Geschrieben am 3. Oktober 2016 von für Bücher, Litmag

KidBits: Neue Bücher für Kinder

Neue Kinderbücher von Stefanie Höfler („Mein Sommer mit Mucks“), Ina Rometsch & Martin Verg („Krabbentaucherkacke“), Andreas Hüging („Jem hört die Haie husten“), Regine Kämper / Yayo Kawamura („Amina, Erdal, Njami und die anderen“), Anja von Kampen („Knietzsche und das Hosentaschenorakel“), Paul Maar / Helga Bansch („Greta und die magischen Steine“). Vorgestellt von Frank Schorneck.

hoefler_mucksKeinen Mucks

Zonja (mit Z) ist eine ausgesprochen neugierige Zwölfjährige – und nicht zuletzt deshalb eine Außenseiterin, denn „vor vielen vielen Jahren, keiner weiß mehr, wann das war, muss jemand beschlossen haben, dass Zwölfjährige nicht neugierig sein dürfen, sondern dass sie alles auf der Welt zum Gähnen langweilig finden müssen. Also, alles außer sich selbst und ihre Smartphones.“ Zonja liebt Statistiken und Fremdwörter, erstellt Listen mit Fragen, auf die sie eine Antwort sucht. Ihre Quellen sind Lehrer, Bücher und Wikipedia. Doch während sie zwar herausfindet, welchen Chlorgehalt Schwimmbadwasser hat oder wie sich die Anziehungskraft von Himmelskörpern zu deren Masse verhält, liefert ihr der heiße Sommer ein Rätsel, aus dem sie nicht schlau wird: Im Schwimmbad rettet sie einen dreizehnjährigen Nichtschwimmer, der sich ihr mit dem Namen „Mucks“ vorstellt. Die beiden werden Freunde, spielen Scrabble miteinander, doch Zonjas Frage, warum er nicht schwimmen kann, will Mucks nicht beantworten. Und die Fragen werden nicht weniger: Woher kommen die blauen Flecken, die seinen Körper eines Tages bedecken? Warum trägt Mucks Pfefferspray mit sich herum?

Sefanie Höfler wagt sich in ihrem Erstling an ein brisantes Thema, denn Mucks ist, zusammen mit seiner Mutter und Großmutter, auf der Flucht vor dem Vater, doch an jedem neuen Wohnort spürt er sie eines Tages wieder auf. Auch diesmal ist er eines Tages wieder da und Zonja wird Zeugin, wie Mucks mit einer Glasscherbe in der Hand vor seinem Vater steht und „diesmal bringe ich dich um“ schreit. Starker Tobak in einem Kinderbuch. Dies ist kein Kinderkrimi, in dem die Bösen letztlich lächerlich dastehen, hier kommt die Bedrohung mitten aus der Familie. Gut, dass Zonjas Eltern ihr als ein verlässlicher Fels in der Brandung zur Seite stehen und Zonja auffangen. Die Eltern geben ihr auch Halt, als Mucks plötzlich verschwunden, einfach nicht mehr da ist. Erst viel später sendet ihr Mucks ein liebevolles Lebenszeichen, so dass der Roman zwar kein Happy End hat, aber zumindest Sicherheit darüber herrscht, dass es dem Jungen gut geht.

„Mein Sommer mit Mucks“ bietet Stoff für Diskussionen, ist trotz des Themas sehr witzig erzählt. Er punktet außerdem  feinem Gespür für zaghafte Annäherung  zwischen Jungs und Mädchen in einem Alter, in dem diese selbst so etwas wie Liebe unsicher kichernd abtut. Nach Finn-Ole Heinrichs „Maulina Schmidt“ endlich wieder ein Kinderbuch, das nicht alles auserzählt , sondern das jungen Lesern zutraut, auch zwischen den Zeilen zu lesen. Ein Buch, das Mut macht, ohne didaktisch zu wirken.

Stefanie Höfler: Mein Sommer mit Mucks. Empfohlen ab 11 Jahren. Verlag Beltz & Gelberg, 2016. 140 Seiten. 12,95 Euro.

rometsch_krabbenVon Lumpensand nach Hummerstrand

Gleich zwei Neuerscheinungen im Ueberreuter-Verlag atmen raue Nordsee-Luft und schildern spannende Sommerferien. In beiden Büchern sind zwei Jungen und ein Mädchen die Protagonisten, die sich fiesen Intrigen skrupelloser Investoren entgegenstellen, um ihr Herzensprojekt zu retten. Ziemlich viele Gemeinsamkeiten also und dennoch trennen Welten diese beiden Romane:

„Krabbentaucherkacke“ führt auf die Nordseeinsel Lumpensand, wo der zwölfjährige Max seit einem Jahr mit seinem Vater wohnt und nun in den Ferien ein Praktikum in einer Vogelschutzstation macht. Nicola, sein bester Freund aus Hamburger Tagen ist zu Besuch und nimmt mit seiner Band „Hochdruckgebeats“ auch gleich am Wettbewerb „Dein Song für Lumpensand“ teil. Das Musikfestival wird jäh unterbrochen, als ein Schwarm Krabbentaucher einen wahren Schietsturm auf Zuschauer und Bühne hinabprasseln lässt. Die Kolonie dieser Vögel, die eigentlich in der Arktis leben, ist der aktuelle Forschungsschwerpunkt der Vogelbeobachter. Doch als Max seinen Großstadtfreund mit seinem Ferienjob vertraut machen will, häufen sich merkwürdige Ereignisse: Max wird verdächtigt, ein Feuer gelegt zu haben und auch als zwei Boote geklaut werden, fällt der Verdacht zunächst auf ihn. Dass im Internet angebliche Beweise kursieren, erleichtert seine Verteidigung nicht wirklich. Gut, dass sein Freund Nicola und die aus Österreich kommende Praktikantin Valentine zu ihm halten. Gemeinsam finden sie heraus, dass ein schmieriger Investor eine sensationelle Wasserrutsche ausgerechnet auf dem Gelände der Vogelschutzstation plant und offenbar alles daran setzt, sich das Grundstück anzueignen und den Naturschutz zu umgehen. Die Story ist recht spannend, die Charaktere stammen allerdings aus der Klischeekiste und so manche Wendung ist schlicht unglaubwürdig und wenig durchdacht. So geraten die Bösewichte gegen Ende zu Karikaturen, die nicht wirklich ernst zu nehmen sind. Während die Erzählperspektive zunächst zwischen Max und Nicola wechselt (ohne den Charakteren hierdurch besondere Tiefe zu verleihen), schwenkt sie an einer Stelle auch unmotiviert auf eine der Schurkenrollen, eine erwachsene Frau, die dann nur noch mit Vornamen benannt wird. Für ein Kinderbuch eher unglücklich und zudem dramaturgisch vollkommen unnötig, denn den so geschilderten Streit können die Kinder auch durch eine geschlossene Tür belauschen. Trotz der erzählerischen Mängel ein luftig-leichter Ferienkrimi.

jem-hoert-haieVon sprachlich ganz anderem Kaliber ist „Jem hört die Haie husten“. Autor Andras Hüging macht hier den lungenkranken Jem (Abkürzung für Jeremias) zum Ich-Erzähler, der auf politische Korrektheit pfeift und voller Zynismus über das Leben im Kurheim „Haus Horizont“ auf der Insel Hummerstrand berichtet. Hierhin haben ihn seine Eltern in den Ferien abgeschoben, um selbst ungestört in Griechenland urlauben zu können. Jem ist nicht zum ersten Mal hier und die Vorstellung, die kommenden 21 Tage – also geschlagene 30.240 Minuten – zwischen den anderen kranken Kindern, den „Rücken, Rollis und Spastis“ zu verbringen, ist ihm zuwider. Doch diesmal ist alles anders als in den früheren Jahren: Ein riesiger weißer Hai wird gesichtet, das Kurheim soll einem exklusiven Hotel mit Spa weichen und Jem stößt am Fuß der Klippen auf eine Leiche, die jedoch spurlos verschwunden ist, als er mit der Polizei zurückkehrt.

Es ist vor allem Jems schnoddriger Erzählton, der diesen Kinderkrimi in einer wunderbaren Balance zwischen Spannung und Witz hält. Jem weiß zwar nie, wann ihn seine Lunge im Stich lässt und schnorchelnde Geräusche von sich gibt wie eine leergesogene Tüte Capri-Sonne – doch viel mehr leidet er darunter, dass seine Eltern, insbesondere sein erfolgreicher Business-Vater, sich keine Zeit für ihn nehmen und ihn offenbar als Belastung in ihrem sportlichen Hochglanz-Leben betrachten. Dabei braucht er selbst eine Weile, um die Rolli fahrende Punkerin Flo und den „Spasti“ Bernd als Freunde anzusehen. Doch dann werden die drei ungewöhnlichen Romanhelden zu einem eingeschworenen Team, hinter den sichtbaren körperlichen Schwächen treten ungeahnte Talente zu Tage – und selbst die apathisch über die Flure schlurfende Cäcilie mit dem Schnodder am Kinn bekommt noch ihren Auftritt.

Für die Zielgruppe wäre möglicherweise ein kleines Glossar zu den verschiedenen Krankheitsbildern hilfreich – andererseits würde das dem Buch womöglich einen zu pädagogischen Anstrich verpassen.

Ina Rometsch & Martin Verg: Krabbentaucherkacke oder: Ein Sommer auf Lumpensand. Ueberreuter, 2016. 224 Seiten. 12,95 Euro.

Andreas Hüging: Jem hört die Haie husten: Die kriminellste Kur-Geschichte aller Zeiten. Empfohlenes Lesealter bei beiden Büchern ab 10 Jahren. Ueberreuter, 2016. 192 Seiten. 12,95 Euro.

kaempfer_aminaGut gemeint

Regina Kämper ist im Bereich Kinderbuch bislang als Übersetzerin in Erscheinung getreten, nun sind offenbar ihre Erlebnisse als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache in einer Vorbereitungsklasse für Migranten und Flüchtlinge Anlass, selbst ein Kinderbuch zu schreiben: In kurzen, meist zwei Seiten mit großzügigem Schriftbild umfassenden, Episoden erzählt sie von den Hürden des Spracherwerbs und wie sie ihren kleinen Schülern bei deren Überwindung hilft. Mit viel Liebe und Beharrlichkeit gelingt es ihr nach und nach, den Kindern aus neun verschiedenen Ländern erste kleine deutsche Sätze zu entlocken. Dabei wird viel gelacht, doch stets miteinander und mit jedem Scheitern kommen die Kinder der schwierigen Sprache ein wenig näher.

Regine Kämper erzählt aus ihrer Lehrerposition heraus, was es für Kinder mitunter schwierig machen kann, sich mit der Ich-Erzählerin zu identifizieren, die nicht nur eine Erwachsene, sondern auch eine Pädagogin ist, die ihre Überlegungen zu spielerischer Sprachaneignung reflektiert. Dabei hat das ganze einen sehr betulichen, tantenhaft-biederen Tonfall – manche Episode liest sich wie eine „Kindermund“-Kolumne. Ob damit die angegebene Zielgruppe hinter dem Ofen hervorlocken lässt? Zweifel dürften mehr als angebracht sein. Die gute Absicht ist erkennbar – aber das war es dann auch…

Regine Kämper / Yayo Kawamura (Ill.): Amina, Erdal, Njami und die anderen: Geschichten aus der Deutschstunde. Empfohlen ab 6 Jahren. Reihe Hanser bei dtv, 2016. 80 Seiten. 12,95 Euro.

kampen_knietzscheVoll auf die 12

Manchmal muss man eine Rezension mit einem Geständnis beginnen – wie zum Beispiel mit dem Hinweis, dass man den Namen „Knietzsche“ noch nie gehört hat, auch wenn die Pressemitteilung des Verlages in höchsten Tönen vom ersten Buchabenteuer der aus KiKa und ARD bekannten Figur schwärmt. Die Film- und Fernsehproduzentin Anja von Kampen hat diesen „kleinsten Philosophen der Welt“ ersonnen, der sich in rund dreiminütigen Zeichentrick-Filmen Themen wie „Wahrheit“, „Freundschaft“, „Freiheit“, aber auch „Krieg“ oder „Tod“ nähert. Stets auf Augenhöhe mit den Kindern, nicht abgehoben, liefert Knietzsche Denkanstöße und hat wurde seinem Motto „Denken ist wie Brausepulver im Kopf“ für diverse Preise nominiert und auch ausgezeichnet. Doch trägt diese Figur als Romanheld?

Der Roman beginnt mit einem Prolog im Jahr 2112, in einer Zeit, als die Gedanken aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind. Ein wenig mutet der Prolog an, als läge die Messlatte mindestens bei Michael Endes „Momo“, Weltenrettung inklusive. Doch nach diesen ersten paar Seiten setzt der Ich-Erzähler Knietzsche ein, der in Kontrast zum erhabenen Prolog mit Tempo, Witz und Situationskomik von den turbulenten Erlebnissen seines zwölften Geburtstages erzählt: Knietzsche erfährt an diesem Tag, dass die Menschen, die er bislang für seine Eltern hielt, ihn damals in einem Karton auf der Türschwelle fanden und adoptierten. Als wenn dies nicht genug wäre, um das Leben eines Kindes durcheinander zu wirbeln, enthielt der Karton noch ein kleines Päckchen, das dem Kind zum zwölften Geburtstag zu überreichen sei – und darin befindet sich eine offenbar kaputte silberne Uhr. In der Nacht darauf beobachtet Knietzsche merkwürdige Vorgänge an Sternenhimmel und die Zeiger der kaputten Uhr spielen verrückt. Gut, dass Knietzsche in Norbert einen Freund hat, dem er sich anvertrauen kann.

Bevor sich die beiden dem Rätsel der Adoption und der Uhr widmen können, gilt es jedoch, einen mysteriösen Kunstraub aufzuklären, denn der Vater der kürzlich im Nachbarhaus eingezogenen Mildred (auch die Namen der Kinder sind ein wenig aus der Zeit gefallen) steht im Verdacht, drei wertvolle Bilder aus dem Museum gestohlen zu haben. Bei ihren Nachforschungen erweitert sich der Ermittlerkreis um die Computerspezialistin Darwina und den aus Indien stammenden Pepe. Eher durch Zufall finden die Kinder heraus, dass sie alle jeweils an einem 12. eines Monats Geburtstag haben und die magische Uhr in einem Zusammenhang zu ihnen allen steht. Im Gegensatz zum Kunstraub können die Vier dieses Geheimnis nicht aufklären, man kann also davon ausgehen, dass Anja von Kampen die Geschichte als Reihe geplant hat..

Dieser erste Knietzsche-Roman besticht durch Wortwitz und Spannung in den dunklen Gängen des Museums bei Nacht – und ganz nebenbei erfahren die Leser auch einiges über Kunst und Geschichte. Auf weitere Abenteuer des pfiffigen Freundesgespanns darf man sich freuen – ganz egal, wie sich die Zahlenrätsel um die Magische Uhr letztlich aufklären werden und wie sich das im Prolog prophezeite Dutzend auserwählter Kinder vervollständigen wird.

Anja von Kampen: Knietzsche und das Hosentaschenorakel. Empfohlen ab 10 Jahre. Mixtvision Verlag, 2016. 272 Seiten. 13,90 Euro.

maar_gretaDer Stein der Weißen

Ein mit blauen Wunschpunkten gesprenkeltes, schweinenasiges Wesen ist Paul Maars bekannteste und erfolgreichste Romanfigur, dabei ist das Sams nur ein kleines Kapitel im umfangreichen Werk des Kinderbuchautors. Sein neustes Buch thematisiert märchenhaft-poetisch die Sehnsucht eines Kindes nach seinem Vater. Die Geschichte führt nicht nur hinaus aus der Stadt aufs Land, sondern auch in eine längst vergangene Zeit, in der es in den Dörfern so still war, dass „geheime Geschöpfe“, die keinen Lärm vertragen, viel näher beim Menschen lebten als sie es heutzutage tun. In dieser Zeit lebt Greta gemeinsam mit ihrer Mutter in einem ärmlichen Haus. Der Vater ist aufgebrochen, ist dem Ruf des Goldes in ein fremdes Land gefolgt und seither verschollen. Als eines Tages eine seltsame weißhaarige Bettlerin, gehüllt in einen Mantel wie aus weißen Vogelfedern, um einen Becher Milch bittet, erfüllt ihr Greta diesen Wunsch. Zum Dank erhält sie einen weißen Stein und den Rat, damit zum Meer zu gehen, um den Vater zu finden. „Wenn du ihn nicht suchst, wird er nicht kommen“, flüstert die Frau dem Kind ein und Greta bricht auf zum Meer. Und tatsächlich wird Greta mit der Hilfe eines sprechenden Vogels und zwei weiteren, diesmal bunten Steinen den lange vermissten Vater wiederfinden. Dieser hat zwar in der Fremde kein Gold gefunden, aber letztlich den Weg zurück zu seiner Familie.

Passend zur verrätselten Geschichte stimmt Paul Maar einen altmodischen Märchenton an, der zu den wunderlichen Ereignissen bestens passt. Als erwachsener Leser hat man möglicherweise das Gefühl, dass die Geschichte zu sprunghaft erzählt ist, die Familienzusammenführung zu schnell, zu glatt abläuft – doch für die Zielgruppe ab 5 Jahren dürfte das Erzähltempo und die Spannung durchaus angemessen sein. Überzeugen kann dieses Buch allerdings so richtig erst durch die zauberhaften Illustrationen von Helga Bansch, die wehmütige Melancholie und Sehnsucht ebenso überzeugend wiedergeben wie die Wiedersehensfreude. Es ist vor allem bewundernswert, dass Helga Bansch der Versuchung widersteht, das Ende allzu harmonisch zu illustrieren: Statt einer süßlichen „Friede-Freude-Eierkuchen“-Szenerie sehen wir zwar den Hund freudig um Greta und ihren Vater herumspringen, doch die Gestalt der Mutter steht noch in abwartender Haltung in der Ferne.

Paul Maar / Helga Bansch: Greta und die magischen Steine. Empfohlen ab 5 Jahren. Annette Betz bei Ueberreuter, 2016. 40 Seiten. 14,95 Euro.

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