Geschrieben am 1. Juni 2024 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2024

Joachim Maass – Schatz aus der Exilliteratur

Das Unheimliche, nicht nur in der Literatur

Die titelgebende Geschichte trägt den Leser schnell weg von der Hektik der Gegenwart, wir sitzen im Zug nach Nebraska, der Doktor packt eine Whiskyflasche aus und beginnt zu erzählen. Schon mit den ersten Absätzen erzeugt der Autor eine Stimmung, in der Ruhe und Spannung wie in einem Stück klassischer Musik zusammenfinden. Man sieht aus dem Zugfenster das Steppengras und ein “Geblitz des Schnees”, und wie es sich für eine lange Bahnfahrt gehört hat, als Menschen noch miteinander gesprochen haben, folgt man dem Erzähler in die Präriestadt. Aus dem Nachwort erfährt man, dass diese Geschichte von großem Glück, das sich in Grauen verwandelt, auf einer realen Begebenheit basiert. Das Geschehen liegt lange zurück, das Unheimliche, der Ausbruch von Gewalt samt Bereitschaft zur Lynchjustiz sind eher zeitlos. Der Ton changiert zwischen nüchterner Beschreibung, Gefühl und Ahnung, zu spät hat der Vater auf eine innere Stimme gehört. Aber nicht allein der Inhalt, vor allem der Ton faszinieren: Maass schreibt in einer Sprache, die es nicht mehr gibt. Es gibt sie nicht mehr, weil Joachim Maass zu denen gehört, die aus der deutschen Geschichte vertrieben wurden.

Das Einzige, was man diesem Büchlein ankreiden könnte, ist, dass der Titel so tut, als enthielte er nur diese Erzählung über die Zugfahrt. Wer Joachim Maass ist, erfährt man im Nachwort von Andreas F. Kelletat, der auch als Herausgeber firmiert. Und neben dem Biogramm und dem kurzen Text enthält das schmale Bändchen weitere Schätze: einen kurzen Text unter der Überschrift “Von ihm selber”,  in dem seine früheren, auch kaum mehr erhältlichen Bücher erwähnt werden, und die Erklärung von 1964, geschrieben, als er überlegte, ob er nach Deutschland zurückkehren könnte. In wenigen knappen Sätzen hat Maass auch benannt, was Exil für Schriftsteller bedeutet, was der Verlust der Sprache mit sich bringt, „sie droht zu verwelken und zu verholzen”.

Maass hätte nicht fliehen müssen, er war nicht jüdisch. Aber er verstand sich nicht mehr in seinem Volk, hat sich der Verkommenheit und Verlogenheit entzogen, hat die Verhaftungen gesehen, die Diffamierung, den Judenboykott, ihn störte “der ganze blutige und pöbelhafte Rassefimmel”.  “… sah man denn allen Ernstes nicht, dass Deutschland unter der Fuchtel der Hitler und Komplicen von Tag zu Tag mehr zum Sklaven-, Henker- und Unrechtsstaate wurde”? Im Unterschied zu anderen erkennt er die “infamste, verruchteste und schimpflichste Regierung der Weltgeschichte” und beschreibt die neuen Übermenschen so, wie jeder sie hätte sehen können (der putzsüchtige Fettkloß Göring, der Schmutzfink Streicher, der von Geilheit und Ehrgeiz zerfressene Lügenheuler Goebbels). Die Zitate stammen von 1964, aus Maassʼ wortgewaltiger Begründung, warum er nicht in der Bundesrepublik leben kann.

Er wusste, als er sich für den Verbleib im Exil entschied: “Wer lange fortbleibt, ist bald so gut wie tot.“ Joachim Maass starb 1972 weitgehend vergessen in New York.

Dem persona-Verlag ist es wieder einmal gelungen, einen Schatz aus der Exilliteratur zu heben, den vergessenen Autor in das Land seiner Herkunft zu holen und daran zu erinnern, dass es Menschen gab, die weggegangen sind, obwohl sie nicht mussten.

Joachim Maass: Der Schnee von Nebraska. Erzählung. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Andreas F. Kelletat. Persona Verlag, Mannheim 2024. 112 Seiten, Hardcover, 18 Euro. – Verlagsinformationen hier.

  • Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen. Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.

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