Geschrieben am 2. Juli 2011 von für Bücher, Crimemag

C.J. Box: Blutschnee

Von Schoßhündchen und Wanderfalken

C.J. Box erzählt aus dem Innern der USA. „Blutschnee“ verwandelt die Berglandschaft Wyomings in ein Territorium staatlicher Paranoia. Thomas Wörtche ist begeistert.

Hinter Unspektakulärem verbirgt sich manchmal große Klasse. Das ist bei den Joe-Pickett-Romanen von C.J. Box der Fall, die auf den ersten Blick so gar nichts von sich hermachen. Das liegt nicht nur an der eher arg unauffälligen Präsentation bei Heyne (wo die Box-Romane in der Flut der Taschenbücher untergurgeln), das liegt auch an dem auf den ersten Blick biederen Gesamt-Design der Reihe. Outdoor-Romane über wackere Wildhüter in den bergigen Gegenden der USA – das hört sich robust, unelegant und ein klein wenig langweilig an. Dazu viel Familie, kleine Gemeinden und majestätische Natur – na ja, denkt man sich, welche gewalttätigen Halluzinationen hätte James Crumley daraus gemacht oder die frühe Jenny Siler.

Saddlestring, Wyoming

Aber der langen Vorrede guter Sinn: C.J. Box schreibt Romane über einen Familienmenschen von Wildhüter, der im Twelve Sleep County in Wyoming amtet und in dem Kaff Saddlestring in den Bighorn Mountains lebt. Diese Romane über Joe Pickett, so heißt der brave Beamte, sind spannend, elegant geplottet, extrem ausgekocht und haben eine sehr bösen politischen Blick auf die mentale Verfasstheit der USA.

Blutschnee“ ist im Jahr 2003 erschienen, als der 9/11-Schock noch frisch war. Zudem prägten die Umtriebe der radikalen „Militias“ und anderer rechtsextremer Bewegungen inklusive des Attentats von Oklahoma das öffentliche Bewusstsein. Die Belagerung der Branch Davidian Sekte von Waco, Texas, bei der 82 Menschen ums Leben kamen und für die manche Kreise das FBI verantwortlich machten, und andere militante Auseinandersetzungen zwischen einer als bürgerfeindlich empfundenen Zentralgewalt und atavistischen freemen und anderen hinterwäldlerischen Gruppierungen, waren noch durchaus präsent. Alle diese Dinge bilden den Hintergrund, vor dem „Blutschnee“ spielt. Ein offensichtlich verrückt gewordener Beamter der Bundesforstbehörde wird mit Pfeilen an einen Baum genagelt und ausgeblutet, ein zweiter schwer verwundet. Die lokale Polizei, ohnehin nicht ein Garant von Rechtsstaatlichkeit, ist überfordert. Regierungsbehörden einschließlich des FBI fallen in die Gebirgsidylle ein. Gleichzeitig kommt ein Treck von Gescheiterten, politisch vorbelasteten Ex-Sträflingen mit rechtsextremem Hintergrund, Arbeitslosen und anderen Existenzen, die man unter anständigen Bürgern gerne white trash nennt, in Saddlestring an. Das fahrende Volk errichtet eine Art befestigtes Lager in einem Wald, der dem Staat gehört. Alles läuft auf eine blutige Konfrontation mit den Ordnungshütern, besonders mit den den Konflikt schürenden und provozierenden FBI-Leuten hinaus, deren Geisteszustand nicht sehr stabil zu sein scheint. Joe Pickett, dessen Adoptivtochter zwischen die Fronten, d. h. ganz konkret ins Kreuzfeuer zu geraten droht, muss dringend eine Lösung finden, um einen kleinen Bürgerkrieg zu verhindern. Als beinahe alles gut wird, zieht Box die Schrauben des Plots jedoch noch einmal an. Die Angelegenheit wird richtig wüst.

C.J. Box (Quelle: cjbox.net)

Regio goes Polit …

„Blutschnee“ verwandelt sich still und leise von einem abenteuerlichen Gebirgskrimi zu einem feinen Polit-Thriller. Ohne große Politik, ohne Verschwörungstheorien und ohne  Standard-Figuren und -Figurationen seziert Box den Verfall demokratischer Kontrolle und beschreibt anhand eines anscheinend nur lokalen, eher marginalen Ereignisses die Willkürherrschaft, die eine selbstreferentielle Bürokratie errichten kann. Zudem porträtiert er mit eisiger Präzision die psychopathischen Charaktere, die in solchen Systemen blühen und gedeihen und mit denen man aus rein systemischen Gründen kaum auf legalem Wege fertig werden kann. Formales Recht schlägt in schreiendes Unrecht um. Die Figur der Melanie Strickland von der US-Bundesforstverwaltung ist als Psychopathin jedem Serialkiller an terrorisierendem Grusel- und Gänsehautpotential weit überlegen. Sie braucht kein Hackmesser, ihr Verhältnis zu ihrem Schoßhund reicht aus, um einen schlecht schlafen zu lassen.

Joe Pickett hingegen, der tapfere und aufrechte Wildhüter ist eine beeindruckend stimmige Hauptfigur. Kein Superheld, kein omnipotenter Einzelkämpfer im tiefen Forst; er ist noch nicht einmal ein Held, sondern einfach ein anständiger Mensch, der sich zwar in eine Sache reinhängen kann, aber auch nicht mehr.

Die literarischen Mittel, mit denen Box seine Geschichte erzählt, sind angemessen down-to-the-ground. Ein Erzählen, das nicht pausenlos darauf hinweist, wie clever und ausgefuchst es ist, sondern mit ruhiger Souveränität die komplexe Geschichte, die Haupt- und Subplots fest im Griff hat. Box beobachtet genau, und vor allem weiß er, wovon er erzählt. Deswegen sind auch seine Naturschilderungen von Landschaft und Tieren (großartig die Beschreibung von Raubvögeln auf der Jagd) nicht Kulisse, sondern konstitutiv für den Roman. In den USA hat Box Preise galore abgeräumt, bei uns muss er dringend viel bekannter werden. Sonst entgeht uns etwas.

Thomas Wörtche

C.J. Box: Blutschnee (Winterkill, 2003) Roman. Deutsch von Andreas Heckmann. München: Heyne 2011. 45 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum BuchWebseite des Autors

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