Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, Special Thomas Wörtche, Thomas Wörtche

Rainer Nitsche & Gudrun Fröba, Andrea Noack, Ulrich Noller, Regina Nössler

07_2024 © Hartmut Andryzuk/ Hybriden-Verlag für Thomas Wörtche zum 70.

Betr.: Geheimoperation  TW »Papa di crimine« Fiera del libro,  Francoforte Ottobre 2024

Venerdi, Freitag, 18.10. 2024

10 Uhr: Ankunft Sänfte und Sänftenträger Halle 3.0. Danach Weihe der Sänfte und der Sänftenträger durch Bamberger Erzbischof

10.30 Hotel Frankfurter Hof: Einkleiden des Würdenträgers (weiße Soutane mit 70 goldenen Knöpfen, weißer Pileolus, weiße Handschuhe, goldene Kette mit Hackebeilchen).

11 Uhr Eintreffen des Würdenträgers Halle 3.0. Begrüßung durch Buchmessendirektor und Oberbürgermeister FFM. Einweisung des Würdenträgers in die Kunst des spontanen Winkens (Claudia Roth)

11.30 Transport der Sänfte inkl. Würdenträger zu Halle 3.1. (Fahrstuhl)

11.35, Halle 3.1. Reihe A ; Beginn des feierlichen Defilees der Sänfte mit Würdenträger durch die Reihen der Halle 3.1. Würdenträger winkt und lächelt (entsprechend der Einweisung durch C. R.). Vor den Verlagsständen stehen Verlegerinnen und Verleger, winken zurück,  rufen »BRAVO, THOMAS« oder werfen Blumensträuße in die Sänfte (wie angewiesen ohne Vasen). Kurze Stops und small talks vor Ständen ausgewählter Verlage (wie z.B. TRANSIT).

15.30 Sänfte, Würdenträger und Blumensträuße werden zum Eingang Halle 3.0 transportiert (Fahrstuhl).

15.35 Rückfahrt zum Frankfurter Hof. Empfang deutscher Kleinverlage für den Würdenträger, der seine päpstliche Kopfbedeckung ablegt und endlich seine Sturmfrisur zeigt. Üppiges Buffet nach Ideen von Jean Paul, finanziert von deutschen Großverlagen.

2.30 Abschlussständchen der Kleinverlage (Vorlage Giuseppe Verdi): »Tommaso,  amiamo te«. Letzte Umarmungen. Bettruhe.:

Geheime Grüße,
Gudrun Fröba und Rainer Nitsche, :transit Verlag

TW-Besprechung dieses Buchs in unserer Juli-Ausgabe: Jean Paul häppchenweise. Ein Buch, das glücklich macht.

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Regina Nössler: Thomas Wörtche, zum Löwengeburtstag mit einer 0

Ich habe dieses Jahr selbst einen runden Geburtstag (Sternzeichen Löwe wie du, angeblich haben wir ja keinen wirklich guten Charakter), den ich, Stand jetzt, Juli, nach Möglichkeit eher ignorieren, zumindest nicht besonders wichtig nehmen werde. Ich weiß nicht, wie du es damit hältst. Nicht beachten? Groß feiern? Meine letzte kleinere Lebenskrise anlässlich eines solchen Datums liegt schon lange zurück. Es war der dreißigste. Bei der Party zu meinem Dreißigsten waren alle ungefähr in meinem Alter und klagten über genau diesen runden Geburtstag. Ich auch, denn ich hatte damals mein Studium noch nicht beendet und fand das mit dreißig ziemlich schlimm, „noch nicht erwachsen“ usw. Eine Freundin auf jener Party war irgendwann genervt von uns Jammernden und sagte: Ich kann’s echt nicht mehr hören, hattet ihr mit zehn eigentlich auch schon eine Lebenskrise?

Lieber Thomas, ich GENIESSE alle deine Beiträge zu unserem Genre, jeden, den ich zu lesen oder zu hören bekomme (und ich muss gestehen, dass ich auch die zu meinen eigenen Büchern sehr mag – manchmal habe ich das Gefühl, als hättest du mir beim Schreiben zugesehen, mehr noch, als hättest du geradewegs in meinen Kopf geguckt).

Mit jemandem wie dir fühlt man sich absolut aufgehoben und wohl und zu Hause in der Krimiwelt und außerdem reich beschenkt.

Also, bitte unbedingt weiter mit so viel geballter Klugheit!

Regina Nössler

Anm. d. Red.: Siehe auch den Leichenberg 12/2017 von TW in unserer Textauswahl hier nebenan.

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Ulrich Noller: Eine Verneigung

Mensch, Thomas!

Es sind ja Bilder wie die hier unten, die mir im Hirn haften. Und in der Seele. Oft genug, aber natürlich viel zu selten … Freundschaft!! Plus: Chester Himes, Garry Disher, Jean-Claude Izzo, Patricia Melo, Claudia Pineiro, Candice Fox, Johannes Groschupf, Tade Thompson, Jacob Ross, Yasmin Angoe, James Kestrel, Lavie Tidhar und, und, und – um nur pars pro toto ein paar von so vielen zu nennen, alles in allem bald ne Bücherwand voll.

„Das Mörderische neben dem Leben“ – Du hast mein halbes Leseleben zugeballert und reich, reicher, am reichsten gemacht: Inspiration! Innovation! Abenteuer! Entdeckung! Wörtche!

Keep on rolling, bitte GENAU SO weiter – Meister!! 🙂

Ulrich Noller

Anm. d. Red.: Siehe auch die WDR-Interviews von Ulrich Noller „Warum Candice Fox?“ zum Start der von TW herausgegebenen Reihe bei Suhrkamp sowie das Grundsatzgespräch „Es gibt keinen unschuldigen Kriminalroman“ – beide hier in diesem Special dokumentiert. Seine Texte und Interviews bei uns hier, zuletzt: Gnade und Kriminalliteratur. Nachdenken über ein Genre.

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Andrea Noack: Über TW, nicht nur in Konstanz

TW hat das literaturwissenschaftliche Feuer in mir entfacht.

Es war irgendwann im Herbst 1978. Die Caféteria der Uni Konstanz war brechend voll, nur an einem Vierertisch, ziemlich weit vorne, saß ein ebenso wichtig wie sympathisch aussehender Mensch mit Brille, allein.

Ich hätte mich nie getraut, doch es war eine Person bei mir, die diesen wichtigen Menschen kannte und gefragt hat, ob wir uns dazu setzen dürfen. Das war Heinke Köppen aus meinem Französisch-Übersetzungs-Grundkurs. Sie war schon kurz vor dem Examen,  brauchte jedoch diesen lästigen Schein noch. Deshalb lernte ich bereits nach wenigen Wochen meines Studiums Thomas Wörtche kennen.

Eingangsbereich der Uni Konstanz mit dem unvergesslichen Farbenspiel

So gelangte ich als blutiges Erstsemester in eine Truppe kluger und ehrgeiziger Literatur- und Philosophiestudenten, sogenannter Einser-Kandidaten, die bereits ihre Magister-Arbeiten anvisierten und bedeutende Diskussionsbeiträge in erhabenen Kolloquien zum Besten gaben.

In diesem Kreis tummelten sich Petra Gerster, Petra Eggers, Martin Seel, Heinke Köppen, Peter Borchardt, Barbara Vinken, Rüdiger Welter, Thomas Rentsch… wer noch? Ich müsste TW fragen! Junge Menschen, die damals noch alles vor sich hatten und heute bekannte Persönlichkeiten sind. Einige von ihnen weilen schon nicht mehr unter uns.

Konstanz war damals the place to be, wenn es um Literaturwissenschaft ging. Alles, was Rang und Namen hatte, gab sich dort die Klinke in die Hand. Viele, die später Professuren in ganz Deutschland hatten, waren zu der Zeit Doktoranden oder Dozenten. Doch von diesem ehrenvollen Umstand hatte ich zunächst keine Ahnung, denn ich hatte mir Konstanz nicht wegen der Koryphäen in der Literaturwissenschaft ausgesucht, sondern weil mein damaliger Freund und ich eine schöne Wohnung im Stadtteil Paradies günstig von dessen Bruder übernehmen konnten. Drei-Zimmer Altbau, Erker mit bunten Bleiglasfenstern, 75 qm, 4. OG, Toilette im Treppenhaus, zweihundertfünfzig Mark.

Das Glasdach über dem Foyer von Otto Piene (1970)

TW hat mir in einem Wort erklärt, worum es in unserem Studium geht:

„Lesen. Du musst nur lesen, lesen, lesen.“

Das brauchte er mir nicht zwei Mal zu sagen, denn meine Lesesucht war ohnehin der Grund, warum ich das Fach gewählt hatte.

Uni Konstanz, Blick aus der Mensa

TW weihte mich in die eine oder andere Personalie im Fachbereich ein, von der ich als Erstsemester sonst nie erfahren hätte.

TW empfahl mir einen bestimmten Dozenten. Leider erhielt dieser später einen Ruf nach Erlangen, sodass ich mein Examen bei einem anderen machen musste. Es war Theodor Verweyen. Sein Seminar über „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ war meine literaturwissenschaftliche Initiation. Verweyens „Hiwi“ war übrigens jene Heinke Köppen, so schließt sich der Kreis.

TW hat mir vorgelebt, was Qualität ist. Das ist vielleicht sogar der Hauptgrund, warum auch mich ziemlich schnell der Ehrgeiz packte.

TW wusste, welche Sekundärtexte man unbedingt kennen muss und welche man sich getrost sparen kann.

In der Konstanzer Literaturwissenschaft machte seinerzeit die dort gelehrte Rezeptionsästhetik Furore.

Gebaute Reform, Hirmer 2016

Es war immer eine Freude, TW in der Caféteria zu treffen. Und immer eine kleine Enttäuschung, wenn er mal nicht da war.

Heute kann ich es ja gestehen: Ich war schon ein bisschen verliebt in ihn. Leider waren wir beide damals anderweitig vergeben, sonst… wer weiß? Das nur am Rande und in aller Unschuld.

Mit TW konnte ich mich richtig gut unterhalten. Wir haben viel gelacht. Gleiches Horoskop, nur zwei Tage auseinander, das passte. Die vier Jahre Altersunterschied fielen nicht ins Gewicht.

Schon damals hatte TW eine Schwäche für (gute) Kriminalromane und Jazz. Letztere konnte ich nicht teilen, aber seine Regalwand mit Schallplatten hat mich nachhaltig beeindruckt.

Wir sprachen über Wilhelm Meister und natürlich über den guten Jean Paul. Über Gargantua und Baudelaire. Über Flaubert. Über Verweyen und den Roman. Über Preisendanz und Humor in der Literatur. Über die Leute an der Uni. Ich beende die Liste hier, denn selbst für das CulturMag würde sie zu lang.

In der Konstanzer Literaturwissenschaft machte seinerzeit die dort gelehrte Rezeptionsästhetik Furore.

Von TW habe ich gelernt, dass anspruchsvolle Literatur nicht langweilig sein muss. Sondern unterhaltsam, spannend, ja sogar ein Pageturner sein kann. Nur dass wir damals den Begriff noch nicht verwendeten.

Trotz seiner Lichtjahre umfassenden Überlegenheit, was die Kenntnis literarischer Werke angeht, hat TW mich nie spüren lassen, dass ich noch nicht mal die Zwischenprüfung abgelegt hatte.

TW hat sogar während der Semesterferien unsere Blumen gegossen. Und als wir uns spontan entschlossen, nach Ost-Berlin zu fahren, suchte er in unserer Wohnung unsere Reisepässe, steckte sie in einen Umschlag, klebte eine Briefmarke drauf und warf ihn in den Briefkasten, damit wir es auch machen konnten. You remember: DDR, Transit usw.

Überhaupt, diese Bodenständigkeit. Nie abgehoben, trotz seines immensen Wissens.

Paradiesgasse mit Blick auf die Lutherkirche in der Konstanzer Altstadt

TW und seine innere Bibliothek. Phänomenal. Ganze Hochhäuser wären längst eingestürzt, wäre sie aus Papier.

Mittlerweile ist noch fast ein halbes Jahrhundert Lektüre dazu gekommen. Vermutlich gelangen nur ganz, ganz wenige Ausnahmemenschen in die Nähe einer vergleichbaren – mehrsprachigen! – Belesenheit, und wenn es sie überhaupt gibt, versammeln sie sich wahrscheinlich hier beim CulturMag.

Irgendwann folgte TW Theodor Verweyen nach Erlangen, sodass wir uns aus den Augen verloren. Ich kam zurück aus einem Auslandssemester – und er war nicht mehr da, unser Tisch von anderen besetzt.

Heute unvorstellbar: Eine Welt ohne E-Mail, Messenger und Soziale Medien.

Unsere Wege bewegten sich auch inhaltlich auseinander: TW blieb der Literatur treu – welches Glück für uns und den Kriminalroman! Ich landete in der Werbung.

TW ist der Grund, warum ich Mark Zuckerberg (sonst gar nicht mein Freund) dankbar bin, denn ohne Facebook hätten wir uns vielleicht niemals wieder getroffen.

TW ist verantwortlich dafür, dass ich meine Begeisterung für die Literatur wieder- und die für das Schreiben neu entdeckt habe.

Ohne TW hätte ich mich nie getraut, „Die Bestie schläft“ zu veröffentlichen. Ich wollte kein austauschbares Alkoholikerbuch schreiben, sondern etwas Literarisches.

TW hat mich dazu ermutigt. Er war der Erste „Offizielle“ außerhalb der Familie, der das Manuskript gelesen hat.

Eine paar Jahre lang haben wir es geschafft, uns wenigstens einmal im Jahr während der Frankfurter Buchmesse zu treffen. Dann kam Covid, ich bin wieder ins Business abgebogen und hatte keine Zeit mehr für die Buchmesse.

Ein paar Jahre lang war die Frankfurter Buchmesse regelmäßiger Treffpunkt mit TW

Ich kann nicht glauben, dass unsere erste Begegnung 46 Jahre her sein soll.

Dass TW am 02. August 2024 siebzig Jahre alt wird, kann gar nicht sein.

Lieber Tom, es ist wunderbar und eine große Ehre für mich, Dich zu kennen und dies hier schreiben zu dürfen. Mein Leben wäre ärmer ohne Dich. Du bist mein unverrückbarer literarischer Außenposten und felsenfester Garant dafür, dass ich immer die coolsten Bücher lesen kann.

Immer wieder bin ich begeistert von Deinen Besprechungen. Und natürlich von der Krimi-Edition bei Suhrkamp. Schon jetzt ärgere ich mich, dass ich die gedruckten Bände nicht von Anfang an gesammelt habe. Auch wenn Du es nicht mitbekommst: Ich habe die meisten davon gelesen. Als E-Books.

Wir sind uns eigentlich immer einig, ganz gleich, ob es um Crime Fiction, Jean Paul, Virginie Despentes, eine Netflix-Serie oder die neue Übersetzung von Flauberts Éducation geht. Nur würde ich weder von selbst darauf kommen noch könnte ich es so brillant formulieren.

Es ist schön, mit Dir in Verbindung zu sein und von Deinem Leben und Deinem kompromisslosen Einsatz für herausragende Literatur etwas mitzubekommen, wenn auch über weite Strecken nur digital und manchmal nur als Like unter einem Link.

Bitte werde ein rüstiger Hundertjähriger und ergötze uns noch viele Jahre mit Deinen sensationellen, wortreichen, phantasievollen, kreativen, inspirierenden, die Lust am Fabulieren und Freude am Lesen feiernden, stets maximale Qualität atmenden Kritiken, bei denen jedes Wort sitzt.

Ich wünsche Dir von Herzen alles Liebe und Gute zu diesem unfassbaren Jubeltag!

Andrea Noack

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