Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, Special Thomas Wörtche, Specials, Thomas Wörtche

Frank Göhre, Lutz Göllner, Tobias Gohlis, Nina Grabe

Frank Göhre

Lieber Thomas,

Anfang der Siebziger Jahre hast Du in Bochum studiert. Anfang der Siebziger Jahre habe ich in unmittelbarer Nähe des Bochumer Polizeipräsidiums gewohnt. Beides konnte nicht ohne Folgen bleiben. In Erinnerung an jene Zeit und zu Deinem Siebzigsten widme ich Dir diesen Text.

Bochum,
1 Uhr nachts
Das menschliche Hirn ist eine Fehlkonstruktion
Gegenüber zwei erleuchtete Fenster
Fleetwood Mac
stell dir vor
all das
was wir bisher gehört haben
das ist so
wie jetzt
Fleetwood Mac
das ist
sagt Körner und dreht einen Joint und wir spielen
Nowack auf dem Dachboden
und ich sage
alles
was mir so einfällt
ist für mich wichtig
sind neue Erfahrungen
und man sollte aufhören zu schreiben und einfach nur sagen
Ich bin ein Gedicht
so wie Timm Ulrichs
der unbeschreiblich ist
die Beschreibung meines Lebens
verschlägt mir die Sprache
was man noch sagen kann
was man sich noch anhören kann
was nicht gleich Kunst ist
was nicht gleich ein gelungenes Gedicht ist
was nicht gleich ein großer Wurf ist,
was nicht gleich ein Talent ist
was nicht gleich ein Sprecher der jungen Generation ist
was nicht mehr und nicht weniger ist als
der eingetrocknete Rest Spaghetti mit Ketchup
vom Vortag
zerwühlte Bettlaken
die vergessene Haarspange im Bad
das auf der Leine hängende tropfende Hemd
die Turnschuhe
und das hervor sprießende Gras zwischen den
Pflastersteinen
das
was ich
täglich sehe
höre und rieche
schreib es einfach auf
eine Sirene ist zu hören
Blaulicht zuckt über die kahlen Wände
der Tonarm senkt sich auf die schwarze Scheibe
Peter Greens Gitarrenton spannt einen Bogen
über die Stadt
in so einer Nacht ist alles möglich
Ich hebe das Glas auf Dich,
umarme Dich, und wünsche Dir
viele weitere kraftvolle Jahre – Frank

Frank Göhre Juli 2024

Anm. d. Red.: Frank Göhre bei uns hier. Zuletzt: Margaret Millar & Ross Macdonald – Familiengeheimnisse und und Frank Göhre porträtiert für uns Eugene Izzi. Blick in seinen zuletzt erschienen Roman: „Harter Fall“ – Ein Textauszug

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Lutz Göllner

Im Jahr 1991, gleich nach meinem Volontariat, beschloss ich, mich als freier Journalist selbstständig zu machen. Natürlich hätte auch ich am liebsten fürs Feuilleton geschrieben, aber ich erkannte damals schon, dass ich mich in eine nahezu unüberschaubare Konkurrenz begeben würde. Ich spezialisierte mich also auf Themen aus dem Bereich Bildung und Wissenschaft (damals gab es zu diesen Themen unendlich viele Anzeigen, FAZ und Süddeutsche erschienen mit dicken Spezialbeilagen). Mein raffinierter Plan ging auf, man konnte gut von Artikeln zu dem Thema leben. Es war allerdings auch furchtbar langweilig, weil ich wahnsinnig viel mit Textbausteinen arbeitete.

Auftritt Thomas Wörtche: Ich war ein großer Fan der beiden Krimi-Jahrbücher, die er 1989 und 1990 herausgegeben hatte. Eine Freundin erzählte mir, dass Wörtche gerade nach Berlin gezogen sei und an einem vierteljährlich erscheinendem Krimi-Magazin saß. Bei einer Lesung stellte ich mich ihm vor, machte ganz selbstbewusst gleich ein paar Themenvorschläge und sagte ihm auch, dass ich seine Einschätzung der TV-Serie „Spenser“ überhaupt nicht teilte. Thomas fand die doof, für mich war das die damals beste Krimiserie überhaupt. Herr Doktor Wörtche kräuselte recht belustigt seinen Schnauzbart, immerhin fand er mich aber anscheinend nicht komplett blöde.

Und so wurde ich Rezensent für „Underground“, ein schmales Taschenbuch-Magazin, das damals im vermutlich mit SED-Geldern finanzierten Reiher-Verlag erschien. Das war toll, denn so lernte ich James Ellroy kennen (ein sehr unangenehmer Mensch), den inzwischen leider dem Vergessen anheim gefallenen Robert Campbell (ein sehr angenehmer Mensch) und den großartigen Ross Thomas (samt seiner klugen und reizenden Ehefrau).

Und irgendwann drückte Thomas mir ein Buch in die Hand von einem gewissen James Lee Burke. „Neonregen“ war sein erster echter Krimi, vorher galt Burke Kritikern zwar als „neue Stimme des amerikanischen Südens“, aber Verlegern als absolutes Kassengift. Ich war von Anfang an gehookt: Dieser zerrissene Charakter Dave Robichaux, gejagt von den Geistern Vietnams und dem Monster Alkohol, im Gegensatz gesetzt zu der Geborgenheit der Familie, ewige Loyalität und Freundschaft und der landschaftlichen Schönheit des Mississippi-Deltas, das hat mir extrem gut gefallen.

Längst bin ich kein freier Journalist mehr, sondern fest angestellter Redakteur mit dem Schwerpunkt Medien. Noch immer stimmen Thomas Wörtche und ich nicht immer mit unseren Urteilen überein. Nicht erst nachdem ich mit Andrew Vachss an einem Comicband zusammen gearbeitet hatte, wurde ich ein großer Fan des selbsternannten „Rächers“. Und ein Interview mit Mickey Spillane im Haus und Garten von Johannes R. Brecher, überwacht von Lotte Ulbricht, war eine komplett surreale Erfahrung, egal ob Mickey nun ein Klerikalfaschist war. Schließlich habe ich Thomas einige der besten Krimis der letzten Jahre zu verdanken, allen voran Candice Fox und James Krestel.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Und danke schön.

                                                                                                                                    Lutz Göllner

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Tobias Gohlis

Tobias Gohlis: T und T

Es war, glaube ich, der Viktoria-Luise-Platz in Berlin-Schöneberg. 2001. Ich hatte gerade die Krimikolumne in der ZEIT übernommen, und wollte das professionell angehen. Aber nach Jahren der Hobby-Leserei mit Lust und Laune. Es war ein heißer Sommertag, und der Schatten war rar. Ich hatte mich mit Thomas Wörtche verabredet. Vom ersten Kaffee an „Thomas“ und „Tobias“. Wir plauderten über Autoren, Lieblinge, Bücher, sondierten Erinnerungen und Biographisches.

Das machen wir in Telefongesprächen, die nie unter einer Stunde dauern, bis heute. Mehr Ablästern über die Szene ist dazu gekommen, der Austausch über (Ehe-)Frauen und Töchter auch. Manchmal sogar über Krankheiten.

Thomas verdanke ich etliche Schubser.

Der wichtigste war, „Krimi“ weit, offen und veränderlich zu denken, Floskeln der Kritik zu revidieren. In anfänglicher Begeisterung schrieb ich über „Kriminalromane, die mehr sind als ein Krimi“, inzwischen erkenne ich an der Phrase den unbedarften Trompeter wieder, naiven Dünkel, Herablassung über vermeintliche Regeln.

Nicht weniger wichtig Thomas‘ geschulter Blick auf das Bizarre, Groteske.

Dem Herausgeber der Metro-Reihe im Unionsverlag verdanke ich großartige Leseanstöße und -erlebnisse: Immer wieder Isaac Sidel und sein jüdisch-ukrainisches New York, erfunden aus der Welt- und Lebensklugheit eines Jerôme Charyn, den ich Jahre später in seinem Apartment in Manhattan besuchen durfte, mit seiner liebsten Lenore. Jean-Claude Izzo, den früh Verstorbenen aus Marseille. Leonardo Padura, der uns mit Mario Conde und der „verborgenen Generation“ Kubas vertraut machte. Afrikaner, Asiaten, Südamerikanerinnen – Weltliteratur einer Generation, die mit Krimi einen Kosmos erschloss.

Dem Herausgeber bei Suhrkamp u.a. James Kestrel, Sybille Ruge, Aidan Truhen, Candice Fox. Allen nachzuspüren im Archiv der Krimibestenliste, auf der selten weniger als zwei Titel aus Wörtches Werkstatt zu finden sind. Suhrkamp war von Beginn an ein bedeutender Verlag, mit Thomas Wörtches Herausgeberschaft wurde er der bedeutendste deutsche Verlag für Spannungsliteratur. (Was andere mal waren.)

Über das Telefonieren hinaus haben wir ein paar gute Sachen gemeinsam gestartet.

„Krimis machen“ haben wir erfunden, als groß angelegten Versuch, Autoren, Kritiker, Verlagsleute (Vertrieb und Lektorat) zusammenzubringen, erörtern zu lassen, wie man Kommerz und Kriminalliteratur gedeihen lassen könnte. Nach vier Tagungen in Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg und Köln waren die Chancen und auch die Grenzen ausgelotet. Erschöpft, bereichert um zahlreiche tolle Begegnungen, angeregt sanken die Teilnehmer in ihre althergebrachten Habitate zurück.

Ein anderes gemeinsames Projekt war das Magazin „Crime &…“. Zwei Anthologien kamen zustande: Die Fiktionalisten berichteten über die Realitäten ihrer Fiktionen. U.a. Mike Nicol über die Ausplünderung des neuen Südafrika durch seine kleptomanen Herrscher, Petros Markaris stöhnte im selben Band „Crime&Money“ über die Verstrickung von Geld und Politik in Griechenland; in „Crime & Sex“ erinnerte Frank Göhre an Kiez und Kokain in St. Pauli, Liza Cody porträtierte obdachlose Frauen.

Auch hier waren die Genre-Grenzen letztlich zu eng. Leser-Erwartungen suchten nach anderen Sensationen, der Verlag stellte das Projekt ein, jeder von uns hat noch einen Karton Remittenden zu Hause, die halbjährlichen Abrechnungen berichten von zwei bis drei verkauften Büchern.

Jetzt, lieber Thomas, wirst Du siebzig, eine Grenze, die ich schon hinter mir habe. Als mir das unterlief, lehnte ich mich innerlich zurück bei dem Gedanken, endlich ein alter weiser Mann geworden zu sein. Törichter-, glücklicherweise habe ich immer noch weitergemacht. Dir wünsche ich alles Gute, kein Nachlassen des Trüffelinstinkts und der Gedankenschärfe, bei zunehmender Milde. Nach Deinem Urlaub und Geburtstag telefonieren wir mal wieder, Ja?

Anm. d. Redaktion: Begründer und Sprecher der Krimibestenliste. Zu seinem Krimiblog Recoil geht es hier. Zusammen mit TW Begründer der einzigartigen Branchenkonferenzen KrimisMachen I bis IV.

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Nina Grabe: Live und in Farbe

Lieber Thomas,

die herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag, alles Liebe und Gute! Ich kann nur sagen: Ein riesiges Danke für so viele Jahre des Austauschs, dafür, dass ich von Dir lernen durfte, Deinen Rat einholen. Und mich darüber freuen konnte, dass Du als Kritiker so unbestechlich bist. Ich musste gerade an unser letztes Telefonat denken – wo Du mir einen Schritt voraus warst – meine Daumen sind feste gedrückt 🙂

Wie sehr ich Dich schätze, auch über die Arbeit hinaus, weißt Du.

Ich wünsche Dir und Anna einen wunderschönen Tag, lass Dich feiern!

In diesem Sinne: Auf die nächsten Jahrzehnte, auf ein Wiedersehen – live und in Farbe – hoffentlich bald!

Cheers,
Nina Grabe

Lektorin Belletristik im Rowohlt Verlag

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