Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, Special Thomas Wörtche, Thomas Wörtche

Wolfgang Brylla, Anke Carolin Burger, Jürgen Bürger, Günther Butkus, Edition Nautilus/ Katharina Picandet

Wolfgang Brylla: Mordi et orbi

Ist jemand auf verbalen Krawall aus, der sollte es versuchen, Thomas mit „Krimi-Papst“ anzusprechen. Den religiösen Vergleich hört er nicht so gerne, denn das Päpstliche hat schon was mit diktatorisch-ideologischer Brechstange-Rhetorik zu tun. Thomas ist auf keinen Fall ein orthodoxer Eremit, der auf Teufel komm raus seine Weltsicht (auf die Kriminalliteratur) durchzusetzen beabsichtigt. Auf der Mainstream-Welle mit zu schwimmen, ist seine Sache nicht. Seine Meinung verteidigt er argumentativ, kann austeilen, aber auch einstecken, hört immer zu. Dies alles mit dem Ziel, nicht nur für die Kriminalliteratur als Gattungsliteratur eine Lanze zu brechen, sondern dieselbe Kriminalliteratur in den (w)irrenden Wissenschaftsköpfen als Literatur zu etablieren.

Jeder, der sich mit crime fiction unterschiedlicher Couleur beschäftigt, kennt Thomas Wörtche. Er kennt ihn meistens aus dem Feuilleton, aus seinen Literaturkritiken, Buchbesprechungen oder Interviews. Auch ich lernte ihn so kennen. Was mich – außer seinem Fachwissen – beeindruckt hatte, war die Art und Weise der sprachlichen Vermittlung. Als wahrer Wortjongleur ist Thomas imstande, das Schwer-Ausdr­ückbare mithilfe bestimmter stilistischer Mittel auszudrücken. Zu seinem Artikulationswaffenarsenal gehört vor allem die unfassbare Sprachironie. Die Lektüre von „Das Mörderische neben dem Leben“ mündete bei mir in einem nie enden wollenden Lachanfall, als er zwischen den Zeilen Grass als Populärautor titulierte, was bei dem einen oder anderen hartgesottenen und am Literaturkanon (what is this?) h­ängenden Literaturwissenschaftler wohl für Kopfschütteln sorgte. Mit der sprachlichen Lockerheit kann Thomas so Inhalte, Bemerkungen, Einschätzungen etc. kolportieren, die sich tief ins Gedächtnis einbrennen. Ob sie stimmen oder auch nicht, darüber lässt sich streiten. Darüber kann man diskutieren und für Diskussionen ist Thomas jederzeit offen. Nur zu, let’s do it.

Vor ein paar Jahren schrieb ich ihn an und wusste nicht, ob die Mail-Adresse die richtige ist und ob er mir überhaupt antwortet. Er tat’s und so entstand ein langer Briefwechsel (sagt man zur digitalen Korrespondenz eigentlich Briefwechsel?), im Anschluss musste es zu einem analogen Treffen kommen. Und dann kam er: freundlich, sympathisch, witzig, spitzfindig. Eins störte mich jedoch: Thomas raucht nicht, er vapt, und hinterlässt eine milde Wolke. Der Rebell mit einer E-Zigarette? Ja, weil es den Anschein hat, als würde Thomas mit diesem aromatischen Dunst gegen das unliebsame Weiß-Rauch-Papst-Image ankämpfen wollen. Die anderen müssen es allerdings verstehen, statt das Talar-Etikett sinnlos und unreflektiert weiter zu verbreiten – ebenso wie man jahrzehntelang sinnlos und unreflektiert diskreditierende Vorab-Äußerungen über die Kriminalliteratur verbreitet hatte.

Danke, Thomas. Danke für die Gespr­äche. Danke für Deinen Input, Deine Ratschläge, Deine Hilfsbereitschaft, Deinen Einsatz im Dienste des literarischen Verbrechens.

Danke für Deinen erhellenden Vape-Dampf. Dein Wolfgang.

– Wolfgang Bryllas Texte bei uns hier.

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Dieses Mal andersherum: TW und Anke Carolin Burger am Unionsstand © Archiv Unionsverlag

Anke Carolin Burger: Eine Blume für Thomas Wörtche zum 70.

Nach zähen Anfangsbemühungen als Literaturübersetzerin bei Goldmann et al. war es eine wunderbare Überraschung, als sich Thomas Wörtche kurz vor der Jahrtausendwende bei mir meldete und mir einen der ersten Titel in seiner neuen Krimireihe beim Unionsverlag Zürich anvertrauen wollte: Helen Zahavi mit ihrem rotzigen Donna und der Fettsack. Nicht nur Zahavi brachte Bewegung in mein Leben, sondern besonders das ebenfalls 2000 beim Unionverlag erschienene Manila Bay von William Marshall: Stinkfrüchte, Kampfhähne und eine Wieland-Übersetzerehrung. Ich war Thomas Wörtche so derartig dankbar, dass ich ihn als Redner für die Preisverleihung zu verpflichten versuchte, was er aber aus „mädchenhygienischen Gründen“ ablehnte.

            Als Wörtche dann seine neue Krimireihe für den Suhrkamp Verlag startete, bedachte er mich wieder mit einem grandiosen Übersetzungsauftrag: Den ersten drei Büchern der jungen Australierin Candice Fox, Hades, Eden und Fall, die besonders in Australien, aber auch in Deutschland einschlagen sollten wie eine Bombe. Ich war fasziniert von der brutalen, befremdlichen Phantasie der passionierten Tierretterin Candice Fox (echter Name!) und suchte sie in Sydney, Australien, auf. Mit enormer Großzügigkeit zeigte Candice mir einen Tag lang die Bucht, in der in Hades die erste, ihrer Organe beraubte Leiche in einer Kiste aufgefunden wird, stellte mich ihrer Mutter und deren Tätowiererin vor und fuhr mich durch die atemberaubende Landschaft rund um Sydney.

And the rest is history, as they say … Thanks for everything, lieber Thomas, congrats and a long life!

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Auch Chris Salter, amerikanischer Künstler und Leiter des Immersive Arts Space Zürich, gratuliert sehr herzlich.

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Anm. d. Red.: Siehe zu Candice Fox auch das WDR-Interview von Ulrich Noller „Warum Candice?“ mit Thomas Wörtche in diesem Special und „Sydney, rabenschwarz„, den Besuch von Alf Mayer im Frühjahr 2016 bei Candice Fox in Sydney, samt Interview. 2003 erhielt Anke Caroline Burger den Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis für ihre im Zürcher Unionsverlag erschienene Übersetzung des Romans „Manila Bay“ des australischen Autors William Marshall. Siehe auch von TW: William Marshall, Das Lachen, Ein Albtraum.

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Jürgen Bürger: Fahrstuhl, aber kein Schaffott

Ein großer Berg gute Literatur und dazu viel gute Musik – das ist es, was ich über die Jahre immer wieder durch Thomas entdeckt habe. Zum Geburtstag wünsche ich ihm das Beste und, ja, einen guten Soundtrack bei der Entdeckung neuer Erzählungen, neuer Autoren. Ich bin sehr gespannt auf das, was die nächsten Jahrzehnte von ihm kommt.

Wenn ich mir Musik dazu vorstelle, dann „Blue in Green“ von Miles Davis oder auch das Album „Ascenseur pour l’échafaud“, aber das ist zu hoffnungslos, morbid, pessimistisch für einen Geburtstag, auch wenn Thomas es offenbar sehr mag.

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Günther Butkus: Keep on booking

Was ist ein guter Krimi und warum ist er es? Hat der Autor sich sein Krimiuniversum erlesen, weiß er, was ihn geprägt hat oder ahnt er es? Was wurde alles schon geschrieben, bevor dieser Krimi geschrieben wurde, hier bei uns oder in Korea oder Portugal oder hinterm Deich? Was für Krimis entstehen heute und welche werden noch geschrieben werden? Wohin geht die Reise und wie das alles einordnen, Ordnung schaffen. Wer das kann, hat nicht nur einen guten Kompass, nein, er kennt die Krimiwelt mehr als gut, trägt sozusagen eine ganze Krimibibliothek in seinem Kopf herum. Das fällt einem nicht einfach so zu. Da begegnen sich gleichermaßen Faszination und Wissenschaft, Fleiß und Liebhaberei, Kennerschaft und Entdeckerfreude, da werden Autoren gefordert und gefördert, Türen geöffnet und Menschen zusammengebracht.

Lieber Thomas, Du hast viel bewegt und wirst es noch tun. Und all die kriminellen Autoren und Leser danken es Dir sehr!

Günther Butkus, Pendragon Verlag

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Edition Nautilus/ Katharina Picandet: … enzyklisch, nein enzyklopädisch

Thomas Wörtche… der Name fiel schon in meinen Anfangsjahren bei der Edition Nautilus vor über 20 Jahren oft und stets mit großer Hochachtung. Dass die Diminutiv-Nachsilbe im Namen also im größtmöglichen Gegensatz zum Gewicht seines Wortes (hier: seines Urteils über jedweden Kriminalroman) stand, wusste ich schon, bevor ich ihn kennenlernte. Dieser Eindruck wurde noch im Übrigen noch verstärkt, als Tobias Gohlis das ihm von Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt angetragene Prädikat „Krimi-Papst“ einmal bescheiden zurückwies mit der Erläuterung, er selbst sei höchstens Kardinal, der Papst sei doch Thomas Wörtche. 

Bei allen folgenden Plaudereien auf der Messe und bei anderen Gelegenheiten hat der Heilige Vater sich natürlich immer sehr freundlich und nahbar gezeigt, aber mir ist noch gut in Erinnerung, wie ich einmal mit seinem enzyklopädischen (fast bin ich versucht zu schreiben: enzyklischen) Wissen in Berührung und dabei auch ordentlich ins Schwitzen kam, nämlich als ich 2018 bei einer Lesereise unseres Krimi-Autors Jérôme Leroy mit dessen Politthriller „Die Verdunkelten“ ein Gespräch zwischen ihm und Thomas in der Buchhandlung Miss Marple in Berlin dolmetschen sollte. In beide Richtungen, für das deutschsprachige Publikum und für den (nur) französischsprachigen Autor. Ich kannte das französische Original des Buchs, ich kannte die deutsche Übersetzung, beides auch vom Vorgänger „Der Block“; ich wusste, was einen realen Hintergrund hat und was literarische Erfindung ist, ich war auf Fragen zu politischen Zusammenhängen vokabelmäßig gut vorbereitet. Wirklich. Doch im folgenden angeregten, schnellen, pointenreichen Gespräch zwischen diesen beiden Granden wurde mir meine bedauernswert bescheidene Kenntnis der internationalen Kriminalliteratur so derart unter die Nase gerieben, dass es heute noch schmerzt: Die Namen und Anspielungen flogen hin und her, und ich konnte sie nur phonetisch notieren, mit fliegendem Stift in ad hoc erfundener Kurzschrift, und beim Sprechen anschließend dezent vernuscheln, damit es nicht so auffiel, in der Hoffnung, dass das sicherlich viel belesenere Publikum schon erkennen würde, was gemeint ist.

Natürlich hat Thomas das gemerkt, aber zu meinem Glück nur mit einem Grinsen quittiert. Dafür bin ich heute noch dankbar, und gratuliere sehr herzlich zum Geburtstag.   

Katharina Picandet, Edition Nautilus, Lektorat / Rechte & Lizenzen

Anm. d. Red.: In einem ungewöhnlich offenen Aufruf zur Hilfe in einer gegenwärtigen Notlage hat sich der Verlag in diesen Tagen an Öffentlichkeit gewandt. Verbreiten Sie diesen Unterstützungsaufruf gerne unter Freundinnen und Freundinnen – und helfen Sie, wenn es Ihnen möglich ist.

Siehe auch: Thomas Wörtche liest „Planet ohne Visum“ von Jean Malaquais (der großen Veröffentlichungen des Verlags aus letzter Zeit): Einer der großen Romane des 20. Jahrhunderts

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