home-Office und Netflix-Sofa dreht, braucht es doch irgendetwas, was einen glauben lässt, sich nicht als Hauptrolle in einer Neuverfilmung von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ zu fühlen.
Oder gar eine Revolution? Mal angenommen, Angela Merkel hätte sich wie eine Diktatorin aufgeführt, schlimmer als Darth Vader, und eines Tages bietet ihr der Olaf aus Hamburg Paroli und will das Unrechtsregime beenden. Dazu braucht er aber die Unterstützung der Bevölkerung, so richtig mit Fahne schwenken, Brust zeigen und Überschwang des Freiheitswillens. Aber das ist hierzulande nicht möglich. Für eine Revolution hat der Deutsche keine Zeit wegen Projekten, Home-Office und Netflix. Es würde auch erhebliche Organisationsprobleme geben. Die einen mögen kein Doodle, die anderen kein Noodle und andere wissen nicht, ob heute Dienstag oder Sonntag ist und wenn sich doch mal alle auf einen Tag geeinigt haben und es um konkrete Absprachen geht, lässt sich kein einheitlicher Messenger finden, weil die Nerds WhatsApp doof finden und die Deppen Telegram und der eine, der naiv an eine neue politische Ordnung glaubt, Signal empfiehlt, aber mit dem redet eh keiner.

Nein, es wurde ein unaufgeregter Regierungswechsel. Hin und her vom Bundestag und Schloss Bellevue, wo die Angehörigen der neuen Regierung ihre Ernennungsurkunden entgegennahmen. Ernennungsurkunde, pah! Was wäre denn gewesen, wenn die neuen Minister stattdessen die abgeschlagenen Köpfe ihrer Vorgänger erhalten und diese mit einem Jubelschrei in den Himmel gehalten hätten. Okay, das wäre krass gewesen und das Ausland hätte erschrocken reagiert. Also sehr erschrocken. Oder wenigstens Ringkämpfe. Jens Spahn gegen Karl Lauterbach, das hätte ich mir angesehen. Oder Peter Altmaier gegen Robert Habeck und Altmaier siegt mit einer Sumo-Einlage, herrlich.
Der Einzige, der bei der Inauguration aus dem Rahmen gefallen ist, war der Özdemir mit seinem E-Bike. Mit Helm, die Lusche. Und dann klemmt er den Schnellhefter mit seiner Urkunde auch noch in den Gepäckträger, als wäre es der Wochenkatalog von ALDI.
Die Grünen, die höhlen allmählich die Grundpfeiler der deutschen Demokratie aus. Erst Vereidigung in Turnschuhen und jetzt E-Bike, Helm und Gepäckträger. Was kommt als Nächstes? Ich will es mir gar nicht ausmalen.
Nach Bundestag und Schloss Bellevue ist Kanzler Scholz dann zum Kanzleramt gefahren, wo ihm Angela Merkel gezeigt hat, wo die Toiletten, der Kaffeeautomat und der Notausgang sind. Dann hat Angela noch Winkewinke gemacht und ist ins Auto gestiegen, um sich im KaDeWe eine Salami zu kaufen, wie das abgewählte deutsche Regierungschefs am Ende ihrer Amtszeit tun. Vielleicht hat ihr der Geschäftsführer vom KaDeWe auch eine umsonst mitgegeben für 16 Jahre treue Dienste für die Bundesrepublik Deutschland.
Das Ausland hat dies alles mit Erstaunen aufgenommen. So dröge feiern die anderen Länder, die von Bürgerkrieg, über Erstürmung von Regierungsgebäuden bis hin zum Vortrag von vaterländischen Gedichten alles im Programm haben, nicht.
Dabei könnte Deutschland sich so seine eigenen Krönungsrituale schaffen. Bei den Atommächten wird stets der ominöse Koffer mit den Zahlencodes für die Raketen übergeben. Haben wir hierzulande nicht. Wie wäre es dann mit dem nationalen Bierhumpen, einer konservierten Ausscheidung von Karl dem Großen, dem mumifizierten Schädel von Kaiser Barbarossa oder einer Reliquie wie dem Mittelfinger von Jesus? So mit Gang durch den Kölner Dom und einer Ehrengarde der KSK.
Der erste indigene Präsident Boliviens, Evo Morales, nahm einen Tag vor seiner Amtseinführung an einer traditionellen Zeremonie an einer heiligen Stätte der Prä-Inka teil. Barfuß und als Sonnenpriester gekleidet, wurde ihm ein mit Gold, Silber und Bronze besetzter Stab überreicht, der seine indigene Führungsrolle symbolisieren sollte.

So was Ähnliches hätte der Scholz doch auch machen können. Er hätte zu den Sorben in den Spreewald (klingt ein bisschen wie die 7 Zwerge im Zauberwald oder die Zwerge von Moria) fahren können, um dort unter dem Einfluss berauschender Pflanzen auf einem Floß den Kontakt zu altslawischen Flussgottheiten zu suchen, die seine Amtszeit gutheißen. Das wäre doch mal was gewesen. Oder zu den Wikingern nach Schleswig-Holstein, also da zu der dänischen Minderheit, und dort das Schiff eines verstorbenen Königs anzünden und sich zum Nachfolger krönen lassen. Das Internet wäre für eine Minute voll mit Memes gewesen.
Immerhin kam später die Diskussion auf, sich eine Parlamentspoetin anzuschaffen, damit man sowas Ähnliches hat wie Biden mit der Amanda Gorman.
Nur wer soll den Job machen? Eine junge Poetry-Slammerin, am besten mit Migrationshintergrund und geboren in Ost-Deutschland, lesbisch oder wenigstens bi, die Rap-Reime über ihre Magersucht aufsagt? Oder ein alter westdeutscher Lesebühnen-Veteran, der Texte über seinen aufregenden Schrippenkauf im Backshop vorliest oder über seine Verbitterung klagt, dass ihm der Literaturnobelpreis versagt bleibt. Die Quintessenz dieser beiden Künstlertypen wäre doch Wolf Biermann, sofern der noch lebt. Der kann doch auch ein Lied spielen. Alle vier Jahre für eine halbe Stunde müsste der doch erträglich sein.
Kann man ja bei der nächsten Wahl mal ausprobieren. Aber ist es gut möglich, dass das Ausland wieder mit Erstaunen reagiert. Oder nennen wir es mal Befremden.
Robert Rescue bei CrimeMag. Zu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

Im Herbst 2020 Corona zum Trotz erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.