Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, Special Thomas Wörtche, Thomas Wörtche

Susan Madsen, Sally McCrane, Kolja Mensing, Torsten Meinicke, Marcus Müntefering

Susan Madsen: Thomas Wörtche zum 70. Geburtstag 

Wir taumeln durch das Leben. 
Halb taub. Halb blind. 
Doch hören wir. Sehen wir. Eben. 
Auf der halben Suche nach dem Sinn. 

Darum lass dir, ums Verrecken, das salzige, bittere, süße Leben im Ganzen schmecken. 

Anm.d. Red.: Bei Folge 9 sind inzwischen bei uns ihre Anschau-Abenteuer. Aber Susan Madsen fotografiert nicht nur, sie hat jetzt auch begonnen, uns Geschichten aus ihrer Kindheit zu erzählen. Wahre Geschichten. Natürlich: 10 wahre Geschichten (1)

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Sally McCrane: Marching to his own drummer

I looked up Thomas Woertche’s email address and wrote him to thank him for writing a review of my spy novel. He wrote back, and a few months later, I heard an incredible radio voice talking about the book, on the radio. I couldn’t believe it — how cool was this?

Of course I always wanted to be a writer, since I was a small girl. As it turns out, as an adult, it’s pretty hard to write a novel. Not to mention, get it published, and then who knows if anyone will read it or review it or like it at all. So hearing this resonant deep voice talking about the book was pretty wonderful.

I met Thomas Woertche for coffee a few weeks after that, on a gray just-post pandemic early afternoon in Mitte. Of course as a person living in the world I worry about the relevance and ongoing existence of books. But as soon as I spotted Thomas I felt better. Here was a person who marches steadily to his own drummer and whoever that drummer is, is lucky. In this case, crime novels.

I left the meeting feeling hopeful and positive, like even if one impending day everyone who wants to imbibe a story is just going to order a movie on demand starring their favorite Hollywood star morphed into a unicorn having a space adventure, and a computer program  instantaneously produces it, for now novels have a knight in shining armour. Thank goodness.

Wishing you a very happy birthday, Thomas! 

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Kolja Mensing: Kritik der fiesen Vernunft

Ich kenne Thomas vor allem als Kritiker. Als Redakteur von Deutschlandfunk Kultur darf ich seit dreizehn Jahren seine Krimi-Rezensionen begleiten. Ein Wort, das er in seinen Texten und am Mikrofon oft und gern benutzt, habe ich dabei noch einmal neu zu schätzen gelernt: „fies‟.

Zunächst hat das Adjektiv ja etwas leicht Anachronistisches. Zu meiner Teenagerzeit war „fies‟ noch ziemlich in Mode. Bedeutungswörterbücher helfen da nicht richtig weiter, aber 1985 oder 1987 musste man niemandem erklären, was hier mitschwang: „Fies‟ bezog sich klar auf eine Gemeinheit, ließ aber nicht nur Empörung, Entrüstung, Widerwillen, Verletztheit und Wutbereitschaft anklingen, sondern zielte nebenbei auf die im Kern des attribuierten Gegenstands arbeitende Boshaftigkeit – und brachte ihr zugleich Respekt entgegen: „Echt fies‟ war damals auch ein Kompliment und Ausdruck eines diebischen Vergnügens.

Thomas muss dieses „fies‟ früh aus dem Jargon in sein literaturkritisches Vokabular übernommen haben, um sich für seinen Kampf gegen eines der größeren Missverständnisse rund um das Genre des Kriminalromans zu bewaffnen: die metaphysische Überhöhung des „Bösen‟. Die Versuchung scheint ja bis heute groß, in einer besonders abschreckend gezeichneten Täterfigur „das personifizierte Böse‟ zu erkennen oder hinter einem außerordentlich grausamen Verbrechen etwas „unvorstellbar Böses‟ zu vermuten. Zumindest tauchen solchen Formulierungen immer wieder auf, wenn über Krimis gesprochen oder geschrieben wird. Thomas hält das, glaube ich, für Quatsch. Zumindest mag er keine Krimis, die diese Lesart allzu offensichtlich anbieten. Wer  ihm gegenüber zum Beispiel mal „Das Schweigen der Lämmer‟ von Thomas Harris erwähnt hat, weiß, was ich meine.

Thomas interessieren als Kritiker halt viel mehr die fiesen Krimis, also die Krimis, die gerade nicht auf das vermeintlich jenseits unserer Vorstellungskraft liegende „Böse‟ zielen, sondern auf die boshafte Prozessualität der Wirklichkeit verweisen. „Fies‟ kann in diesem Sinne gern ein konkretes Verbrechen sein. „Echt fies‟ sind in den von Thomas geschätzten Kriminalromanen aber der Kapitalismus, die Familie, das Gefängnis, die Kirche, die Polizei, die Moral, das Ministerium, die Dienste, das Geld, das Syndikat, die Ehe, die Regierung.

Thomas’ Methode würde ich darum gern so formulieren: Aufgabe der Kritik ist es den Grad zu ermitteln, mit dem ein Kriminalroman das Fiese einer gegebenen gesellschaftlichen Struktur herausarbeitet und analysiert – und zugleich dem diebischen Vergnügen, das auf allen Ebenen damit einhergeht, gebührend Respekt zu zollen. Im Radiostudio hält Thomas dafür übrigens in ganz besonderen Fällen so ein kleines, fieses Lachen bereit. Das mag ich sehr.

Kolja Mensing

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Torsten Meinicke: Eigentlich muss man TW hassen

Zumindest als umsatzorientierter Buchhändler, der erwartungsvoll am Freitagmorgen vor dem Radiogerät sitzt, um eine verkaufsfördernde Eloge auf den höchsten Neueinsteiger der Krimibestenliste zu hören. Doch dann das: Auftritt TW. Nix mit Lobpreisung. Stattdessen wird genuschelt und geräuspert, Literaturtheorie ausgepackt und Genrekritik geübt. Man muss TW schon sehr gut kennen, um zu erahnen, dass er das besprochene Buch wirklich gut findet. Aber wer draußen am Äther (sagt man das noch so?) kennt TW schon sehr gut? Der umsatzorientierte Buchhändler, mittlerweile leicht verzweifelt, sehnt sich nach den verkaufsfördernden Blurbs eines Elmar Krekeler oder der unverhohlenen Kaufempfehlung, charmant und kenntnisreich vorgetragen von Sonja Hartl. Nein, ein Marktschreier ist TW nicht. Spielstand 0:1.

Aber eigentlich muss man TW natürlich lieben, auch und gerade als umsatzorientierter Buchhändler. Denn nur ihm ist es zu verdanken, dass ich bei dem Wort „metro“ noch heute weder an einen Großhändler am Rhein, noch an ein Verkehrsmittel der Stadt an der Seine denke, sondern an eine legendäre Krimireihe, ersonnen am Ufer der Limmat von eben diesem TW. Jean-Claude Izzos „Total Cheops“ wurde im Buchladen Osterstraße zum meistverkauften Buch des Jahres 2001. Leonardo Padura war 2004 im Buchladen zu Gast und las aus „Ein perfektes Leben“. Qualität und Umsatz im Krimiregal des Buchladens. Folglich Spielstand jetzt 1:1.

Einst wurde im Hause Suhrkamp beschlossen, neben Hochliteratur und Wissenschaft künftig auch Kriminalliteratur zu verlegen. So was Triviales kann ja jeder schreiben und verlegen (ja, Herr Begley, auch Sie sind gemeint!). Der krimi-affine Buchhändler war sehr skeptisch und das aus gutem Grund. Doch dann der Transfer-Coup: TW wechselt (ablösefrei?) nach Berlin. Nicht zur Hertha, nein, zu Suhrkamp. Die „Holding Six“ für das Krimiprogramm, er hält uns den Laden zusammen, bespielt das ganze Feld und sieht die offenen Räume. Ein echter Königstransfer.

Danke sagt der qualitätsbesessene und umsatzorientierte Buchhändler für Autoren wie James Kestrel, Lavie Tidhar und Alan Carter. Um nur ein paar zu nennen. Endstand also 2:1 für TW. Wie Spanien. Und TW ist Rodri. MVP. Glückwunsch dazu. Und natürlich auch zum Geburtstag!

Torsten Meinicke (Buchladen in der Osterstraße, Hamburg) – Torsten Meinicke ist regelmäßg bei uns im CrimeMag an der monatlichen „Schatzsuche“ beteiligt.

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Marcus Müntefering: Nathan who?

Auf ein Wörtchen, lieber Thomas.

Dass Krimi (oder Grimmi) so viel mehr sein kann als spannend (oder so), wusste ich natürlich schon lange, bevor wir uns kennenlernten. Wie viel mehr das ein kann, habe ich durch dich erfahren. Durch deine kontroversen (und manchmal komplexen, manchmal auch unnötig komplizierten) Kritiken, durch die vielen großartigen Romane von Nathan Larson (who?) bis James Kestrel.

Danke dafür und natürlich nur gute Bücher zum Geburtstag!

Marcus

– seine Texte bei uns hier.

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