Geschrieben am 15. Mai 2018 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2018

Porträt: C.H. Guenter, Autor der „Mister Dynamit“-Romane – „Wiener“ 5/87

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Der Meister selbst, Fototermin für den „Wiener“, 1987 (Fotograf unbekannt; bitte gerne bei uns melden)

Weltenrettung, Made in Germany

Besuch bei einem äußerst erfolgreichen Serienautor – von Helmut Ziegler.

Es war das einzige Porträt zu Lebzeiten, erschienen vor nun genau 21 Jahren im „Wiener“ (Heft 5/87). Wir dürfen es hier veröffentlichen und so den Serienautor C.H. Guenter – sein CrimeMag-Porträt von Alf Mayer hier – als Stern am Internetarchiv-Himmel lebendig halten. Es ist uns eine Freude – und Ihnen die Lektüre vermutlich auch.

Vorspann, damals: Der deutsche James Bond heißt „Mister Dynamit“ – und im Gegensatz zu dem Briten, der es nur auf ein gutes Dutzen Einsätze gebracht hat, rettet „Mister Dynamit“ die Welt noch immer. C.H. Guenter, Schöpfer des BND-Agenten, empfing den WIENER zu einem Gespräch über Trivialliteratur und das Geld, das man damit verdienen kann. EIN BESUCH VON HELMUT ZIEGLER.

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„Bourbon.“ Das stahlblaue BMW 623 GSi Coupé hatte an Geschwindigkeit verloren, und schließlich war ein Mann in den besten Jahren ausgestiegen, hatte das verglaste Lokal betreten. Ein Mann, bei dessen Anblick Frauen leise stöhnen und die Männer sich arm vorkamen. Milde gelangweilt bestellte er sein Standardgetränk: „Einmal ohne Wasser und einmal ohne Eis. Aber in jedem Fall drei Finger hoch. Dürfen auch vier Finger sein.“
   Der Mann war etwa einsfünfundachtzig groß und mehr athletisch als schlank. Er verfügte über einen aristokratischen Langkopf und gebräunte Haut, als käme er eben aus St. Moritz vom Ski-Urlaub. Mit den grauen Augen und dem dichten Haar sah er recht manierlich aus. Das Lachen um seinen Mund mochte ein wenig irritieren, aber nur Leute, die ihn nicht näher kannten. Die also auch nicht wissen konnten, daß die einseitige Lähmung eines Gesichtsmuskels angeboren war, der Mann mithin für seinen ewig blasiert und zynisch wirkenden Gesichtsausdruck nicht verantwortlich zu machen war.
   Er trug, wie schon seit Urzeiten, seine dunkelblaue Gabardinehose, das Glenchecsakko zweireihig mit stoffüberzogenen Knöpfen, ein zartgetöntes, blaßblaues Hemd und einen einfarbigen Seidenstrickbinder passend zur Farbe der maßgeschneiderten Hose -, mit dem man notfalls auch einen Elefanten abschleppen konnte. Was nicht recht zu seinem Macho-Aussehen paßte, war die schmale Goldspange an den schwarzen Slippern.
   Dieser Mann hatte soeben die Welt wieder einmal vor ihrem endgültigen Untergang gerettet. Zum zweihundertundfünfzigsten Mal, immerhin. Darauf darf man schon einen trinken. Der Mann, er heißt übrigens Robert Urban und wird unter der Codenummer 18 beim Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach bei München als Top-Agent geführt, tat dies. Mit ausschweifender Genüßlichkeit.

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Wir wissen doch, wovon wir reden, oder?“ fragt mich C. H. Guenter, um sofort und selbstbewußt seine Antwort hinterherzuwerfen: „Schmutz und Schund. Trivialliteratur.“
   Vor mir steht ein kleiner, herrschaftlich dandyhaft wirkender Man mit einer leichten Andeutung von Übergewicht. Sein Konterfei mit den schlohweißen, nach hinten gekämmten Haaren und dem buschigen, akkurat gestuften Schnauzer ist mir seit zwanzig Jahren vertraut, blickte mir von unzähligen Buchrücken entgegen.
   „Trivialliteratur“, sage ich, „dieser Begriff ist bekanntlich längst verboten. Das Oberflächliche hat sich doch längst von der Tiefe, der Schwere emanzipiert.“ C. H: Guenter lächelt und lädt mit sparsamer Geste zur ausladenden Sitzgarnitur. Auf dem Couchtisch steht ein antikes Kaffeegeschirr parat und eine silberne Schale mit Kuchen. „Bedienen Sie sich, es ist noch mehr da.“ Mit einem Blick auf meinen Recorder sagt er wohlwollend: „Dann wollen wir mal. Erste Frage?“
409_Mister Dynamit 409_300   Erste Frage.
   „Nun. 1958 ist der Verlag an mich herangetreten, ich sollte eine Detektivromanreihe entwickeln. Jerry Cotton war schon einige Jahre erfolgreich am Markt, und der Verlag wünschte ein ähnliches Projekt. Nach langem Grübeln – es sollte ja ein Amerikaner sein – habe ich dann einen Privatdetektiv erfunden. Jo Walker, den Kommissar X. Wie das so üblich ist, habe ich die ersten Pilotromane geschrieben, bis Co-Autoren eingestiegen sind und Kommissar X weitergeführt haben. Von vornherein aber wußte ich, dieser einsam kämpfende Wolf existiert gar nicht. Seit Chandler geht so etwas nicht mehr. Mickey Spillane hat es noch einmal versucht, aber mit welch überflüssiger Brutalität. Außerdem ist die Welt eines Privatdetektives so klein, mickrig. Allenfalls gelegentlich ein Mord, meistens nicht einmal das. Da wußte ich, ein Geheimdienstmann muß es sein.“
   Zweite Frage.
   „Eigentlich ist es doch bescheuert. Warum soll es immer ein CIA-Agent sein? Der Hauptmarkt für solche Bücher ist in Europa. Also habe ich es gewagt: Nimm einen BND-Agenten, sagte ich mir obwohl der BND damals auch keinen besseren Ruf hatte als heute, nämlich überhaupt keinen. So wurde Robert Urban geboren, Kriegsname Mister Dynamit. Denn alle Geheimdienste der Welt haben einen Macher. Nur über die armen Kerle in Pullach schreibt kein Schwein.“
   Dritte Frage.
   „Nachdem ich die Figur entwickelt hatte, habe ich mir Zeit gelassen. Ich habe das pomadig gemacht, ein bißchen durch die kalte Küche, denn ich wollte Mister Dynamit nicht in die Hände des Verlegers geben. Hätte ich seinerzeit gesagt, ich schreibe euch monatlich einen, dann wäre die Antwort gewesen: O.K., Sie schreiben. Das stand für mich nicht zur Debatte. Als dann der Verleger kam und monatlich einen Roman wollte, war das natürlich ein Erfolg, ich konnte fordern. Heute habe ich als einer der wenigen Autoren die kompletten Weltrechte an meinen Romanen. Und Dynamit wird immerhin in die USA, nach England, Frankreich, Brasilien, Italien, Rumänien und und übersetzt.“

c.h. guenter 1985

C.H. Guenter, 1985

Der 1924 in Franken geborene C.H. Guenter, der ursprünglich Medizin studieren wollte und noch heute am liebsten Pianist in einer elegant-weitläufigen Hotelbar wäre, zieht lustvoll an seiner dicken Zigarre, starrt melancholisch den zwischen teuren Antiquitäten  umherflirrenden Schwaden nach. Dann holt er eine Flasche Whisky aus dem mit kunstvollen Schnitzereien veredelten Schrank. Es ist früher Nachmittag. Mein Grinsen mißversteht C.H. Guenter: „Ich setze mich bewußt von meiner Figur ab. Robert Urban trinkt Bourbon, ich trinke Scotch.“ Ich lehne dennoch dankend ab.
   Vierte Frage.
   „Warum ich überhaupt schreibe? Aus Spaß halt, der inneren Hygiene wegen und – man kann solche Sachen so selten lesen, daß man sie sich selber schreiben muß.“
   Siebte Frage:
   „Solange es mir Spaß macht, es für mich ein Abfluß ist von Energien, die wegmüssen, solange schreibe ich Mister Dynamit weiter. Einschränkungen sind leider kaum möglich. Der Verlag hat versucht, ein Modell zu finden, daß ich gewissen Teile meines Vertrages in Form von Generallizenzen abgebe, um Vater Guenter zu entlasten. Doch ein passender Co-Autor, der zuerst drei Romane im Jahr schreibt, dann vielleicht sechs, ist nicht aufzustellen. Er muß ja ein guter Autor sein, der Ideen produzieren kann, der Phantasie hat, technisches Allgemeinwissen. Solche Leute lassen sich nicht für Mister Dynamit einspannen.“
   335_stahlhand300Neunte Frage.
   „Ich weiß genau, was sie meinen, die Schemata und Strickmuster. Der Roman allgemein unterliegt ja keinen Strukturen, der Agentenroman natürlich doch. Die Leute wollen ja nichts anderes lesen, immer wieder ihren Mist Dynamit.“
   Immer wieder, tatsächlich. Heute wie seit 25 Jahren erscheint einmal im Monat im badischen Erich Pabel Verlag – von dem es schon mal heißt, in seinem Hause seien nicht die Druckmaschinen für die Autoren da, sondern umgekehrt – ein MD-Roman als 160-Seiten-Reißer. Die verkaufte Auflage pendelt zwischen 120000 und 200000 Exemplaren je Ausgabe, genauere Zahlen werden als Staatsgeheimnis behandelt. Exakt ist nur der Ladenpreis: 4 Mark 80. Alternierend zu der regulären Reihe wird ebenfalls monatlich ein MD-„Erfolgsnachdruck“ publiziert, so daß sich Süchtige alle vierzehn Tage neuen Stoff besorgen können. Im konkreteren Planungsstadium für die Zukunft steht die Dynamit-„Klassik“-Serie, die die allerersten Werke – mit Goldrand versehen – wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen soll.

 

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Ein Mister-Dynamit-Roman läßt sich – exemplarisch vorgeführt an „Die Judas-Liste“ – wie folgt telegraphieren: Auf dem Golfplatz des Rotary-Clubs in Harrisburg/Pennsylvania verstirbt der amerikanische Senator Lee Grant, angebliche Todesursache Herzschlag. Weil der Senator – Matternich, Talleyrand, Fouché und Machiavelli in einer Person – eine Liste der russischen Spione in den USA angelegt hatte, die nun verschwunden ist, wird der ehemalige CIA-Agent Rex Marwick, von seinem früheren Arbeitgeber schwerstens betrogen und gefeuert, mittels eines ansehnlichen Honorars reaktiviert. Nebenbei erfährt der BND von dieser Angelegenheit. In einem Moskauer Feinschmecker-Tempel trifft ein hochgestellter KGB-General auf einen schwedischen Nachrichtenhändler, der ihm md judas-liste tb_Mister Dynamit 589_300die Diskette des Senators mit den gespeicherten Namen der Landesverräter – Judas-Liste-genannt – für eine Million Goldrubel verkaufen will. Nach Prüfung der Ware, die zur Enttarnung eines NATO-Admirals führt, ersteht der KGB die Diskette. Auftritt Robert Urban: Er ermöglicht es Rex Marwick, hinter den eisernen Vorhang hinüberzuwechseln, um dort das brisante Material wiederzubeschaffen. Inzwischen trifft sich der KGB-General mit der ehemaligen Geliebten des US-Senators – sie stand in Wahrheit immer zu dem Russen und hat das Geschäft über den Schweden nur eingefädelt, damit bei später zufrieden, reich und glücklich in ihrem Haus in Tunis leben können. Dazwischen Rex Marwick: Er schießt das Pärchen brutal über den Haufen und flüchtet mit der Diskette zurück in den Westen, unter sorgfältiger Ausnutzung des BND-Fluchtnetzes. In Hamburg läßt er sich die Judas-Liste von einem Computer ausdrucken. Als ihn der CIA erneut zu betrügen versucht – der Koffer, der die versprochene Dollarmillion enthalten soll, detoniert mit mehreren Tausend Atü -, will sich Marwick, schwer verletzt, rächen. Seine ihm im Hintergrund beistehende Freundin informiert Urban. Er versrogt Marwick mit ärztlicher Hilfe und bemüht sich gleichzeitig, dessen Rachepläne zu unterlaufen. Doch Marwick ist zäh. Der Rest des Romans geht mit der Suche nach dem abtrünnigen CIA-Agenten drauf und enthält auf den letzten Seiten die obligatorisch überraschende Wende: Alle vorgeblichen Spione, die der Senator aufgelistet hatte, waren keine, sondern Doppelagenten, d.h., mit Wissen von Lee Grant trugen sie der UdSSR gezielte Desinformationen zu. Zum Ende hin erwischt Urban Marwick an der West-Ost-Grenze, wo der Amerikaner den Bundesdeutschen in eine tödliche Falle lockt. Doch Urban wird selbstredend gerettet. Marwick hingegen erliegt seinen Verletzungen, nachdem er das Versteck der Judas-Liste bekanntgegeben hat. Nicht ohne einen Anflug von Melancholie verläßt Urban das blutige Szenario: „Er stieg ein, gab Gas und fuhr hinaus in die Nacht…“
   Die anderen 249 Romane – ob sie mit einem Geheimplan aus dem Zweiten Weltkrieg beginnen oder mit Gen-Manipulationen enden – sind, ebenso konzis mit harten Gegenschritten geschrieben, von der „Judas-Liste“ nicht grundsätzlich verschieden.
   Zwölfte Frage.
   „Wiederholungsekel? Kenne ich nicht. Ich trinke ja auch immer wieder Whisky, rauche immer wieder Zigarren. Oder anders formuliert:  wer beim Schreiben Wiederholungsekel erfährt, ist vielleicht nicht primitiv genug.“

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Während ich die Kassette wechsle, öffnet C.H. Guenter die weite Glasflügeltür, tritt auf die große Dachterrasse. Langsam durchflutet wieder Licht den Raum und ich schaue mich um. Alle Räume verströmen gediegenes Bürgertum – Spiegel mit schweren Goldrahmen an den Wänden, Schränke mit Intarsienarbeit oder ungarischer Bauernmalerei, alles von bester Qualität und nirgendwo Staub. Ein Bild mit einem religiösen Motiv, kaum Bücher, sieht man von wenigen Nachschlagewerken und um den Zweiten Weltkrieg kreisenden Wälzern ab. Auf fast allen Tischen stehen Sträuße frischgeschnittener Blumen.
   C.H. Guenter hat mich nicht wirklich aus den Augen gelassen, meine umherschweifenden Blicke registriert. „Komisch, nicht wahr?“ sagte er. „Ein Schriftsteller, bei dem keine Bücher herumstehen. Dabei lese ich sehr viel.“ Er zeigt auf ein Taschenbuch auf seinem pedantisch organisierten Schreibtisch. „Der Untergang der Titanic“ von Hans Magnus Enzensberger. „Aber welches Buch liest man schon zweimal? Ich schenke daher immer alles weg.
   372_geheimster AuftragWir plaudern über moderne Literatur. C.H. Guenters Kritik an den deutschen Autoren ist so allgemein, dass man ihr kaum widersprechen mag: all das sei, sagt er, eine einzige Nabelschau, was noch nicht einmal schlimm wäre, wenn die Nabel wenigstens schön wären. Umstandslos parliert er weiter über die deutsche Literaturkritik.  Unglaublich genau lese er Verrisse, die seien immer viel brillanter geschrieben als die Lobeshymnen. Ihn selbst störe es im Übrigen nicht, von der seriösen Kritik auf unterster Stufe angesiedelt zu werden, „ignorieren wäre viel schlimmer“. Er schenkt sich den nächsten Whisky ein und mir einen Fruchtsaft. Blickt dann auf seine Uhr. „Machen wir weiter?“
   Siebzehnte Frage.
   „Ich bin nicht stolz darauf, Trivialautor zu sein aber ich bin stolz darauf, stur zu sein.“
   Achtzehnte Frage.
   „Man muß auf eine ganz bestimmte Art robust konstruiert sein. Es gibt Leute, die fangen an zu zittern, wenn sie nur einen Mißerfolg wittern. Mir passiert das nicht. Ich bin geil darauf zu schreiben und arbeite wie ein Buchhalter. An den Entwurfstagen, wenn ich in Stimmung bin für die Geschichte und da jeweilige Land, setzte ich mich hin: Da habe ich den Titel, da habe ungefähr den Aufhänger. Mehr brauche ich nicht. Dann wird Kapitel für Kapitel entworfen, jedes Kapitel maximal vier Zeilen. Der ganze Romanentwurf muß auf ein Blatt passen, eng beschrieben. Das schreibe ich prinzipiell dreimal, an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Dann steht die Geschichte. Anschließend setze ich mich morgens hin, nicht vor halbzehn, und schreibe etwa 15 bis 20 Druckseiten. Das sollte nach Möglichkeit – der Nachmittag schadet der Literatur, gleich welches Niveau sie hat, bis halb eins erledigt sein. Der Roman muß in einem Zug durchgeschrieben werden, das dauert etwa zehn bis zwölf Tage. In diesen Tagen erlaube ich mir keine Exzesse. Danach schaut das Manuskript aus wie die Lateinschulausgabe eines vierzehnjährigen Schülers. Also kommt nach der Roh- die Reinschrift. Die wird noch einmal endgültig überlesen und fertig, der Roman landet versandfertig in meinem Tresor. Und das hat nicht damit tun, daß ich jetzt fortgeschrittenen Alters bin, das habe ich bei meinem ersten Dynamit so gemacht, das mache ich auch beim letzten so.“
309_In Moskau…Frage Achtzehn A.
…“Mei, schau’n Sie, Detailrecherche ist für mich ein Mangel an Phantasie. Ich erschnüffle mir lieber ein angemessenes Gefühl für ein Land. Allerdings, wenn ich behaupte, da steht ein Tunnel, dann ist der auch wirklich da.“
  Neunzehnte Frage.
…“Natürlich wandelt sich die Figur im Laufe der Zeit. Am Anfang war Bob Urban rechts gegen links, gut gegen böse, meinetwegen ein kalter Krieger. Inzwischen findet er die Sowjetunion ansprechbar. Ökologische oder militärische Probleme machen, wie man weiß, nicht an Staatsgrenzen halt. Ich kenne zwar die Kritik: ‚Machwerke‘, ‚offen kriegstreiberischer Charakter der Romane“‘, ‚erkennbar Ächtung von Minderheiten‘ und so weiter- Wenn aber jemand in jedem zweiten Roman einen heißen Krieg verhindert, dann ist es Bob Urban. Tatsächlich ist Urban Humanist.

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Wiener, Heft 5/87

Keine Frage, Bob Urban ist ein papiergewordenes Klischee in Reinkultur. Daß er mit der BND-Realität nichts zu tun hat, weiß jeder, zuerst sein Erfinder („Ein BND-Agent erlebt in drei Jahren nicht, was Urban in einem Roman durchsteht“) und nicht, zuletzt, natürlich seine Leser. Zugestanden auch, daß die Freunde der Bahnhofsliteratur Bestätigungsgeschichten goutieren wollen und daran glauben, Geschichte würde von einzelnen, großen Männern gemacht. Daß sie sich in einem Kleinbürger, der nicht altert, als Katholik und vermeintlicher CSU-Wähler reihenweise Frauen „golft“, schnelle Wagen fährt (pro Roman reißt Urban gute 2000 Kilometer runter, immer auf der Überholspur) und sich den Luxus des Großbürgertums (Urban raucht „Monte Christo“, eine eigens für ihn von alternden Tabakfabrikarbeiterinnen hergestellte Zigarettenmarke mit dem Flair von Ägypten und Virginia) zu leisten vermag, wiedererkennen wollen. Glasklar auch, daß sich mit der PR-Formel „Dynamit-Leser blicken hinter die Kulissen des Weltgeschehens“ dreist einer in die Tasche gelogen wird.
… „Was soll’s“ fragt C.H. Guenter, „das gehört zum Geschäft.“ Der so gütige wie agile Herr ist von ausgesuchter Höflichkeit und ein knochenharter Profi. Und wie jeder Profi nimmt er seine Arbeit sehr ernst, nicht aber unbedingt das Ergebnis. Anders ist es nicht zu erklären, daß C.H. Guenter die einzige literarische Form, die er bind beherrscht, gleichzeitig konterkariert (um nicht ver……. zu sagen). Nicht nur, daß er es ….. unterläßt, seine Belesenheit flanieren zu lassen (wenn etwa das Kennwort zweer Agenten ein lupenreines Schillerzitat ist) oder lateinische Sätze nicht übersetzt (wer seine Lektüre am Kiosk ……, kann auch fleßend Latein) – C.H. Guenters größter Coup ist es, seine absurden, skurrilen, weltfremden und  ……. Erlogenen Stories mit Realität aufzuladen, um so seinen Kommentar zum täglichen Zeitgeschehen abzugeben.
369_Mister Dynamit 369_300   Vorletzte Frage.
… „Ich habe einen Kieferchirurgen kennengelernt, wenn der Tage hatte, an denen es ihm nicht so gut ging, hat er sich vor den Spiegel gestellt und gesagt: Ich bin der Urban. Oder ein Universitätsprofessor, der denkt, wenn er eine beschissene Zeit hat, der Urban muß sich ja auch durchboxen. Ich selber mache mit meiner Frau Witze über Urban. Ich befasse mich ja nicht theoretisch mit der Figur, das kommt aus dem Bauch. Doch ich wollte nicht so leben wie er: zwischen Urban und mir besteht eine ziemliche Distanz. Ob Urban mein Ersatzleben führt? Müßte ich mal einen Psychologen fragen.
   Letzte Frage:
   „Das werde ich Ihnen natürlich nicht beantworten. Sagen wir so: Ich schreibe für ein Festhonorar, dem eine gesunde Mischkalkulation zu Grunde liegt. Ihre Rechnung mit den Prozenten, bei der am Ende 75000 Mark pro Roman herauskommen, geht daher nicht auf. Außerdem bin ich aus Franken: Franken leben sehr sparsam. Wenn man zusätzlich den Grundsatz des Bankiers Rothschild berücksichtigt – ein Drittel Immobilien, ein Drittel Antiquitäten, ein Drittel … na ja … Millionär?
 285_Montechristo ganz  Mein Taxi ist vorgefahren. Draußen wird es langsam dunkel, und die Bäume und Sträucher erleuchten wieder in ihrem diffusen Frühlingsgrün. Hinter einem Fenster in einer Münchner Vorstadtstraße wird das Licht angeknipst.
   Das Taxi fährt an einem Vorstadtkino vorbei. „Morgen küßt euch der Tod“ wird hier gespielt – der erste und einzige Dynamit-Roman, der je verfilmt wurde. Eine naiv-charmante James-Bond-Kopie, mit einem unsäglich grinsenden Lex Barker als Robert Urban kongenial daneben besetzt. Ich entbiete meinen Tribut in Form von sieben Mark Eintritt und denke an den alten Satz, daß es für so wenig Geld zumindest an meine niedersten Instinkte appelliert werden sollte. Ein doofer Gedanke.

Mit freundlicher Erlaubnis des Autors.

Helmut Ziegler, 1958 geboren, arbeitet als Journalist und Autor in Hamburg. Auf „Mister Dynamit“ stieß er als Pubertierender, weil sein Vater die Bände verschlang. Er las selbst einen, an dessen Ende Bob Urban aus einem Auto geschleudert wurde und das eigentlich nicht überlebt haben konnte – allerdings besaß sein Vater schon den Folgeband. Ziegler hat zwei Jugendromane um „Peng, der Penguin“ veröffentlicht sowie (mit Ko-Autorin Paula Lambert) „Brüste – das Buch“. Ansonsten schreibt er für Geld.

71ottKbt+NL._SY550_Zu „Mister Dynamit“ siehe auch bei CrimeMag:

Schweres Wasser – Leichte Mädchen. Eine etwas andere Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Alf Mayer über die Romanserie MISTER DYNAMIT mit dem BND-Agenten Bob Urban

Lies bis dich der Teufel holt. Erwachsen werden mit Mister Dynamit. Reinhard Jahn und Bodo H. Hechelhammer über ihre Lektüre

Bodo V. Hechelhammer: »Der Fuchs ist im Bau und der Hase auf dem Feld«. Warum 1966 der BND plötzlich Interesse an deutschem Dynamit entwickelte.
 

 

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