Geschrieben am 2. August 2024 von für Crimemag, Litmag, Special Thomas Wörtche, Thomas Wörtche

Miron Zownir: »High Noon«, eine Kurzgeschichte

Die Story, die Miron Zownir für TW aus seiner unveröffentlichten Sammlung »Erste Liebe« ausgesucht hat, spielt Anfang der 60’er Jahre in der Gegend, aus der Thomas kommt, und hat einen zehn Jahre alten Protagonisten.

                                                     High Noon

Tommy hatte den ganzen Morgen verschlafen. Vom Fenster drang das dumpfe Gurren von Tauben. Sie klangen so deprimierend, dass er lange nicht aufstehen wollte. Mit seiner unerschütterlichen Beharrlichkeit ließ das trübe Morgenlicht, im Schlafzimmer alles so trostlos erscheinen. Es war der letzte Sommer bei seiner Oma und draußen schien wahrscheinlich die Sonne.

Tommy rieb sich den Schlaf aus den Augen und suchte die Sachen zusammen, die er am Vortag getragen hatte. Blue Jeans, die er an den Fußgelenken hochgekrempelt hatte, ein Tom & Jerry T-Shirt und ein paar Turnschuhe. Er ging in die Küche und knipste das Licht an. Dann wusch er sich am Waschbecken schnell das Gesicht. Das Wasser war kalt, aber er hatte keine Lust, im neuen Badezimmer, im warmen Wasser plätschernd, die Zeit zu vertrödeln. Mit einem Blick auf die Wanduhr über dem Küchenschrank, sah er dass es viertel vor zwölf war. Der Laubfrosch hatte schlechte Laune, was gutes Wetter versprach. Er war es nicht gewohnt alleine zu frühstücken und ließ sich kaum Zeit, ein halbes Marmeladebrötchen zu essen. Das Radiogerät hatte sich kaum warmgelaufen, als er bereits auf dem Weg nach draußen war. Er hatte es plötzlich so eilig, als wolle er alles nachholen, was er verpasst haben könnte.

„Was für ein herrlicher Tag“, dachte Tommy.

Die Hitze glühte wie in den Western auf die ausgestorbene Straße. Die Sonne hatte den Himmel verzaubert und die Schwalben überboten sich in akrobatischen Kunstflügen. Tauben, Spatzen, Krähen und Amseln saßen friedlich nebeneinander auf den Antennen und Abflussrinnen der Häuser. Weit und breit war keine Wolke zu sehen. Kein Haus war belebt und auf der Straße herrschte ein unbeweglicher Stillstand. Keine verschwommene Gestalt, keine Bewegung, die die Leblosigkeit des Augenblicks widerlegen konnte. Nur ein müder Kläffer, der sich im Beerdigungstempo an den Schatten der Häuser entlangschlich und sein Herrchen suchte.

Für Samstagmittag war das Kaff so verlassen, als hätte es Tommy in seinen Träumen entvölkert.

Anm. d. Red.: TW im Mai 2023 zu Miron Zownirs Fotoband »Istanbul«. Noch bis 17. August 2024 läuft in Köln in der GALERIE BENE TASCHEN eine Gruppenshow, in der Miron vertreten ist.

** **

Tags :