Geschrieben am 17. August 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag

TV-Kritik: Rot-Grün macht Kasse

Immer im Bild

– In seiner ARD-exclusiv Reportage „Rot-Grün macht Kasse“ setzte sich Christoph Lütgert mit Ex-Politikern der Rot-Grünen Koalition auseinander, die jetzt als Lobbyisten üppige Honorare einstreichen.  Von Peter Münder.

Ex-Kanzler  Gerhard Schröder gibt ein griffiges Feindbild ab: Er hat Wladimir Putin ja nicht nur als „lupenreinen Demokraten“ tituliert und bei Gazprom als üppig entlohnter Lobbyist angeheuert, auch beim englisch-russischen Ölkonzern TNK-BP, der für eine gigantische Ölkatastrophe in Sibirien verantwortlich ist, ist er als Frühstücksdirektor tätig und wird fürstlich  entlohnt- aber wofür eigentlich? Mit einer  bewundernswerten frettchenhaften Verbissenheit macht sich NDR-Reporter Lütgert daran, von Schröder Informationen über dessen Lobbyisten-Job zu bekommen, doch der ist nicht zu fassen: „Ach Herr Lütgert“, meint der Ex-Kanzler süffisant grinsend, „wir kennen uns doch lange genug, versuchen Sie es gar nicht, sie kriegen von mir kein Interview“.

In Bangladesh hatte Lütgert  die menschenverachtenden Produktionsbedingungen in der Textilindustrie (Vgl. KIK-Skandal) mit einer brisanten Reportage entlarvt und gezeigt, wie auch deutsche Firmen sklavenartige Verhältnisse bei Kinderarbeitern akzeptierten. Er ist der Mann fürs Grobe, der keine Ruhe gibt und sich folglich auch nicht mit den Ausflüchten und Abfuhren abfindet, die auf ihn in dieser Reportage über ehemalige rot-grüne Politiker niederprasseln.  Kurz gesagt: Er ist der ideale investigative Reporter. Zwischen Borkum, dem Zürichsee, Moskau, Berlin und Sibirien ist er unterwegs – einer der letzten, die es wirklich wissen wollen. Er latscht in Gummistiefeln durchs ölverseuchte sibirische Gelände („Das stinkt“), inspiziert zwischen hunderten von Förderpumpen marode, leckende Rohre, die in einem geradezu apokalyptisch wirkenden Szenario diese Umweltkatastrophe mit drastischen Impressionen verdeutlichen und er befragt in Moskau Umweltaktivisten, die diesen Skandal für schlimmer halten als die Katastrophe im Golf von Mexiko. Da Schröder in einem TNK-BP-Prospekt als kompetenter Umweltexperte bezeichnet wird und im Firmen-Ausschuss für „Sicherheit und Umwelt“ sitzt, befragt er auch einen russischen Firmenchef nach den Aktivitäten des Ex-Kanzlers – doch der TNK-BP-Mann gibt den schmierigen schwarzen Peter an den deutschen Lobbyisten weiter: „Das müssen  Sie schon Herrn Schröder fragen“.

Ist es wirklich „populistisch“, wie einige Kritiker behaupten, wenn Reporter Lütgert sich für  die Aktivitäten von Joschka Fischer  (bei BMW Berater für umweltfreundliche Modellentwicklung), Otto Schily (u.a. Berater eines Passherstellers) oder für Marianne Tritz (früher MdB-Grüne, jetzt Geschäftsführerin beim deutschen Zigarettenverband) interessiert?  Lütgert erhält eine Abfuhr nach der anderen, er lässt sich abwimmeln und abkanzeln und entlarvt so den selbstherrlichen Größenwahn dieser krypto-oligarchischen Lobbyisten. Nur Otto Schily stellt sich für ein Interview zur Verfügung und gibt sich als Mehrer des Hehren und Guten: Schließlich sorge er mit seinem Einsatz für Pässe mit biometrischer Datenspeicherung (die hatte er ja als Innenminister durchgesetzt) auch für die Sicherung von Arbeitsplätzen.

Dieser dreiste hochdotierte Lobbyismus – der ja nur aufgrund eines  Bonus-Systems für ehemalige  Funktionsträger in politischen Ämtern zustande kam – wäre zur Zeit von Herbert Wehner oder Kurt Schumacher undenkbar gewesen, erklärt der Göttinger Politologe Franz Walter. Hört sich zwar an wie eine Binsenweisheit, stimmt aber trotzdem. Auf einem Sommerfest kann Lütgert zwar Frau Tritz kontaktieren, doch die ehemalige Anti-Atom-Aktivistin und jetzige Chefin vom Zigarettenverband vertröstet ihn auf ein Telefonat, um einen Interview-Termin zu vereinbaren: „Ich verspreche, dass Sie zu mir durchgestellt werden“ – und dann wird Lütgert am nächsten Tag am Telefon von irgendeinem Hiwi im Verband rüde abgewimmelt. Noch unverschämter gerierte sich Gerhard Schröder, der seine Interview-Resistenz gegenüber Lütgert so begründete: „Das hat keine politischen Gründe, sondern ästhetische“.

Wer diese Entlarvungen einer dumpfbackigen Hybris und eines krassen Zynismus für „populistisch“ hält, der will den Boten  mal wieder für das Überbringen unerfreulicher News bestrafen. Lütgert sei Dank:  In diesen trüben Talkshow-Zeiten, da die TV-Kanäle von Dampflauderern aller Fraktionen mit Sprechblasen eingenebelt werden, ist  so eine kritisch-aufklärerische  Reportage (auch noch zu einer normalen Sendezeit!) schon eine echte Wohltat. Auch wenn Christoph Lütgert offenbar meint,  immer im Bild sein zu müssen und in fast jeder Einstellung  präsent ist nach dem Motto: „Nur echt mit meinem Konterfei“.

Peter Münder

ARD-exclusiv Reportage: „Rot-Grün macht Kasse“. Von Christoph Lütgert. Die Sendung kann in der Mediathek der ARD hier angeschaut werden. Fotos: ARD-exclusiv. Mehr zum Thema: Das Portal Seitenwechsel beschäftigt sich mit den neuen Jobs ehemaliger Politiker.