Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

Interview mit Petra Ivanov zur »KRYO«-Trilogie

Petra Ivanov: KRYO – Die Verheißung (Trilogie Band 1). Unionsverlag Zürich, August 2023. 352 Seiten, Englische Broschur, 19 Euro.
Petra Ivanov: KYRO – Die Versuchung (Trilogie Band 2). Unionsverlag Zürich, Februar 2024. 320 Seiten, Englische Broschur, 19 Euro.
Petra Ivanov: KRYO – Die Verfehlung (Trilogie Band 3). Unionsverlag Zürich, August 2024. 320 Seiten, Englische Broschur, 19 Euro.

»Mit den Konsequenzen werden wir leben müssen«

Ein Interview mit Petra Ivanov zu ihrer Science-Thriller-Trologie – von Alf Mayer

»Wir experimentieren mit uns,
wie wir es uns mit keinem Tiere erlauben würden,
und schlitzen uns vergnügt und neugierig
die Seele bei lebendigem Leibe auf.«

(Friedrich Nietzsche – Motto des Eröffnungsbandes der KRYO-Trilogie )

»Kalt ist die Hoffnung« überschrieb das liberale Wirtschaftsmagazin brand eins im Jahr 2009 einen Bericht mit dem Untertitel: »Der Traum von der Unsterblichkeit ist so alt wie die Menschheit. Mit dem Ziel, ihn wahr zu machen, lassen sich Kryoniker bis auf Weiteres einfrieren«. Petra Ivanov, vielfach preisgekrönt, ist die erfolgreichste Kriminalautorin der Schweiz, ihr Debütroman »Fremde Hände« erschien 2005. Ihre Geschichten wurzeln im Hier und Jetzt unserer modernen Welt, sie verhandeln aktuelle Konflikte und Themen. Wir erfahren daraus auch etwas über unsere Gegenwart. Für ihre Trilogie »KRYO« hat sie sich ein Thema vorgenommen, das wie Science Fiction klingt, aber längst Gegenstand internationaler Forschung ist – nämlich den Wunsch der Menschen, den Tod zu überwinden.

Petra Ivanov, für ihre ausgiebigen Recherchen bekannt ist, schürft daraus Stoff genug für gleich drei spannende Thriller. Der dritte Band »KRYO – Die Verfehlung« ist gerade erschienen. Band 1 hieß » KYRO – Die Verheißung«, gefolgt von »KRYO – Die Verfehlung«. Die Romane sind einzeln zu lesen, im Ganzen sind sie eine runde Lektüre, eine gelungene Balance von Wissenschaftskrimi und Politthriller. Kryo kommt vom Altgriechischen κρύος kryos, deutsch »Eis, Frost«. Kryotechnik dient zur Erzeugung tiefer Temperaturen und zur Nutzung physikalischer Effekte unterhalb Minus 150 Grad Celsius. Fans der Science-Fiction kennen den Vorgang: Mit Hilfe der Kryostase wird ein Raumfahrer eingefroren und kann einige Jahrhunderte später unbeschadet aus dem Kälteschlaf erweckt werden. Solche Utopien basieren auf ganz realer Wissenschaft: der Kryotechnik.

Der erste bekannte Fall eines Menschen, der sich dem Verfahren unterzogen hat, stammt aus dem Jahr 1967. Über 600 Menschen liegen inzwischen in den USA, China und in Russland im »Kälteschlaf«. Nur: Sie schlafen nicht. Sie müssen sie klinisch tot sein, bevor sie eingefroren werden, das bedeutet: kein Herzschlag und keine Atmung mehr. Kryoniker hoffen aber, dass es in der Zukunft eine Möglichkeit gibt, diese toten Menschen zurückzuholen, wenn ihre Körper möglichst gut konserviert sind. Gekühlt wird vor allem der Kopf, da es primär um den Erhalt des Gehirns geht. Ob das Wiederbeleben eines Tages wirklich klappt, ist völlig ungewiss und in der Foschung sehr umstritten. Die Befürworten argumentieren: Vor 120 Jahren waren auch Flugzeuge und Raumfähren etwas Unvorstellbares …

Es gibt derzeit vier Anbieter: Die kommerzielle Firma KrioRus aus Russland, das chinesische Yinfeng Life Science Research Institute, das Cryonics Institute in Detroit und die Alcor Life Extension Foundation in Arizona. Eine Kryokonservierung könne auch problemlos in Deutschland durchgeführt werden. Die Langzeitlagerung solcher »Patienten« sei hingegen derzeit nur im Ausland möglich, sagt David Peter-Gumbel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase e.V. (DGAB) und ein Befürworter der Kryonik. Die DGAB besteht seit mehr als zehn Jahren und ist als gemeinnütziger Verein mit über 140 Mitgliedern die größte Kryonikorganisation in Deutschland. Geforscht wird in vielen Ländern. Es geht um Zukunftstechnologien.

»Der Tod ist nur ein technisches Problem – für das es eine Lösung gibt«, heißt es bei Petra Ivanov im ersten Band. Die Optimierung des Menschen ist das Geschäft der Zukunft. Eine kalifornische Firma verkauft Blutplasma-Verjüngungskuren, Tech-Riesen investieren Unsummen in die digitale Bewusstseinsspeicherung. Und ein russisches Unternehmen verspricht durch die Konservierung des eigenen Leichnams ein Weiterleben nach dem Tod. Unsterblichkeit ist kein leeres Versprechen. Es ist ein Geschäft.

Die wissenschaftsaffine Petra Ivanov hat so gut wie alle Schauplätze ihrer Romantrilogie selbst besucht und vor Ort recherchiert. Sie nimmt uns mit in Labore und Forschungsinstitute, in die Vorzimmer und Büros der Technik-Milliardäre. Sie zeigt uns sinnlich, wie sich ein Netz industrieller Begehrlichkeiten weltumspannend an die neuesten Technologien hängt, wie Großmächte, Oligarchen und das Militär mit allen Mitteln um je den eigenen Vorsprung und Vorteil kämpfen. Oft skrupellos.

Es ist ein junger deutscher Chirurg, den Petra Invanov in den Mittelpunkt – man kann auch sagen, in den Wirbelsturm – der Ermittlungen stellt. Als Michael Wild beginnt, Fragen zu stellen, verschwindet er von der Bildfläche. Seine in den USA lebende Mutter Julia ist entschlossen, ihn zu finden, doch sie hütet selbst ein Geheimnis, und ihre Gegner sind weitaus mächtiger, als sie denkt. Teil II, »KRYO – Die Versuchung«, führte unter anderm nach Selenograd, ins russische Silicon Valley, wo am ewigen Leben geforscht wird. »Mind Uploading« verspricht die Digitalisierung des menschlichen Bewusstseins. Michael wird hier wochenlang festgehalten, plötzlich aber soll er das Forschungsteam unterstützen. In Teil III, »KRYO – Die Verfehlung«, wird ihm sogar angeboten, die Unternehmensleitung bei KrioZhit anzutreten, einem Unternehmen, das Körper konserviert und eine digitale Kopie des menschlichen Wesens anfertigen will. Gleichzeitig gelingt es in China, erstmals einem lebenden Patienten einen Chip ins Hirn zu implantieren. (Übrigens, dies die Realität, arbeit auch ein Unternehmen von Elon Musk an genau so etwas.) Der globale Wettlauf um die Optimierung des Menschen hat begonnen. Es geht um die Grenze zwischen Leben und Tod, um die Schnittstelle von Mensch und Maschine und um die Zukunft unserer Spezies.

In Petra Ivanovs Trilogie müssen ihre Figuren sich dazu verhalten. Das macht die Lektüre aufregend. Die Trilogie spielt 2021/ 2022, vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Ich habe zu dem Romanvorhaben mit der Autorin ein Interview geführt, wir sind per Du.

Alf Mayer: Wissenschaft fasziniert dich schon lange, das ist ja in deinen Büchern immer wieder zu spüren. Wie bist du auf die Kryonik gekommen? Gab es dafür ein Schlüsselerlebnis?

Petra Invanov: Ich war daran, Ideen für ein neues Projekt zu sammeln, und habe meinen älteren Sohn gefragt, welche Themen ihn beschäftigen. Wir begannen, über Unsterblichkeit zu reden und landeten schließlich bei der Kryonik. Mich hat das Thema sofort gepackt, weil es nicht nur aus wissenschaftlicher, sondern als auch aus psychologischer, religiöser und ethischer Sicht hochspannend ist.

Dann daraus einen Thriller zu entwickeln … das ist, weil diese Form besonders geeignet ist, auch solche Stoffe zu vermitteln? Oder kannst du einfach nicht anders als Spannungsliteratur zu schreiben?

(zwinkernd) Ich schreibe auch Liebesromane (unter dem Pseudonym Julia Parin). «Ewige Liebe» statt «ewiges Leben»? Warum nicht. Aber ein Thriller war naheliegender, da manche Menschen viel riskieren, um länger – oder ewig – zu leben.

War es von Anfang an klar, dass es eine Trilogie werden wird?

Bei den Recherchen habe ich festgestellt, dass Unsterblichkeit eng mit weiteren Themen verknüpft ist. Ich denke hier zum Beispiel an die Optimierung des Menschen durch Technik oder an Mind Uploading, also das Auslesen des Bewusstseins, um es auf einen Computer zu laden. Ich konnte diese Aspekte unmöglich in einen einzigen Band verpacken. Da beschloss ich, eine Trilogie zu schreiben. Mir war jedoch wichtig, dass man jeden Band auch einzeln lesen kann. Es gibt immer einen Fall, der abgeschlossen ist.

Wer treibt die Handlung voran? Es gibt ja nicht den klassischen Ermittler …

Ich wollte eine Hauptfigur, die an keine Strukturen gebunden ist. Diese Figur ist Julia, eine Übersetzerin aus dem Ruhrgebiet, die sich seit 28 Jahren in New York versteckt. Als ihr Sohn Michael verschwindet, muss sie ihr Versteck verlassen und sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, um ihn zu retten.

Wie viel Eigenleben entwickeln deine Figuren? Überraschen sie dich? Und kannst du uns dafür ein Beispiel geben?

Meine Figuren überraschen mich immer wieder. Im dritten Band der Trilogie habe ich plötzlich gemerkt, dass nichts so ist, wie ich dachte. Ich fiel aus allen Wolken. Wenn ich jetzt ein Beispiel gebe, verrate ich den Schluss. Deshalb nur so viel: Der Täter ist nicht die Person, die ich seit dem ersten Band für den Bösewicht hielt.

Wie viel Realität steckt in deiner Trilogie. Kannst du uns sozusagen einen Alkoholgrad geben? 60 Prozent? Mehr?

Ich beschreibe es gerne so: Ich baue eine Bühne aus Fakten. Die Schauplätze, der Stand der Forschung, die Politik, das alles ist real. Es gibt tatsächlich Menschen, die sich einfrieren ließen. Auch solche, die viel Geld für junges Blutplasma zahlen. Ich haben fast jeden Schauplatz besucht, der in der Trilogie vorkommt, und zahlreiche Interviews geführt. Erst wenn diese Bühne steht, treten meine Figuren auf. Diese sind dann fiktiv, genauso wie das, was sie erleben.

Was hat dich bei der Recherche überrascht? Verrätst du ein Beispiel?

Ich habe sehr viel über Kryonik gelesen, meistens ging es aber nur darum, ob es irgendwann gelingen wird, kryokonservierte Menschen wieder zum Leben zu erwecken. Über die Folgen hingegen wurde selten gesprochen. Wohin mit all diesen Menschen? Wer wird sich das leisten können? Wie wertvoll ist das Leben, wenn es kein Ende hat? Es hat mich sehr überrascht, dass wir diese wichtigen Fragen häufig ausblenden.

Es ist mir vielleicht noch nie so aufgefallen, dein Blick auf deine Figuren ist sehr körperbewusst. Oder sehe ich das falsch?

Ist das so? In der KRYO-Trilogie dreht sich alles um die Optimierung des menschlichen Körpers. Vielleicht deshalb?

Auch die Oligarchen-Leibwächter spielen eine nicht kleine Rolle. Wie bist du darauf gekommen?

Die Leibwächter sind ja immer da. Sie hören alles und sehen alles, werden aber selten als Akteure wahrgenommen. Mich hat es gereizt zu erfahren, was sie denken und fühlen und wie sie mit den Hauptfiguren interagieren.

Ein Großteil der Handlung und deines Personals ist ja russisch. Du selbst hast russische Wurzeln?

Nein, aber der Vater meiner Kinder kommt aus Moskau. Ich selbst bin in den USA und der Schweiz aufgewachsen.

Deine Trilogie spielt 2021/ 2022, vor dem Überfall auf die Ukraine. Das war immer so gesetzt für dich, oder hat Putin sozusagen auch deinen Roman überfallen? Und verändert?

Ich war mitten in Band 3, als Russland die Ukraine überfiel. Das hat mich völlig überrascht, obwohl die Zeichen da waren. Ich musste vieles überarbeiten, denn die Träume und Ziele der Figuren waren vor diesem Hintergrund völlig unrealistisch. Auf den Krieg einzugehen, hätte den Rahmen gesprengt. Ihn ignorieren konnte und wollte ich aber auch nicht. Deshalb beschloss ich, die Trilogie vor dem Überfall auf die Ukraine spielen zu lassen und den Krieg in einem Epilog zu thematisieren.

Deine Trilogie macht auch klar, wie viel Technologie sich in der Hand von Wenigen befindet. Ist das der Fiktion wegen zugespitzt?

Die Recherchen haben mir diesen Eindruck vermittelt. Ob er stimmt, kann ich nicht beurteilen. Mir ist einfach aufgefallen, dass immer wieder dieselben Namen fallen.

Du benennst auch, dass die Kluft zwischen Arm und Reich sich durch solche Technologien noch weiter vergrößeren kann …

Definitiv. Nicht jeder kann sich Ersatzteile für seinen Körper oder eine Kryokonservierung leisten.

Das Nietzsche-Motto am Anfang deiner Trilogie verrät eine gewisse Skepsis gegenüber dem menschlichen Verlangen, Gott zu spielen. Deine Trilogie dekliniert das durch. Wie ist deine Haltung dazu, kurz und knackig?

Das Verlangen danach verstehe ich. Nicht aber die Unbeschwertheit, mit der wir an uns selbst experimentieren. Schließlich werden wir mit den Konsequenzen leben müssen. Oder eben nicht.

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