Geschrieben am 4. November 2015 von für Bücher, Litmag

Sachbuch: Franz Stadler, Manfred Hobsch: Die Kunst der Filmkomödie

Hobsch_Stadler_Filmkomödie_Band 1Filmgattung mit Regenbogenspektrum

— Das Wort „Standardwerk“ sollte spärlich verwendet werden. Alf Mayer findet es mehr als angebracht für ein zweibändiges, beinahe 950seitiges Filmbuch aus einem kleinen, mutigen Verlag. Es beschäftigt sich mit etwas halbwegs Verfemtem – mit der Filmkomödie.

Das Erhabene und das Niedrige liegen bei keinem Filmgenre, bei keiner Filmgattung, so nah nebeneinander wie bei der Filmkomödie. Alles, was immer schon die Naserümpf-Distanz zwischen U und E ausmachte, findet hier Spielfelder, Fallstricke und vor den Kopf genagelte Bretter. Nur die mutigsten Filmkritiker wagen sich auf dieses Terrain vor, entsprechend wenig und seltenwird es bepflügt. „Ins Kino gegangen, gelacht. Filmische Konditionen eines populären Affekts“ heißt ein entsprechendes Distanzwerk von 1997. Tiefschürfende Analysen, gar so glänzend geschriebene wie „Lachende Erben, Toller Tag“, die Dissertation des leider zu früh verstorbenen Karsten Witte über die Filmkomödie im Dritten Reich (1995 zusammen mit zehn weiteren luziden Witte-Texten bei Vorwerk 8 erschienen und immer noch ein Glanzstück deutscher Filmpublizistik) sind Ausnahme.

Das seit Aristoteles gepflegte intellektuelle Vorurteil, gegenüber der erhabenen Tragödie sei die Komödie eben minderwertig und weniger Aufmerksamkeit wert, hält sich hartnäckig. Unterhaltung gilt als etwas Triviales, als bestenfalls niedere Kunst. Um Kunst aber geht es beim Humor, keine Frage. Jean Paul nennt ihn in seiner „Vorschule der Ästhetik“ (Kapitel 19) „einen Gaukler, der auf dem Kopfe tanzend, den Nektar hinaufwärts trinkt“. Folgerichtig trägt das hier vorzustellende zweiteilige Werk zu Recht den Titel „Die Kunst der Filmkomödie“. Erschienen ist es im Filmbuchverlag Harald Mühlbeyer. Band 1 „Komiker, Gags und Regisseure“ ist 446, Band 2 „1.000 Filmkomödien“ 492 Seiten stark. Es handelt sich dabei um ein publizistisches Unternehmen, das gewiss weit mehr von Herzblut, Sachkenntnis und Liebe zum Gegenstand als von der Aussicht auf hohe Auflagen befeuert worden ist. Darum: Hut ab!

Herkunft vom Zirkus

Das Wort Slapstick stammt aus dem Zirkus, kommt von den „sticks“, den Stöcken der Zirkusclowns, die sie aneinander schlagen („slap“), um den Beifall des Publikums zu heischen. Eine der ersten Filmkomödien zum Beispiel, „Der begossene Gärtner“ (L’arrouser arrosé) der Brüder Lumière aus dem Jahr 1895, zeigt einen Gärtner, dem ein Streich gespielt wird: Ein Gartenschlauch macht sich wassersprühend selbständig, die abschließende Jagd nach dem Täter sorgt für weitere Lacher. Missgeschick, Tücke der Objekte und Verfolgungsjagd sind die Elemente dieser kleinen Slapstickkomödie. Und natürlich Tempo. Das verschärfte sich noch einmal, als der Tonfilm in den 1930er Jahren den Slapstick mit Sprachwitz und Dialogfeuer zu erweitern begann. Die Comedians der Bühne doppelten sich zum Duo oder gar zur Gruppe: Abbott und Costello, Laurel und Hardy, die Three Stooges, die Marx Brothers. Mit Sprachwitz begeisterten Mae West oder W.C. Fields, auch Heinz Rühmann, Hans Moser, Heinz Erhardt. Sie alle – und Hunderte andere mehr – werden porträtiert in dem zweibändigen Handbuch „Die Kunst der Filmkomödie“.

„Eine Komödie ist ein Film, bei dem ein Publikum dafür zahlt, dass es lachen darf“ (Georg Seeßlen). Dass das Kino so schnell und weltumspannend zum Massenmedium wurde, das hat auch mit der Einladung zum Lachen, hat mit der Filmkomödie zu tun. Bis heute funktioniert dies zuverlässig und sogar so gut, dass – gefühlte – 80 Prozent der besucherstärksten Filme Komödien sind. Der Marktanteil des deutschen Films, im Jahr 2015 werden es an die 30 Prozent, wird seit Jahren überwiegend von je drei bis fünf Komödien bestritten, 2015 sind es „Fack ju Göthe 2“ (7,2 Mio Zuschauer), „Traumfrauen“ (1,7 Mio), „Der Nanny“ (1,6 Mio), „Frau Müller muss weg“ (1,1 Mio) und die Hitler-Gratwanderung „Er ist wieder da“ (bisher 1,5 Mio). Man überprüfe die Faustregel: Wenn ein deutscher Film an den Kinokassen erfolgreich ist, handelt es sich in dreikommafünf von vier Fällen um eine Komödie. In der ewigen Hitliste der erfolgreichsten deutschen Filme sind die ersten 14 der 15 erfolgreichsten allesamt Komödien, sind 24 der einspielstärksten 30 Filme komödiantischen Charakters.

Über das Populäre zu schreiben – ein Drahtseilakt

Eine Komödie braucht keine Erklärer, Interpreten oder Vermittler. Sie funktioniert ganz ohne Anleitung oder Metaebene. Sie wirkt unmittelbar. Oder eben nicht. Das aber ist es, was die „seriöse“ Filmkritik eine Komödie in dreikommafünf von vier Fällen scheuen lässt wie der Teufel das Weihwasser oder sie wenn, oft nur herablassend behandelt. In seinen „Grundlagen des populären Films“ in den späten 1970ern hatte Georg Seeßlen gerne über Gangster, Western, Science Fiction oder was immer enzyklopädisch schreiben können, dass er auch der Komödie einen Band widmete, zeigte, dass er das Populäre tatsächlich ernst nahm – und es trennte ihn auf immer zu gewissem Teil von der elitären Filmkritik. Bis heute hat er, obwohl produktiv wie kein zweiter deutscher Essayist, nicht einen einzigen der Kritikerpreise erhalten, die den immer gleichen Leuten nachgeworfen werden. (Siehe auch die Hinweise auf sein Buch über Christoph Schlingensief in dieser CulturMag-Ausgabe.)

Damit Komik wirkt, muss sie bis ins Detail ausgefeilt sein wie ein ausbalancierter Zirkusakt, nur äußerst selten entsteht sie zufällig oder unfreiwillig. Es braucht Timing, Raffinesse der Inszenierung, Einfallsreichtum, Phantasie und Intelligenz, beste Drehbuchautoren, beste und demütige Darsteller, pfiffige Regisseure, ein ganzes Ensemble an ineinandergreifenden Leistungsträgern. Die Kunst der leichten Unterhaltung ist weit schwerer als sie scheint. Um über Komödien zu schreiben, muss man das Kino wirklich lieben, seine Effekte, die Interaktion im Saal, die Zuschauer, die Filme und ihre auch handwerkliche Kunstfertigkeit. Franz Stadler und Manfred Hobsch, die Autoren der zweibändigen „Kunst des Filmkomödie“, gehören zu dieser Spezies. Franz Stadler gründete mit seiner Frau Rosemarie 1971 mit dem „filmkunst 66“ das erste Programmkino Berlins, das sich legendären Ruf erwarb. In der Filmbranche sind die Stadlers hochangesehen, im persönlichen Umgang ein Vergnügen. Stadlers Ko-Autor, der Filmjournalist Manfred Hobsch, Mitbegründer und Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins zitty, machte sich mit vielen Starmonographien einen Namen, schrieb Bücher wie „Liebe, Tanz und 1000 Schlagerfilme“, „Das Lexikon der Katastrophenfilme“ oder „Mach’s nochmal – Das große Buch der Remakes“. Sechs Bände umfasst sein „Film im Dritten Reich“. Viel versammeltes Fachwissen also, dennoch wird auch ihnen aus akademischer Warte bestenfalls Fan-Status attestiert. Sei’s drum.

Hobsch_Stadler_Die Kunst der Filmkomödie2_PresseOtto Walkes zwischen Karl Valentin und Mae West

Die beiden ergänzen sich perfekt, schreiben anschaulich, kenntnisreich und wenig theorielastig über die Gagmaschine Kino. Im ersten Band stellen sie Grundformen, Stilmerkmale und Hauptthemen der Filmkomödie vor, spannen den Bogen von der Stummfilmgroteske bis zur heutigen Comedy, erklären Unterschiede und Mechanismen der Slapstick-, Gesellschafts- oder Tragikkomödie, von Gaunerstücken, Parodie oder Satire, porträtieren dabei 60 der besten Komödienregisseure und 70 wichtige Filmkomiker. Ihr ABC der großen Filmkomiker stellt Otto Walkes zwischen Karl Valentin und Mae West, Charlie Chaplin zwischen Jim Carrey und Chevy Chase, Dieter Hallervorden zwischen Alec Guiness und Tom Hanks, und reicht von Abbott & Costello, Woody Allen und Rowan Atkinson über Louis de Funes, Cary Grant, Dieter Hallervorden, Bob Hope, Jack Lemmon, Jerry Lewis, Nino Manfredi, Walter Matthau, Monty Python, Hans Moser, David Niven, Helge Schneider, Peter Sellers bis Peter Ustinov, Gene Wilder und Robin Williams.

Als Grundthemen der Filmkomödie machen Stadler und Hobsch aus: David gegen Goliath, Romantic Comedies, Hochzeitstrouble, Missverständnisse und Verwechslungen, Rollen- und Geschlechtertausch, Spaß mit Leichen, Kleine Fluchten, Situations- und Familienkomödien, Screwball Comedies, Gaunerkomödien, Culture Clash, Komische Prämissen oder Pikarische Abenteuer. Zu den 20 Grundgags der Filmkomödie zählen sie: Kleine Ursache – große Wirkung, Große Ursache – kleine Wirkung, Tücke der Objekte, Umwandlung der Dinge, Fehlverhalten, Kunst der Zerstörung, Anti-Gags und Running Gags, Spätzündung, Kettenreaktionen, Verfremdungseffekte und das Spiel mit der Gefahr. Überall das kann man streiten, es erweitern oder verengen wollen, es schmälert nicht den Wert der Bände als Standardwerk.

Unter den porträtierten „besten“ Komödienregisseuren finden sich Pedro Almodóvar, Philippe de Broca, Detlev Buck, die Coen-Brothers, Blake Edwards, Howard Hawks, Marco Ferreri, Juzo Itami, Richard Lester, Ernst Lubitsch, Alain Resnais, Ettore Scola, Lina Wertmüller und Billy Wilder.

Und dann warten im Band 2 noch tausend Filmkomödien. Ursprünglich sollten es 100 und sollte es sein Anhang sein. Als die beiden Autoren aber unabhängig voneinander eine Liste der ihrer Ansicht nach 100 besten Filmkomödien erstellten, mussten sie erkennen, dass nicht einmal die Hälfte der Titel identisch war. So unterschiedlich sind persönliches Humorempfinden und individuelle Filmerfahrung. Auch die Ausweitung auf 1000 Titel schafft dieses Problem nicht aus der Welt, aber es schöpft einigermaßen das Regenbogenspektrum der Filmkomödie aus. Nur die (weithin lustige) Welt der Trickfilme und der satirischen Dokumentationen bleiben ausgenommen. Die Reise beginnt mit „Abbott und Costello treffen Frankenstein“ und „Abenteuer in Rio“, „Abgeschminkt“ und „Die Abfahrer“, führt zu „Being John Malkovich“ und „Bettgeflüster“, „Fanfan der Husar“ und „Hatari!“, zum „Käfig voll Narren“ und zu „Moskau glaubt den Tränen nicht“ und zum „Peking Opera Blues“, bietet „Das Schwein von Gaza“ und „Taxi zum Klo“, „Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz“, „Vier Fäuste für ein Halleluja“, „Zurück in die Zukunft“ und schließt mit Mel Brooks „Zwölf Stühle“. Das Hohe neben dem Niedrigeren, beides vom Nektar des Humors getränkt und himmelsauf getrunken und so beschrieben, dass man auf Jahre Lust auf Film und Nektar hat.

Alf Mayer

Franz Stadler, Manfred Hobsch: Die Kunst der Filmkomödie. Zweibändiges Handbuch. Band 1: Komiker, Gags und Regisseure. 446 Seiten, mit vielen Abb. Band 2: 1.000 Filmkomödien. 492 Seiten. Je Band 29,90 Euro. Mühlbeyer-Filmbuchverlag, Frankenthal 2015. Weitere Infos zu Buch und Verlag hier.

Weitere Literatur zum Thema:
Georg Seeßlen: Klassiker der Filmkomik. Geschichte und Mythologie des Komischen Films. (1976, auch 1982 bei Rowohlt)
Joe Hembus: Das Western-Lexikon (München 1995)
Michael Kohler, Sascha Westphal: Die 50 besten Filmkomödien … und die DVDs, die Sie haben müssen. Bertz + Fischer, 2009.
Thomas Brandlmeier: Filmkomiker – Die Errettung des Grotesken (1983)
Karsten Witte: Lachende Erben, Toller Tag. Filmkomödie im Dritten Reich. (Vorwerk 8, Berlin 1995). Besprechung hier.
Knut Hickethier: Komiker, Komödianten, Komödienspieler (2000).
John Vorhaus: Handwerk Humor (Zweitausendeins, 2010)

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