Geschrieben am 1. April 2023 von für Crimemag, CrimeMag April 2023

Hazel Rosenstrauch: Schon damals, mit Russland …

Der nützliche Teufelspakt

1988, also vor fünfunddreißig Jahren, ist ein Büchlein von Sebastian Haffner erschienen, das mehr über die deutsch-russischen Beziehungen – sprich die Vorgeschichte der Brandt-Schröder-Merkel-Politik – enthält als die meisten neuen Kommentare seit Beginn des Kriegs in der Ukraine.

Ich habe mich oft gefragt, warum so wenig über Lenins Reise nach Russland im April 1917 erzählt wird, wenn Jahrestage begangen, über Kriege und die Russische Revolution schwadroniert wird. Bekanntlich fuhr Lenin von seinem Exil in Zürich quer durch Deutschland via Finnland nach Petrograd. Ohne Hilfe der deutschen Reichsregierung hätte diese Fahrt im plombierten Zug nicht stattfinden können, und ohne Lenin hätte die Revolution, zumindest nicht unter Führung der Bolschewiki, nicht stattgefunden. Sebastian Haffner spricht von der schwindelerregenden Tat, die dadurch möglich wurde, aber ihn interessieren nicht primär die Wirren der russischen Kämpfe, sondern der Anteil der kaiserlichen Regierung daran. Sein Büchlein heißt “Der Teufelspakt” und handelt von den einzelnen Schritten einer Zusammenarbeit zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg. Er dröselt die Motive der beiden Seiten en détail auf, beschreibt die Widersprüche und Unstimmigkeiten zwischen den Akteuren auf deutscher Seite, und resümiert: “Ohne den Teufel wäre die Schöpfung nicht vollständig.” Diese präzise, elegant und damit immer gut verständlich geschriebene Untersuchung wurde geschrieben, als die Grenzbefestigungen noch zwischen Ost und West verliefen.  

Das deutsche Reich versprach sich von dem wirren Haufen der Bolschewiki die militärische Paralyse Russlands. Außerdem konnten durch ein Bündnis mit diesen Verrückten Truppen frei werden, um im Westen gegen die Entente zu kämpfen. Da England, Frankreich, USA und Japan in Russland im Bürgerkrieg die Weißen, “selbst ein gemischter Haufen mit unterschiedlichen Zielen”, unterstützte, sollte ein Bündnis mit den Bolschewiki den Westen schwächen. Ohnehin dachte man, dass dieser ungewaschene Haufen von Revolutionären sich nicht lange halten würde und man Russland bald kolonisieren könnte. 

“Die Bolschewiken sind höchst üble und antipathische Leute […] Ob wir gern oder ungern mit ihnen arbeiten, ist belanglos, solange sie nützlich sind”, zitiert Haffner aus der Staatsschrift eines Admirals. Die Friedensverhandlungen zwischen der neuen russischen Regierung und den bedrängten deutschen Militärs und Politikern waren für beide Seiten mit vielen Zugeständnissen, mit Demütigung und Selbstverleugnung verbunden. Der Pakt blieb bestehen, auch wenn sich nach dem Frieden von Brest-Litowsk die Motive der Gegner und Fürsprecher mehrfach änderten. Nach der deutschen Niederlage gab es immer wieder gute Gründe für den Teufelspakt, der auf beiden Seiten stets Gegner und Befürworter hatte, und trotz aller schmerzhaften Zugeständnisse für beide Seiten letztlich nützlich war. Das deutsche Kaiserreich hat sich damals bemüht, einen „Ring von Satellitenstaaten von Finnland über das Baltikum, Polen und die Ukraine bis zum Kaukasus und eine Revolutionsregierung in Rußland“ zu bilden.

Es geht dem Autor nicht darum, die russischen Irrwege nachzuzeichnen, ihn interessiert das Verhalten der deutschen Eliten vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg. “Versailles war unerträglich. Aber wo gab es Hilfe gegen das Unerträgliche?” Also war man bereit, sich mit den Zarenmördern an einen Tisch zu setzen. So kam es zum Vertrag von Rapallo, dieser “diplomatischen Sturzgeburt”, bei der sich Deutschland und Russland gegen den Westen zusammenschlossen.

 Als 1918 auch in Deutschland die Revolution ausbrach, entstand eine ganz neue Konstellation. Die revolutionäre Idee sah ja vor, dass eine Weltrevolution von Deutschland initiiert werden müsste. Das “unnatürliche Bündnis mit dem Deutschen Kaiserreich schien sich in ein natürliches Bündnis mit der deutschen sozialistischen Republik” zu verwandeln. Viel Unterstützung konnten die russischen Revolutionäre den deutschen Freunden nicht bieten, aber neben Propaganda und Hoffnung schleppten Soldaten der deutschen Ostarmeen bei ihrer Heimkehr “den bolschewistischen Bazillus ein”. 

Schritt für Schritt erläutert der Autor auch die Rolle der zweiten und der dritten Internationale, bis der Sozialismus in einem Land und damit die Unterstützung der Sowjetunion zum Gebot für alle Revolutionäre wurde, die Komintern Strategie und Taktik für alle kommunistischen Parteien entwarf und die deutschen Sozialdemokraten als Sozialfaschisten diffamiert wurden. Haffner widerspricht der verbreiteten Ansicht, dass vor allem die Spaltung der Linken für das Ende der Weimarer Republik verantwortlich sei. 

Nur zum Teil bekannt und in dieser Klarheit kaum öffentlich diskutiert ist die Kooperation von Reichswehr und Roter Armee beim Aufbau einer deutschen Luftwaffe und Panzerwaffe, samt dem Nebeneffekt einer Ausbildung von sowjetischen Offizieren, “eines der erstaunlichsten Kapitel moderner Geschichte”. Das siebte Kapitel ist dem Pakt zwischen Hitler und Stalin gewidmet, und auch hier primär den deutschen Interessen, die nicht nur von zwei Diktatoren, sondern von dieser Vorgeschichte geprägt waren. 

Sowohl Fürstenhochzeiten wie Pipelines sind nicht aus Liebe und Vertrauen entstanden, die Wurzeln der deutsch-russischen Verbindung waren immer von widersprüchlichen, wechselnden Interessen geprägt. Haffners Büchlein ist nur 150 Seiten dünn, reich an Informationen, voll klarer, nüchterner Gedanken und köstlicher Formulierungen. Erhältlich ist es nur antiquarisch, vielleicht trägt ja diese Besprechung dazu bei, dass es neu aufgelegt wird. 

Sebastian Haffner: Der Teufelspakt. Die deutsch-russischen Beziehungen vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg. Manesse-Verlag, Zürich 1988. 150 Seiten, nur noch antiquarisch.

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