Geschrieben am 1. Juni 2024 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2024

Thomas Wörtche: Mythen, manchmal auch in Tüten

Zwei Mal Italien – als Projektionsraum

Thomas Wörtche über „Ewiges Imperium. Wie das römische Reich die westliche Welt prägte“ und „Mythos Nationalgericht. Die erfundenen Traditionen der italienischen Küche“

Ach, Italien – einer unserer liebsten Projektionsräume. Wenn wir nicht gerade die Mafia am Wickel haben, denke zumindest ich an zwei Dinge: Essen und Rom. Der italienische Journalist Aldo Cazzullo beschäftigt sich in „Ewiges Imperium. Wie das Römische Reich die westliche Welt prägte“ mit, was sonst, den Mythen. Den Mythen, auf denen die Römer selbst ihr Reich begründet haben, ab de urbe condita bis zum berühmten „Untergang des Römischen Reiches.“  Im lockeren Plauderton, glücklicherweise, scheucht uns Cazzullo durch die römische Geschichte, vom Gründungsmythos der „Aeneis“ bis zum armen Romulus Augustus. Einmal rum um die Geschichte, die der Legende nach in Troja angefangen hat, Karthago streift und am Ende in Ost-Rom, also Byzanz wieder rauskommt. Das ist alles nichts Neues, aber sehr unterhaltsam montiert.  Natürlich findet man zu jeder römischen Epoche irgendeine künstlerische Bearbeitung, zeitgenössisch oder aktuell. Und genauso ist immer Vorsicht geboten: Vergil schleimte sich bei Augustus ein, Suetons wunderbare Klatschgeschichten über die Scheusal-Kaiser Nero, Caligula & Co., sollten seinen Arbeitgebern Trajan und Hadrian gefallen (und natürlich waren die Scheusale nicht sooo scheusalig, wie wir´s gerne hätten). Und unsere naive Faszination für die alten Römer, zumindest meine, hängt sich natürlich gerne am Treiben von Gestalten wie Kleopatra, Marc Anton, Pompeius, Sulla oder Grassus auf. Und natürlich Cäsar, der so ziemlich allen Imperatoren bis in die Neuzeit als Vorlage diente. Was sich natürlich in Architektur, Ikonographie und Toponymie niederschlug. Naja, Trump kennt Cäsar vermutlich nur als Salat.

Fellinis „Satyricon“ und Ridley Scotts „Gladiator” haben, wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen, so in etwa den gleichen Realismus-Faktor, machen aber bei großen Spaß. Und lobenswerter Weise vergisst Cazzullo auch „Rome“ nicht, mein absolute Lieblingsrömer-Serie (BBC/HBO, 2005), die mir immerhin die kandierte Haselmaus als Snack nähergebracht hat. Alle wollten Rom sein  – selbst Moskau nannte sich das „Dritte Rom“ (Byzanz als Nummer zwei gedacht), Mussolinis Faschisten machten auf schwer auf Rom, die Amis bauten sich ein Kapitol nebst Senat. Napoleon schleppte was nur eben ging an Kunstschätzen nach Paris und inszenierte seine eigene Kaiserkrönung eher römisch, denn katholisch. Und dann hatten wir ja noch das Zentralafrikanische Kaiserreich unter Kaiser Bokassa I, das kommt hier aber nicht vor, schade.

Rom, so könnte man nach der Lektüre von Cazzullo sagen, ist zu einem ganzen Cluster von Metaphern geworden – für imperiale Macht (das fanden vor allem die Brits mit ihrem Empire gut, London war auch Rom, sure), für geschickte Bündnissysteme (nur wer nicht wollte, war bald tot), für einen effizienten Militär-Apparat (Legion, Star Wars, Dune), für Luxus und nette Orgien (Tinto Brass), für brutale Gewalt und Sklaverei (Spartacus), für den Machtanspruch der katholischen Kirche (my favorite one: Alexander VI) und vor allem für ein Gefühl der Superiorität (die Griechen, so sahen das die Römer mögen ja schlauer gewesen sein und kultivierter, aber wir halten den Laden zusammen). Und so deckt der Begriff so ziemlich alles, was man je nachdem mit einer Tradition zu legitimieren trachtet. Interessant wäre ja, was gewesen wäre, wenn Karthago gewonnen hätte, und die Antike statt zum Imperium zur Oikumene geworden wäre (dazu könnte man mal wieder Gisbert Haefs´ großartige Hannibal-Romane lesen, by the way). Also, wenn Sie wissen wollen, wo heute von der Sprache bis zur Populärkultur überall Rom drinsteckt, lesen Sie Cazzullo.

Und vor allem mögen wir italienisches Essen. In- und mehr noch außerhalb Italiens. Da sind wir streng auf Authentizität bedacht, da kennen wir keinen Spaß. Pustekuchen, sagt der Historiker Alberto Grandi in seiner Streitschrift „Mythos Nationalgericht. Die erfundenen Traditionen der italienischen Küche“ und demontiert penibel eine liebgewordene Gewissheit nach der anderen. Entweder sind italienische Traditionen eine Erfindung des Food Marketings der 1970er und 1980er Jahre oder Reimporte aus den USA. Die so verehrte Carbonara – ich würde töten für eine gute Carbonana – hat nix mit armen Köhlern zu tun, die im tiefen Wald sich ihr karges Essen bereiten. Grandi sieht die Carbonara als Variante des amerikanischen Frühstücks – Eier mit Speck, nur cum pasta. Oder der kultisch verehrte Lardo di Colonnata, dieser reine weiße Speck, Sie wissen schon, der in Marmorbecken ruht, aus feinsten Carrara-Marmor, versteht sich, und für den schon Michelangelo geschwärmt hat und noch doller: an dem sich römischen Sklaven gelabt hatten, die für die Protzbauten der römischen Kaiser in den Steinbrüchen geschuftet haben. Jo, Anfang der 1990er Jahre brauchte die Provinz Carrara dringend Werbung. Kulinarik war gerade angesagt, Schweinezucht für Wurst und Konserven in der Gegend weit verbreitet – also musste ein Narrativ her, das ein möglichst teures, exklusives Produkt vermarktbar machte, wobei man auf den Snobismus der internationalen Kundschaft setzte – ein Stück Speck auf´m Tisch, hnnng? Aber ein Scheibchen Lardo di Collonata, hmmm ….

Und so schlachtet Gardi eine heilige Kuh nach der anderen, mokiert sich über den Dschungel der tausend Siegeln und Ursprungsbezeichnungen vor allem bei Weinen – DOC, DOCG, IGT, DOP, IGP etc., etc., bis man ganz schwummerig im Kopf wird. So kommt er dann zu dem Schluss, dass das typischste, italienischste Lebensmittel wo gibt Nutella sei. Schöne Pointe.

Aldo Cazzullo: Ewiges Imperium. Wie das römische Reich die westliche Welt prägte (Quando eravamo i padroni del mondo – Roma: l´imperio infinito, 2023). Dt. von Thomas Stauder und Andreas Thomsen. Hamburg 2024: HarperCollins. 318 Seiten, € 24,00

Alberto Grandi: Mythos Nationalgericht. Die erfundenen Traditionen der italienischen Küche (Denominazione di origene inventata, 2018). Deutsch von Andrea Kunstmann. HarperCollins, Hamburg 2024. 255 Seiten, 22 Euro.

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