Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, Special Thomas Wörtche, Thomas Wörtche

Johannes Groschupf, Günther Grosser, Peter Hammans, Anna Hoffmann

Johannes Groschupf: Ein Glücksfall

Thomas Wörtche verzog keine Miene, als er mir ein Angebot machte, das ich nicht ablehnen konnte. Wir saßen bei einem Italiener am Rande Kreuzbergs. Es war spät geworden. Der Wirt wischte den Tresen mit dem Geschirrtuch. Claudia Denker, die uns zusammengebracht hatte, nippte an ihrem Grappa. Ich entschuldigte mich und ging zur Toilette. Ich schaute nicht nach, ob hinter dem Spülkasten eine Waffe versteckt war, sondern warf mir am Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht. Ob ich einen Thriller für seine Krimireihe bei Suhrkamp schreiben wolle?

„Ja“, sagte ich, als ich wieder zurückkam. „Ja, ich will. Was über einen Prepper, Hasskommentare im Newsroom, Berlin.“ Vermutlich war es der magerste Pitch der Verlagsgeschichte.

„Sehr gut“, sagte er. „Dann mach.“

Das hörte ich später noch öfter von ihm: „Dann mach.“ Er verlangte nie ausgetüftelte Exposees oder marktgängige Werbeprosa. Er sagte: „Das kriege ich beim Verlag schon durch, mach du nur.“

Und er zahlte die Rechnung. Er zahlte jedes Mal die Rechnung, die Taxifahrt, den Kaffee mit beiläufiger Großzügigkeit. Wir gingen drei Blocks weiter noch ein Bier trinken, über dieses und jenes reden. Man unterhält sich gern mit ihm, er hat einen wachen Geist und ist ein Mann von stupender Kenntnis, was Kriminalromane angeht, doch nicht nur Kriminalromane, sondern auch die Literaturen des globalen Südens, Graphic Novels, Jazz, die Seefahrt des 18. Jahrhunderts, Filme und Serien, gutes Essen, Bayern München.

Was er nicht mag: „Fidelwipp.“ Sinnloses Gefasel, krampfige Witzigkeit, überflüssiger Mist. Zeitverschwendung. Biederkeit ist nicht sein Ding. Er will überrascht werden, auch als Leser und Herausgeber; er weiß um das Verrückte und Wilde, das Abgründige und Aberwitzige in uns, und davon soll auch in den Büchern, die er macht, die Rede sein.

Thomas Wörtche steht unter Dampf, auch im siebzigsten Jahr, er baut seine Reihe bei Suhrkamp, schichtet seit Jahrzehnten seinen Leichenberg auf (der unbedingt einen Verlag braucht), empfängt mit Sonja Hartl zum Crime Talk, unterhält mit ihr und Alf Mayer das CrimeMag, lässt seine Autorinnen und Autoren in Ruhe schreiben und ist zur Stelle, wenn es bei ihnen hakt. Hört zu, sagt zwei Sätze, und was eben noch unmöglich schien, ist nun ganz einfach. Bei aller Geduld und Nachsicht kann er auch Druck machen: „Wir können jetzt auch nicht mehr schieben, die Maschine läuft!“

Also habe ich geschrieben, den Prepper-Thriller, und dann weitere. Gelegentlich sitze ich wieder beim Italiener am Rande Kreuzbergs, esse und trinke mit ihm, höre sein herzliches, begeisterndes Lachen. Und entschuldige mich kurz, um auf Toilette zu gehen und mir am Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen. Sein Angebot anzunehmen, hat mein Leben verändert.

Thomas Wörtche ist ein Glücksfall, für den deutschen Kriminalroman, für seinen Verlag und vor allem für seine Autorinnen und Autoren.

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Günther Grosser:

Ich muss zugeben, ich hab was übrig für Kenner, für Leute, die mir Zusammenhänge näher bringen, für Könner, für Frauen und Männer, die den Kontext spüren, die über den berühmten Tellerrand hinaus Erklärungsräume finden, die in gut materialistischer Denkart die immer wieder aufsteigenden idealistischen Luftblasen platzen lassen. Nichts gegen jene, die mal den genialen Wurf hinlegen, das große explosive Ding in den Ring der Narrative werfen, gar nichts, prima, immer her damit. Aber über 30, 40 Jahre zuverlässig Himes, Highsmith, Manchette, Thompson und und und sowie all die anderen, die ja noch dauernd dazukommen, in die richtige Perspektive zu rücken und – ebenso zuverlässig – für uns die unfassbar große Menge an Bullshit von den wenigen Perlen zu scheiden. Chapeau! – Und das alles nur nebenbei! Im Brotberuf aber – wieder zuverlässig – uns mit Hochkarätigem versorgend.

Danke dafür, Thomas, und auch für das andere.

Günther Grosser

– die Beiträge von ihm bei uns hier.

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Peter Hammans: TW, der Galaktische

Mit der Kriminalliteratur ist es so ein wenig wie mit der Astronomie: um die Zentralgestirne kommt man nicht herum. Der gemeine Leser wird dabei wohl zunächst an die regelmäßig auf den Bestsellerlisten erstrahlenden Autoren und Autorinnen denken.

Aber irgendjemand muss sie ja dort hingehievt, sie entdeckt, ihre Romane gemacht haben. Und da  sind wir natürlich bei dir, lieber Thomas, dem Büchermacher und Programmstrategen. Überblickt man den Krimi-Kosmos, gleichst du einer dieser mit ihren Armen weit ausgreifenden Spiralgalaxien, die zudem noch eine erhebliche Leucht- und Schwerkraft mitbringen.

© wiki commons

Zuerst in deinen Orbit geraten bin ich mit Garry Disher, den ich vor ungefähr zwanzig Lichtjahren mit seiner Wyatt-Reihe mal fürs Knaur Taschenbuch eingekauft hatte (als Lizenz von PulpMaster). Du hast ihn ja damals bereits für den Schweizer Unionsverlag betreut, dessen Krimi-Programm du kuratiert hast. Eine Rolle, die du seit einiger Zeit für Suhrkamp auch wieder beneidenswert autonom ausfüllst. Womit wir wieder bei der Astronomie wären, denn Suhrkamp Nova und mehr noch die von Thomas Wörtche herausgegebenen Reihe erinnern natürlich an die explosive Kraft einer Supernova. Die auf dem Buchmarkt – ebenso wie im Kosmos – eher seltene Erscheinungen sind. Wenn sie allerdings auftreten – wie wären sie da zu übersehen?

Genauso warst auch du immer wieder nicht zu übersehen: als Kritiker und Essayist (zum Beispiel in deiner Kolumne für das Buchmagazin Buchkultur), als Juror für die KrimiZEIT-Bestenliste (jetzt weitergeführt als Krimibestenliste) und als Herausgeber (zusammen mit Tobias Gohlis) für die beiden Bände Crime & Sex (2015) sowie Crime & Money (2016), mit denen wir bei Droemer versucht haben, das Thema „Kriminalliteratur“ einmal von der Nonfiction-Seite her anzugehen.

Nimmermüde nicht für den „Grimi“ unterwegs, wie du die Dutzendware in der Spannung einmal genannt hast, sondern für den „Krimi“ mit Anspruch, hat deine Strahlkraft seither keineswegs abgenommen, sondern erhellt den schier unendlichen, weiterhin expandierenden (Welt-)Raum der Kriminalliteratur.

Was soll ich dir da (mit Pink Floyd, einer der prägenden Bands der 70er, Zentralgestirn!) zum 70. anderes zurufen als Shine On You Crazy Diamond?!

Many happy returns of the day

wünscht dir dein Mitstreiter in Sachen Krimi

Peter Hammans           

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Anna Hoffmann: Mein LexiTom

Liebster, Dein 70. Geburtstag soll nicht sang- und klanglos vorübergehen, Du hast so viel erlebt, geprägt, gefördert, herausgegeben, gegründet, organisiert, ans Licht gebracht, Dich mit Deinem großen Wissen und Intellekt eingesetzt für die Literatur: die AutorInnen, ÜbersetzerInnen, Bücher und die Verlage, für und mit denen Du gearbeitet hast, für eine Literaturkritik, die diesen Namen verdient und Dich dafür jederzeit sehenden Auges in den Sturm von Anfeindungen gestellt.

Thomas Wörtche, Du bist groß in jeder Hinsicht und ich liebe Dich so sehr.

Früher, bevor ich Dich kennenlernte, benutze ich noch Lexika zum Nachschlagen, später Google, mit Dir an meiner Seite ist das fast überflüssig geworden, mein famoses LexiTom.

Mir ist unbegreiflich, wie dermaßen profundes Wissen über so diverse Gebiete: von Weltliteratur, Festungsbau, Meeresbiologie, Seeschlachten, Kunstgeschichte, Philosophie, Geschichte, klassischer Musik, Jazzmusik, Comic … in einen einzigen Menschen passt.

Und weißt Du, ich konnte es gar nicht fassen, dass Deine Geographiekenntnisse stets mit kulinarischen Kenntnissen gekoppelt sind, wo immer wir hinreisen, Deine Karte der Welt ist im selben Maß eine vorzügliche Speisekarte, das ist einfach hinreißend, denn es trifft genau meinen Geschmack.

Anna

Was zu Deinem Geburtstag von Freunden und Wegbegleitern auf Dich einprasselt, war meine Idee, aber die ganze Arbeit hat Alf Mayer besorgt. Merci.

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