Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

HP Eggenberger liest »Die Narren …« von Ross Thomas

Um besser zu werden, muss es viel schlechter werden

HP Eggenberger zum vorletzten Band der Ross-Thomas-Werkausgabe

Kaum ist Lucifer Dye vom Geheimdienst entlassen worden, nachdem eine Aktion in Asien schiefgelaufen ist, bekommt er in den USA ein lukratives Angebot. Der als geniale Schnelldenker geltende junge Victor Orcutt will ihn in seinem kleinen Team, mit dem er eine korrupte Kleinstadt an der texanischen Golfküste säubern soll. Zu Orcutts Truppe gehören zudem der ehemalige Polizeichef Homer Necessary, wegen Korruption entlassen, und die Ex-Prostituierte Carol Thackerty.

„Um besser zu werden, muss es viel schlechter werden“, ist Orcutts Devise. Darum soll das Team mit fiesen Intrigen und gewissenlosen Nötigungen die Korruption in Swankerton noch verschärfen. Dye bietet sich dafür sogleich der von der Mafia kontrollierten inoffiziellen Stadtregierung als Doppelagent an. Schon bald sieht er sich als Dreifachagent. Und irgendwie scheint er auch für sich selbst zu arbeiten.

„Die Narren sind auf unserer Seite“ vom großartigen amerikanischen Autor Ross Thomas (1926–1995) ist im Original 1970 erschienen. Den Titel für den fulminante Politthriller lieferte ein Zitat aus Mark Twains „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“: „Ham wir denn nicht alle Narren inne Stadt auf unserer Seite? Un ist das nich in jede Stadt ne ausreichend große Mehrheit?“; im Original: „Hain’t we got all the fools in town on our side? And ain’t that a big enough majority in any town?”

Es ist der umfangreichste Roman von Thomas. Er blendet weit zurück im Leben des 1933 geborenen Icherzählers Lucifer Dye, was die Gelegenheit gibt, allerlei spannende und witzige, bösartige und berührende, knallharte und auch romantische Geschichten zu erzählen. Dye ist, nachdem er als Kind seine Eltern verloren hat, in einem von einer Russin geführten Bordell in Shanghai aufgewachsen. Nach der Invasion der Japaner geriet er zusammen mit einem mit der Bordellchefin befreundeten amerikanischen Journalisten, der ihn als seinen Sohn ausgab, in Kriegsgefangenschaft. Als junger Mann ist er längst mit allen Wassern gewaschen und wird in den USA von einem Geheimdienst angeworben.

Doch Verluste prägen sein Leben. Zuerst stirbt die Mutter. Der alleinerziehende Vater wird bei einem Spaziergang mit dem kleinen Lucifer in Shanghai auf offener Straße getötet. Dann wird Lucifer von seiner Ersatzmutter getrennt. Später wird die Frau, die er liebt – die Tochter des Offiziers, der ihn für den Geheimdienst angeworben hat –, erschossen. Das alles hat ihn zynisch und skrupellos gemacht, womit er bestens in Orcutts Truppe passt. Deren Mitglieder aber im ganz persönlichen Bereich auch Feingefühl zeigen.

„Die Narren sind auf unserer Seite“ ist der 24. und damit vorletzte Titel in der höchst verdienstvollen Ross-Thomas-Werkausgabe des Berliner Alexander Verlags. Teile davon sind schon 1972 unter dem Titel „Unsere Stadt muss sauber werden“ auf Deutsch erschienen. Um in das damalige Krimi-Standardformat des Ullstein Verlags von 144 Seiten zu passen, wurde mehr als die Hälfte des Romans weggekürzt: Nur gerade 41 Prozent des Originalinhalts umfasste die Ausgabe, wie Alf Mayer hier vorgerechnet hat. Für die erste vollständige Veröffentlichung wurde der Roman durch Vater und Sohn Haefs komplett neu übersetzt (siehe dazu das Interview mit Gisbert Haefs und Julian Haefs von Alf Mayer).

Die massiv gekürzte Ullstein-Ausgabe von 1972

Das liest sich, wie sowieso alle Thomas-Romane, ganz wunderbar. Der lockere Tonfall, der teils fast etwas von der Präzision der Beschreibungen ablenkt, der trockene Humor, die zahlreichen beiläufigen Reflexionen und Beobachtungen zu Politik und Gesellschaft gehören ebenso zu Thomas’ Markenzeichen wie der schlaue Plot und die messerscharfen Dialoge. „Die Narren sind auf unserer Seite“ ist einer seiner besten Romane. Und auf jeden Fall der beste Thriller, der mir in diesem Jahr bisher untergekommen ist.

Ross Thomas: Die Narren sind auf unserer Seite (The Fools in Town Are on Our Side., 1970). Aus dem Englischen von Gisbert Haefs und Julian Haefs. Alexander Verlag, Berlin 2024. 580 Seiten, 20 Euro
(Die massiv gekürzte deutsche Erstausgabe, übersetzt von Heinz F. Kliem, erschien unter dem Titel „Unsere Stadt muss sauber werden“ 1972 bei Ullstein).

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