Geschrieben am 1. Juni 2024 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2024

Schatzsuche Juni 2024 – Lesestoff

Eine Vielzahl von Krimi-Neuheiten …

… erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. 

Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. 

CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe der befreundeten Buchhandlungen

Chatwins (Berlin), 
Wendeltreppe (Frankfurt)
und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg)

auf interessante Neuerscheinungen hin. 

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Bitte denken Sie daran, dass gerade in diesen Zeiten Ihre lokalen Buchhandlungen besonderer Unterstützung und Solidarität bedürfen. Lieber dort bestellen als bei amazon. Man kann das nicht oft genug sagen – und tun.

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Claudia Denker vom Chatwins pausiert diesen Monat. Die Redaktion springt ein. Was Alf Mayer und Thomas Wörtche im Visier haben, siehe weiter unten.

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Jutta Wilkesmann und Hildegard Gansmüller, Wendeltreppe, Frankfurt:

Hier unsere Tipps für den Sommer (und auch ganz andere Zeiten):

Anthony Horowitz: Wenn Worte töten (Insel)

Leif Karpe: Der Mann in  den Bildern (HarperCollins)

Aslak Nore: Meeresfriedhof (Kiepenheuer & Witsch)

Nicola Upson: Wenn die Masken fallen (Kein & Aber)

Liza Cody: Die Schnellimbissdetektivin (Ariadne)

Lisa Sandlin: Der Auftrag der Zwillinge (Suhrkamp)

Jean-Christophe Rufin: Der Tote im Pool (Tropen)

Alle guten Wünsche für den Sommer, Freude und Entspannung, spannende Erlebnisse und in jeder Hinsicht alles Gute!

Die Wendeltreppe

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Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg:

Was ich in der letzten Zeit gelesen habe:

– Liza Cody, Die Schnellimbissdetektivin (Ü: Iris Konopik), Argument 2024, 351 S., 18 Euro: Hannah Abram ist Teilzeitdetektivin und jobbt nebenbei in Digbys schmierigem Imbiss in London. So überschaubar spannend Hannahs Aufträge scheinbar sind, so unbestechlich ist ihr Gespür für Ungerechtigkeiten. Liza Codys Romanheldin steht konseqent an der Seite unterdrückter Frauen und ist solidarisch mit den Abgehängten des kapitalistischen Systems. Das alles erinnert sehr an Codys ebenfalls tollen Roman „Lady Bag“, für den sie einst den Deutschen Krimipreis erhielt.

– Pascal Garnier, An der A26 (Ü: Felix Mayer), Septime 2024, 117 S., 19 Euro: Ein finsteres Porträt der französischen Provinz. Garnier zeichnet das Pas-de Calais noch dunkelgrauer, als es eh schon ist. Viel versehrtes Leben und Tote auf wenigen Seiten.

– Gerald Kersh, Hirn und zehn Finger (Ü: Angelika Müller), Pulp Master 2024, 126 S., 12 Euro: Vor Jahren schon für den Buchladen bestellt und plötzlich ist er wirklich da. Kershs „Hirn und zehn Finger“ setzt den Partisanen im besetzten Jugoslawien 1943 ein kleines literarisches Denkmal und erinnert natürlich an Kershs großartigen Roman „Die Toten schauen zu“, in dem er die Auslöschung des Ortes Lidice schon 1943 literarisch verarbeitet hat.

– Don Winslow, City in Ruins (Ü: Conny Lösch), HarperCollins 2024, 447 S., 24 Euro: Es gilt Abschied zu nehmen von einem großen Krimiautor. Im Nachwort dankt Winslow vielen Weggefährten und natürlich auch seinen Leserinnen und Lesern. Die können jetzt den Abschluss seiner Trilogie um Danny Ryan lesen. Geschäfte, Sex und Mafia in Las Vegas. Und der Bodycount ist – wie immer bei Winslow – hoch.

– Gabriel Herlich, Freischwimmer, Pendragon 2024, 252 S., 12 Euro: Das Buch ist mir bisher durchgerutscht. Nun habe ich es endlich gelesen. Und es lohnt sich! Sicher, dies ist kein Krimi, aber tumbe Neonazis, ein gestohlenes Auto und Raubkunst sorgen durchaus auch für Spannung. Donatus „Donnie“ Frey ist der Sohn eines reichen Galeristen, hängt im Dulsbergbad mit Neonazis ab und ritzt Hakenkreuze in Autos. Doch dann lernt er Meggie kennen. Die ist klug, wunderschön und – jüdisch! Und Donnie kriegt die Kurve.

In eigener Sache:
Am Mittwoch, den 5. Juni 2024 feiern wir im Buchladen Osterstraße das 50-jährige Jubiläum der Hamburger „Edition Nautilus“. Dieser unabhängige Verlag verlegt – neben vielen anderen guten Büchern – auch exzellente Kriminalliteratur von Autoren wie Jérôme Leroy, Alan Carter, Adam Morris und Robert Brack. Beginn der Veranstaltung ist um 20 Uhr. Der Eintritt beträgt 5 Euro. Ihr seid herzlich eingeladen!


Mit Erstliga-Gruß, Torsten Meinicke

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Thomas Wörtche: Bücher, auf die ich mich freue:

Garry Phillips: One-Shot Harry (Ü: Karen Gerwig, Polar). Ich mochte schon seine Monk-Serie, die bei uns allerdings keine Chance auf dem Markt gehabt hätte, und drücke alle Daumen, dass es mit „One-Shot Harry“ klappt.

Gerald Kersh: Hirn und zehn Finger (Ü: Angelika Müller, PulpMaster). Eine Literaturgeschichte des UK ohne Kersh wäre ein Skandal.

Leonardo Padura: Anständige Leute (Ü: Peter Kultzen, Unionsverlag) Ein neuer Roman aus dem Universum von Mario Conde. Cuba´s finest.

Joachim Maass: Der Schnee von Nebraska. Erzählung (persona verlag). Eine interessante Ausgrabung. Geschrieben 1938 im amerikanischen Exil. Erinnert ein wenig an Heimito von Doderers „Ein Mord, den jeder begeht“ – also auch einer der eher hilflosen Versuche deutschsprachiger Hochliteraten, sich zum Genre hinabzubeugen und es damit zu veredeln. Verbrechensdichtung.

Liz Nugent: Seltsame Sally Diamond (Ü: Kathrin Razum; Steidl). Ganz einfach – weil Liz Nugent.

Teddy Wayne: Der Gewinner. (Ü: Eike Schönfeldt; HoCa). Highsmith as Highsmith can. Ich hätte dazu eine bizarre Hintergrundgeschichte, die ich aber leider nicht erzählen darf.

Stephen King. Ihr wollt es dunkler (Ü: Wulf Bergner, Jürgen Bürger, Karl-Heinz Ebnet, Gisbert Haefs, Marcus Ingendaay, Bernhard Kleinschmidt, Kristof Kurz, Gunnar Kwisinski, Friedrich Sommersberg, Sven-Eric Wehmeyer; Heyne). Stories. Ich mag Stephen-King-Stories mehr als seine Backsteinromane. Seine Kurzgeschichten zeigen oft, dass er nicht nur ein Horror-Onkel ist, sondern ein richtig guter Schriftsteller. O-Titel „You like it darker“, als ob King Leonard Cohens „You want it darker“ ausweichen wollte. Nu.

Michael Mann: Über Kriege. (Ü: Laura Su Bischoff, Michael Bischoff, Ulrike Bischoff; Hamburger Edition). Standardwerk über Kriegsgründe. Pflichtlektüre wider einfache Weltbilder. 700 Seiten, monumental.

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Alf Mayer geht erst einmal ins Archiv:
Zu Klaus Sterns Dokumentarfilm WATCHING YOU – DIE WELT VON PALANTIR UND ALEX KARP empfiehlt sich, auch für den Fortschritt des Überwachungsstaats, James Grady mit seinem Klassiker »Die 6 Tage des Condor« (1974) und besonders: »Die letzten Tage des Condor« (2015), deutsch bei Suhrkamp 2016, herausgegeben von Thomas Wörtche: Ronald Malcolm alias Vin alias Condor ist zurück. Der einstige Whistleblower und spätere Top-Agent hatte die letzten Jahre in einem Irrenhaus der CIA verbracht und arbeitet jetzt in der Library of Congress in Washington. Routinemäßig wird er von der inzwischen neu gegründeten Homeland Security überprüft…

Zum D-Day ein weiterer Suhrkamp-Titel aus der Wörtche-Reihe: Gerald Seymour und »Vagabond«, von mir einst im November 2014 als „Reading ahead, Nr. 4« und Porträt eines verschollenen Autors besprochen: »… Inzwischen den Dienst auf (Militärgeheimdienst-Seite im Irland-Krieg) quittiert und auf den Schlachtfeldern der Normandie als Fremdenführer unterwegs, wird Vagabond reaktiviert, nein, für einen Auftrag zwangspresst, bei dem er einen vom MI 5 geführten Waffenhändler bei einem Deal an die Kandare nehmen soll, der die irischen Terroristen mit schweren Waffen ex-sowjetischer Provenienz versorgen würde. Seymour entwickelt aus dem D-Day-Tourismusprogramm und den Attentatskosten auf Heydrich, die Vagabonds ehemaliger Vorgesetzter ihm zur Re-Konditionierung als historische Parallele offeriert – der Deal wird in und um Prag stattfinden – eine atemberaubende Untergrundströmung von Kollateralschäden, die sehr wohl zu unserer Kultur und in den Bereich unserer Duldung gehören… überaus elegant in Parallelhandlungen erzählt, ist dies Seymour bislang härtestes Buch. Unlädiert bleibt hier niemand, auch der Junge von damals hat seinen Part in der Gegenwart. Seymour zeigt nebenbei, wie Terroristen gemacht werden, gleich mehrfach macht er die Folgen repressiver Gewalt zu Strängen seiner Handlung. Dies in einer komplexen, durchkomponierten Geschichte mit nachvollziehbaren Charakteren…«

Und dann für alle, die THE ZONE OF INTEREST für das Ultimative in Sachen Holocaust-Film halten – kalte, tote, fahle Socken, wenn Sie mich fragen, mit einer pseudokünstlerischen Remote-Kamera gefilmt, nur die Tonebene ist innovativ – und überhaupt lohnt der digital remasterte ultra-kühle Film AUS EINEM DEUTSCHEN LEBEN von Theodor Kotulla, 1978, nach dem Roman von Robert Merle »Der Tod ist mein Geschäft« von 1952. Götz George nabelte sich als Auschwitz-Kommandant Rudolf Höss in diesem Film von seinem Übervater und von den eigenen seichten Rollen ab, schockierte sein Publikum eben weil er diese Rolle mit kaltem Glühen füllte. Da, wo Jonathan Glazer heute ist, waren vorher schon andere – und nicht schlechter. Erhältlich bei filmjuwelen.de

Im Verlag Taschen erscheint bald der Sammelband: Piratenerzählungen. Hardcover, Halbleinen, Format 20.5 x 25.6 cm, 1.59 kg, 392 Seiten, 30 Euro. taschen.com

Und als Taschenbuch gibt es nun James Kestrel: Fünf Winter. Übersetzt von Stefan Lux, Suhrkamp, Broschur, 498 Seiten, 14 Euro. Hier bei uns von mir im April 2023 besprochen: »Ein Buch, größer als das Leben«.

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