Geschrieben am 3. Juni 2018 von für Litmag, News, TABUMAG

Wolfgang Franßen: Anything goes

Bild: Christian Rudolf Noffke

 

Wolfgang Franßen: Anything goes

Tabus sind allenfalls etwas für gerümpfte Nase, Flüstern hinter vorgehaltener Hand. Tabus sind das Glanzstück der Empörung für die gehobene Gesellschaft und beruhen auf Absprachen, was gedacht, getan werden darf. Ich persönlich finde Tabus gut. An ihnen kann man sich reiben, sich gegen sie auflehnen, vor allem verraten sie viel über jene, die sie aufstellen und pflegen. Tabus üben einen unsäglichen Reiz aus, gegen sie verstoßen zu wollen.

Es gibt also genügend Gründe, dem Tabubruch im Kriminalroman nachzuspüren. Einige werden behaupten, es gab nie welche, da das Genre ja gerade dazu aufruft, sich darüber hinwegzusetzen, den Regelverstoß zu begehen, dem Abseitigen Raum zu verschaffen. Andere werden darauf verweisen: Dass es da einen Hammett gab, der das Verbrechen auf die Straße zurückholte, wo es seiner Meinung nach hingehörte. Statt im Aufklärungskreis am Ende eines Agatha-Christie-Krimis der unschlagbaren Logik ausgeliefert zu sein, damit der Gerechtigkeit zuschlagen kann. Ab mit den Mördern, den Perversen, den Verführten ins Gefängnis. Oder besser gleich erschossen, wenn sie sich nicht freiwillig das Leben nehmen.

Da gab es aber auch Maj Sjöwall, Per Wahlöö, die es wagten, die Frage nach den ungelösten Krisen in der Gesellschaft zu stellen, sie zu brandmarken, sich selbst zu radikalisieren. Schließlich einen Jean-Patrick Manchette, bei dem im Néo-Polar nicht die Aufklärung eines Verbrechens, vielmehr die Opfer, die Täter im Mittelpunkt standen. Ganz zu schweigen von der in den letzten Jahrzehnten einsetzenden Hatz nach der abscheulichsten Gräueltat, mit der sich viel Umsatz erzielen lässt. Wie Trüffelschweine sind Autorinnen und Autoren seitdem auf der Suche nach dem letzten Tabu, aus dem sich eine Fernsehserie stricken lässt.

Das Tabu ist also zu einem Geschäftsmodell verkommen und wie vieles, was noch vor einem Jahrhundert als unüberwindlich erschien, zur Gleichgültigkeit herabgestuft worden. Die Skandale eines Egon Schiele, die Hoppla-da-sind-wir-Attitüde des 1970er-Regietheaters ist in die Jahre gekommen. Museal im Wunsch nach eigener Bedeutsamkeit ertrunken. Lasst uns doch in Blut und Sex baden, statt feinsinnig die Nase zu rümpfen.

Was bleibt dem Krimi also, wenn ihm der anrüchige Antipode fehlt? Dass er ironisch gebrochen, sich über die alten Vorbilder lustig macht? Dass er ein, zwei Figuren so entwickelt, dass wir alle glauben, sie in der Form noch nie gelesen zu haben? Dass wir in andere Länder ausweichen, um mehr über deren Kultur und noch bestehende Tabus zu erfahren?

Wer oder was gebietet oder verbietet noch? Abseits wirtschaftlicher Eckdaten, der Absicherung politischer Korrektheit. In welche verstohlene Ecke müssen sich Autorinnen wie Autoren verziehen, um den Hauch des Verst0ßes zu zelebrieren, der sich nicht dem kleinkarierten Konsens unterwirft. Anything goes, heißt es doch. Aber wenn, dann bitteschön recht unterhaltsam und absurd.

Was wir nicht zu denken und nicht auszusprechen vermögen, verwandelt das Wort Tabu heutzutage lediglich in einen Kitzel, sodass wir uns auf die Suche nach der Verletzung des Herkömmlichen begeben, um ein wenig in Spannung versetzt zu werden.

Das Schweigen über etwas, das Ausgrenzen von etwas, das Anprangern dient lediglich dem Shitstorm. Je hysterischer er auftritt, desto länger hält er sich. Also … denken wir nicht längst wieder in Tabus? Den korrekten? Denen, denen der Glamour fehlt? Reden wir uns nicht ein, gegen solche zu verstoßen, um wenigstens einen kleinen Push zu verspüren? Wie weit kann ich gehen, Falsches sagen, schreiben? Muss das Genre Krimi nicht gerade die Ränder der Renitenz ausloten, statt sich in eigener Patina zu suhlen? Wo ist das Subversive abgeblieben?

Was vor vielen Jahrzehnten sich in der Oberschicht manifestierte, die das Tabu durch einen strengen Regelkodex zu behaupten wusste, um sich abzugrenzen, ist nun der Social-Media-Verdacht aufgekommen. Wer mobbt gerade wen, ist aber wirklich kein handlungstreibendes Element des Krimis. Eher etwas für eine eifersüchtige Nachbarschaft, womit wir wieder bei Agatha-Christies-Teerunde angekommen sind.

Autorinnen und Autoren, die nicht angreifbar sind, weil sie Schreibschulen entspringen, die ihnen Marktmechanismen beibringen, sind langweilig. Bloß keinen Verdacht erregen, wir könnten in den Strudel geraten, uns erklären zu müssen. Verlage, die Tabus scheuen, ergeben sich scheinheiligen Spannungsfeldern, auf denen sich in Sicherheit gewogen wird. Zielgruppenforschung ist wichtiger als der Tabubruch. Das, was als korrekt angesehen wird, muss nicht hinterfragt werden.

Es ist an der Zeit, unkorrekt zu sein. Damit die andere Seite sich wieder berufen fühlt, Tabus auszurufen, sich und ihresgleichen zu schützen. Sie müssen die Nase rümpfen, wenn sie einen Krimi lesen, sie müssen die Augen verdrehen, auf E und U beharren, um ihre heile Welt abschotten zu können.

Her mit den Tabus, wir fressen sie direkt!

 

Wolfgang Franßen arbeitete über zwanzig Jahre als Theaterregisseur, bevor er 2014 den Polar Verlag gründete. Er ist Herausgeber des Onlinemagazins Polar Gazette und Veranstalter der Talk Noir. Veröffentlichte in Polar Verlag bislang in Deutschland unbekannte Autoren wie Ray Banks, Estelle Surbranche, Christian Roux, Jon Bassoff, Jérémie Guez und startet im Herbst die Reihe Deutscher Polar.

 

 

 

 

 

 

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