Geschrieben am 3. Juli 2024 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2024

Auf der Alm, da gibt’s viel Camp – Ellen von Unwerth: »Heimat«

Alf Mayer über einen aus der Zeit gefallenen Bildband

Ellen von Unwerth. Heimat. Verlag Taschen, Köln 2024. Großformat 25 x 33 cm. Gewicht 3,23 kg. 452 Seiten, 60 Euro. Verlaginformationen: taschen.com.

„Im Bett a strammes Madl;
und darunter an Kasten voll Geld;
ja gibt’s denn was Schöneres auf dieser Welt!“

(Motto zu Alois Brummers Lederhosen-Film
Auf ins blaukarrierte Himmelbett, 1974)

Dieser Fotoband ist die reine Subversion. So subversiv, dass kein Markus Söder damit für seinen Freistaat posieren würde, obwohl er generell vor wenig zurückschreckt. Dabei stimmen all die Accessoires:
Bayern pur.
Heimat pur.
Lederhosen, Dirndl, Holz vor der Hütte, Kuhglocken, Donnerbalken, Schubkarren, Wirtshaus, Herd und Kachelofen, Stroh, Heu und Hühnerstall, Rindviecher, die Muttergottes, Rotkäppchen, die Goldmarie am Spinnrad, angebissene Paradiesäpfel, Jagdhorn und Halali, Büchsen und Dosen, Retro-Bademode, die gereckte Faust als Selbstermächtigung, Unterröcke und frivole Slips, Bretzeln, Schuhplattler und ganz viel fesch san mir.

Wer Bayern kennenlernt, kriegt Angst vor Deutschland,  begann Georg Seeßlen – in München geboren und von der Mutter schon früh in Lederhosen gesteckt – 1982 seine mit mir als Redakteur von „medium“, der ersten deutschen Medienzeitschrift, vereinbarte „Bayerische Trilogie“. Deren zweiten Teil überschrieben wir mit „Die Modernisierung Bayerns durch die Prostitution“. Es war ging darum um nichts weniger als die Theorie und Filmgeschichte des Lederhosen-Sexfilms, eine Filmografie mit 38 Filmen inkludiert. Darunter Titel wie:

Pudelnackt in Oberbayern (1968)
Die fleißigen Bienen vom fröhlichen Bock (1970)
Liebesgrüße aus der Lederhos’n (1972)
Ob Dirndl oder Lederhos, gejodelt wird ganz wild drauf los (1973)
Unter Dirndl wird gejodelt (1973)
Auf der Alm da gibt’s koa Sünd (1974)
Beim Jodeln juckt die Lederhose (1974)
Wo der Wildbach durch das Höschen rauscht (1974)
Liebesgrüße aus der Lederhose III (1976)
Drei Schwedinnen in Tirol (1977)
Nackt und keß am Königsee (1977)
Das Wirtshaus der sündigen Töchter (1978)
Graf Dracula (beißt jetzt) in Oberbayern (1979)
Zum Gasthaus der spritzigen Mädchen (1979)
Drei Dirndl in Paris (1981)
Sturmtrupp Venus bläst zum Angriff (1982)

Diese Filme, buchstäblich krachledern in Machart und Inhalt, sorgten dann noch, um Mitternacht im neu gegründeten Privatfernsehen SAT1 des streng katholischen Medienunternehmers Leo Kirch recycelt, für Einschaltquoten. Schrieben sich so eine Dekade nach ihrer Kinoauswertung noch einmal ins subkutane Populärkultur-Gedächtnis. Auch auf Ellen von Unwerth haben sie wohl gewirkt – nur dass dieses Echo bei ihr unvergleichlich eleganter, provokanter, Frecher, glamouröser, intelligenter und rundum sexy aussieht.

Alle Fotos © Ellen von Unwerth/ Taschen

Ein kleiner neurotischer Karneval der Sinne

Georg Seeßlen damals in medium, April 1982: „Die mythische Aussage der Dirndl/Lederhosen-Filme ist: Von der alten heimlichen Unmoral gelangen wir zu einer neuen einfachen Tauschwert-Moral, indem wir unsere bayrischen Mini-Kulturen zu Tausch-Instanzen von Sex und Geld machen…

Die Dirndl-Filme kommentieren einen Zersetzungsprozess in der bayerischen Kultur. Sie bieten erotische Surrogate als Lösung für den Verlust anderer Beziehungen zur Natur (auch der eigenen) an. Die Schau-Werte des Genres sind zugleich Trost-Werte… Die Bilder der Dirndl-Filme ohne Dialog wären in sich einigermaßen subversiv, nicht, weil sie so erotisch wären, sondern weil sie sich so wenig vor dem Wahnsinn scheuen. Der Blick könnte sich ganz ungehindert bewegen in der Künstlichkeit der erotischen Groteske – seine Armut zwingt den Jodelfilm, mit dem Pfunde zu wuchern, das heißt, wir sehen Bilder viel länger, als wir Bilder sehen würden in einem Film, der vor allem eine Geschichte zu erzählen hat. Notgedrungen würden wir auf kleine Wahrheiten in diesen Bildenr stoßen, die man auch bei dieser Reduktion der Welt auf das Himmelbett oder den Misthaufen nicht gänzlich eliminieren kann. Es wäre der kleine Wahn im Bild völlig banaler Alltags-Gegenstände, von Alltags-Menschen, deren erotische Impulse allerdings durch Rituale und Kleidung nicht zu bändigen sind, wiewohl sie sich in hoffnungslos kindischen Imitationen entladen.

Auf der Ebene der Bilder hätte man es also zu tun mit einem kleinen kathartischen Kult, einem kleinen neurotischen Karneval der Sinne, der durchaus auch das Hässliche als sinnlich beschreibt… Alle ins allem eine ‚Schule des begrenzten Blicks’… In den Lederhosen-Filmen vollendet sich der Gedanke von Unterhaltung in Deutschland.“

So weit Georg Seeßlen, frischgebackener Lessing-Preisträger für Kritik (Laudatio und Dankesrede exklusiv bei uns) anno 1982.

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Ein angeschnittenes Dirndlgesicht, rote Lippen, ein goldene Brezel am Halskettchen, viiel Holz vor der Hüttn (vulgo: Décolleté) ganz nah, in your face, der Buchtitel „Heimat“ in gülden-gothischen Lettern. Auf dem Rückumschlag ein „Heidi“-Motiv wie aus einem wet dream: Almwiese, Holzhaus am Hang, drüber Felsengipfel und auf dem Pfad ein hochgewachsenes blondes Model, auf Slingback Mules bergan stöckelnd, Pobacken frei, gerüschter CanCan-Mini hochgerutscht, Po von einem Strapsgürtel gerahmt, die Nylons sündenrot und die Zöpfe zu neckischen Nestern gesteckt. Vorn und hinten der Einstieg ins Buch auf dem waidgrünen Vorsatzpapier, als sei es eine Tapete, ein röhrender Hirsch im neckischen Blumenrahmen. Willkommen im Bildband „Heimat“, der Volksausgabe einer einstmals 750 Euro teuren Sünde. Und drin zum Auftakt, dreisprachig, dieser Text:

Willkommen in der Heimat
Herrlicher Bergwald. Smaragdgrüne Seen.
Und prachtvolle, schneeweiße Gipfel.
Wo auf den Almen die Kuhglocken läuten.
Wo man mit der Natur im Einklang lebt.
Und wo die Dorfmädchen Hilda, Traudel, Heidi und
Ihre Freunde dem beschaulichen Landleben frönen.
Begleiten Sie sie auf idyllische Abenteuer.
Entdecken Sie uraltes Handwerk und Brauchtum.
Begegnen Sie stolzen, aufrechten Mitgliedern
unserer unverdorbenen Berggemeinde.
Wir laden Sie ein ins Vergnügen.

Dann gibt es Zwischentitel wie:

Bei uns ist die Milch noch melkfrisch
Eine helfende Hand ist immer zur Stelle
Das Obst wird reif, saftig und prall
Der kleine Verdruss am Weißbiergenuss
Ein Landmädel weiß, wie man den Bock am Horn packt
Kätzchen erwarten die schönsten Plätzchen
Wir kommen in seliger Unschuld zusammen
In den Bergen fühlt man sich frei
Erleben Sie die Natur hautnah. – u.v.m.

Das alles ist Bauerntheater auf hohem Pariser Niveau, die Muttergottes auf dem Nachttisch, die Model-Augen manchmal pseudokeusch gesenkt, dann wieder theatralisch aufgerissen. Dirndl und Dessous zuhauf. Tatsächlich spritzt hier die Milch beim Melken aus den Zitzen, läuft über nackte Haut, wird die Weißwursthaut frivol gelutscht und gezuzzelt, blinkt das Nippelpiercing, wackelt die Hahnenfeder auf dem Hut und wird das Dirndl hochgeschlagen wie im Moulin Rouge. Da wird neckisch in Bett und Stroh und Heu gerangelt, der Bock an den Hörnern gepackt, vor der Tür mit neuem Besen gekehrt oder „das Problem mit Weizenbier“ per Nachttopf und heruntergelassenem Höschen frivol benannt. Allerlei Sprichworte finden Illustration: Vor der eigenen Tür kehren, mit dem Hahn aufstehen, Holz vor der Hütte haben, dem Esel eine Karotte und einen Stock hinhalten, in der Lederhose jodeln, in die Pilze gehen, und eben auch Beischlaf imitieren. Das alles mit kurz vorm Prusten stehenden Unernst inszeniert, dass man neidisch werden könnt auf all den Spaß, den es bei dieser Fotoproduktion ganz sicher gab – Abstecher aufs Oktoberfest inklusive.

Der Text im Buch stammt Mark Schulz, True & Good, London, einem „brand language consultant“ und ebenfalls ein „lover of the German otdoors“, den die Fotografin in Bayern kennenlernte. Die Models heißen Ashley Smith, Dioni Tabbers, Eden Zimmerer, Georgie Badiel, Nicole Poturalski, Sofia Rudieva, Syrie Moskowitz, Tallulah Morton oder Valeria van der Graaf. Für ihr Erscheinungsbild zeichnet Stylistin Susanne Kölmel, es gibt Hair, Make Up und Prop Stilisten mit entsprechenden Assistenz und zudem ein Retouching. Der ganze Bildband überhaupt ist 40 Jahre nach dem oben zitierten Text von Georg Seeßlen und 50 Jahre nach Susan Sontags grundlegenden „Notes on Camp“, 1964, ein frivol retouchierter Kommentar auf das, was uns noch an Heimat – und wer liefert dafür bessere Kostüme und Trachten? – und an Bayern heilig ist.

Camp wird seit Susan Sontag verstanden als stilistisch überpointierte Art der Wahrnehmung. Camp wendet sich schamlos dem Trivialen und Alltäglichen zu, feiert den Triumph des Stils über den Inhalt, des Ästhetischen über das Moralische, der Ironie über die Tragödie. Klare Absicht ist es, die Hierarchien des Geschmacks auf den Kopf zu stellen.

Susan Sontag: „The hallmark of Camp is the spirit of extravagance. Camp is a woman walking around in a dress made of three million feathers.“ Ellen von Unwerth zeigt, dass das auch auf der Alm und Hüttn, im Dirndl, in Dessous oder nackt funktioniert. Bestens sogar.

Alf Mayer

PS. Ellen von Unwerth, 1954 in Frankfurt geboren, die Eltern früh gestorben, im Waisenhaus und bei Pflegefamilien aufgewachsen, verschlug es im Alter von zehn Jahren nach Kaufbeuren ins Allgäu. Georg Seeßlen wurde dort erst etwas später wohnhaft… an der alten Stadtmauer, im Henkershaus. Aber das ist eine andere Geschichte.

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