Geschrieben am 2. Juni 2012 von für Bücher, Crimemag

Matthew Stokoe: High Life

Zappenduster

– Huaaaaa – ein Buch über „das unvorstellbar Böse unter der gleißenden Sonne Kaliforniens“, sagt die U4. Das macht neugierig, denn das unvorstellbar Böse ist vermutlich noch böser als das normal Böse. Und Matthew Stokoes Roman „Highlife“ kann uns verraten, was das sein könnte. Lernbegierig hat sich Thomas Wörtche an die Lektüre gemacht.

Jack möchte nach oben, in Hollywood. Er will zu den Reichen, Mächtigen und Schönen gehören. Zu den Höheren Wesen. Er möchte Filmstar werden. Daraus wird aber nichts, stattdessen wird seine Freundin, die Hure Karen, ermordet. Jack will den Mörder finden, heuert bei einer Callboy-Agentur an, lernt abwegige Leute kennen, die reich sind und einflussreich und abgrundtief böse, weil reich und böse in Hollywood Synonyme sind. Er lernt den Bullen Ryan kennen, der auch Karens Mörder finden will, weil – wir denken es uns, und später ist es dann genau so – die seine Tochter ist. Ryan ist ebenfalls ganz böse, wenn auch nicht reich. Gemeinsam quartieren sich Jack und Ryan bei der reichen (s.o.) Ärztin Bella ein, die gerne chirurgische Eingriffe macht, an Opfern, die ihr Papi (reich, böse) von der Straße anschleppt. Am Ende sind alle tot, außer Jack, der nicht im Film-Business Karriere macht, sondern in der Werbung, für Herrenkosmetika.

Nicht so arg böse

So weit also. Das hört sich jetzt nicht sehr böse an, zugebenermaßen. Ist es auch nicht, sondern bloß der durchschnittliche Plot eines durchschnittlichen Hollywood-Noirs. Und Hollywood-Noirs zeigen, dass der amerikanische Traum im sonnigen, optimistischen Kalifornien ganz schön düster werden kann, für manche gar zappenduster. Das ist historisch bei Nathaniel West & Co. so; zeitgenössischer bei Robert W. Campbells La-LA Land-Trilogie – die in der Tat très noir ist –, bei Bret Easton Ellis und James Ellroy und so weiter. Das wissen wir, das kennen wir, das ist topisch.

Bös ist toll …

Was noch fehlt, ist also das „unvorstellbar Böse“. 2002 war der Roman fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Winz-Verlag Little House of the Bowery erschienen, 2008 dann noch einmal powered by Akashic Books – so etwas ist immer gut für Legenden-Bildung. Und wenn man dann noch behaupten kann (wie das Nachwort von Verleger Dennis Cooper), der Roman sei eine so ungeheure „Gesellschaftssatire“ wie „American Psycho“ oder „Fight Club“, dass es eben nur – wir sind geschmeichelt – „aufgeschlossene Leser und Kritiker“ brauche, die die Einmaligkeit des Werkes jetzt endlich erkennen müssten, dann hat man schon die Herzen derer gewonnen, die das Verkannte, das off-off-undergroundige, das, worüber Eingeweihte raunen, auf gar keinen Fall übersehen wollen. So, als ob es „Hollywood Babylon“ von Kenneth Anger nie gegeben hätte – oder nie die schon erwähnten und noch ein paar Dutzend mehr Romane von Rang, die sich mit dem Zusammenhang von Sex, Macht, Ruhm, Ehrgeiz und Erfolg, von Aufstieg und Fall auf dem Boulevard of Broken Dreams beschäftigt hatten.

Ekel für alle

Jetzt kommen wir allmählich dem „Unvorstellbaren“ näher. Wobei sich zeigt, dass es sehr vorstellbar ist – und zwar als Sparten-und-Nischen-Ekel. Für jeden persönlichen Würgereiz ist was dabei, wählen Sie selbst: Nekrophilie, Zoo-Nekrophilie, Koprophagie, S & M, Snuff und Masturbation mit frisch rausoperierten Nieren. Alles zum Mitreihern brav und einlässlich geschildert, wie Zigaretten auf Schamlippen ausgedrückt werden, Leute sich begeistert vollkotzen lassen und – last not least – wie ein Mädchen zum Vergnügen der zahlungswilligen Kundschaft mit einem Schlagbohrer geschändet und dann damit zerschreddert wird. Sicher gibt es noch ein paar andere Nummern, die mir jetzt aber entfallen sind. Stokoe erzählt es barrierefrei dahin, damit sich auch noch der dumpfste Dumpfnatz dran ergötzen kann, mit der spießigen Akkuratesse eines schlechten Genre-Bildchen im Biedermeier-Stil (wir kennen die Dinger aus den Kaufhäusern). Auch hier so, als ob nicht schon der Marquis de Sade in den „120 Tagen von Sodom“ gewusst hätte, dass finale Gräuel-Exzesse nur noch protokollarisch konstatiert werden können: „Sie waren alle ebenso grausam wie unterschiedlich“, wie es nach hunderten von (intentional) ermüdenden Seiten endlich beim Marquis heißt.

Matthew Stokoe (c) Andrea Libonati

Matthew Stokoe (c) Andrea Libonati

Pfui!

So, jetzt sind wir also alle irgendwie entrüstet – denn so wie Stokoe es inszeniert, ist ja anscheinend abweichendes Sexualverhalten böse, Pornografie widerwärtig und eklig, beides Hobbys der Reichen. Natürlich kann Pornografie widerlich sein, natürlich gibt es perverse Exzesse und natürlich kann man sich empören. Über das, was nur zum Zwecke der Empörung so dahingeschrieben wurde, kann man sich besonders gut empören. Wenn man will. Wenn man nicht will, kann man sich sogar über die Verbissenheit amüsieren, mit der Stokoe sich durch die einschlägigen Handbücher geblättert hat, wat et allet jibt. Beim ollen Marquis hätte er noch ein bisschen mehr lernen könne, so viel Mühe wollte er sich vermutlich dann doch nicht machen. Nu.

Der Shampoo-Triumph des schäbigen Ganoven Jack wäre dann eine schwer satirische Pointe. Ein Mann fickt und metzelt sich nach oben, auch wenn das „oben“ ein bisschen anders aussieht als gedacht. Ja, das hat man auch schon mal gelesen und gesehen …

Aber wo wäre die Satire? Die Prosa des Romans bietet nichts, sie schildert ab, im leicht lakonischen, aber durchaus normalen „hardboiled“-Tonfall, es gibt keine Ebenen der Brechung, keine Komik, kein Gefühl für‘s wirklich Absurde, keine wirklicher Exzess. Exzess wird nur bestätigend als moralisch böser Exzess geschildert – in Szenen, die aber dramaturgisch unnütz und bieder sind und mit den Kategorien der „Entgrenzung“ oder „Grenzüberschreitung“ schon mal ästhetisch nichts zu tun haben (oder wie immer die einschlägige Topik in der Poetik des „Bösen“ lauten mag, wobei diese beiden Begriffe nicht notwendigerweise, nur hin und wieder historisch an „das Böse“ gekoppelt sind, aber das führt jetzt zu weit).

Irgendwie erinnert mich der Roman an Tugendwächter, die sich pausenlos Schweinkram reinziehen, um pflichtbewusst zu überprüfen, ob der Schweinkram auch wirklich immer, immer und immer schweinisch ist.

Na denn, das war dann wohl nix mit dem Über-Grauen, dem Monster-Horror, dem Hammer-Schreck. Alles nur Geisterbahn. Öd und fad.

Thomas Wörtche

Matthew Stokoe: Highlife. (Highlife, 2002/2008) Roman. Deutsch von Joachim Körber. Zürich/Hamburg: Arche 2012. 447 Seiten. 19,95 Euro.

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