Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

Thomas Wörtche: »LIFE. Hollywood«

Die Story einer Symbiose – Hollywood und LIFE

TW blättert versonnen in einem zweibändigen Hammerbuch

LIFE. Hollywood. Mit Vorwort von Lucy Sante, Bildutexten des Filmhistorikers Justin Humphreys und Bildern von über 70 legendären LIFEFotografen wie Alfred Eisenstaedt, Peter Stackpole, Gordon Parks, Lisa Larsen, Margaret Bourke-White, Gjon Mili u.v.a. Verlag Taschen, Köln 2024. Format 26,5 x 36 cm, Gewicht 7,50 kg. Hardcover, 2 Bände im Schuber. 708 Seiten, 200 Euro.
Edited by: Reuel Golden, New York. Design: Andy Disl, Los Angeles. Production: Thomas Grell, Cologne. Editorial coordination: Alexi Alario, New York.

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Als Henry Luce 1936 das LIFE-Magazin aus der Taufe hob, war relativ bald klar, dass es quotenmäßig unumgänglich war, das wichtigste Medium der Zeit, den Film, zu einer der Säulen der Berichterstattung zu machen. Folgerichtig erschien 1937 der erste Filmstar auf dem Cover: Jean Harlow. Bis 1972 waren es dann über 200 Covergirls und Coverboys aus dem Universum von Hollywood. Klar, denn in diesen Jahren boomte die Filmindustrie, bis in den 1970ern New Hollywood aufkam, das Fernsehen immer wichtiger wurde und das traditionelle Studio-System bröselte.

Der TASCHEN VERLAG hat nun für ein zweibändiges, aufwändig gestaltetes, in einem vermutlich auch schusssicheren Schuber gelieferten Werk hunderte und aberhunderte Fotos (ein ausführliches Fotografen-Register gibt es im Anhang, spannend, wer da alles mitfotografiert hat, von Robert Capa bis Gordon Parks, you name it …) aus dem LIFE-Archiv brillant reproduziert und quasi als Major Production ganz im Sinne der Glamourworld von La La Land präsentiert. Das ist einfach nur schön und auch ein klein wenig atemberaubend. Und so soll ja Kino.

Aber diese verlegerische Großtat bietet nicht nur exzellente Schauwerte galore. Das liegt auch daran, dass ungefähr die Hälfte der hier versammelten Fotos nie veröffentlicht wurde.  Das zeugt von einer unausgesprochenen Verabredung zwischen LIFE und der Filmindustrie – wir featuren euch, ihr featured uns, wir machen euch die Zugänge, ihr macht die richtigen Bilder, zu beider Nutz und Frommen. Tatsächlich gelangen mit dieser Methode Fotos, die bis heute ikonographisch sind: Alfred Hitchcock mit seinen Vögeln etwa, oder James Dean auf dem verregneten Times Square. Die Leute liefen scharenweise ins Kino, LIFE lieferte die Backgroundstorys und ließ die gut aussehen, die man gut aussehen lassen wollte.

So zementierten die LIFE-Fotos etwa die Images der „Tyrannen“ der großen Studios, wie die sich selbst sehen wollten – Louis B. Mayer & Co., abgebildet als superwichtige Menschen in ihren repräsentativen Büros, die vor allem eines ausstrahlten: Macho-Macht. Betrachtet man diese Fotos heute, scheint der Weg zu Harvey Weinstein im Grunde nur logisch. Aber Skandalgeschichten waren nicht die Sache von LIFE. Und nur um es klarzustellen: Hollywood und seine Stars waren beileibe nicht das einzige Thema des Magazins, das seinem Publikum die Augen für die Welt öffnen wollte. Man setzte grundsätzlich auf die Macht der Bilder, bei eher reduzierten Texten, die zudem allgemein verständlich und nur hin und wieder ein wenig doppelbödig gehalten waren.

Längere Fotostrecken erinnern insofern schon fast an das (heute vergessene) Genre des Fotoromans. Aber auch da liegt schon ein sehr aktuell anmutender Aspekt: Die Dominanz der Bilder über den Diskurs, resp. die Bilder als Diskurs. Und sei er implizit. Am besten sieht man das auf einem Foto von 1938, auf dem sich Bette Davis auf einer Sonnenliege mit Rädern von ihrem schwarzen Chauffeur zum Pool schieben lässt, der nur ein paar Meter entfernt liegt. Rassismus und Klassismus in einem Bild, prägnant und präzise. Die Intentionsfrage spielt da keine Rolle. Manchmal aber schon: So kontrastierte LIFE eine Homestory über Dustin Hoffmann mit einer über John Wayne; treffender kann man Old und New Hollywood nicht auf den Punkt bringen.

Die MacherInnen des TASCHEN-Bandes haben das sehr schön verstanden und ordnen ihre Bilder oft sehr aussagekräftig an: So steht etwa zum Thema „Wasser“ nach Fotos von Esther Williams´ süßlichem Wasserballett von „America´s Mermaid“ gleich eines von Hitchcocks „Lifeboat“ (der Film ging um Überlebende eines Schiffes, das von deutschen U-Booten versenkt wurde). Oder: Marlene Dietrich als Truppenbetreuerin im Zweiten Weltkrieg für weiße GIs, daneben Lena Horne in der derselben Funktion für schwarze GIs. Eben jene Lena Horne, der man die ganz große Karriere wegen ihrer Hautfarbe verweigert hatte. An solchen Stellen wird klar, dass wir es hier nicht einfach mit schicken Bildern von schicken Menschen und schicken Ambienten zu tun haben, sondern mit realer Zeitgeschichte, ungefiltert und pur. Der Rassismus der Zeit bildet sich nicht nur in den veröffentlichten Fotos ab, sondern auch in denen, die nur selten oder gar nicht gezeigt wurden, die aber unser vorliegender Band glücklicherweise sichtbar macht. Wissen Sie, wer Cantinflas war? Der hieß eigentliche Mario Fortino Alfonso Reyes und war der „Charlie Chaplin der spanischsprachigen Welt“. Natürlich strahlte Hollywood auch dorthin aus – und natürlich in die spanischsprachige Minderheit in den USA, aber genau das schlug sich eben nicht in den großen Fotostrecken von LIFE nieder.  

Zeitgeschichte steckt aber auch in Themen, die gerade nicht mondän sind. LIFE kümmerte sich entschieden um das „making of …“, auch ein Genre, das sich bis heute einer großen Beliebtheit erfreut. Insofern gab es Fotoreportagen über (fast) alle Gewerke, die an einem Film beteiligt sind: Bühnenbauer, Trickspezialisten, alle Arten von Handwerken, Kostümdesigner (gerade deswegen wurde LIFE auch gekauft: Das Publikum wollte sehen, was die Stars tragen, wollten ähnliche Klamotten selber kaufen oder nachschneidern, die Textilindustrie war entzückt, namhafte Couturiers tauchten zunehmend in den Credits auf), Tonleute, Kameraleute, Beleuchter und selbst Coaches für alle möglichen Zwecke. Auch das hatte natürlich Raison: Einerseits erdete sich Hollywood damit und LIFE, das sich um solche Themen kümmerte, gleich mit, denn zwei Medien, die dringend auf ein breites Publikum angewiesen sind, tun gut daran, nicht abgehoben rüberzukommen.

Und zweitens demonstrierte man damit, dass Hollywood eine Industrie ist, mit einem hohen Anteil von Fordismus. Der eine oder andere Europäer hat das nie wirklich verstanden, Bert Brecht etwa, oder Wim Wenders, und auch Adorno/Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“ setzt da an – nicht, dass das LIFE und Hollywood gejuckt hätte.  Und es ist nicht so, dass New Hollywood strukturell alles anders gemacht hätte. Zwar trat an die Stelle der Tycoons à la Mayer, Zanuck und Co. ein anderer Typus Produzent wie etwa der plaboy-like Robert Evans, der sich Hits wie „Rosemary´s Baby“, „The Godfather“, „Chinatown“, „Barbarella“ oder „The Odd Couple“ auf die Fahnen schreiben konnte, und deutlich more casual rüberkam als die alte Riege, aber die Kontrolle wollte man schon behalten. Zum Beispiel Mr. Cool, Steve McQueen, der sich gerne als harter Kerl sah, als Outdoor Man. Blöd nur, dass viel später James Coburn ausplauderte, dass McQueen nichts mehr gehasst hätte, als in der freien Natur rumzutoben.

LIFE reagierte auch zunehmend auf die vielen europäischen Stars, auf die Hollywood aufmerksam geworden war, bzw. aufmerksam werden sollte. Man inszenierte mit der gleichen Opulenz wie die heimischen Stars Sophie Loren, Brigitte Bardot, man nahm Leute wie François Truffaut zur Kenntnis, Fellini und Mastroianni, den Kanadier Donald Sutherland und so weiter. Und, das war absolut sensationell, der LIFE-Mitarbeiter Dmitri Kessel (geborener Ukrainer) macht eine Reportage über die Sowjetische Filmindustrie, vor allem über die staatliche Mosfilm, die gerade Sergei Bondartschuks Mega-Epos „Krieg und Frieden“ gedreht hatte, wofür er den Oscar und den Golden Globe für den besten ausländischen Film einstreichen durfte. Dino De Laurentiis produzierte dann im Nachgang 1970 Bondartschuks Schlachtspektakel „Waterloo“ mit Rod Steiger als Napoleon und Christopher Plummer als Wellington, der für Freunde von Schlachtspektakeln halbwegs erträglich ist (naja, gegen Ridley Scotts „Napoleon“ schon fast erträglich), aber ansonsten keine weiteren Großkooperationen mit der Sowjetunion zur Folge hatten (außer bei Roger Corman, aber das ist ein anderes Kapitel – und es ging auch nicht um major productions). Immerhin war aber auch LIFE auf Andrei Tarkowski aufmerksam geworden, was wiederum für Kompetenz spricht.

Ein letzter Punkt noch, bevor ich alles nacherzähle. Sex – gibt´s hier nicht. Keine Fotos, die unter den Verdacht von „unzüchtig“ geraten könnten – auf dem Cover von Band eins blickt gar lieb und supernett Elizabeth Taylor und von Band zwei eine züchtig verhüllte Marilyn Monroe. Einzig Veronica Lake ist, wie Lucy Sante in ihrer schönen Einleitung schreibt, als sexy inszeniert. Und hinter ihr lodert das Höllenfeuer, wo unartige Mädchen ja bekanntlich hingehören – und in klassischen Hollywood-Filmen auch ziemlich regelmäßig landen.

„LIFE – Hollywood“, das Monsterprojekt ist also vieles: Opulentes Bilderbuch, Mediengeschichte, Zeitgeschichte, Sittengeschichte, Filmgeschichte. Ein Thesaurus, mit dem man Tage, ach was, Wochen verbringen kann. Und sollte.

Thomas Wörtche

taschen.com

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