Geschrieben am 1. November 2020 von für Crimemag, CrimeMag November 2020

Robert Rescue zur Serie „Der Krieg der Welten“

Vermutlich wird am Ende nicht gerüttelt

Mir steht der Sinn nach einer dystopischen Serie. Irgendwas mit einer Katastrophe, einer entvölkerten Erde, mit Leichenbergen auf den Straßen, leeren Autobahnen, friedvollen Landschaften mit harmonisch eingebetteten Leichen und einer Bedrohung, gegen die sich die Überlebenden zur Wehr setzen müssen. Infrage käme da eine Zombieserie, aber die ist mir zu realistisch.

Ich stoße auf die amerikanisch-französische Koproduktion „Krieg der Welten“ von 2019, díe gefühlt hundertste Verfilmung von H.G. Wells berühmten Roman „War of the Worlds“. Leider ist das Ende da schon bekannt und es ist anzunehmen, dass die Drehbuchautoren daran auch nicht rütteln werden – die Außerirdischen stehen vor dem Sieg, wollen diesen auskosten, wagen sich aus dem Schutz ihrer Raumschiffe und werden von irdischen Bakterien dahingerafft, weil ihr Immunsystem daran nicht angepasst ist.

Eine andere Adaption, das von Tim Burton gedrehte Spektakel Mars Attacks, bot eine erfrischende Form des Scheiterns der Invasionspläne. Ein furchtbarer Country-Song führte dazu, dass den Aliens die Schädel platzten. Mal sehen, vielleicht haben sich die Macher von Krieg der Welten 2019 etwas ähnlich amüsantes einfallen lassen.

Wenn Europäer, und speziell Franzosen in einer internationalen Koproduktion mitmischen, dann ist vor allem mit eines zu rechnen – Charakterentwicklung, und das raumgreifend über 8 Folgen der vorerst einzigen Staffel. Eine rein amerikanische Produktion, mit atemberaubenden Spezialeffekten und einer Handvoll muskelbepackten Elitekriegern, die oberkörperfrei und mit einem Zahnstocher im Mund die verdammten Aliens zur Hölle schicken, wäre mir lieber.

Die Außerirdischen kommen diesmal nicht vom Mars. Der Mars löst keine Angst mehr aus. Dort lebt niemand, dort gibt es nur Staub, großartige Gebirgspanoramen, die Überreste gescheiterter Expeditionssonden und den Mars Rover, der seit acht Jahren in einem riesigen Krater hin und her fährt und ab und zu Selfies von sich macht und zur Erde funkt. 

Es geht um den Exoplaneten Ross 128 b, etwa 11 Lichtjahre entfernt. Der ist vermutlich erdähnlich, vermutlich felsig und hat vermutlich eine Temperaturspanne von -60 bis 20 Grad, also in etwa das Spektrum von Sibirien früher und Wanne-Eickel im Sommer. 

Vermutlich ist es dort aber total langweilig, weshalb die Aliens eine aufgefangene „Wir wollen mit euch allen, die das hören können, Freude sein“-Botschaft als Anlass nehmen, die Erde zu besuchen, um sich dort niederzulassen, allerdings nicht in Lagern oder Vorstadt-Slums, sondern da, wo die eigentlichen Bewohner hausen und die müssen natürlich weg.

Geschosse landen überall auf der Erde, mal in Städten, mal mitten auf Äckern und graben sich halb ein. Die Amerikaner ballern mit allem drauf, was sie haben, aber die Hülle ist Alien-Stahl und hält stand. Die Geschosse richten kaum Schäden an und haben die Serie über keine weitere Funktion, außer die entscheidende, dass sie kurz nach der Landung so ein elektromagnetisches oder sonst was Dings-Bums auslösen, dass alle Menschen tötet, die sich auf der Oberfläche befinden, egal ob in Wohnungen, Autos, Äckern oder auf Straßen. Überleben tun nur Stromabzähler, Omas, die Kartoffeln aus dem Keller holen wollten, Höhlenbewohner und Leute, die a.) das Problem geistesgegenwärtig erkennen und sich b.) in der Nähe einer Höhle, eines Kellers, eines leeren Tankwagens oder eines Atomschutzbunkers befinden, also Summa summarum wenige.

Die Überlebenden bekommen es kurz darauf mit Roboterhunden zu tun, die erstaunlicherweise Spot, dem Roboter-Köter der Firma Boston Dynamics, ähneln. Die Hunde laufen mit so einem blechernen Hydraulik-Geräusch durch die Gegend, beschießen die Überlebenden mit fiesen Schrapnell-Geschossen und wenn diese dann verletzt am Boden liegen, kommt aus dem Roboterhund-Quadratkopf ein Bolzen raus, der sich in die Schädel bohrt. Der Roboterhund Spot von Boston Dynamics wird bislang vom Publikum gemischt aufgenommen. Die einen finden ihn total süß und sind gespannt, was für tolle, süße Sachen er in Zukunft beherrscht, die anderen sehen den künftigen Begleiter vom Terminator vor sich und sind sicher, das Skynet gerade hochfährt. Wer die Serie Krieg der Welten gesehen hat, wird nur noch den Wunsch verspüren, seine Aktien von Boston Dynamics zu verkaufen, die Mitarbeiter aufzuknüpfen und Spot mit einer Atombombe zur Hölle zu schicken.

Zum ersten Mal im Jahr 1898 veröffentlicht

Jetzt zu den Überlebenden. Da gibt es den Neurowissenschaftler, der von seiner Frau getrennt lebt, die er aber aus höchster Not befreit. Diese fragwürdig wirkende „Investition“ macht sich aber bezahlt, denn seine Ex-Frau gehört zu den wenigen Überlebenden, die in der Lage sind, einen der Roboterhunde zu killen und das ohne jede Waffenkenntnis. Einfach mit der Knarre draufhalten, bis das Biest zur Hölle fährt, eine lebensnotwendige Handlungsweise, die vielen Charakteren gut getan hätte. 

Auf jeden Fall findet der Neurowissenschaftler bei der anschließenden Obduktion heraus, dass die Roboter von einem Gewebe gesteuert werden, also so einer labbrigen, großen Nervenbahn, die aussieht wie eine überdimensionale Zunge. 

Folgerichtig stellt er fest, dass er die Achillesferse der Viecher gefunden hat und würde diese Information gerne zur weiteren Verwendung jemandem zur Verfügung stellen, zum Beispiel einer Regierung, einer Armee oder einer hochgerüsteten Waffenschmiede, die ratzfatz aus der Nervenzunge eine Art Bio-Terminator züchtet, der die Aliens zur Hölle schickt. Nur blöd, dass es all das nicht gibt. Stattdessen transportiert er die Überreste des Viechs drei Episoden lang mit einem scheppernden Einkaufswagen durch Stadt und Land, wo bekanntlich die Roboterhunde Jagd auf Menschen machen. Der Zuschauer weiß Bescheid, diese Figur wird die Katastrophe überleben.

Dann gibt es den kleinen Trupp französischer Soldaten und die Astronomin im Observatorium in den französischen Alpen. Die Wissenschaftlerin hat seinerzeit die Botschaft ins All geschickt und ist damit Schuld an der ganzen Scheiße. Die Soldaten haben militärisch nichts drauf, vermutlich Funker oder Pioniere. Die Astronomin hat Probleme mit ihrer drogensüchtigen Schwester, die sie kurz vor dem elektromagnetischen Dings-Bums noch ins Observatorium lotsen wollte und der Oberst der Truppe steht vor einem Burn-out, weil er zu viel Schreckliches in seiner Laufbahn gesehen hat. Wen interessiert das? Aber die Franzosen haben sich gerade erst warmgelaufen und holen jetzt alles aus der Kiste „Charakterentwicklung und wie ich damit jeden Fluß einer Handlung blockiere“, was sie durch jahrelanges Studium von Arthouse-Filmen von Jean-Jacques Moulinex oder wie auch immer der heißt, gelernt haben.

Dann gibt es den Briten, der in Paris gestrandet ist und nach London will, um nach seiner Familie zu suchen. Die Lage um ihn herum ist hoffnungslos, aber er will trotzdem hunderte Kilometer durch Frankreich latschen, um anschließend durch den Eurotunnel die Insel zu erreichen, um schließlich ganz London abzusuchen, bis er seine Familie gefunden hat. Eigentlich sollte er sich angesichts der Hoffnungslosigkeit auf die Straße setzen, weinen und auf den Bolzenschuss warten. Er stößt auf seiner Reise auf eine junge Französin und später auf deren Bruder und ihren Sohn. Der Bruder hat sie im Alter von fünfzehn Jahren vergewaltigt und den Inzest-Sohn gezeugt, weshalb sie ein „gespanntes“ Verhältnis zu ihm hat. Ja, volles Rohr Charakterentwicklung und bloß kein Nachbarschaftsding oder die heiße Braut aus der Dorfkneipe, nein, gleich Inzest. 

Schlimm auch, dass der Sohn davon erfährt und dadurch auch ein „gespanntes“, besser gesagt „tödliches“ Verhältnis zu seinem Onkel bzw. Vater entwickelt. 

Jetzt ist das traute Familienglück endgültig im Arsch. 

Der Sohn ist übrigens der einzige Überlebende, der sich an der Oberfläche aufgehalten hat, was zeigt, dass sein verkorkstes Inzest-Leben doch einen Sinn haben mag, zumindest für die Aliens, die offenbar großes mit ihm vorhaben. Außerdem kann er die Aliens irgendwie hören, zumindest so eine Art „atmendes Brumm-Geräusch“. 

Der Junge klaut dem Briten ein Familienfoto, weil er von dessen Tochter fasziniert ist, in der er eine Seelenverwandte sieht. Der Brite ist übrigens nur der Stiefvater, was vermuten lässt, dass der Bruder der Französin, also ihr Vergewaltiger, auch irgendwo im Großraum London „aktiv“ gewesen ist. Vermutlich sind alle miteinander verwandt, was dann ausgiebig in Staffel 2 beleuchtet wird. Leider stellt sich raus, dass die Zukunft des Inzest-Jungen vermutlich doch nicht rosig ausfällt. Der Vater, also sein Onkel, leidet nämlich an Muskelschwund, was er wahrscheinlich vererbt hat. Zumindest lässt die heftige Reaktion der Mutter, die sich bei Gelegenheit in einem verstaubten Medizin-Lexikon über Muskelschwund einliest, darauf schließen und der Zuschauer schlussfolgert aus ihrem entsetzten Gesichtsausdruck, dass sie es bereut, das Kind geboren zu haben. Wenn nicht gelegentlich mal ein Roboterhund mit seinem nervigen Hydraulik-Geräusch um die Ecke schauen würde, käme man sich vor wie in einem 8-Stunden-Film von Jean-Jacques Michelin oder wie der heißt.

Auftritt des blinden Teenager-Mädchens in London, dass die Stieftochter von dem Briten in Frankreich ist. Die hat also überlebt und irrt mit ihrer hysterischen Mutter und ihrem story-technisch unauffälligen Bruder durch London. Sie kann gelegentlich die Aliens irgendwie hören und erlangt dadurch wieder ihr Sehvermögen zurück, zumindest in Schwarz-Weiß. Der Zuschauer ahnt, sie hat das goldenen Ticket für die Fortsetzungsstaffel bereits gelöst.

War of the Worlds © Urban Myth Films

Zu der bunten Truppe gesellt sich ein Krankenhaus-Pfleger, der seine schwangere Freundin im Stich gelassen hat und ein Flüchtling aus Ghana, der auf ein bewegtes Leben als Kindersoldat zurückblicken kann und die Überfahrt von Frankreich nach England in einem leeren Tankwagen geschafft hat. 

Gemeinsam laufen sie durch die Straßen von London und das Mädchen und der Flüchtling werden ein Paar. Unterwegs sammeln sie noch den Neurowissenschaftler, der noch immer die Überreste des eliminierten Roboter-Hundes durch die Gegend scheppert und seine Frau ein.

Das Alien-Geräusch, das das blinde Mädchen und der Inzest-Junge hören können, wird immer fordernder. 

Das Mädchen wird bei einem Angriff von Roboterhunden auch nicht angegriffen, worüber sich alle wundern, auch die Frau vom Neurowissenschaftler, die es stattdessen erwischt. 

Die Ehefrau wird von der mäßig bekannten amerikanischen Schauspielerin Elisabeth McGovern gespielt, die vermutlich bei der Höhe des Honorars nachverhandeln wollte. 

Das blinde Mädchen kann die Aliens auch „spüren“ und weiß, dass sie Angst vor dem Tod haben. Warum sie zur augenscheinlichen Verdrängung ihrer Furcht eine andere Rasse fast ausgelöscht haben, bleibt ein Rätsel. Auf jeden Fall beschließt das Mädchen, die Aliens zu besuchen, um mit ihnen zu sprechen. Also so genau wird das nicht deutlich bei ihrem „Ich kann sie verstehen und habe Mitleid mit ihnen“-Gebrabbel, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie sich eine fette Wumme schnappen und die Aliens zur Hölle schicken wird. Endlich bekommt man die Hackfressen zu Gesicht, denkt sich der Zuschauer. Am Ende wird man aber enttäuscht. Die sehen genauso aus wie wir, haben aber zum einen Haarausfall und zum anderen offenbar COVID-19, zumindest der eine, den das blinde Mädchen dann trifft und der an einem Beatmungsgerät hängt. Wer weiß, vielleicht haben die Macher der Serie den alten Plot von H.G. Wells aufgegriffen und die Aliens sterben doch an Bakterien und/oder Viren? Diese Frage könnte Staffel 2 beantworten, bei der Wucht an Charakterentwicklung und dem Auftreten neuer Figuren und ihrer Probleme wohl erst Staffel 7. Der übliche Cliffhanger, der die Vorfreude auf die nächste Runde steigern soll: Der oder das Alien und das blinde Mädchen scheinen Kunde beim gleichen Tattoo-Studio zu sein …

Robert Rescue

Fußnote der Redaktion: Es war Halloween 1938, als Orson Welles die CBS-Radiohörer in den USA mit dem Hörspiel „The War of the Worlds“ nach H.G. Wells zutiefst erschreckte …

Robert Rescue bei uns auf CrimeMag
Zu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.