Geschrieben am 1. Februar 2023 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2023

Robert Rescue: Verkehrswende

Für die Verkehrswende ist es zu spät 

Ach, war das schön gewesen im Sommer, als man zu einem BVG-Ticketautomaten gegangen ist und sich ein 9€-Ticket gekauft hat. Okay, davor stand die Hürde, ob der Automat überhaupt einen 10€ Schein oder passende Münzen schluckte. Im schlimmsten Fall waren beide Automaten auf dem Bahnsteig kaputt und man stand da und fragte sich, warum man nicht längst aufs Land gezogen war oder nach Köln, wo einfach alles funktionierte. Aber das mit den beiden kaputten Automaten war ja nicht so schlimm. Dann fuhr man halt eine Station schwarz und probierte es da, oder noch eine Station und dann da …

Gegen Ende des Jahres war ich dann gespannt, wie das mit dem 29€-Ticket klappen würde. Das 29€-Ticket, eine politische Meisterleistung Berlins, die man dem Stadtstaat nicht zugetraut hätte. Während Bund und Länder noch über eine Fortsetzung eines günstigen Tickets stritten und frühestens für den Sankt-Nimmerleins-Tag eine Lösung in Aussicht stellten, machte Berlin Nägel mit Köpfen und stellte seine Anschlusslösung vor. Krass genial, oder? Aber die Freude darüber, dass Berlin mal die Nase vorne hatte, machte einen zugleich misstrauisch, denn eine solch proaktive Handlung war man von den Verantwortlichen hier nicht gewohnt. 

Auf jeden Fall ging es schon mal nicht so, dass man einfach an den Automaten gehen konnte. Das funktionierte aus technischen Gründen nicht, oder aus personellen, aus finanziellen oder aus irgendwelchen Gründen. Und wer nach Potsdam oder sonst wo in die Weiten Brandenburgs fahren wollte, musste ein Anschlussticket ziehen. Die Brandenburger hatten nämlich nicht den fortschrittlichen Eifer der Berliner, wollten ihren blöden Tarifbereich C und nirgendwo nicht einbeziehen oder sie wollten 50:50 von der Kohle, aber das hat Berlin nicht mitgemacht, weil Berlin die Idee hatte und wer die Idee hat, kriegt immer das meiste Geld. Auf jeden Fall blieben die raffgierigen, neuen Verkehrskonzepten abgeneigten Brandenburger außen vor.

Man konnte das neue Ticket nur im Abo kaufen, also zum Beispiel als Jahresabo. Also man bestellte für drölf Millionen Euro ein 12-Monats-Ticket Premium mit allen Tarifbereichen, ein Glas Sekt bei jedem U-Bahn-Einstieg, einer Unterhose im BVG-Sitze-Design und sobald der Bestellvorgang abgeschlossen war, kündigte man das Ding gleich wieder. Rechtzeitig kündigen, das war für viele verpeilte Berliner, die mit einem Bein in der Privatinsolvenz standen, eine echte Herausforderung. Es drängte sich der Verdacht auf, dass die ganze 29€-Ticket-Aktion nur dazu diente, den Berlinern ein Jahresticket überzuhelfen, mit dem manche heillos überfordert waren.

Nun gut, habe ich mir gedacht, da muss ich mir halt eine Erinnerung in meine To-do-App schreiben und dann hole ich mir für den November ein solches Ticket. Für Oktober hatte ich dafür keine Verwendung, weil ich wegen guten Wetters mit dem Rad unterwegs war oder gar nicht das Haus verließ. Aber im November würde ich der King der Öffis sein und das ständige Kaufen von 4-Fahrten-Tickets ging mir inzwischen auf den Keks. Ich buchte also 29€ von meinem Bankkonto auf Paypal und dann besuchte ich die Website der BVG. Als Erstes musste ich mich registrieren. Ja gut, heutzutage muss man überall ein Benutzerkonto anlegen und das war ja in diesem Fall wichtig, um mich später einloggen zu können, um das Ticket zu kündigen. Dann wechselte ich auf die Seite, wo man das Ticket kaufen konnte und wollte den Button „November 22“ auswählen. Der war aber ausgegraut. Es war der 24. Oktober 2022 und der Button für November war ausgegraut. Ich ahnte Schlimmes. Bis zu diesem Punkt war alles gut gegangen, das machte mich schon misstrauisch. Es gab also eine Frist, eine Frist, um im Internet ein Ding kaufen zu wollen und die Frist hatte ich verkackt. Ich musste an die verpeilten Berliner denken, für die eine rechtzeitige Kündigung ein Problem darstellte. Sie hatten Glück, denn sie würden nicht an der Frist zum Kündigen scheitern, sondern an der zum Kauf. Ich verließ die Seite wieder und rief sie erneut auf. Von dieser Frist hatte ich nichts gelesen, dabei war sie vermutlich weitaus bedeutender als das Abo und rechtzeitig kündigen, auch wenn natürlich mit der Kündigung auch eine Frist verbunden war, aber halt keine Frist wie die beim Kauf. Entnervt ließ ich meinen Plan fallen und wählte stattdessen ein Ticket für den Dezember aus.

Doch jetzt kam der Moment, wo ich endgültig wusste, dass das Berliner 29€-Ticket der ganz große Scheiß war. Natürlich nicht aus Klimagründen, wegen der Reduzierung des Straßenverkehrs, als preisgünstige Lösung für Geringverdiener, nein, von daher war alles super, nein, der Knackpunkt, die eine Sache, die mich endgültig zum Verzweifeln brachte, war – WIESO KANN MAN BEI DER BVG NICHT MIT PAYPAL BEZAHLEN? WAS LÄUFT SCHIEF BEI EUCH? NOCH NIE GEHÖRT, ODER WAS? SIND WIR HIER BEIM „QUELLE“-KATALOG? WELCHER HONK HAT EURE WEBSITE PROGRAMMIERT?

„Bankeinzug“ ist das alles, was ihr könnt? Jetzt weiß ich, warum der Vertrag eurer Vorstandsvorsitzenden nicht verlängert wurde, warum sie nach Vertragsende gehen muss, ja, weil sie in einer Vorstandssitzung auf die Frage, wann die Zahlung mit Paypal auf der Website implementiert wird, geantwortet hat: „So einen neumodischen Mumpitz wird es mit mir nicht geben. Bankeinzug ist doch schön. 

Und wenn ein Kunde dann ein Ticket bestellt, sagen wir mal ein 29€-Ticket, dass er am 24.10. ordert, also vier Tage nachdem wir das Online-Kundenzentrum zum Erwerb von Tickets für den November geschlossen haben, dann schreiben wir ihm drei Wochen später, ob denn seine Kundendaten stimmen, und schicken ihm eine Woche später die hübsche Jahresabo-Karte zu und den Bankeinzug machen wir dann später. So ist es immer gewesen, so wird es immer sein.“

Und genauso ist es dann gekommen. Der „Abo-Service“ hat mir tatsächlich geschrieben, ob denn meine Kundendaten stimmen. Sie haben keine Mail geschickt, sondern einen Brief. Ich habe ihn nicht beantwortet. Ich habe ihn zerrissen und mich gefragt, warum ich nicht längst aufs Land gezogen bin oder nach Köln, wo einfach alles funktioniert. Und zum Schluss noch ein Wort an die Brandenburger: Ich habe mal gehört, man könne bei euch einfach in ein Bürgeramt gehen und seine Sachen regeln, einfach ohne Termin. Ist doch irre, oder? Und vermutlich gibt es einen tieferen Grund, warum Brandenburg bei dem 29€-Ticket nicht mitmachen wollte, also ich habe da so eine Ahnung. Und ich bin jetzt überzeugt, dass man in Brandenburg alles mit PayPal bezahlen kann.

P.S.: Wer sich fragt, was denn mit den 29€ auf meinem PayPal Konto passiert ist? Ich habe mir davon bei einem Online-Rollenspiel das „Verrückte Zeiten“-Reittier-Skinpack gekauft für meinen Raptor, den springenden Hasen, den Schweberochen, den Schakal und den Greif. Recht hübsch, das Ganze.

Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

Im Herbst 2020 Corona zum Trotz erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.

Robert Rescue bei uns hier. Beispiele:

Dezember 2022: Interview mit einem umgeschulten Flugzeugentführer
November 2022: Auf dem Friedhof von Stahnsdorf
September 2022: Die Generalmobilmachung
Juli 2022: Im Berlin Dungeon
Juni 2022: Abends bei Reddit 
Mai 2022: Energie sparen
April 2022: Leben ohne Feind
März 2022: Wenig Raum für Ekstase
Februar 2022: Der Kälte-Gottesdienst
Dezember 2021: Sind doch nur Kinder
November 2021: Geht mit Gott, aber geht
Oktober 2021: Keine Zeit zu sterben
September 2021: Bote aus vergangener Zeit
August 2021: Eine Kurzgeschichte mit Wetter

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