Geschrieben am 1. November 2023 von für Crimemag, CrimeMag November 2023

Sonja Hartl: Paula Rodriguez „Dringliche Angelegenheiten“

Tote fahren keinen Zug. Sagt man so. In Paula Rodriguez Kriminalroman „Dringliche Angelegenheiten“ ist genau das Ausgangspunkt einer irren Geschichte.

Hugo sitzt in der Klemme. Er hat einen Mord begangen und muss dringend aus Buenos Aires verschwinden. Allerdings hat sein Zug einen Unfall – und nun liegt er zu Beginn von Paula Rodríguez „Dringliche Angelegenheiten“ auf einem Stapel toter und schwer verletzter Menschen in einem Waggon. Er erkennt seine Chance: sollte er es lebend aus dem Waggon schaffen, wird er seinen Tod vortäuschen und abhauen. Allerdings ist das einfacher gedacht als getan.

Hugos Flucht und die Suche der Polizei nach ihm sind die Krimi-Anteile in diesem Roman und sie lösen eine Kette an Verwicklungen aus: Während Hugo im Zug feststeckt, bekommt seine Lebensgefährtin Marta nämlich Besuch von einem Polizisten. Sie verrät ihm nichts über Hugo, sondern packt anschließend ihrer Tasche und flieht mit ihrer Tochter zu ihrer tiefreligiösen Schwester. Dann schaltet sich Martas Mutter Olga ein, die sich gar nicht freut, dass ihre Familie so viel polizeiliches Interesse weckt und die Offensive geht: sie wendet sich an die Presse, um Hugo zu finden.

Paula Rodríguez (c) Alejandra López

Vor allem die hinreißenden Figuren überzeugen in diesem Roman: Die tiefreligiöse Schwester, die im Casino arbeitet, in ihrer Freizeit Vibratoren verkauft und ihre Kundinnen dazu bringt, für Hugo medienwirksam vor dem Haus zu beten. Hugos Tochter, die glaubt, sie sei schuld an allem, weil sie das Handy ihrer Lehrerin geklaut hat. Vor allem aber Olga, die sich nach und nach als raffinierte, aber auch kalte Matriarchin entpuppt. Alle in diesem Buch sind auf irgendeine Art schuldig, verstrickt in einer sehr eigenen Verbindung aus Glauben, Korruption und schlechtem Gewissen.

In kurzen Kapiteln und mit vielen hochkomischen Charakteren erzählt Paula Rodríguez wendungs- und temporeich eine vergnügliche Geschichte, die die Unübersichtlichkeit nach einem Unglück gewissermaßen zum Formprinzip erhebt: alle Figuren stehen irgendwie miteinander in Beziehung, werden aber nicht lange eingeführt, sondern man trifft sie sofort in konkreten Situationen an. In jedem Kapitel gibt es eine neue pointiert erzählte Szene, in der man sich erst einmal zurechtfinden muss. In ihr steckt zumeist etwas Wirklichkeitsnahes, das oft zugespitzt wird, zugleich aber in einem selbstverständlichen Tonfall erzählt wird. Durch diese Erzählweise ist „Dringliche Angelegenheiten“ ein temporeicher Kriminalroman, eine Mediensatire, eine Glaubensfarce – oder auch einfach: ein höchst unterhaltsamer Roman.

Paula Rodríguez: Dringliche Angelegenheiten (Causas urgentes, 2023). Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. 224 Seiten, 24 Euro.

Tags : , ,