Geschrieben am 31. Dezember 2022 von für Highlights, Highlights 2022

Anne Kuhlmeyer, Eva Ladipo, Dietrich Leder, Ulrich Mannes

Anne Kuhlmeyer: Über die Unsterblichkeit von bedrohten Arten

Dieses Jahr war freigiebig mit Katastrophenmeldungen, mit Ereignissen und Nachrichten, so finster wie das letzte Jahrhundert.

Aber ich verweigere die Katastrophe! Also den Glauben daran, dass sie in meinem Umfeld auftritt, solange sie nicht auftritt. Sollte sie es doch tun, bin ich vorbereitet. Als geborene Ostdeutsche und gelernte Rettungsmedizinerin ist man das – immer noch einen Sack Kartoffeln im Keller, eine Ampulle Adrenalin in der Tasche und eine Flasche Rotwein für Freunde im Schrank, versteht sich.

Auch das Saatgut fürs Frühjahr liegt bereit – Weberkarde, Fingerhut und Wiesenknopf. Die Kaltkeimer müssen jetzt hinaus – Wachtelweizen und Klappertopf. Keine Zeit zu warten, nicht aufs nächste Jahr und nicht auf das danach. Wer weiß, wer sonst noch stirbt. Gerade beim Wiesenknopf ist Eile geboten, denn der Wiesenknopf-Ameisenbläuling, ein winziger Schmetterling, überlebt nur mit der Pflanze und einer Ameisenart. Auch die Zaunrübensandbiene muss geholfen kriegen, ganz zu schweigen vom Kurzschröter, der dringend tote Eiche, Buche oder Birke braucht.

Also los, raus, sobald die Sonne steigt! Nicht rumsitzen und auf die Atombombe warten. Nicht obwohl, sondern weil so viele Menschen umkamen, am Dnipro und im Mittelmeer, in Teheran und Myanmar. Keine Gewalt, kein Krieg, nicht der Hass und nicht die Gier verhindern, dass der Same keimt … wächst … ein Wacholder wird oder ein Moos … solange die Sonne scheint.

Ach, Wacholder, Machandel genannt mancherorts, da fällt mir der beste Roman zu (ost)deutscher Zeitgeschichte überhaupt ein: „Machandel“ von Regina Scheer, erschienen 2016 im Penguin-Verlag.

Im Frühjahr, als die Nächte noch zu kalt und zu lang waren, um sie gänzlich draußen zu verbringen, versank ich darin, als ob Fontane mich hingeführt hätte nach „Machandel“, einem Dorf im Mecklenburgischen. Dort begegne ich Clara in den 1980ern. Die Berlinerin zieht mit Mann und Töchtern in den verfallenen Schafstall, der einst zum Schloss gehörte und entblättert die Geheimnisse seiner Bewohner, auch die der eigenen Familie, wenngleich ihr das den in den Westen geflohenen Bruder nicht wiederbringt, denn die Grenze ist tödlich, auch die in den Köpfen. Ein von verschiedenen Völkern erzähltes Märchen über Verrat, Mord und Erlösung durch Erinnern trägt diese vielstimmige Geschichte des Ortes und seiner Menschen – der Dageborenen, der Gefangenen, der Zugezogenen, der Gebliebenen und der Fortgegangenen – aus den 1930er Jahren bis in die Neunziger.

Die Wehmut und der Trotz, das Sich-durch-schlagen, die preußische Förmlichkeit und die herzliche Hilfsbereitschaft, das Misstrauen und die Überloyalität, die Anpassung und innere Abkehr, die Verbohrtheit und der Zweifel, die Liebe und die Sehnsucht – alles liegt im Boden der Endmoräne hinter den Manchandelbäumen, altes Blut und neue Stiefelspuren durchziehen ihn. Clara fand die blauglitzernden Schlackereste einer Glashütte darin wie ich Patronenhülsen, damals.

„Machandel“ ist kein ostintellektueller Kitsch und keine westmaskuline Siegererzählung. Es ist ein Roman wie Immortellen, deren Samen ich im Mecklenburgischen nahm und im März in westfälischen Sand legen werde – robust, standorttreu, zauberisch, wunderschön und eigentlich unsterblich, aber dennoch eine bedrohte Art.

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Downing Street gates © Wiki-commons

Eva Ladipo: Wahrheit war besser als Fiktion

Jenseits dieser lebenslustigen Seiten gibt es durchaus Kritiker, die finden, dass hohe Kultur weder Spannung braucht, noch nachvollziehbare Handlung, noch mitreißende Figuren. Je langweiliger ein Werk, desto anspruchsvoller. Ich dagegen will unterhalten werden.

Deshalb ist mein kulturelles Highlight des Jahres das Drama von Downing Street. Kein Buch, kein Film, kein Podcast, keine Serie, kein Musikstück war spannender als das, was in Wirklichkeit passierte. Das britische Jahr der Drei Premierminister und Zwei Königlichen Hoheiten besaß alles, was ein erstklassiger Plot braucht: Man wurde ständig überrascht, lernte jedes Mal dazu und es kam immer noch schlimmer. Man wurde zu Tränen gerührt und zur Verzweiflung getrieben. Man staunte, man lachte, man weinte, man wünschte, man zürnte, man hoffte. Es war ganz, ganz großes Kino, das die Briten im vergangenen Jahr geboten haben.

Die erste Hälfte übernahm Boris Johnson. Kurz bevor sein Spiel aus Lügen und Ausreden langweilig wurde, ging der begnadete Selbstdarsteller dann ab. In seiner Abschiedsrede zitierte er den Terminator und verglich sich mit Lucius Quinctius Cincinnatus, was fast so gut war wie Angela Merkels Schlusslied über den vergessenen Farbfilm.

Dann begann der Kampf um die Nachfolge, wobei das Hauptproblem darin bestand, dass nur eingetragene Mitglieder der Tory-Partei wählen durften, die von der eigenen Parteiführung seit langem als „mad, swivel-eyed loons“ gefürchtet werden. Sie wählten Liz Truss, die während des Wahlkampfs in etwa behauptete, dass die Erdanziehungskraft eine Verschwörung sogenannter Experten sei, die sie widerlegen werde. Sie hielt Wort, tat, was sie angekündigt hatte, und brachte Großbritannien und den Rest des globalen Finanzsystems verdammt nah an den Abgrund.

Kurz zuvor war die Queen gestorben. Sie schien sich wie alle anderen darin geirrt zu haben, dass Ruhe einkehren werde, wenn nur Boris Johnson endlich weg wäre. So lange hielt sie durch. Seine Verabschiedung war ihr letzter Akt. Doch wie gesagt hat das Jahr selbst 96 Jahre alten und mit vermeintlich allen Wassern gewaschenen Staatsoberhäuptern Haken geschlagen. Johnson war mitnichten der Tiefpunkt.

Die seit Jahrzehnten bis ins kleinste Detail geplante Beisetzung der Queen lief zwar perfekt, war aber trotzdem nicht langweilig, weil sie dramaturgisch angereichert wurde von der Fehde der Prinzen. Man kann sich schon auf die Fortsetzung während der Krönung im kommenden Mai freuen.

Auf politischer Bühne implodierte die Regierung Truss. Nachdem die Premierministerin vergeblich versucht hatte, die eigene Haut durch Verrat am engsten Verbündeten zu retten, stellte sie mit 44 kurzen Tagen in der Downing Street einen neuen Weltrekord auf.

Daraufhin drohte Boris Johnson zurückzukehren. Er war wieder mal im Urlaub. Als handelte es sich um die Rückkehr des Heilands, wurde sein Rückflug aus der Karibik per Flight-Tracker live mitverfolgt. Diesmal aber unterlagen die „mad, swivel-eyed loons“. Sie konnten Johnson nicht durchsetzen und machen seitdem stattdessen dem dritten Premier des Jahres das Leben schwer. Mal sehen, wie lange Rishi Sunak durchhält. Vorerst ist auch er mit seiner bildschönen, schwerreichen Frau von hohem Unterhaltungswert. Prinz Harry wirft unterdessen von Kalifornien aus lebensgefährliche Handgranaten auf Buckingham Palace. Wenn seine Netflix-Serie durch ist, erscheint im Januar die Biographie.

Soweit die Kurzzusammenfassung der aberwitzigen Handlung. An diese Wahrheit kam für mich im vergangenen Jahr kein Beispiel von Dichtung heran.

  • Eva Ladipo lebt als Journalistin in London und hat die Romane „Wende“ (Picus) und „Räuber“ (Blessing) geschrieben.

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Dietrich Leder

Versucht man die Geschichte der deutschen Kriminalliteratur in der Bundesrepublik zu erzählen, fallen einem zunächst die Geschichte der Verlage ein, die sich um die Vermittlung dieses lange Zeit ungeliebten Genres kümmerten. Diese in einer Zeit, in der das Genre alle anderen dominiert und selbst die realistischen Gegenwartsromane an den Rand zu drängen droht, zu rekonstruieren, ist löblich. Was dabei allerdings außer Acht gerät, ist die Tatsache, dass die Kriminalliteratur in erster Linie durch das Radio in den 1950er- und bis in die Mitte der 1960er-Jahre vermittelt wurde. Das Kriminal-Hörspiel fand zu einer Zeit, als das Fernsehen noch nicht zum ersten Massenmedium aufgestiegen war, ein großes Publikum, das gebannt den Einzelstücken, aber auch den Serienfolgen lauschte. 

Bis heute besitzen Radiokrimis eine gewisse Attraktion. Allmonatlich finden sich grandiose akustische Umsetzungen literarischer Krimis in den Hörfunkprogrammen der ARD. Zuletzt beispielsweise der Dreiteiler „Haus der aufgehenden Sonne“ vom Bayerischen Rundfunk nach einer Vorlage von Friedrich Ani oder der Zweiteiler „Sarah Jane“ vom Norddeutschen Rundfunk nach dem gleichnamigen Roman von James Sallis. Beide Hörspiele sind über die ARD-Audiothek weiterhin anzuhören. Sehr empfehlenswert!

Aber sind die Krimi-Hörspiele der 1950er- und 1960er-Jahre wirklich so gut, dass sie heute noch bestehen? Lange Zeit konnte man das nicht überprüfen. Nur selten wurde etwas im laufenden Programm wiederholt, und wenn dann beschränkte sich das auf eine überschaubare Zahl von Klassikern. Seit einigen Jahren hat sich das geändert. Es gibt zwei Podcasts, die sich kenntnisreich der Geschichte des deutschsprachigen Hörspielkrimis widmen und meist einmal die Woche ein Stück aus den Archiven der Radiosender hervorholen und in den Kontext der Geschichte des Radios und der Kriminalliteratur stellen.

Das erste Beispiel stammt vom deutschsprachigen Programm des Schweizer Rundfunks (SRF): Im „Krimi-Podcast“ präsentieren seit 2019 Susanne Janson und Wolfram Höll wöchentlich ein Kriminalhörspiel. Beide sind vom Fach, da sie selbst Hörspiele inszenieren. Sie sprechen also aus einer professionellen Warte, ohne einer Begeisterung über das, was sie da gelegentlich auch auf Anregungen von Hörerinnen und Hörern präsentieren, zu entschlagen. Ihnen ist das Thema des jeweiligen Hörspiels ebenso wichtig wie seine Form. Und sie rekapitulieren, wie es im Werkzusammenhang der Autorin oder des Autors einzuordnen ist. Das geschieht im Plauderton, nimmt aber die künstlerische Arbeit, die etwa in der vierteiligen Hörspielfassung von Friedrich Dürrenmatts Roman „Der Richter und sein Henker“ aus dem Jahr 1986 steckt, vollkommen ernst. (Leider ist dieses Hörspiel aus Vertragsgründen nicht mehr in der Audiothek zu hören.)

Das zweite Beispiel ist der Podcast „Kein Mucks!“ von Radio Bremen, der seit 2020 produziert wird. 

Hier stellt der Schauspieler Bastian Pastewka Kriminalhörspiele anfangs nur aus dem Archiv des kleinsten ARD-Senders, seit diesem Herbst auch aller anderen ARD-Sender vor. In seinen Einleitungen rekapituliert er pointensicher Absurditäten der Radiogeschichte, dass etwa in den 1960er-Jahren die ARD-Sender des Öfteren ein und dieselbe Vorlage zu je eigenen Stücken verarbeiteten. Pastewka konzentriert sich auf die Mitwirkenden und ihre Stimmen und zieht Verbindungslinien zu deren Kino- und Fernsehfilmen. Spannend etwa seine Rekonstruktion, wer alles in der ARD schon einmal Sherlock Holmes gesprochen hat. Er bleibt bei seinem durchaus auch komödiantischen Vortrag stets ein Fan, der seine Begeisterung nicht durch eine intellektuelle Reflexion irritieren möchte. Und so adelt seine nostalgische Bewunderung auch manches eher schwächere Werk. 

Tatsächlich krankt eine Reihe der alten Hörspiele an der routiniert ausgewalzten Methode der Tätersuche oder am Zwang, durch eine nicht immer funktionierende Komik das Genre veredeln zu wollen. Hier ist oft ein immer gleiches London Ort der Handlung, meist gesehen aus der Perspektive deutscher Autoren, die selbst zu viel Texte, Hörspiele oder Filme von Francis Durbridge gelesen hatten, als dass sie zu einer eigenständigen Erzählform finden konnten. Aber – hier hat Pastewka Recht – gewinnt manche konventionelle Erzählung durch die mitunter beeindruckenden Stimmen von Schauspielerinnen und Schauspieler, die man auch durch die Synchronisation bekannter US-Schauspieler kennt und die man nun als Kommissar, Täter oder Opfer gerne wiederhört. 

Pastewka spricht ausformulierte Texten, in die Zitate aus der Hörspielgeschichte einmontiert sind. Janson und Höll sprechen hingegen spontan und assoziati. Sie lassen sich in ihrem freien Gespräch, in dem sie gelegentlich auch abschweifen oder Privates einfließen lassen, Zeit. Ihr Gespräch ist deutlich analytischer angelegt als der von Anekdoten bestimmte Text, den Pastewka spricht. Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Hörspiele es hergeben. Nach dem Dreiteiler „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt (in einer SRF-Produktion von 1996) sprachen sie beispielsweise sowohl über den besonderen Blick, den der Erzähler auf manche Teile der Schweiz wirft, wie über die Konstruktion der Krimihandlung. Und sie vergleichen das Hörspiel mit einer (von mehreren) Verfilmungen des Dürrenmatt-Romans. 

Gerade die Dürrenmatt-Krimis, die – dieses subjektive Erinnerung sei zugestanden – mir bei der ersten Lektüre in den 1960er-Jahre sehr bemüht vorkamen, als wolle der Autor das Genre bedienen, aber sich zugleich von ihm distanzieren, gewannen in den sehr konzentrierten Hörspielfassungen des SRF und weckten die Lust, die Romane erneut zu lesen. Gleiches gilt auch für die Hörspiele nach den Romanen von Friedrich Glauser, die in den SRF-Fassungen durch eine sehr präzise Umsetzung durch die landsmannschaftlich gefärbten Stimmen und den Landschaftsgeräuschen gleichsam grundiert wurden. Janson und Höll präsentieren auch aktuelle (und eigene) Produktionen, so laufen hier auch die Produktionen vom Schweizer oder ARD „Radio Tatort“. Eine Warnung noch: Einige der Hörspiele sind (teilweise) in Schwytzerdütsch! 

Über das Jahr gab es bei beiden Podcast schöne (Wieder-)Entdeckungen. In ihren Listen herumzustöbern, war und ist weiterhin eine Freude. Sie weisen nebenbei daraufhin, welcher Reichtum in den Archiven der öffentlich-rechtlichen Sender sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz steckt. Man stelle sich vor, man dürfte auf eine ähnliche Weise in den Fernseharchiven herumstöbern und ausgraben, was lange Zeit vergessen war! Bessere Argumente für ein nicht-kommerzielles Radio und Fernsehen gibt es nicht. 

  • Dietrich Leder, der viele Jahre für die „Medienkorrespondenz“ über das Fernsehen schrieb, ehe dieses zweiwöchentliche Periodikum im Dezember 2021 eingestellt wurde, nimmt sich für uns jeden Monat eine Erscheinung des laufenden Krimi-Programms vor und seziert, wie es die Darsteller der Pathologinnen und Pathologen in den Serien versprechen. Seine Texte bei uns hier. – In diesem Jahresrückblick hier nebenan von ihm auch der erste Teil einer größeren Studie zum Thema „Proust übersetzen“.

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Ulrich Mannes

Das Filmjahr 2022 startete für mich mit Peter Thomas, dem Filmkomponisten, der den Sound der Edgar-Wallace-Filme prägte und 2020 mit 95 Jahren gestorben war. Gleich in seinem Todesjahr hatte ich zusammen mit dem Werkstattkino München eine Reihe zusammengestellt (Peter Thomas – Filmkomponist und Sounddesigner), die dann eine Woche vor Start gecancelt werden musste (wegen Corona natürlich), aber jetzt, mit eineinhalb Jahren Verspätung, endlich nachgeholt werden konnte. Dass im Januar öffentliche Kulturveranstaltungen nur eingeschränkt besucht werden durften (fürs Werkstattkino bedeutete das: maximal 15 Besucher), wendete ich ins Positive: Ich war von der Pflicht entbunden, großartig Werbung für die Filmreihe zu machen, und erfreute mich an einem grandios ausgelasteten Kino, mit teilweise ausverkauften Vorstellungen.

Das exklusive Publikum sah einen kunterbunten Querschnitt des bundesrepublikanischen Genrekinos, das es in den 60er und 70er Jahren ja noch gab: Filme von Will Tremper, Harald Reinl, Zbynek Brynych und sogar einen Bruce-Lee-Film (DIE TODESFAUST DES CHENG LI) mit einem Ersatz-Score von Thomas, da der deutsche Verleih die fernöstlichen Klänge nicht verkaufsfördernd fand. Ein Vorteil der nachgeholten Veranstaltung war zudem, dass wir den Sohn Philip Thomas, Nachlassverwalter seines Vaters, zu einer Lecture über den Komponisten einladen konnten; mit ihm haben wir gleich den Plan zu einer Wiederauflage der Reihe gefasst.

Im März starb der Schweizer Drehbuchautor Max Zihlmann, der vor allem die Filme der „Münchner Gruppe“ geprägt hat. Damals, in den später 60er Jahren, ist seine Qualität als „einziger Drehbuchautor von Rang im Neuen Deutschen Film“ durchaus erkannt worden, sein bekanntestes Buch ist das zu ROTE SONNE von Rudolf Thome. Da er sein Leben lang jedes Aufsehen um seine Person vermieden hat, ist die Todesmeldung allerdings kaum beachtet worden. Ganz anders als die von Klaus Lemke (dessen frühe Filme auch Zihlmann-Credits hatten) oder Jean-Luc Godard oder zuletzt Jean-Marie Straub. Zihlmann-Lemke-Godard-Straub: Zwischen diesen 2022 gestorbenen Filmleuten gibt es viele offene und verdeckte Verbindungslinien (Münchner Gruppe, Nouvelle Vague), die man anhand eines Quadrupelnachrufs nachziehen müsste.

Sonst ist das Kinojahr weitgehend an mir vorbeigegangen. ELVIS, CRIMES OF THE FUTURE, SCHWEIGEND STEHT DER WALD, RIMINI, BLOND, TRIANGLE OF SADNESS, AMSTERDAM u.v.a.m. wollte ich mir unbedingt anschauen, aber hat irgendwie nicht geklappt. In einen bemerkenswerten Film bin ich mehr oder weniger aus Versehen geraten: ALINE – THE VOICE OF LOVE, ein Biopic, angelehnt an die Geschichte von Celine Dion, in dem die 57jährige französische Regisseurin Valérie Lemercier den Star von Anfang bis Ende selbst spielt, als Kind und Erwachsene, ohne Motion-Capture-Verfahren, sich als 14jährige nur ein bisschen kleiner macht und sonst geradlinig eine Aufstiegsgeschichte nachzeichnet, also augenscheinlich ganz konventionell, in den Details aber unerwartet skurril und überaus humorvoll inszeniert: eines der kuriosesten Biopics überhaupt.

  • Ulrich Mannes ist Autor und Redakteur der von uns sehr geschätzten Filmzeitschrift SigiGötz-Entertainment, die 2021 ihr 20-jähriges Bestehen feiern konnte. Ein Abonnement (4 Ausgaben) kostet schlanke 16 Euro, bringt echtes Herzblut ins Haus. – Die Nummer 38 ist rechtzeitig vor Weihnachten erschienen, Papiermangel verhindert aber noch den Druck für Postabonennten.


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