Geschrieben am 1. April 2021 von für Crimemag, CrimeMag April 2021

Nina Gladitz gegen Leni Riefenstahl

Nazi-Propagandistin, Plagiatorin, Menschenrechts-Verbrecherin 

Gerhard Beckmann über die Ermittlungen der Dokumentarfilmerin Nina Gladitz                                       .

Dies ist ein Lebenswerk. Das Lebenswerk der deutschen Dokumentarfilmerin Nina Gladitz, für das sie den Geschwister-Scholl-Preis verdient hätte – jenen  Literaturpreis für eine herausragende künstlerische, schriftstellerische oder wissenschaftliche Arbeit, die „geistige Unabhängigkeit bezeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, Intelektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem gegenwärtigen Verantwortungsbewusstsein neue Impulse zu geben“.                                                                                                                                                                                                                                                                                               

Nina Gladitz kämpft gegen einen tief verwurzelten, mehr oder weniger allgegenwärtigen modernen Mythos an. Es ist ein Mythos, der in den 1930ern aus Deutschland hervorgegangen ist und – was ihn noch viel problematischer macht – in der  ganzen Welt, vor allem der angelsächsischen Welt, bis heute, bewusst wie unbewusst, präsent ist. Der Mythos ist mit dem Namen Leni Riefenstahl und ihren Filmen, insbesondere mit ihrem Film über die Berliner Olympiade von 1936 verbunden. Er ist der Kern der Geschichte, die sie nach 1945 von sich selbst und ihrem Leben erzählt hat. Der Mythos von der politisch unabhängigen, in der Nazi-Zeit politisch unschuldigen, naiven „innovativen Filmemacherin und kreativen Ästhetin“ ist die Botschaft ihrer Autobiographie. Sie ist, wie Nina Gladitz überzeugend nachweisen kann, in nahezu allen wichtigen Punkten erfunden und erlogen. Albrecht  Götz von Olenhusen, einer der führenden deutschen Medienrechtler und Riefenstahl-Experten hat erklärt: „Jede neue Darstellung über Filmgeschichte und Riefenstahl vor und nach 1933 wird an diesem magnum opum und seinem fundierten Ertrag nicht vorübergehen können.“ 

Aber – und damit wird das Buch der Nina Gladitz zur richtig atemberaubend, mitreissenden Lektüre – ihre „Leni Riefenstahl“ entspricht nun keineswegs dem Typus der abgeklärten “Sachbuch“-Biographie eines Filmkritikers oder Filmwissenschaftlers. Sie wird in ihrem Buch persönlich höchst lebendig, bis hin zu Momenten einer heilig nüchternen nervösen Erregung. Wir erleben alles hautnah und direkt mit, was sie an Fakten und Hintergründen, die sie zu der wahren Leni Riefenstahl und den tiefgründigen Verflechtungen ihres Filmschaffens recherchieren konnte. Sie schreibt wie ein Ermittler, der eine hochkriminelle Szene ausleuchtet, und bringt sich dabei auch immer wieder in existentiell gefährliche Situationen. Sie spürte schließlich jahrzehntelang der Riefenstahl nach, und die entpuppt sich zunehmend ersichtlich hemmungslos höchstrangig opportunistisches Nazi-Luder von höchstens mittelmäßig professionellen Fähigkeiten, die sch mit grenzenlosem Ehrgeiz und Willen zu Glanz und Gloria auftricksen will. Und sie setzt jedes nur erdenkliche Mittel ein, um Nina Gladitz auszuschalten. 

Was Nina Gladitz enthüllt, geht weit über die bisher bekannten Details von Riefenstahls Habgier und Käuflichkeit, ihrer Abhängigkeit und ihres Einflusses auf Hitler hinaus. Ihre Filme ab der mittleren 1930er Jahre waren rein auf die Propaganda-Interessen und die dafür verfügbaren Mittel des NS-Regimes ausgerichtet. Sie war dabei jedoch, wie Nina Gladitz ebenfalls zeigt, nie eine „innovative Filmemacherin“  und „kreative Ästhetin“. Was an ihren Filmen schöpferisch neu war, hat sie bei dem wohl bedeutendsten, in Deutschland verbliebenen Kameramann Willy Zielke  abgekupfert, den sie als Rivalen ausschaltete., indem sie ihn mit JHizlets Hilfe für geisteskrank erklären und in einer Anstalt unterbringen ließ, um ihn bei Bedarf – ohne Vertrag und ohne Honorierung – für ihre eigenen Filmprojekte einzuspannen. Sie hat Sinti und Juden für Dreharbeiten benutzt, die anschließend an Lager und  KZs ausgeliefert wurden. Leni Riefenstahl war also zu alledem in Kooperation mit den Nazis auch noch eine Kriegs- und Menschenrechts-Verbrecherin. Die Cineasten hat all das bisher kaum interessiert. Und so hat Leni Riefenstahl, als hochgeachtete „Künstlerin“ mit ihren Filmen die bis heute nachhaltigste große Nazi-Propagandistin und ein Idol der modernen Pop-GFikl,-Kultur bleiben können.                                                                                                                                                                                                                                               

Nina Gladitz: Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin. Orell Füssli, Zürich 2020. 432 Seiten, 25 Euro.

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