Wunderbar fetzige Musik auf hohem Niveau
Was wissen wir über die 110te Straße in Manhattan? Richtig, mitten in Spanish Harlem und manchmal auch Tito-Puente Boulevard genannt. Dort nistet folgerichtig das Spanish Harlem Orchestra, kurz SHO genannt, und spielt seine so wunderbar schubladenzernichtende Musik. Salsa dura, meinethalben, ChaChaCha, Latin Jazz, Latin Swing … auf jeden Falle alle traditionellen Stile aus New York, die mittlerweile von den diversen Designersounds für ein globales Publikum poptauglich nivelliert oder auch ent-semantisiert worden sind.
Das gilt umsomehr für die explizit politische Salsa dura, die seit den Zeiten von Willie Colón, Hector Levoe oder Ruben Bladés höchstens noch von Wayne Gorbea hochgehalten wurde. Ruben Bladés war, zumindest in den europäischen Perspektive, spätestens seit seinem Panama-Wahlkampf von der Bildfläche verschwunden. Jetzt ist er wieder da – in einem mittlerweile traditionellen Umfeld, das sich zwar als Antwort New Yorks auf den Buena Vista Social Club versteht, aber ohne deren folkloristischen Talmi-Charme keine Marketing-Chance haben wird. Dafür knallt das SHO aber wunderbar fetzige Musik auf hohem Niveau aus den Lautsprechern, Mario Bauzá hätte an den wuchtigen, aber virtuosen Bläsersätzen seine Freude gehabt, und ein Gigant an der Posaune, Jimmy Bosch, müsste gerade einen Ruben Bladés an seiner Idee zweifeln lassen, damals die Salsa-Posaunen durch Synthi-Fidelwipp ersetzt zu haben. Denn die Trompeten und Posaunen sowie Leader Oscar Hernandez` grandioses Piano-Spiel zwischen Ostinato und Virtuosität geben dem SHO eine Swing-Qualität, die den typischen Salsa-drive noch verstärkt und regelrecht durch die Gehörgänge jagt.
Dazu kommt eine New York-typische Straßenhärte, ein metallener, knallharter Sound, der eben nicht „karibische Nächte con dämlichen Drinks mit dämlichen Schirmchen“ sagt, sondern Stadt, Hitze, Kälte, Asphalt – Harlem. Eine wunderbare Produktion.
Thomas Wörtche
Spanish Harlem Orchestra feat. Ruben Bladés: Across 110 St. Rykodisc (PR)CD 10682
