Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

TW: Wo bleibt der Nachwuchs?

Die Kriminalliteratur zieht kaum jüngere Autorinnen und Autoren an – warum ist das so?

Die Sommerferien sind vorbei. Das bedeutet auch, dass ich (und vermutlich viele andere Kollegen und Kolleginnen im Verlagsbusiness) mit unaufgefordert eingesandten Manuskripten geflutet werde. Naja, geflutet wird man eigentlich immer, aber in den Ferien hatten vermutlich auch Lehrerinnen und Lehrer Zeit, Kriminalromane zu verfassen, so nach dem Motto „Ich hab was von Chandler gelesen, da dachte ich, das kann ich auch“ (und das ist eine Bemerkung, die so oder ähnlich oft vorkommt). Brauchbares ist da selten bis gar nicht dabei. Aber darum soll es heute gar nicht gehen.  Mir ist was ganz anderes aufgefallen, was auch mit den veröffentlichten Büchern korrespondiert.  Es sind kaum junge Menschen dabei, sagen wir von 30 Jahren abwärts., die dafür brennen, Kriminalromane zu schreiben

Meine letzte deutschsprachige Debütantin, Sybille Ruge (damals mit „Davenport 160 x 90“, Suhrkamp) war da neunundfünfzig Jahre alt. Und wenn ich auf die aktuellen Bestenlisten schaue, sehe ich Liza Cody („Die Schnellimbissdetektivin“, dt. von Iris Konopik, Ariadne), Jahrgang 1944, Sara Paretsky („Entsorgt“, dt von Else Laudan, Ariadne) Jahrgang 1947, bei mir erscheint demnächst Jerome Charyn („Ravage & Son“, dt. von Jürgen Bürger, Suhrkamp), Jahrgang 1937. Es ist natürlich nicht so, dass diese allesamt großartigen AutorInnen irgendwie „altersgemäß“ (was immer das sein könnte) schreiben, sogar ganz im Gegenteil.  Aber das Gros aller ernst zu nehmenden Kriminalromanautorinnen und -autoren pendelt so zwischen (späte) Vierziger und Sechziger. Zumindest, was den deutschsprachigen Raum angeht und zumindest, soweit ich das sehe. Ganz falsch kann ich vermutlich nicht liegen, weil ich zum Beispiel von Agenturen gleichlautende Rückmeldungen bekomme.

Weil ich ja als Programm-Macher jahrelang vorausschauen muss und grundsätzlich immer neugierig auf Neues bin, grüble ich natürlich. Woran mag das liegen? Spekulieren wir mal ein bisschen: Kriminalliteratur, egal, von welchem Subgenre wir reden, ist unattraktiv geworden. Das gilt zumindest für die Konsumentenseite nicht. Krimis werden stapelweise verkauft, Kriminalnarrative erfreuen sich sowohl im analogen als auch digitalen Fernsehen großer Beliebtheit, das können ja nicht nur Geronten sein, die sowas lesen und anschauen.

Nächste Möglichkeit: True Crime hat dem fiktiven Kriminalroman den Rang abgelaufen. True Crime, z.B. als Podcast, kann jeder und jede zuhause herstellen. Eine Qualitätskontrolle findet kaum statt. Das Gleiche gilt allerdings für die literarischen Produktionen, die bei Bezahlverlagen oder beim Selfpublishing entstehen. So etwas gibt es aber auch schon satte 25 Jahre (mindestens), hat aber die Verlagsproduktion nie irgendwie tangiert. Und war und ist nicht unbedingt die Domäne jüngerer Menschen.

Oder: Die Aufmerksamkeitsspanne junger Menschen reicht nicht mehr aus für längere Narrative, alles muss auf Tik-Tok- und Insta-Format reduziert werden. Neee, schließlich reden wir nicht von fünfzehnjährigen Teenies (die haben noch nie viel Kriminalliteratur gelesen und möchten auch bitte weiterhin davon absehen, welche zu schreiben). Diese Art von Junge-Mensch-Bashing ist übrigens extrem antipatico und billig. Fünfundzwanzig bis Dreißigjährige sind natürlich fähig, Kriminalliteratur zu schreiben, Candice Fox war neunundzwanzig, als sie angefangen hat und sofort erfolgreich. In meinen kommenden Programmen werden auch zwei noch junge Frauen unter dreißig erscheinen – eine Taiwanerin und eine Chino-Kanadierin. Wir scheinen es also nicht mit einem globalen Problem zu tun zu haben (obwohl doch die „Jugendkultur“ global gedacht werden sollte), sondern mit einem des deutschsprachigen Raums.

Nächster Versuch: Andere Genres sind attraktiver, Fantasy oder Romance. Oder Befindlichkeitsromane, Familienromane, historische Romane. Allerdings gab´s schon immer andere Literatur außer Kriminalromanen, sorry für diese Binse. Und letzter Anlauf: Durch eine konzertierte Aktion von Bestselleritis, TV-Krimis, Golden-Age-Revivals, Regio-Krimis und „Schreibschulen“ ist ein derart reduziertes, anscheinend normatives Bild von „Krimi“ entstanden, das freien Radikalen die kreative Luft abschnürt, so dass sie sich möglicherweise gar nicht mehr trauen, wahnwitzige Konzepte, irre Ideen, tollkühne Sprache und neue gar migrantische Themenfelder auszuprobieren.

Dabei wäre gerade jetzt die Chance groß, mit Innovation, Fantasie, Wahnsinn und ein wenig Genie gute Programmplätze bei seriösen Verlagen zu ergattern. Sage ich natürlich pro domo und weigere mich zu glauben, dass es da draußen niemand gibt, der oder die sich nicht herausgefordert fühlt. Reden wir in zwei Jahren noch einmal über das Thema.

© 09.2024 Thomas Wörtche