Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

Hazel Rosenstrauch: Plutarch über das Alter

Sommerkost in kleinem Format

Bei Reclam gibt es diese schmalen kleinen Büchlein mit Bildungsgut, die Reihe heißt [was bedeutet das alles] – die eckigen Klammern sind Programm. Geeignet sind die Texte im A 5-Format einerseits für Zug- und U-Bahnfahrten und andererseits für ältere Semester, die noch lesen.

Was mir in die Hände gefallen ist, eignet sich insbesondere für die wachsende Zahl von fitten Rentnern, die überlegen, was sie noch machen könnten, falls sie keine Yacht oder Aufsichtsratsposten haben. Der griechische Schriftsteller und Philosoph, der hier als Gewährsmann dient, meinte, dass die Alten gebraucht würden. In ihrer ausführlichen Einleitung erläutert die Übersetzerin Marion Giebel, dass und warum die alten Griechen und auch noch die alten Römer ihre Senioren geschätzt haben (allerdings betraf das nur solche, die genügend Besitz hatten, um Ehrenämter ausfüllen zu können). Erfahrungen, Redegabe und auch die Gelassenheit des Alters waren gefragt und Gemeinsinn eine Tugend. Und wie auch heutige Altersforscher erkannt haben, fördert Aktivität im Alter die Gesundheit und stärkt das Selbstwertgefühl.

Ab Seite 19 findet man allerlei Begründungen Plutarchs “Ob ein Älterer noch tätig sein soll”. Hübsche Zitate, die jedoch nicht für diejenigen gelten “bei denen die Menschenliebe und der Eifer für das Gute schon vor den natürlichen Bedürfnissen erstirbt”. Für alle anderen fand der Philosoph zahlreiche Beispiele und Erkenntnisse, um gegen faules Herumsitzen anzuschreiben. Und wenn es keinen weiteren Grund gäbe, “so müsste ein Älterer sich im Gemeinwesen engagieren, um die Jungen zu bilden und zu lehren”. Er warnt aber auch, dass “durchaus verständige Personen Jugendliche und junge Männer von öffentlicher Tätigkeit fernhalten wollen”, und findet jene abschreckend, die ihr Leben „mit müßigem Zeitvertreib und der Errichtung neuartiger Luxusbauten” verbringen. Natürlich geht es nur um Männer und die hier skizzierten guten und schlechten Eigenschaften sind durchaus als Beitrag zur Identitätsdebatte geeignet, da ja schon die alten Griechen wussten … Sie wussten, folgt man Plutarch, dass Neid ein großes Übel ist und einer, der “allerlei daherschwätzt und sich die Nase schnäuzt”, Verachtung verdient.

Die Zitate sind nicht nur für Männer und als Material für Partykonversation geeignet, sie bieten auch weiblichen Wesen reichen Stoff, um zu wissen, wo wir herkommen, und können zu lustigen Assoziationen verleiten. Denn neben der Tugend, sein Wissen und seine Erfahrungen in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen, erfährt man auch viel von den sehr alten Untugenden, die es auch schon vor zweitausend Jahren gab: Geschäftige,  die alles an sich reißen und keinem etwas übrig lassen wollen, unersättliche Ruhm- und Ämtersucht, langatmige Reden und lautes Schreien. Der Philosoph billigt auch nicht, dass Ehrgeizlinge die Jungen daran hindern, sich zu erproben. Aber wenn es gut geht, so sei der Vorteil des Alters, dass “Streitsucht, Ehrgeiz, die Begierde, der Erste und Größte zu sein” gedämpft würde. 

Das Büchlein ist nicht nur als Geschenk für weiße alte Männer geeignet, die unter Bedeutsamkeitsverlust leiden, es ist auch für Nachwuchs und LGBTQ etc. tröstlich zu wissen, was abendländische Kultur zu bieten hat. Unbeantwortet lasse ich die Frage, ob es ein zivilisatorischer Fortschritt ist, wenn nach zweitausend Jahren nicht nur alte Männer, sondern alle Geschlechter “dauernd aufs Podium springen” und “stets und ständig präsent sein” dürfen.

Plutarch: Arbeiten im Alter? Denkanstöße aus der Antike. Neuübersetzung von Marion Giebel. Reclam, Stuttgart 2019. 95 Seiten, 6 Euro.

  • Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen. Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.


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