Geschrieben am 1. September 2023 von für Crimemag, CrimeMag September 2023

Yasmin Angoe: Töten und leben lassen

Ein Thriller, dem ein großes Kunststück gelingt

Ihr Name ist Nena Knight und sie ist Agentin im Auftrag von The Tribe, einer Gemeinorganisation, die dem afrikanischen Kontinent zum Aufstieg verhelfen will. Ihre Mission: Menschen töten, die diesem Vorhaben im Weg stehen. Als sie in Miami einen Staatsanwalt eliminieren soll, um einem neuen Mitglied von The Tribe einen Gefallen zu tun, wird Nena den Befehl verweigern. Denn dieses neue Mitglied ist einer der Männer, die einst ihr Dorf in Ghana zerstört und sie als Sex-Sklavin verkauft haben.

„Echo der Gewalt“ ist der überaus passende Titel von Yasmin Angoes knallhartem Kriminalroman. Echo ist zum einen der Codename von Nena Knight, unter dem sie für The Tribe agiert. An dessen Spitze steht ihr Adoptivvater, dessen Ehefrau das Mädchen aus Ghana einst auf den Straßen von Paris aufgelesen hat. Diese neue Familie gibt Nena Halt, Stabilität und eine Aufgabe.

Zum anderen passt dieser Titel, weil er von den Echos der Gewalt erzählt. Nenas eigentliche Familie wird brutal ausgelöscht, sie wird an einen französischen Sadisten verkauft, der sie bestialisch quält – und nun übt sie selbst Gewalt aus. Um sich zu rächen. Um sich wieder selbst handlungsmächtig zu fühlen. Und für eine größere Sache. Dachte sie zumindest. Mit ihren neustem Auftrag holt sie aber nicht nur ihre eigene Geschichte ein, sondern sie beginnt auch, The Tribe zu hinterfragen. Wie das weitergeht, wird in einem der nachfolgenden Bände hoffentlich zu lesen sein. In den USA ist der zweite Teil bereits erschienen, der dritte Teil soll im Herbst folgen.

Gewalt löst Gewalt aus und dieser bemerkenswerte Thriller ist überaus brutal. Aber: Gewalt dient hier nicht der Befriedigung voyeuristischer Gelüste, sie soll keinen Grusel hervorrufen, sondern Ekel. Denn „Echos der Gewalt“ entlarvt die Widerwärtigkeit von Gewalt. Durch eine direkte Sprache. Und durch die Erzählweise. Die Handlung wird in zwei Zeiten erzählt: Die Kapitel, die mit „Davor“ übertitelt sind, erzählen von Nenas Kindheit, dem Grauen, das ihr angetan wurde, und sind aus der Ich-Perspektive sowie im Präsens geschildert. Sie wie es für sie kein Entrinnen gibt, gibt es das auch nicht für die Lesenden.

Die Kapitel, die in der Gegenwart in Miami spielen, sind mit „Danach“ überschrieben. Erzählt werden sie in der dritten Person und Vergangenheitsform. Dadurch blickt man stärker von außen auf die Ereignisse, aber auch auf Nena – und zugleich wird die Distanz deutlich, die Nena mittlerweile zu ihrem Handeln, den Ereignissen und vor allem auch sich selbst empfindet.

Diesen außergewöhnlichen Thriller gelingt somit ein Kunststück: er verhandelt die düstere Realität des Menschenhandels, die Folgen von kolonialistischer, rassistischer und sexualisierter Gewalt. Aber alles ist verpackt als actionreiche, knallharte, lupenreine Genre-Unterhaltung. Wie gut, dass es weitergeht mit der unvergesslichen Nena Knight.

Sonja Hartl

Yasmin Angoe: Echo der Gewalt (Her Name is Knight, 2021). Aus dem Englischen von Karin Diemerling. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 422 Seiten, 18 Euro.

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