Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

Pulp Fiction: 25 Jahre Stark House – Torte zum Jubiläum

No daylight in that face – Vintage Noir, Pulp, Hardboiled …

Kleiner Marktrundgang von Alf Mayer, anlässlich der Jubiläums-Anthologie von Stark House.

Rick Ollerman, Gregory Shepard (Hg.): The Stark House Anthology. Stark House Press, Eureka/ Ca. 2024. Trade Paperback, 448 Seiten, 21.95 USD.

Alle Versuche der letzten 30 Jahre, ein Pulp-Crime-Segment (außerhalb der großartigen Reihe Pulp Master by Frank Nowatzki) im deutschsprachigen Raum zu etablieren, sind schnell verpufft – die Reihe Hard Case Crime bei Rotbuch zum Beispiel. Ganz schön viel also, was Frank Nowatzki da seit längerer Zeit alleine schultert. Bravo! Die Stark House Press aus dem nordkalifornischen Eureka hingegen ist immerhin ein Familienunternehmen. Ihr 25jähriges Bestehen feiert sie dieser Tage mit einer Mammut-Ausgabe. Gelegenheit zu einem kleinen Blick auf ein recht prekäres Marktsegment.

The Stark House Anthologyversammelt zum Jubiläum 30 Autorinnen und Autoren und bringt Hardboiled- und Noir-Stories von Pulp-Autoren wie Helen Nielsen, Lionel White, Harry Whittington, Lorenz Heller, Barry N. Malzberg, Bruno Fischer, Henry Kane, Jean Potts, Bruno Fischer, Day Keene, Wade Miller, Stephen Marlowe, Henry Kane, Gil Brewer, Dan J. Marlowe, Ed Gorman, Bill Pronzini, Fredric Brown, Robert Silverberg, E. Phillips Oppenheim, James McKimmey und anderen zusammen. Eine Schatztruhe. Und gleichzeitig ein Schaufenster dessen, was der kleine Verlag so alles schon gestemmt, der Vergangenheit entrissen und wieder zugänglich gemacht hat. 109 der insgesamt 458 Buchseiten umfasst der nie zuvor veröffentlichte Kurzroman „So Curse the Day“ von Jada M. Davis.

Ein anderer Edelstein darin ist eine ebenfalls noch nie publiziert Kurzgeschichte von Peter Rabe. Die allesamt ultra-knackigen Stories stammen überwiegend aus den 1950ern und 1960ern, der hohen Zeit der Gold Medal Paperbacks, wurden seitdem nicht mehr wieder aufgelegt und tragen Titel wie „Invitation to an Accident/ To Kill a Wife/ Art for Money’s Sake/ Sleep Without Dreams/ Die, Darling, Die/  Backbite/ Beware of the Dog/ Hit Me/ Barbarians/ Politics Pays Best/ Instruction for Murder / Secretaries Make Such Nice Wives“. Ein Pulp-Fest also, eine richtig schwarze Torte.

Black Lizard und Barry Gifford, der Pionier und Poet

Zeit auch, zwischendurch einen Toast auf Barry Gifford auszubringen, den immer noch produktiven kalifornischen Gossenpoeten und Lyriker (jüngst „How Chet Baker Died“). Er war es, der eigenhändig der heute noch lebendigen Pulp-Tadition Leben einhauchte und 1984 Black Lizard gründete. Bis 1990 erschienen dort über 90 Reprints von Charles Willeford, David Goodis, Peter Rabe, Harry Whittington, Dan J. Marlowe, Charles Williams, and Lionel White wie auch Originals von Barry Gifford und Jim Nisbet (mein Buchmesse-Treffen, Halle 4.1, Stand F 67, mit ihm hier). Das wiedererwachte Interesse an Jim Thompson und sogar mehrere Verfilmungen seiner Romane sind hauptsächlich Barry Gifford zu verdanken. Er selbst bescherte David Lynch ewigen Ruhm – 1990 mit der Goldenen Palme von Cannes für WILD AT HEART, der Verfilmung von Giffords viertem Roman „The Story of Sailor and Lula„.

Im Juni 1990 kaufte Random House die Rechte an Black Lizard und verschmolz sie sogleich mit der Reihe Vintage Crime. Das Resultat war Vintage Crime/Black Lizard, heute nur noch scheintot existent, und wenn überhaupt noch, nur mit den sicheren Namen von Chandler oder Hammett unterwegs. Re-Editionen: nada. Publizistischer Anspruch: null. Barry Gifford zu verdanken aber haben wir außerdem noch die schönen Filmbücher „The Devil Thumbs a Ride & Other Unforgettable Films“ (1988) und „Out of the Past: Adventures in Film Noir“ (2000). Im Dezember 2024 erscheint bei Rare Bird Books eine überarbeitete und kombinierte Ausgabe, Titel: „No Daylight in That Face“.

Relativ kurzlebig waren die schön aufgemachten „Black Box Thrillers“ von Zomba Books aus London, 1983-84, mit (meist) Viererbänden zu Horace McCoy, Jerome Charyn, David Goodis, W.R. Burnett, Marc Behm, Frederic Brown, W.R. Burnett und Jim Thompson. Herausgeber der Reihe war Maxim Jakubowski, Eigner damals und oft am Tresen von „Murder One“, der beachtlich riesigen Krimibuchhandlung auf der Charing Cross Road. Ich hatte 1991 für mein Buch „Heavenly Cinema. Filme vom Fliegen“ in unmittelbarer Nachbarschaft im damaligen BFI zehn Tage in London zu tun – ich durfte im Nachlass von Stanley Kubrick zu 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM stöbern –, verbrachte die Mittagspausen bei Maxim im Laden, musste mir um Übergepäck keinen Kopf machen, weil ich ja im Auftrag der Lufthansa unterwegs war. Für die war es billiger, mich jeden Tag von Frankfurt nach London zu fliegen als die damaligen Londoner Hotelpreise zu berappen. Ich war jung genug, um das klasse zu finden: jeden Morgen auf der Crewbank im Cockpit, die Wolkenbildung über dem Ärmelkanal und die weißen Klippen von Dover im Morgenlicht vor mir. In diesen Tagen schleppte ich eine formidable Pulp-Bibliothek nach Hause, zehre davon noch heute – auch diesen Text gäbe es wohl nicht.

Jedenfalls fällt mir seitdem auf, wenn Pulproman-Zeit wiedererweckt wird. Hierzulande ist das weitgehend – bis auf noch einmal den unverwüstlichen Frank Nowatzki – bei Einzelerscheinungen geblieben. Martin Compart bei Bastei-Lübbe und dann bei DuMont (dort 27 Bände) hat so etwas versucht, im Jahr 2000 mit Band 22 als Sammelband ein „Noir Reader“, und dann in jüngster Zeit bei Elsinor wieder ein kleines Fenster. Der Unionsverlag versammelte im Vor- und Umfeld der von Thomas Wörtche herausgegebenen „metro“-Reihe einige Klassiker (dazu mehr hier bei uns), TW sorgte dann großflächig für Präsenz und Wiederinteresse an Chester Himes. Veröffentlichte auch dessen Revolutionsroman „Plan B.“ Das ist nun alles rund 20 Jahre her – Stand der Dinge seitdem: Einzelfälle. Jim Thompson, auch mit noch Unbekanntem bei Heyne Hardcore … Charles Willeford im Alexander Verlag, sogar mit dem Tagebuch der „Cockfighter“-Verfilmung, mutig und nicht viel Geschäft … und ab und zu mal irgendwo anders einige Versprengte.

Anders aber als das brave aufblühende Cozy (oder deutsch “cosy“) ist Pulp derzeit kaum mehr an irgendeinem Marktgeschehen beteiligt. Auch in Großbritannien ist bis auf Titan Books weithin Ruhe. Dem schwer erträglichen Mike „The Ripster“ Ripley gelang bei bei Ostara Publishing immerhin die Ressurektion von Mid-Century-Thrillerautoren wie Geoffrey Household, Victor Canning, Francis Clifford, Desmond Bagley, Brian Callison, David Brierley, von John Gardners Debut „The Liquidator“ oder einigen Romanen von Adam Hall oder James Mitchell (bei uns nur als James Munroe mit vier kraftvollen John-Craig-Thrillern bekannt, von denen der nicht verwandte Daniel Craig kräftig für seine Bond-Interpration zapfte). Ripleys ewiger Verdienst bleiben die erstmals versammelten Mitchell-Kurzgeschichten der knallharten Krimifigur Callan, zwischen 1967 und 1976 entstanden: „Callan Uncovered“, Band 1 und 2. Ostara Publishing wurde 2022 von Joffe Books übernommen und ist praktisch tot.

Was blüht, sind die „British Library Crime Classics“, herausgegeben von Martin Edwards, 2012 begonnen, mittlerweile bei rund hundert Bänden angelangt und sich auf die Marke von 500.000 verkauften Exemplaren zubewegend. Start war mit „Cornish Coast Murder“ von John Bude, die Auflagenhöhe der Reihe ist längst von anfangs 2.000 auf 15.000 Exemplare angestiegen. „Golden age is having its long overdue moment in the spotlight“, meint dazu Martin Edwards und genießt das Sonnenlicht. Cosy und Romance und Golden Age sind die Verkaufshits der Stunde.

Wir Noir- und Pulp-Fans bleiben da lieber im Schatten. Warten auf die zwei bis max vier Bände von Pulp Master im Jahr, schauen nach Kalifornien zur Stark House Press oder nach London/ New York zu Hard Case Crime von Charles Ardai. Der gründete diese Reihe 2004 zusammen mit Max Phillips. Erklärtes Programm: das pulpige Paperback-Gefühl der 1940er und 50er zurückzubringen. Dafür mit sorgen teils damalige Coverkünstler, Robert McGinnis etwa (hier mein Geburtstagsgruß zu seinem 89. vor ein paar Jahren) oder Glen Orbik. Und der Reihe gelingt es sogar immer wieder, mit Neuerscheinungen an das Gold-Medal-Feeling von damals anzudocken.

Neun Hard-Case-Crime-Bücher (Titel-Liste hier) wurden über die Jahre für den Edgar nomiert, darunter auch Christa Faust mit „Money Shot“ und James Kestrel mit „Five Decembers“, der den Edgar auch gewann und in der Edition Thomas Wörtche bei Suhrkamp der bisher erfolgreichste Roman dieser Reihe ist. Die Herausgeber Charles Ardai und Max Philipps schreiben auch selbst – Ardai sogar mit ziemlichem Erfolg. Es gibt immer wieder erstaunliche Ausgrabungen (von Donald E. Westlake zum Beispiel). Stephen King steuerte schon einige pulpige Novels bei, auch eine Form der Unterstützung einer Erzähltradition. Seit der Zusammenarbeit mit den Londoner Titan Books 2011 gibt es nicht nicht nur bessere internationale Vertriebswege sondern auch Graphic Novels, schöne Sachen dabei, total pulp. „How Like a God“ von Rex Stout mit einem Cover von Robert Maguire war im Juni 2024 Band 164 der Reihe, gut zwei Dutzend Comics sind bei dieser stolzen Zahl gar nicht mitgezählt.

1970 gegründet wurde – diesen Hinweis verdanke ich unserer Redaktionskollegin Sonja Hartl – die Feminist Press an der City University of New York, heute das „longest surviving women’s publishing house in the world“. Anfang der 2000er entstand dort eine Pulp-Reihe mit Autorinnen aus den 1940er und 1950ern, „Femmes Fatales“ betitelt und mit „mystery to hard-boiled noir to taboo lesbian romance“ im Programm. Zu den wiederentdeckten“Queens of Pulp“ gehörten Evelyn Piper, Vera Caspary, Tereska Torres, Valerie Taylor (ihr „Women’s Barracks“ gilt als der erste lesbische Pulp), Olive Higgins Prouty – und vor allem Gypsy Rose Lee, „America’s most famous burlesque entertainer“.

Stark House Press nahm 1999 mit Fantasy-Stories von Storm Constantine die Arbeit auf. Die Hardcover-Erstauflage von 1.000 für „The Oracle Lips“ war (zu) optimistisch, der Verlag blieb auf der halben Auflage sitzen. Die Familie von Verleger Gregory Shepard stieg aus, er selbst wagte sich an zwei weitere Bücher der Autorin. Allerdings als Trade Paperbacks. Zwei Reprint-Bände von Algernon Blackwood liefen dann richtig gut, das Feld „vintage supernatural“ aber war endlich. Es brauchte neue Nachdruck-Ideen. Ed Gorman brachte den Verleger mit Elisabeth Sanxay Holding zusammen. Das führte zum ersten „Stark House two-fer“ (Zweier).

Der Grund dafür war rein ökonomisch: die Herstellungskosten für ein einzelnes Trade Paperback mit erschwinglichem Preis zu hoch, warum also nicht gleich zwei Romane von einem Reprint-Autor in einen Band packen, die 19,95 Dollar, die das Buch eh kosten müsste, wären dann ein guter Deal, Informationen/ Nachworte zum Autor oben drauf das Sahnehäubchen. So geschah es dann mit den Neuausgaben von Peter Rabe, Day Keene, Stephen Marlowe, Benjamin Appel und anderen – alles frühere Gold Medal-Autoren.

Viele der Essays und Vorworte von Herausgeber Rick Ollerman sind gebündelt nachzulesen im Stark-House-Band „Hardboiled, Noir and Gold Medals: Essays on Crime Fiction Writers from the ’50s through to the ’90s“ (2017) – ein echtes Stück Pulp-Literaturgeschichte. Vergleichsweise wenig aufgearbeitet ist die Pulp-Geschichte des Western. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es über 200 Pulp-Fiction-Magazine (in Worten: zweihundert), die sich auf „frontier and cowboy yarns“ spezialisiert hatten. Will Murray hat dieses Feld in jahrzehntelanger Arbeit erforscht, das Ergebnis ist der unglaubliche Band „Gunslingers. An Epitaph for the Westerns“ (Altus Press, 2016).

Auf 436 Seiten, angereichert mit Hunderten von Zitaten und viel Originalmaterial, durchstreift er diese irre Prärie, porträtiert die Ära, die Magazine, die Autoren, Herausgeber, Verleger und Agenten. Literaturgeschichte zum Anfassen. Leider aus Kostengründen ohne Namensregister und Bibliografie. Der Zusammenhang zwischen der Western- und Kriminalliteratur ist ein enger, die ersten „western tales“ erschienen um 1850 in der „Police Gazette“. Robert B. Parker (1932 – 2010), Autor der Spencer-Kriminalromane, dissertierte mit „The Violent Hero, Wilderness Heritage and Urban Reality; A Study of the Private Eye in the Novels of Dashiell Hammett, Raymond Chandler, and Ross MacDonald“. Der große Elmore Leonard begann mit Western, ehe er Kriminalrome schrieb. – Siehe auch: Alf Mayer/ Frank Göhre: Elmore Leonard als Western-Autor (Teil 1) und Teil 2, CrimeMag März und April 2024, sowie Über Buch 4 der 44 Romane von Elmore Leonard: Der ganze Leonard ist hier schon da.

Jetzt, 25 Jahre nach der Verlagsgründung, veröffentlicht Stark House derzeit vier bis fünf Bücher pro Monat, ein Großteil von ihnen die beliebten Zweier-Packs. Das gerade wiederwachende Interesse am Autor Ed Lacy (eigentlich Leonard „Len“ S. Zinberg) ist dieser Reihe verdanken. Der weiße, jüdische Bürgerrechtler Lacy schuf mit Toussaint „Touie“ Marcus Moore den ersten glaubhaften schwarzen Privatdetektiv (Room to Swing, 1957, dt. als „Mord auf Kanal 12„, 1968, Goldmann, verstümmelt). Von Bill Pronzini trug der Verlag die besten Shortstories zusammen („Cream of the Crop“ der Titel), entdeckte Charlie Stella, dessen „Johnny Porno“ als Band 3 der Edition TW erschien (Bibliografie der Reihe bei uns hier). Wiedererweckt wurde auch Malcolm Braley, von dessen Gefängnisbüchern Wallace Stroby und David Whish-Wilson schwärmen. Ein Anliegen des Verlags gilt der Wiederentdeckung von Pulp- und Hardboiled-Autorinnen: Elisabeth Sanxay Holding, Elizabeth Fenwick, Edna Sherry, Jean Potts, Bernice Carey, Ruth Sawtell Harris, Helen Nielsen, Dolores (und Bert) Hitchens oder die große Leigh Brackett. Mein Lieblingstitel unter all diesen Wiederauferstehungen: „The Name of the Game Is Death“ von Dan J. Marlowe, 1962.

In der Reihe Black Gat Books erscheinen Reprints aus den 1950ern bis 70ern im alten, kleinen Paperbackformat von damals. 58 Bände sind es bisher. Dazu gibt es aus dem gleichen Haus noch die Reihen Film Noir Classics und Staccato Crime mit Jazz-Age-Classics. Some cats never die …

Alf Mayer

Siehe auch Thomas Wörtche: Plädoyer für Pulp, CrimeMag März 2023, sowie Klassiker-Check: Thomas Wörtche über Jim Thompson, CrimeMag Juli 2024. Zitat: „In Zeiten des allgemeinen, also auch kriminalliterarischen Kuschelns gegen die böse Welt könnte man sich mal wieder an einen bedeutenden Störenfried erinnern…“

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