Geschrieben am 22. Oktober 2014 von für Bücher, Litmag

Kerstin Preiwuß: Restwärme

preiwuss_restwärmeKratzen am Klischee

–Die alleinerziehende Marianne kommt gerade von einem Arbeitsaufenthalt in Nepal, als der Anruf ihrer Mutter aus ferner Vergangenheit sie erreicht. Mariannes Vater, der die Familie über Jahre hinweg tyrannisierte, ist gestorben. Sie soll zur Beerdigung kommen und gerät in einen Sog zurück in ihre Kindheit. Von Sophie Sumburane

Mit ihrem Debüt-Roman „Restwärme“ war die Lyrikerin Kerstin Preiwuß beim Bachmann-Preis angetreten, musste sich dort jedoch von der Jurorin Daniela Strigl anhören, der vorgetragene Textausschnitt über den kriegstraumatisierten Familienvater in der DDR, der auf einer Nerzfarm arbeitend für das Vergasen der Tiere zuständig war, erzeuge eine Überlast an KZ-Metaphern. Der Faschismus als Grundübel der zerrütteten Familie sei ein allzu häufig bemühtes Bild, das hier noch dazu plakativ verwendet werde. Betrachtet man jedoch den gesamten Text, bilden Faschismuserfahrungen zwar den Unterbau für den sadistischen Vater, werden aber an keiner weiteren Stelle derart deutlich ausformuliert.

Altbekannt sind viele Facetten des Romans aber dennoch: Wir haben den alkoholsüchtigen, mit harter Hand erzogenen Vater, der seine Frau und Kinder schlägt; die duldende Mutter, die ihren Mann an einer Stelle bittet „es wenigstens unsichtbar zu tun, er sei doch bei den Nachbarn wie auf Arbeit ein angesehener Mann“, – und die Kinder, deren unterschiedliche Werdegänge durch die Art und Weise der Prügel vorbestimmt scheinen. Der jüngere Sohn Hans, der schon zu Schulzeiten Gewaltphantasien entwickelt und Tiere quält und im „Jetzt“ noch immer mit der Mutter in dem Haus am See lebt. Irgendwo in der mecklenburgischen Provinz, wo er sich von ihr bekochen und den Hintern nachtragen lässt.

Und – demgegenüber – Marianne, intelligenter als ihr Bruder und weniger häufig vom Vater verprügelt, die den Weg hinaus schafft, studiert und nach Berlin zieht.

Von den Zurückgebliebenen werden ihre neuen Eigenarten („Isst du kein Fleisch?“) kritisch beäugt, Marianne wirkt fremd in der eigenen Familie. Der Tod des Vaters und die damit verbundene Rückkehr ins Haus am See lässt Marianne ihre Vergangenheit erneut erleben.

Auf den ersten Blick bietet Preiwuß‘ Roman dabei leider viel Altbekanntes. Sie verwebt das Jetzt mit dem Damals, bleibt in der Perspektive Mariannes und kratzt immer wieder an Klischees. Lediglich in den Momenten, in denen die Autorin die Überlebensstrategien der Kinder schildert, wird eine neue Perspektive der Tyrannei des Vaters dargestellt. Etwa wenn sie über die junge Marianne schreibt: „Weil sie weiß, dass er eher von Hans ablässt, wenn sie aufmerksam ist, sieht sie immer ganz genau hin, denn es nutzt nichts, vom Ablauf des Schauspiels abweichen zu wollen.“

An ein paar wenigen Stellen wird schließlich auch mit dem Bild des brutalen Vaters gebrochen. Marianne erinnert sich, wie sie und der Bruder Hans auf dem Schoß des Vaters sitzend, ein Pflanzen- und Tierbestimmungsbuch anschauen, wie der Vater ihr im See das Schwimmen beibringt und im Winter fürsorglich erklärt, wann sie aufs Eis gehen könnten. Die zwiespältigen Gefühle der jungen Frau zu ihrem verstorbenen Vater treten zu Tage, auffällig ist, dass diese stets mit der Natur in Verbindung stehen. Im Jetzt unternimmt Marianne schließlich lange Spaziergänge durch den Wald ihrer Kindheit. Die Lyrikerin Preiwuß spickt diese Szenen mit schönen Naturbeschreibungen und melancholischen Bildern.

So konventionell wie die Figurenkonstellation ist jedoch der Schluss des Spannungsbogens. In ihrem alten Bett in der Dachkammer, in der Marianne als Kind schlief, kann sie das erste Mal seit Jahren wieder weinen – der Ansatz einer Katharsis zeigt sich und vollendet sich im Bild des geflickten Teddys. Marianne näht dem Teddybären aus ihrer Vergangenheit den Riss im Fell wieder zu.

„Restwärme“ ist ein sprachlich gelungenes Debüt. Kerstin Preiwuß schreibt klar, schnörkellos und unaufgeregt, erschafft lebendige Bilder ohne die Sätze in Metaphern zu ertränken. Wir hoffen, dass die Autorin in ihrem nächsten Buch mit etwas weniger plakativen Motiven und Bildern arbeitet.

Sophie Sumburane

Kerstin Preiwuß: Restwärme. Berlin Verlag 2014. 224 Seiten. 18,99 Euro.

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