Geschrieben am 1. Februar 2022 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2022

Bodo V. Hechelhammer: Porträt OSS 117

Dem Agenten des Anti-Zeitgeistes auf der Spur 

Über OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika und den Autor Jean Bruce – von Bodo V. Hechelhammer

Anders als im echten Leben sind in der Spionageliteratur Agenten leicht durch ihre Nummern zu identifizieren. Der britische James Bond führt die 007 und die 18, die trägt der deutsche Bob Urban, unser Mister Dynamit. OSS 117 ist die interne Code-Bezeichnung für Hubert Bonisseur de la Bath, einen in den USA geborenen Agenten französischer Abstammung, der für verschiedene amerikanische Geheimdienste arbeitete, zunächst für das Office of Strategic Services (OSS), dann für die Central Intelligence Agency (CIA) und schließlich für den National Security Council (NSC). Der fiktive Spion wurde vom französischen Schriftsteller Jean Bruce (1921 – 1963), ein Pseudonym für Jean Alexandre Brochet, bereits 1949 erschaffen, also vier Jahre bevor Ian Fleming seinen britischen Kollegen James Bond mit Casino Royal das Licht der Welt erblicken ließ. Und wer weiß, vielleicht wurde Fleming sogar bei der Idee zu 007 durch die 117 beeinflusst, schließlich sprach Fleming Französisch und besuchte häufig Frankreich.

Bei Pidax 2021: Kassette mit 5 OSS 117-Filmen aus den 1960ern vom Macher der Fantômas-Reihe

Jean Bruce kam in der Loire-Region zur Welt. Seine Eltern betrieben ein Restaurant. Nach seinem Schulabschluss arbeitete er für die Stadtverwaltung, war fahrender Schauspieler und machte einen Pilotenschein. Dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Bruce diente in der Luftwaffe und schloss sich nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht der Résistance an. Im Zuge der Befreiung Lyons im September 1944, einem Mittelpunkt des französischen Widerstandes, will er den deutschstämmigen OSS-Agenten William Leonard Langer (1896 – 1977) kennen gelernt haben, der Ausgangspunkt für OSS 117 sein soll. Langer, der im Ersten Weltkrieg in Frankreich gekämpft hatte, verfasste eine grundlegende Studie über das besetzte Frankreich, welche 1947 unter dem Titel Our Vichy Gamble erschien. 1941 wurde er stellvertretender Leiter, dann Chef der Research and Analysis Branch im Office of the Coordinator of Information (COI), das ab 1942 OSS hieß. Nach dem Krieg baute er bis 1952 die Länderauswertung der CIA auf, wirkte als Professor an der Harvard-Universität und beriet ab 1961 amerikanische Präsidenten. Zu seinen Zeiten beim OSS führte William L. Langer die Verwaltungsnummer 1117 und korrespondierte unter der Bezeichnung OSS 117. 

Nach Kriegsende probierte Jean Bruce sich in verschiedenen Berufen. Bruce besuchte zunächst die Ecole Nationale de la Police und begann für die Commission Internationale de Police Criminelle (CIPC) zu arbeiten, einer Vorgängerinstitution von Interpol. Doch nicht für lange blieb er der Polizei treu, verdingte sich als Juwelier und als Sekretär für einen Maharadscha. 1947 verließ er seine erste Frau und Mutter seines wenige Monate alten Sohnes François (* 1947) wegen seiner zweiten Ehefrau Josette Bruce (1920 – 1996), die von ihm mit seiner Tochter Martine (* 1947) schwanger war. Schließlich begann Bruce mit dem Schreiben von Kriminal- und Spionageromanen und veröffentlichte am 15. August 1949 seinen ersten OSS 117-Roman mit dem Titel, Tu parles d´une ingénue!, der 1956 unter dem Titel Ici OSS 117 im Verlag Fleuve Noir wiederveröffentlicht wurde. Agentengeschichten waren gefragt und der Erfolg stellte sich ein. Jean Bruce widmete sich von nun an dem Schreiben von Spionageromanen. Unter anderen Pseudonymen schrieb er zudem Geschichten anderer Genres. Nach seinen Erfahrungen im Krieg, der Besetzung Frankreichs durch die Nazis und den zahlreichen Kollaborateuren, ließ Bruce seinen Agenten aber nicht für Frankreich arbeiten, sondern für die USA, die er bewunderte.

Bis zu seinem tragischen Unfalltod Ende März 1963 nahe Paris, standesgemäß mit überhöhter Geschwindigkeit in einem Jaguar Mark II (registriert mit dem Nummernschild 117 HJ 60), verfasste Bruce knapp neunzig Romane über den Spion OSS 117. Aber seine umfassende Reihe starb nicht etwa mit ihm aus, ganz im Gegenteil. Nach seinem Tod wurde sie zunächst von seiner zweiter Ehefrau Josette fortgesetzt, die zwischen 1966 und 1985 weitere 143 Romane schrieb. Schließlich führten seine Kinder, François und Martine Bruce, die Geschichte mit 24 Büchern von 1987 bis 1992 weiter. Insgesamt umfasst die französischen Spionagereihe 255 Romane, von der inzwischen weit über 25 Millionen Exemplare verkauft worden sind. Von 1966 bis 1982 gab es sogar eine dreiundsiebzigbändige Comic-Adaption als Taschenbuch und auch zwei Theaterstücke um den Agenten 1955 und 1961, inszeniert von Robert Manuel (1916 – 1995), wurden aufgeführt. Die OSS 117-Reihe ist ein erfolgreiches »kleines« Familienunternehmen aus dem Hause Bruce.

Zwar ist die Spionagereihe um OSS 117 dienstälter als Ian Flemings 007. Allerdings schafften es die Romane von Jean Bruce erst im Zuge der erfolgreichen Bond-Verfilmungen ebenfalls auf die große Leinwand. Obgleich bereits 1956 mit N´ est pas mort (auf Deutsch Männer, Frauen und Gefahren) ein erster Versuch produziert wurde, der aber an die zeitgleichen Kinoerfolge von Eddie Constantine als Lemmy Caution anzuknüpfen versuchte, startete die Reihe erst im Jahr nach Ian Flemins Dr. No richtig durch. Von 1963 bis 1970 erschienen sieben weitere Spionagefilme mit OSS 117 im Kino, mit mehrfach unterschiedlichen Hauptdarstellern. Danach empfahl sich Hubert Bonisseur de la Bath auf Französisch. Erst Jahrzehnte später feierte er seine Wiederindienstnahme, in einer gänzlich neuen Interpretation. Ein Agentenfilm als farce française.

2006 erschien mit OSS 117 – Der Spion, der sich liebte eine Neufassung des Spionagestoffs als Parodie. OSS 117 arbeitete nun, losgelöst vom Original, erstmals für den französischen Geheimdienst, den Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionnage (SDECE). Auch wurde die Hauptfigur nicht länger ernst genommen, sondern als selbstsüchtigen, sexistisch und ignoranten Agenten durch den französischen Kakao gezogen. La grande Nation überzeichnet im Kleinen. Die Handlung von OSS 117: Le Caire nid d´espions, so der Originaltitel, war im Jahr 1955 angesiedelt, kurz vor der Suezkrise in Ägypten. Da über zwei Millionen Zuschauer in Frankreich den Film sehen wollten, kam drei Jahre später mit OSS 117 – Er selbst ist sich genug (OSS 117: Rio ne répond plus) ein weiteres Abenteuer in die Lichtspielhäuser. Diesmal ein Jahrzehnt später im Jahr 1967 und in Brasilien spielend, durchaus auch als Huldigung an Jean-Paul Belmondos Abenteuer in Rio von 1964 angelegt. OSS 117 wurde 2006 und 2009 kongenial verkörpert durch den französischen Schauspieler Jean Dujardin, unter der Regie von Michel Hazanavicius. Beide zusammen feierten 2011 ihren internationalen Durchbruch mit der Stummfilm-Hommage The Artist und gewannen jeweils einen Oscar. Für die OSS 117-Drehbücher zeichnete sich neben dem Regisseur auch Jean-François Halin verantwortlich. Unter Spionagefilm-Liebhabern haben sich in Frankreich die beiden Folgen schnell zu Kultfilmen entwickelt.

In Deutschland schafften es die zwei Spionagefilme mit dem besonderen französischen Esprit noch nicht einmal in die regulären Kinos. Erst 2009 wurden sie auf DVD herausgebracht, wobei Oliver Kalkofe das gelungene Dialogdrehbuch mitschrieb und den Hauptdarsteller sprach. Eine mehr als gute Wahl, mit viel Liebe fürs Detail und das Genre. Und im Sommer 2021 wurde schließlich mit OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika (im Original OSS 117: Alerte rouge en Afrique noire) zwölf Jahre nach dem letzten Auftrag der dritte Teil herausgebracht, nachdem dieser mehrfach verschoben werden musste. Erneut übernahm die Hauptrolle Jean Dujardin, ebenso wie Halin sich für das doppelbodige Skript verantwortlich zeigte. Regie führte diesmal jedoch Nicolas Bedos. Mitte Juli wurde die Agentenkomödie zum Abschluss bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt und lief am 4. August in den französischen Kinos an. In Deutschland wurde er wiederum nur als DVD am 9. Dezember veröffentlicht. Wenigstens konnten zahlreiche OSS 117-Fans interaktiv im Netz die Deutschlandpremiere zusammen mit Oliver Kalkofe und Frank Schaff, verantwortlich für das Synchronbuch und die Dialogregie, feiern.

OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika spielt im Jahr 1981. Das konservative Frankreich blickt ängstlich auf die Präsidentenwahl, bei dem der Sozialist François Mitterand kandidiert. Die schwarze Elite sieht rot, den der Kommunismus strebt offenbar damit die Weltherrschaft an – weshalb die Originalübersetzung Roter Alarm in Schwarzafrika passender gewesen wäre – und versucht wenigsten die alten Kolonien politisch zu retten. Denn der aus gutem Kolonialholz geschnitzte OSS 117 wird in Afrika eingesetzt, um in dem von Frankreich unterstützten fiktiven Staat Françafrique den dortigen Präsidenten im Kampf gegen kommunistische Rebellen zu unterstützen. Er selbst erhält Unterstützung von seinem jungen Kollegen OSS 1001, der ihn zunächst einmal im Außeneinsatz ersetzt. OSS 117 ist ein veraltetes Auslaufmodell mit antiquierten Ansichten und Methoden. Im Innendienst muss er sich leidvoll mit dem neuartigen Computer auseinandersetzen und im Keller des Geheimdienstes die Digitalisierung voranbringen. Die Höchststrafe für field agents. Doch dann verschwindet sein junger Kollege im Einsatz und OSS 117 reist selbst auf den schwarzen Kontinent, um ihn aufzuspüren und die Rebellion gegen den mit Frankreich befreundeten Diktator zu stoppen. Hierbei legt Hubert Bonisseur de la Bath dauerhaft seine fachliche Inkompetenz, kulturelle Ignoranz und Arroganz auf allen Gebieten an den Tag, auch wenn er am Ende mit seinen Bestrebungen irgendwie Erfolg hat. So bezieht er etwa landesspezifische Informationen schon einmal durch Lektüre von Hergés Tintin au Congo. Fremdscham ist hierbei der Schlüssel zum Humor. Am Ende erblickt auch sein junger Kollege, der OSS 117 einst glühend verehrte, wie sehr die Kompetenzfassade der Geheimdienstlegende bröckelt. Doch Geheimdienste leben von ihrer aufgebauten Legende.

Die Neuinterpretation des OSS 117-Themas funktioniert als reine James-Bond-Parodie, die manchmal sogar mehr in der französischen Tradition von Inspector Clousseau gesehen werden sollte, und entfernt sich damit von der eigentlichen Intention des Originals. Die Agentengeschichten von Jean Bruce waren bitterernst gemeint. Was schade ist. Doch zum Glück werden andere Stärken dadurch an den Tag gelegt. Während die Bond-Filme inzwischen politisch korrekt glattgebügelt und durch und durch gegendert sind, agiert OSS 117 bewusst homophob, rassistisch und frauenfeindlich. Was 007 heutzutage nicht mehr denken, sagen und tuen darf, lebt die französische 117 in vollen Zügen aus. Er ist der selbstsüchtige Agent des Anti-Zeitgeistes. Kolleginnen werden selbstverständlich mit einem Klaps auf dem Hintern begrüßt, die Vorstellung von Frauen in politischen Ämtern wird belächelt und Afrikaner können optisch nicht auseinandergehalten werden. Jean Dujardin brilliert in der Rolle, Defizite einfach hämisch wegzulächeln. Was absolut notwendig ist, etwa in der Selbstreflexion eines in die Jahre gekommenen Gockels, der nicht mehr so richtig seinen Mann bei den Frauen stehen kann. Breschen werden in den Dschungel des chauvinistischen Zotenkolonialismus geschlagen. Den Filmemachern wird dies dadurch möglich, dass ihre Geschichte in den Achtzigerjahren spielt. Die Gnade der frühen Geburt hilft. Dank dieser Zeitfolie unter dem Baldachin der Trikolore gelingt es, durch parodistische Überzeichnung aufzuzeigen, welch gesellschaftlich-politischer Geist in der guten-alten-Zeit nicht nur in Frankreich, sondern auch bei uns wehte und wo noch heute Defizite bestehen. Denn die Agenten-Parodie erscheint zwar als Satire auf das letzte Kalte-Kriegs-Jahrzehnt, funktioniert aber auch als Lackmustest unserer Zeit. Und da Frankreich zum entscheidenden Maßstab für alles in der Welt stilisiert wird, stellt der Film unterschwellig auch noch den überzogenen Nationalwahn richtigerweise an den cineastischen Pranger. Doch das hinterlässt wiederum einen bitteren Beigeschmack. Denn dieses politische Motiv ist leider alles andere als antiquiert. 

OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika ist eine kurzweilige Spionagepersiflage mit gewissen Längen, die zudem leider nicht an die Klasse der beiden vorangegangenen Teile heranreicht. Dennoch unterhält der Film kolossal, nicht nur durch die feinen Dialoge, sondern gerade durch sein liebevolles Zeitkolorit, durch zahlreiche Details und Anspielungen, die man nicht unbedingt beim ersten Anschauen entdeckt.  Man kann OSS 117 also ruhig mehrfach schauen und dazu etwas Trinken, vielleicht einen geschüttelten Martini, eine Flasche Grappa auf ex oder doch gleich eine Kiste Weinbrand. Darauf einen Dujardin.

Bodo V. Hechelhammers Buch „Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe – Agent in sieben Geheimdiensten“ von Alf Mayer hier besprochen. Seine Texte bei uns hier. Unter anderem ein großes Interview mit Oliver Kalkofe: SchleFaZ bedeutet Liebe und eines mit Oliver Hilmes zu dessen Buch „Das Verschwinden des Dr. Mühe. Zuletzt war er im Agentenfilm-Genre für uns auf den Spuren von … „Serenade für zwei Spione“ (1965) …

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