Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, Special Thomas Wörtche

Klaus Kamberger, Dietrich Leder, Conny Lösch, Monika Lustig

Klaus Kamberger: König der Polemik

Schreibt ihm ins Stammbuch, was alle anderen wohl auch lobend tun werden: wieviel er doch weiß, um was alles er sich verdient gemacht hat, welche Ausblicke er zu öffnen wusste,  etc. pp.

Aber was ich darüber hinaus immer bis zum Vollrausch genossen habe, das ist sein umwerfendes Talent zur, wenn sonst nix mehr nützt, fundamentalen Polemik!

Weiter so, mein Lieber!  

Klaus Kamberger

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Dietrich Leder: Izzo, Ben Harper, Hard Bop, „The Innocent Criminals“ und manch andere Verknüpfungen des Lebens

Thomas Wörtche, der dieser Tage 70 Jahre alt wird, kenne ich nicht persönlich. Wir saßen zwar einmal zusammen auf einem Podium, aber zu mehr als einer Begrüßung reichte die Zeit nicht. Wenn ich mich dennoch im Kreis der Gratulanten zu Wort melde, dann weil ich ihm einiges zu verdanken habe.

Das kann ich am besten erläutern, indem ich eine Lektüresituation beschreibe: Es muss im Sommer 2001 gewesen sein, als ich im Urlaub an der holländischen Nordseeküste einen Kriminalroman las und folgendes geschah: Im Roman „Solea“ von Jean-Claude Izzo, der damals gerade als dritter Band um den Marseiller Kriminalkommissar Fabio Montale im Zürcher Unionsverlag erschienen war, hört der Protagonist, der mittlerweile aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist und nun als Privatdetektiv arbeitet, nach etwa zwei Drittel der Erzählung bei einer Gruppe junger Aktivisten, die ihm bei einem Computerproblem helfen, Musik. Zunächst von einer Platte, die Duke Ellington und John Coltrane 1962 zusammen aufnahmen. Was ihm gefällt: „Ein Juwel“, denkt Fabio Montale, der ja in den Romanen von Izzo als Ich-Erzähler fungiert. Später erklingt eine andere Musik, die ihm weniger gefällt. Er wird aufgeklärt, es handele sich um eine CD des amerikanischen Singer-Songwriters Ben Harper. „Den kannte ich nicht, aber was soll’s, sagte ich mir, ich werd’s ertragen.“ (Die Übersetzung aus dem Französischen stammt von Katarina Grän und Ronald Voullié.)

In dem anregenden Register zu „Fabio Montales Musik“, das auf der Internetseite des Unionverlags zu finden ist, schreibt Autor Stephan Güss zu dieser Passage: „Ben Harper kennt Fabio Montale nicht. Schade, denn er ist ein großer Gitarrist, den sich z.B. John Lee Hooker immer wieder als Verstärkung geholt hat. Die CD mit dem Titel Welcome To The Cruel World (Virgin 1994) hätte Montale sicher gefallen.“ Da bin ich mir nicht so sicher. Mit Rock-Musik hat es Montale in den Romane weniger als mit dem Cool oder Modern Jazz. So stammen beispielsweise die Titel von Miles Davis, die Montale in den drei Romanen hört, allein aus der Phase Ende der 1950er, Anfang der 1960er-Jahre, als der Trompeter gegen den Cool-Jazz musikalisch etwas entwickelte, was manche Hard Bop nennen. Noch verschwendete Davis keinen Gedanken auf eine Fusion von Rock und Jazz, der er sich dann ab 1968 widmete. Der Titel des dritten Romans „Solea“ stammt denn auch von Miles Davis, der das Stück auf seinem Album „Sketches of Spain“ 1960 einspielte. Komponiert hat es Gil Evans, der als Arrangeur hier zum dritten Mal mit dem Trompeter zusammenarbeitete.

Warum erzähle ich das so umständlich? Weil der Zufall es wollte, dass genau in dem Moment, als ich die zitierte Passage mit Ben Harper las, auf dem mitgenommenen CD-Player eine Platte dieses Musikers und seiner Band lief, die den für Kriminalromane passenden Namen „The Innocent Criminals“ trägt. Es handelte sich um die Doppel-CD „Live from Mars“, die in diesem Jahr erschienen war. Ich hatte sie gekauft, weil mir – was mir bei CDs anders als früher bei Langspielplatten nur selten widerfuhr – das dunkle Cover gefallen hatte. Diesen Kauf hatte ich nicht bereut, so war in diesen Urlaubstagen die CD schon mehrfach gelaufen; meiner Frau gefiel die Live-Aufnahmen der zweiten CD besser, bei denen Ben Harper solo mit akustischer Gitarre aufgetreten war, als die laute E-Gitarren-Stücke – darunter auch eine Cover-VCersion von „Whole Lotta Love“ – der ersten, während meinem 17-jährigen Sohn, der uns für ein Wochenende besuchte, auffiel, dass bei der Aufnahme von „Steal my Kissses“ Nick Rich und Rahzel mit Beatboxing zu hören waren.

Ben Harper und seine vielseitige Musik, zu der Aufnahmen mit dem Gesangsquintett „The Blind Boys of Alabama“ ebenso gehören wie Einspielungen mit dem weißen Bluesmusiker Charlie Musselwhite oder eine Folkplatte mit seiner Mutter Ellen Harper, begleiten mich bis heute seit diesem schönen Sommer, der wenige Tage später am 11. September ein jähes Ende fand.

Aber ebenso begleitet mich seitdem Thomas Wörtche, der damals für den Unionsverlag das Krimi-Programm, das unter dem Label „metro“ erschien, verantwortete. Das war mir bekannt, weil auf der ersten Innenseite des ersten Izzo-Bandes mit dem Titel „Total Cheops“ zu lesen stand: „UT metro wird herausgegeben von Thomas Wörtche“. (Izzo war zum Zeitpunkt meiner Lektüre bereits seit anderthalb Jahren tot; den großen Erfolg seiner Romane in der Schweiz und in Deutschland hat er vermutlich nicht mehr erlebt.)

Unter dem Kürzel T.W. steuerte Wörtche dort auch das Nachwort bei, das den Autor Jean-Claude Izzo vorstellt. Dort steht der schöne Satz „Gerade weil die Fabio-Montale-Romane »nur« Kriminalromane sein wollen, sind sie mehr oder anderes als »nur« Kriminalromane.“ Dieser Satz – das verstand ich später – drückt so etwas wie ein Credo von Thomas Wörtche aus. Näheres dazu kann man seiner empfehlenswerten Essay-Sammlung „Penser Polar“, die 2015 im Polar-Verlag in Hamburg erschien, entnehmen. Es ist ein Credo, dem er sich als Herausgeber – erst beim Unionsverlag, später beim Suhrkamp-Verlag –, aber auch als Kritiker und Chronist verpflichtet hat. Und das nun mich einlud, seinen Ratschlägen in literarischen Dingen zu folgen.

Nicht immer war ich so begeistert wie bei den drei Fabio-Montale-Romanen von Izzo oder bei den vielen Polizei-Romanen von Garry Disher, den Wörtche ja mit „Drachenmann“ 2001 für den Unionverlag entdeckt hatte. Dishers Romane, zu denen ja auch die Reihe um den Gangster Wyatt bei Pulp Master gehört, begleiten seitdem wie die Platten von Ben Harper mein Leben. Dass Thomas Wörtche und ich nicht immer einer Meinung sind, ist selbstverständlich. Aber wenn er beispielsweise etwas über Ross Thomas schreibt, spricht er mir aus dem Herzen.  

Als mich Alf Mayer, der mich 1978 als Redakteur der verdienstvollen Monatszeitschrift „medium“ (bitte nicht mit der gleichlautenden „Fachzeitschrift für Journalisten“, die erstmals erschien, als jene eingestellt wurde) für meinem ersten Artikel-Auftrag engagiert hatte, eines Tages frug, ob ich nicht etwas zu CrimeMag beitragen wolle, wusste ich noch nicht, dass hier Thomas Wörtche nicht nur mit dabei war, sondern dieses Internetmagazin einst mitbegründet hatte. Nun schreiben wir beide für dieses Magazin, und einmal sogar ohne Absprache über dasselbe Thema wie bei der Netflix-Serie „Ripley“. Und fast jedem seiner Texte verdanke ich neue Hinweise und Anregungen. Wenn das nicht eine Verpflichtung für das ist, mit dem dieser Geburtstagsgruß endet: Ad multos annos!

Dietrich Leder

Anm. D. Red.: Seine Kolumne Dietrich Leder seziert Crime im TV umfasst mittlerweile 25 Folgen, zuletzt: »Eric« bei Netflix bei uns hier. Über die Netflix-Serie „Ripley“ schrieben er und Thomas Wörtche bei uns je einen Beitrag.

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Conny Lösch: Arbeit mit Dumbledore

Thomas Wörtche ist der Dumbledore der Kriminalliteratur. Wenn allen anderen die Ideen ausgehen, zaubert er lässig die größten Knaller aus dem Hut. Wahrscheinlich gibt es in der Kriminalliteratur nichts, das er nicht kennt. Er liebt seine Klassiker und scheut sich trotzdem nicht davor, alle Regeln dieser Kunst in die Tonne zu treten, um Neues auszuprobieren.

Experimente? Ja, bitte. Einer muss es tun und er tut es gerne, mit sicherem Gespür für große Erfolge und ohne Angst vor Flops. Zerschossene Zeitpläne, zerfranste Korrekturen, zähe Verhandlungen, ihn bringt so schnell nichts aus der Ruhe.

Lieber Thomas, es ist mir immer wieder ein großes Vergnügen, mit dir zu arbeiten! Hab einen tollen Geburtstag, lass dich feiern und mach immer weiter!

Deine Conny Lösch

Anm. d. Red.: … hat rund ein Dutzend von TW herausgegebene Bücher übersetzt, darunter Lavie Tidhar „Maror“, Sara Gran „Das Buch der kostbaren Substanz“, Stephen Greenall „Winter Traffic“.

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Monika Lustig: 2. August 2024 …. Du Löwe im Löwengewand

Lieber Thomas, Auguri, Auguroni di Cuore, zu Erklimmung der Spitzenzahl, die sich vielleicht noch eine Spur zu spitzig anfühlt. Doch glaub mir – danach verläuft der Fluss gelassen breit, in unbezwingbarer Ebene.

Vielfach, vielerorts sind wir uns in den Jahrzehnten begegnet, vieles haben wir einander erzählt. Am Schönsten und Beeindruckendsten fand ich, aus der Ferne, sprich im Netz, an deinem Gesicht zu beobachten, wie die Liebe dich überkommen hatte. Und dann hast du sie mir vorgestellt, in carne e ossa, deine Anna! Weiterer Worte braucht’s wohl nicht. Glück pur auf allen deinen Wegen!

Monika Lustig
Edition ConVerso

Von TW aus diesem Verlag besprochene Bücher, z.B.:
Thomas Wörtche findet bei Fabio Stassi »Die Seele aller Zufälle«
TW über den Roman „Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher“ von Antoine Volodine
Im Leichenberg 02/2021 über Leonardo Sciascia „Ein Sizilianer von festen P
rinzipien“

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