Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

Tibor Rode – Öko-Thriller mit Wölfen

Wenn Hermann Görings Killer-Wölfe im Osten wildern

Eine Besprechung von Roland Keller

Der Thriller „Lupus” von Tibor Rode (Der Wald) versperrt sich einem eindeutigen Genre und wildert, wie sein Killer-Wolf Nero, der im Blutrausch mal schnell 55 brave Schafe reißt und auch vor Menschen nicht Halt macht, in vielen Bereichen. Geschickt spielt Rode mit dem Wolfsmythos und entwirft eine Melange aus Öko-, Wissenschafts-, Historien- und KI-Thriller, samt Familiendrama – die Suche der Protagonistin Jenny Rausch, einer jungen Tierärztin, Jägerin und Wolfsbeauftragten, nach ihrer wahren Herkunft ist ein weiteres Spannungselement.

In der geschickten Verknüpfung von Fiktion, Historie, Realität und dystopischen Ausblicken reichen die Wurzeln des Schreckens tief zurück in die 30er Jahre von Nazi-Deutschland. Damals widmeten sich die Tierforscher auf der abgeschirmten Forschungsstation der Ostsee-Insel Riems, so die Fiktion, einem Lieblingsprojekt von Reichsmarschall und -jägermeister Hermann Göring: die Zucht von Killer-Wölfen für den Kriegseinsatz. Im kalten Krieg lässt die DDR mit dem alten Personal weiter forschen, das seine Haltung nie abgelegt hat und an die Legende der Nazi-Werwölfe erinnert. Nach der Wende wurde die Station zur Bundeseinrichtung für Tiergesundheit.

55 gerissenen Schafe und der unbekannte Tote, der zu Beginn in dem vorpommerschen Wald gefunden wird, sind nur die eher harmlose Ouvertüre zu der vielschichtigen Handlung. Zunächst wirkt das Buch, als wolle es sich um die immer wieder aufkeimende Diskussion widmen, wie der Staat mit Wölfen umzugehen hat, die ihren Blutrausch ausleben. Brave, gerissene Schafe sind Alarmzeichen für die Politik. Wolfsfreunde und -gegner stehen sich wütend gegenüber.

Mittendrin in dieser Gemengelage steckt die Tierärztin Jenny in ihrer Funktion als Wolfsbeauftragte. Sie weiß, das Gemetzel kann nur ein Außenseiter-Wolf angerichtet haben. DNA-Tests weisen auf eine ausgestorbene Tiergattungen hin. Der Killer-Wolf weist Merkmale unterschiedlicher, ausgestorbener Vorfahren auf, was Rätsel aufwirft, um was für ein Tier es sich hier tatsächlich handelt.

Nicht genug, dass Jennys verschwundener Vater der Mörder des ersten Toten sein könnte, es fliegt ihr ihre eigene Lebensgeschichte um die Ohren. Sie entdeckt, dass sie als Baby unter mysteriösen Umständen in ihre Familie kam. Verzweifelt sucht sie Antworten, wer sie ist und fragt sich: Ist ihr Leben eine einzige Lüge, haben ihre Eltern sie bis heute betrogen? Wer ist ihr Vater wirklich?

Beigestellt wird ihr ein junger, unkonventionelle Staatsanwalt, dessen privaten Seite sie lieben lernt und um dessen Leben sie zum Schluss bangen darf. Denn der böse Killer-Wolf nimmt auf die Liebe keine Rücksicht.

Die weibliche Antipode zu Jenny ist die smarte, auf ihr Äußeres fixierte PR-Dame eines Startups für intelligente Wolfschutzzäune. Anfänglich stolpert sie eher dümmlich durch die Zeilen, bis sie zunehmend Zweifel an den Absichten des Unternehmens bekommt und ihren Teil zur Aufklärung über die Ideologie der Finanziers und ihrer Absichten beiträgt. Dahinter stecken einige Tierforscher der Insel Riems, die nach der Wende Millionen mit illegalem Medikamentenhandel scheffelten, mit denen sie das Startup finanzierten. Allerdings geht es nur vordergründig um den Schutz vor Wölfen, lukrativer dürfte das eigentliche Geschäftsmodell sein: intelligente Schutzzäune gegen illegale Immigration.

Zeile um Zeile kommen die Wahrheit und die Hintermänner ans Licht, die über alle Regierungsformen hinweg ihre braune Ideologie bewahren und pflegen konnten. In die Handlung greift gar ein geheimnisvoller Mensch mit Wolfsmaske ein, der mit dem harmlosen Teil der Wolfszüchtungen friedlich zusammenlebt, sie schützt und dazu auch noch gemeinsame familiäre Wurzeln mit Jenny hat.

Ist man zu Beginn noch verwirrt über die zahlreichen, komplexen Handlungsstränge, gelingt es Tibor Rode diese im letzten Drittel geschickt zu verknüpfen und daraus immer neue Überraschungen zu produzieren. Nahezu bis zum Schluss bleibt auch die spannende Frage über Jennys Herkunft offen, da ihr Ersatzvater erst zum Finale wieder auftaucht, das mit einem nahezu überdrehten Tempo angesteuert wird. Fast, so als wolle der Autor den Leser entschädigen, dass er sich im ersten Viertel auf den harten Thrill gedulden muss, bis „Lupus” zum Pageturner wird. Dabei nutzt Rode den Achterbahn-Effekt, um nach langsamer Hochfahrt mit viel Schwung die Schwerkraft zu überwinden und den Leser mitzureißen.

Wer einen intelligenten deutschen Krimi sucht, wird spannend und perfekt unterhalten. Da darf man nachsehen, dass man hin und wieder über Sätze und Beschreibungen stolpert, deren Informationen sich aus dem bereits Erzählten ergeben. Ein Lektor hätte hier den Rotstift ansetzen können. Gefühlsbeschreibungen, wenn es um die Beziehung zwischen Jenny und dem Staatsanwalt geht, wirken manchmal etwas hölzern.

Bei aller Kritik erhält man einen Thriller, dessen Stoff für mehrere Bücher gereicht hätte. Ein wenig Einzäunen der überreichen Fantasie des Autors hätte der Spannung nicht geschadet und zu mehr Konzentration auf einzelne Aspekte geführt. Dennoch beste, perfekt unterhaltende Kolportage, was nicht abwertend gemeint ist.

Roland Keller

Tibor Rode: Lupus – Alles Böse kehrt zurück. Thriller. Droemer Knaur, München 2024. 480 Seiten, Paperback, 18 Euro.

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