Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, Special Thomas Wörtche, Thomas Wörtche

Suhrkamp Logbuch: Durch die Bibliothek … von TW

Im Juli 2016 unterhielt sich die Logbuch-Redaktion von Suhrkamp im Rahmen ihrer Reihe „Durch die Bibliothek…“ mit Thomas Wörtche. Hier die Fragen und die Antworten …

Nach welchem System ordnen Sie Ihre Bücher?
In der Logistik würde man mein System vermutlich »chaotische Lagerhaltung« nennen, bei der nur der Computer weiß, wo das einzelne Teil steht. Der Computer ist in diesem Fall mein Kopf, der sich, auch für mich erstaunlich, meistens daran erinnert, wo ich ein bestimmtes Buch wann zuletzt gesehen habe. Natürlich gibt es eine basale Grobstruktur: Non-Fiction, Theorie, Fiction, die wiederum unterteilt in Non-Genre und Genre, wobei Non-Genre nach Sprachen geordnet ist. Weil ich pausenlos irgendwelche Bücher herausreiße, sieht das alles nicht sehr ordentlich aus – ich habe also ein sehr pragmatisches Verhältnis zu meiner Bibliothek. Wenn ich an einem längeren Text arbeite, entsteht ein Hand-Apparat zum Thema, allerdings meistens auf dem Fußboden oder auf einem Rolltisch.

Welches Buch lesen Sie gerade?
Eigentlich darf ich zur Zeit gar keine Bücher lesen, ich soll ja Programm machen, weswegen ich am Computer und auf dem Tablet pausenlos .pdfs und .docs lese. Aber, entre nous, natürlich büxe ich aus und lese derzeit parallel: Albrecht Koschorkes schmale, aber gewichtige Studie: Hitlers Mein Kampf. Zur Poetik des Nationalsozialismus, den erstmals auf Deutsch vorliegenden argentinischen Jahrhundert-Comic Eternauta von Héctor Germán Oesterheld und Francisco Solano López sowie Ross Thomas‘ Porkchoppers.

Wie weit reicht Ihre Sammlung zurück?
Ein gewisser Kern reicht in meine Schüler- und Studentenzeit zurück. Hauptsächlich basics und damals vom Munde abgesparte Gesamtausgaben von allem, was man so braucht: Von Aristoteles bis Herzmanovsky-Orlando und Kurt Schwitters. Aus der Zeit sind auch viele Surrealisten übriggeblieben, die Anarchisten, eine Menge englisches 18. und französisches 19. Jahrhundert. Allerdings habe ich Umzüge immer für radikale Reduktionen genutzt, mindestens um 50 bis 60 Prozent. Beim letzten Mal sind ganze Arbeitsgebiete draufgegangen, von denen ich der Meinung war, dass ich angesichts ablaufender Lebenszeit eh nicht mehr dazu kommen werde, darunter viel deutschsprachige Literatur der 70er Jahre, ganze Regale Science-Fiction, Berge von Kriminalliteratur und eine ziemlich große Filmabteilung. Was auch heißt, dass ich einzelne Titel hin und wieder nachkaufen muss. Eigentlich müsste für jedes Buch, das reinkommt, eines raus. Die Statik meiner Wohnung ist sowieso prekär. Insofern sind meine Bestände eher fluid.

Welche Bücher liegen Ihnen besonders am Herzen?
Ein besonders bibliophiler Typ bin ich nicht, au contraire. Aber ohne direkten Zugriff auf ein paar Essentials zu leben, würde mir extrem schwerfallen. Dazu gehören sicher alle Joyciana, viel Theorie – Bourdieu, Barthes, Wittgenstein, Bachtin, Foucault etc. –, die Grundlagen der Kriminalliteratur – Hammett, Himes, Ambler, Thomas, Simenon, Manchette etc. – und Bildwelten von Bosch bis Tardi.

Welches Buch hat Ihr Leben verändert?
Ein einzelnes Buch sicher nicht. Das ging immer, in verschiedenen biographischen Schichten, in Clustern: Erst Joyce, Proust, Kafka, Musil, Beckett und Thomas Bernhard, dann Rabelais und Grimmelshausen, Heinrich Heine und E.T.A. Hofmann, interpunktiert von Alfred Jarry, Oskar Panizza, André Breton. Dann John Brunner, Philip K. Dick und James Graham Ballard, ein nächster Schub waren Ross Thomas, Eric Ambler, Dashiell Hammett, Patricia Highsmith, Chester Himes, Jean-Patrick Manchette. Inwieweit Lektüren direkt das Leben verändern, weiß ich nicht so genau, da gibt es so viele andere wirkmächtige Faktoren. Bücher verändern auf jeden Fall den Blick auf die Welt und natürlich zieht man daraus auch Konsequenzen für’s Leben, zumindest subkutan.

Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt?
Das weiß ich schon gar nicht mehr, weil ich eigentlich gar keine Bücher verschenke. Da steht man ja pausenlos unter Verdacht, das seien eh nur Rezensionsexemplare. Allerdings bin ich ein viel zu großzügiger Bücherverleiher, ohne den buchhalterischen Ethos, mir zu merken, wem ich was geliehen habe. Führt, siehe oben, auch zu Nachkaufaktivitäten – oder zu manchmal vermutlich brüskierenden Telefonaten.

Wer soll Ihre Bücher einmal bekommen?
Meine Güte, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Bitte bedient Euch, meine Lieben.

Wie sieht Ihre ideale Bibliothek aus?
Riesige, lange Regale, allerdings nur mit drei Brettern, so dass die Bücher alle in Augenhöhe stehen. Man könnte auf dem Skateboard entlangflitzen. Das Ganze mit ultrahellen Röhren ausgeleuchtet. Falls jemand ein geeignetes Loft weiß?

Thomas Wörtche, 2016 – für das Suhrkamp Logbuch

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags und mit freundlicher Amtshilfe von Demian Sant’Unione, Teamleitung Online- und Lesermarketing bei Suhrkamp

Tags :