Geschrieben am 1. Oktober 2023 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2023

Wolfgang Schlott über Djaïli Amadou Amal

Zum Roman „Im Herzen des Sahel

Nach ihrem Roman „Die ungeduldigen Frauen“ (französisch „Les impatientes“), 2020 mit dem Prix Goncourt des lycéens ausgezeichnet, präsentiert die aus Kamerun stammende Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Djaïli Amadou Amal mit „Im Herzen des Sahel“ (fr. „Coeur du Sahel“, 2022) gleichsam die Fortsetzung eines Themas, das vom Kampf afrikanischer Frauen gegen ihre mentale und ökonomische Unterdrückung bestimmt ist. Am Beispiel von Kondem, Mutter von vier Kindern, lange Jahre als Dienstmädchen in einer muslimischen Großfamilie tätig, berichtet sie in der Rolle einer impliziten Erzählerin von dem brutalen Überlebenskampf in einem Dorf in der Nachbarschaft von Maroua im nördlichen Teil von Kamerun.

Als Faydé, ihre fünfzehnjährige Tochter, ihr mitteilt, dass sie auch als kaado, als Dienstmädchen in einer concession, einer großen Hofanlage arbeiten will, ist die Mutter zunächst tief verzweifelt. Sie willigt aber ein in der Hoffnung, dass ihre Tochter sie finanziell unterstützt. Faydé erlebt nun die täglichen Erniedrigungen durch die verschiedenen Ehefrauen des „Potentaten“. Sie befreundet sich mit dessen Töchtern, erlebt die Übergriffe und raffinierten Versprechungen der jungen Männer und wird mit den strengen Sitten und Bräuchen der Muslime konfrontiert. Sie verliebt sich in Boukar, der als Lehrer an der örtlichen Schule unterrichtet. Sie leidet unter dieser Beziehung so lange, bis sie sich von ihrem Geliebten trennt. Im Vertrauen auf ihre intellektuellen Fähigkeiten lässt sie sich als Krankenpflegerin ausbilden und arbeitet in einem Krankenhaus im Banyo, in Süd-Kamerun. Dort begegnet sie nach vielen Jahren Boukar, ihren einstigen Geliebten.

Bei dieser Begegnung erfährt sie mit großer Verwunderung, dass er mit der von der muslimischen Großfamilie ausgesuchten Frau nur wenige Monate nach der Hochzeit gelebt habe, keine Kinder habe, dass er seine Faydé, den „Glücksfund“, noch immer liebe. Und nun zeichnet sich ein Happyend ab: der Muslim heiratet seine Faydé, die Christin aus der dörflichen Welt, woher auch die Mutter stammt. 

Eine ausführliche Lektüre des vielschichtigen Romans führt zu einem differenzierten Ergebnis. Wer den Roman liest, wird mit den grausamen Überfällen des Boko Haram konfrontiert, dessen Krieger vor allem im nördlichen Teil von Kamerun Dorfbewohner nachts überfallen und sie ermorden. Sie entführen deren Kinder in die benachbarten Staaten Nigeria und Tschad, um sie dort muslimisch umzuerziehen. Außerdem beklagt die Autorin auch die bittere Not der Dorfbewohner, die bedingt ist durch Trockenheit und Wassernot. Sie wird durch den Klimawandel ausgelöst, der auch in der mittelafrikanischen Sahelzone seine bitteren Spuren hinterlässt.

Der Roman setzt sich auch mit der feudalistisch gesinnten Haltung der vermögenden muslimischen Familien gegenüber ihrem Dienstpersonal auseinander. Darüber hinaus kommentiert die mit Sitten und Bräuchen der Bewohner von Kamerun bestens vertraute Autorin auch die zwischen dem Dienstpersonal und den muslimischen Potentaten auftretenden Spannungen. Insofern vermittelt sie zwischen den handelnden Personen, engagiert sich für die unter den Repressionen leidenden Dienstmädchen und zeigt zugleich deren emanzipatorische Bemühungen auf mit dem Ziel, ihnen ein selbstbestimmtes Leben aufzuzeigen. Dass ihr engagierter Kampf für gerechte Beziehungen zwischen den Geschlechtern von zahlreichen afrikanischen und europäischen Frauenrechtlerinnen und selbst ihrem Ehemann (!) unterstützt wird, bekunden die Dankesworte der Autorin (vgl. S. 249). Ihr Buch ist ein Zeugnis der emanzipatorischen Bemühungen afrikanischer Frauen um ihre Gleichberechtigung auf einem von bitterer Not gezeichneten Kontinent. 

Djaïli Amadou Amal: Im Herzen des Sahel (Coer du Sahel, 2022). Aus dem Französischen von Ela zum Winkel. Orlanda-Verlag, Berlin 2023. 252 Seiten, 22 Euro. 

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